Beißreflexe – Kritik an queerem Aktivismus, autoritären Sehnsüchten, Sprechverboten

Beißreflexe - Buchcover

Beißreflexe - Querverlag, 2017

Wir wollen den feministischen Diskurs beleben und unterschiedliche Ansätze zur Diskussion stellen. Deshalb erscheinen bei uns regelmäßig Gastbeiträge, die nicht zwangsläufig die Haltung der oder aller Störenfriedas wiedergeben, aber wichtige Impulse für die feministische Debatte geben können.

Heute scheint es selbstverständlich, dass queer irgendwie alles ist, was sich selbst eine Abweichung von Norm zuschreibt. Niemand will heute mehr normal sein, also sind alle queer, denn jede sexuelle Differenz, jeder Fetisch wird zum Bestandteil einer Identität.

Ein AutorInnen-Kollektiv rund um Patsy L’Amour lalove hat einen Sammelband herausgebracht, dessen Beiträge sich kritisch mit der queerfemistischen (Netz)szene (in Berlin) und den dort vorherrschenden Strukturen, der Meinungs- und Diskussionskultur und ihren Reglements auseinandersetzen. Auch wenn Kritik und das Aufzeigen dieser destruktiven Strukturen und Dynamiken bereits stattgefunden hat und glücklicherweise zunimmt: Die Beiträge füllen in ihrer Komprimiertheit und Klarheit eine Lücke und eine längst fällige und breite Debatte könnte mit dem vorliegenden Band angestoßen werden (oder schon angestoßen worden sein, das illustriert jedenfalls das korrespondierende Twitter-Spektakel).

Die AutorInnen widmen sich den übergeordneten Themen Betroffenheit, Schmutzräume und Trigger, Privilegiencheck, Queere Theorie, Pinkwashing und Antisemitismus, Queering Islam, Queer in Berlin.

Der ursprüngliche Gedanke von „queer“, dem im Band ein historischer Abriss gewidmet ist, habe in der heutigen Auslegung und Praxis eine neue, der ursprünglichen Bedeutung widerstrebende, Konnotation erhalten. Queer als Synonym für Widerständigkeit, Radikalität und selbstbewusstes Andersein – des „Perversen“ – sei zu einem verwässerten Begriff geworden, der heute alles meint und den jede_r, der_die sich als „nicht normal“ ansieht, anheften kann. Dies müsse sich wieder ändern, insgesamt habe die Queertheorie eine „antiemanzipative Wende“ erfahren, ihr Potenzial werde durch ihre aktuelle Auslegung nicht mehr entsprechend gewürdigt.

Die AutorInnen kritisieren das Betroffenheits-Narrativ, das besagt, dass nur, wer von etwas betroffen ist, das Recht habe, sich dazu zu äußern. Darüber hinaus dürfe sich queerfeministische Kritik nur an „westliche“ Phänomene richten, anderes zu adressieren wie beispielsweise die Lage Homosexueller in z. B. arabischen Staaten sei rassistisch. Eine fundierte Islam-Kritik sei versäumt worden und insgesamt unmöglich zu formulieren, da sie per se als rassistisch kategorisiert werde.

In der Szene sei ein Konzept von Definitionsmacht und Schutzräumen vorzufinden, das durch die beliebige Erweiterung des Gewaltbegriffes (z. B. um Sprachhandlungen) und des unmöglichen Anspruches, dass sich „alle wohlfühlen“ einerseits zu einer Bagatellisierung sexueller Gewalt geführt habe und andererseits ein „sexualrepressives“ Klima geschaffen habe. Insgesamt zeichneten sich „sexualfeindliche Tendenzen“ in queerfeministischen Zusammenhängen ab, die sich nicht mit der zentralen feministischen Kernforderung der sexuellen Befreiung in Einklang bringen ließen.

Critical Whiteness-Ansätze und Privilegien-Reflexion im Rahmen bestehender intersektioneller Machtverhältnisse hätten die Intention, den „Bessergestellten“ ein „schlechtes Gewissen“ zu machen, in der Szene herrsche ein Reglement vor, dass von einem undefinierten und leeren Begriff der „Community“ ausgehe, von der niemand jedoch genau weiß, wer/was diese Community eigentlich ist. Wichtig aber sei es, dazuzugehören und die szene-inhärenten Vorschriften in gefolgsamer Manier abzunicken und unhinterfragt zu übernehmen, wer dies nicht tue, dem entledige man sich durch wenig emanzipatorisch anmutende Methoden wie Mobbing, Denunziation und Diffamierung. Geschildert wird dies u. a. im Zusammenhang mit Erfahrungen und Vorkommnissen z. B. auf dem e*camp 2013, den Queeren Hochschultagen an der Humboldt-Universität 2013 und dem Mainzer CSD 2016, aber auch anhand der Debatte um Sookee, der queerfeministischen Rapperin, der wegen ihres Textes „If I Had A“ Transphobie angelastet wurde.

In weiteren Beiträgen wird die in der Szene vorzufindende anti-israelische Haltung sowie die Anti-„Pinkwashing“-Bestrebungen am Beispiel des israelischen Staates thematisiert, insgesamt bediene sich die Auseinandersetzung mit dem (Staaten-)Konflikt zwischen Israel und Palästina an einem Schwarz-Weiß-Schema, das eine verkürzte Darstellung von Israel als kolonialer Akteur und Palästina in einem Befreiungskampf von diesem wiedergebe, eine nuanciertere und differenziertere kritische Betrachtung, eine, die verdeutliche, dass eine solche einseitige und plakative Betrachtung eben zu kurz greift, fehle ganz und gar.

Die Beiträge werden vielen, die die Szene „von innen“ kennen, aus der Seele sprechen. Jene, die ihr aufgrund aufgrund der im Buch geschilderten psychischen Gewalterfahrungen den Rücken gekehrt haben, den existenzgefährdenden Anstrich am eigenen Leib erfahren haben, bekommen durch dieses Buch ein Sprachrohr geschenkt. Eines, das zu Befüllen längst überfällig ist, denn obwohl viele Formulierungen enormen Humor offenbaren und ohne Frage Spaß bereiten, haben die AutorInnen ein ernstes Terrain betreten, das mit Methoden der Meinungsunterdrückung, Sprechverboten und autoritären Gebärden zweifellos an Sektenstrukturen erinnert, und das ist ausdrücklich nicht polemisch gemeint, sondern den Zustand angemessen beschreibend.

Identitätspolitik ist das hauptsächliche Schlachtfeld queerer Politik, ihr Anfang und leider auch ihr Ende. Identität wird fetischisiert […].

Der Sammelband trägt eine antideutsche Handschrift, das kann man gut oder schlecht finden, er ist überwiegend aus männlich-schwuler Perspektive geschrieben und auch das merkt man. Die Psychoanalyse wird als Deutungswerkzeug herangezogen, was in Teilen versponnen wirkt und in andere Teilen sehr pointiert.

Mein persönliches Highlight ist – nicht zuletzt aufgrund der Unterrepräsentanz von FrauenLesben im Sammelband – der Beitrag von Koschka Linkerhand „Treffpunkt im Unendlichen – Das Problem mit der Identität“ – der aus lesbischer Perspektive die Absurdität der Identitätspolitik auf den Punkt bringt und ihren entpolitisierenden Charakter herausstellt (und darüber hinaus in klug-ironischer Weise ihrem persönlichen Dilemma Ausdruck verleiht, an diesem männlich-schwul dominierten Band mitzuschreiben).

Obwohl die queerfeministische Auslegung von Intersektionalität und Critical Whiteness-Ansätzen, ähnlich wie die szenetypische Verurteilung kultureller Aneignung durchaus kritikwürdig und wichtig zu adressieren ist, hat mir persönlich die Würdigung der Widerstandskämpfe von Schwarzen und People of Color gefehlt, die das Fundament dieser Ansätze stellen. Denn letztlich ist es unerheblich, ob eine bestimmte Szene sinnvolle Analyseinstrumente wie z. B. Intersektionalität in ein Absurdistan abdriften lässt, es ändert nichts daran, dass diese Theorien nicht im luftleeren Raum entstanden sind und zweifellos eine wichtige Rolle bei der Analyse sozialer Ungleichheiten und gesellschaftlicher Machtverhältnisse spielen. Oder anders gesagt, und das betrifft auch andere der besprochenen Themen wie z. B. Islam(-Kritik), Israel, Definitionsmacht-Konzepte, etc.: So „einfach“ oder vom Tisch zu fegen – wie teilweise im Band dargestellt – sind diese Dinge dann auch wieder nicht. Übrig geblieben ist für mich deshalb eine Lücke „dazwischen“, das heißt die unbedingte Notwendigkeit zwischen beiden „Polen“ in einen Dialog zu kommen.

Aber vielleicht und so hoffe ich, war das eine Absicht des AutorInnen-Kollektives: diesen Dialog zu eröffnen, einen, der Differenzen ebenso wie Gemeinsamkeiten auf den Tisch bringt, einen der divergierende Standpunkte ihren selbstverständlichen Platz einräumt und sie nicht in inquisitorischer Manier zum Verschwinden bringt. Denn schließlich bleibt uns nur:

Wir müssen erkennen, dass der wahre Feind im Außen liegt und nicht in der eigenen Szene – auch wenn wir dort vielleicht immer wieder Menschen begegnen, deren Positionen wir nicht ganz teilen. Das heißt nicht, dass wir das Erreichte – unsere Sensibilisierung für diskriminierende Strukturen jeglicher Art – über Bord werfen sollten, aber es heißt, dass es nun an der Zeit ist, Allianzen zu bilden […].

„Beißreflexe – Kritik an queerem Aktivismus, autoritären Sehnsüchten, Sprechverboten“ ist erschienen im Querverlag und erhältlich bei Thalestris und Fembooks.

Eine Rezension von Maya

1 Kommentare

  1. Ich kenne die Szene nicht von innen, nehme aber mit wachsendem Befremden deren Auswirkungen wahr, insbesondere das Ansichreißen des Diskurses bei feministischen Themen. Das zirkuläre, entpolitisierte Kreisen um Identität(en) ist bei einer Generation, die mit dem Liberalismus/Neoliberalismus und rot-grünen Ich-AGs aufgewachsen ist, wahrscheinlich normal. Andererseits erlebe ich es als einen knallharten Machtkampf um Deutungshoheit und Ressourcen, mit wie ich finde fatalen Auswirkungen. Das Buch ist eine gute Grundlage zur Debatte, mir fehlen ebenfalls die (radikal)feministischen Stimmen, was aber keine Kritik am Buch oder den Herausgebern sein soll, sondern eine Einladung an alle, die etwas davon verstehen, auch diese Sichtweisen an die Öffentlichkeit zu bringen. Gut fand ich auch die thematische Eingrenzung auf bestimmte theoretische Kernthemen, wie critical whiteness oder pinkwashing. Gerade Leute, die nicht mit den aktuellen Debatten vertraut sind wie z.b. ich, können hier die Grundlagen und verschiedene Argumentationsstränge gut kennenlernen. Die Psychoanalyse wird in verschiedenen Beiträgen als theoretisches Instrument genutzt. Dazu habe ich ein ambivalentes Verhältnis. Die PA bietet verschiedene Konstrukte, mit deren Hilfe irrationales Verhalten von Menschen(gruppen) verstehbar wird, z.B. Projektion. Gerade hier in diesem Zusammenhang, im Umgang von Szenemitgliedern mit Kritik(ern) und Feindbildern, kommt die PA gut zum Tragen. Sie kann erklären, warum Personen, die sich als non-binär verstehen, sehr stark in binären Konstrukten (gut-böse, Freund-Feind) verhaftet sind. Andererseits empfinde ich die PA in ihrer Sprache des 19. Jh als patriarchal-wertend („primitive Abwehrmechanismen“), zudem werden patriarchale Denkstrukturen weitergetragen (feststehende Vaterrollen, Mutterrollen, Geschlechtscharakter usw.). Dies fiel mir negativ im Beitrag von Sosat auf, der zwar analytisch interessant, aber auch abständig-wertend ausfiel. Zudem fehlten Bezüge zu konkreten Situationen oder Interaktionen, so dass ich manchmal keinen Zugang finden konnte. Die Schlussfolgerung im Beitrag, betroffenheitsfeministische Frauen blieben in ihrem Frausein immanent und verschafften sich keinen Zugang zur „Männerwelt“ des Denkens, finde ich zu absolut in dieser Binarität, da ja in den anderen Beiträgen des Buches deutlich wird, dass diese Form des Umgangs nicht nur innerhalb von Frauengruppen vorkommt.

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