„Agency“ ist magisch, mit den Hüften wackeln auch

Wir wollen den feministischen Diskurs beleben und unterschiedliche Ansätze zur Diskussion stellen. Deshalb erscheinen bei uns regelmäßig Gastbeiträge, die nicht zwangsläufig die Haltung der oder aller Störenfriedas wiedergeben, aber wichtige Impulse für die feministische Debatte geben können.

[Gleich zu Beginn die Klärung des nachfolgend häufiger verwendeten Begriffs „agency“: „agency“ ist „sozialwissenschaftlich die Wirkmächtigkeit, Kreativität und den subjektiven Sinn des Handelns“, noch knapper (und psychologisch) die Freiheit eigene Entscheidungen zu treffen und umzusetzen. Wikipedia]

Neulich wurde wieder einmal in einem Artikel argumentiert, dass die Kritik an Sexualisierung und Objektifizierung ein Beweis dafür ist, dass Männer Angst davor haben, dass Frauen ihre Sexualität ausdrücken und Frauen neidisch sind und das auf der Basis von „agency“.

Welch ein innovativer und wegweisender Gedanke.

Ein aktueller Artikel der Huffington Post verteidigt auf der Basis der „Agency“ ein Video  des mit den Hüften wackelnden Models, Amber Rose, welches sie als Geburtstagsgeschenk für ihren Ehemann Wiz Khalifa auf Youtube gepostet hat, sowie Beyoncés Poledancing bei den VMAs.

Die Autorin schreibt über Beyoncés „manchmal provokatives Tanzen“:

„Was bringt sie ihrer Tochter bei?“ haben manche entrüstet gefragt, die Perlenkette straff gerafft.[1] Ich würde antworten: „“Agency“, Unabhängigkeit, Talent“. Andere hingegen meinen offensichtlich, dass es, also die Mutter vor Millionen singen und tanzen zu sehen – während sie Millionen verdient, Blue beibringt, ihren Körper nicht zu respektieren und wert zu schätzen. Obwohl sie verheiratet und Mutter ist – der vermeintliche Schutz davor, nicht als Hure betitelt zu werden – werden Beyoncés „Tugend“ und Mutterschaft in Frage gestellt.“

Dem Evangelium der liberalen Feministinnen zufolge, drückt Wackeln mit den Hüften und Poledancing auf einer Bühne vor einer Zweijährigen „agency“ aus. „Agency“, das ist dieses schwer fassbare Konzept, das offensichtlich nur diejenigen begreifen, die ein abgeschlossenes, vierjähriges Kunststudium vorweisen können. Der Rest von uns, informiert durch empirische Belege, ist hingegen etwas besorgt über die Statistiken, die zeigen, das immer jüngere Mädchen mit Essstörungen und Ängsten fertigwerden müssen, und in Sexhandlungen und pornofizierte Versionen der Sexualität gedrückt und gezwungen werden.

Vergesst die spaßverderbenden und unsinnigen Statistiken, es geht um AGENCY. Und um PERLEN. Was haben Perlen mit „agency „zu tun? Lasst mich das für euch aufdröseln:

Die liberal-feministische Darstellung von „agency“ schlägt vor, dass eine Frau immer dann Unabhängigkeit, Macht und „agency“ ausstrahlt, wenn sie etwas vorführt, was wir als „Sexualität“ betrachten. Wenn du nicht zustimmst, dann deshalb, weil du entweder ein angsterfüllter, sexuell frustrierter Mann bist, ein*r verklemmte*r („pearl-clutching“), sexuell frustrierte*r Konservative*r oder eine neidische Frau (wahrscheinlich sexuell frustriert).

Negative Geschlechter-Stereotypen im Überfluss. Die Autorin behauptet, Geschlechter-Stereotypen und Heilige-Hure-Dichotomien beenden zu wollen (gegen die argumentieren Feministinnen bereits seit Jahrzehnten), tut aber genau das Gegenteil.

Die Vorstellung ist, dass diese Dichotomie zerstört ist,  weil Amber Rose und Beyoncé Ehefrauen und Mütter sind und außerdem mit den Hüften wackeln.

Die Autorin fragt den*die Leser*in:

„Bist du sauer, weil sie tut, was sich nicht gehört (mit den Hüften wackeln, obwohl man eine Mutter ist), oder bist du sauer, weil sie tut, was uns allen erlaubt sein sollte, von dem wir aber glauben, es nicht zu können?“

Ich wage zu mutmaßen, dass viele Frauen diese Welt einigermaßen satt haben, mit ihrer Fixierung auf „post-baby-körper“, „lecker Mami“, „MILF“ und „Cougar“ (ältere Frau, die auf junge Männer steht). Selbst in der Mutterschaft gönnt man Frauen keine Auszeit von der unerbittlichen Fixierung auf „sexy“ – die Objektifizierung von Müttern hat bereits drastische Folgen für die Gesundheit von Frauen.

Die Autorin fragt dann:

„…bist du sauer weil [Amber Rose] mit dem einen Bein im Mutterschaft-Ehefrauen-Lager steht und mit dem anderen Bein im Lager, welches halbnackt mit dem Popo wackelt?“

Ist dies eine Fangfrage? Ich dachte, wir waren dabei, die Heilige-Hure-Dichotomie anzuprangern, aber am Ende des Artikels scheinen die Stereotypen unberührter denn je.

Diese Arten von Stereotypen – „Jungfrau“, „prüde Frau“, „Milf“, „alte verklemmte, bürgerliche Jungfer“, „Nutte“ – haben keinen Platz in einer gleichberechtigten Gesellschaft, solche Verunglimpfungen wurden entwickelt, um Frauen zu kontrollieren und zum Verstummen zu bringen und sie sind nicht mal annährend akzeptabel, ob sie uns nun von Frauenhassern auf Youtube entgegen geschleudert werden oder von selbst erklärten Feministinnen.

In der Tat. Beyoncé hat Geschichte geschrieben als eine tolle Entertainerin, die gleichzeitig den Feminismus ins Rampenlicht gebracht hat – das ist ein bedeutender Erfolg. Aber das heißt nicht, dass wir das, was sie repräsentiert und die Message, die sie damit transportiert, nicht kritisch hinterfragen dürfen.

Wie viele Dritte-Welle-Feministinnen braucht es, um zu verstehen, dass der Starkult schädliche kulturelle Normen, inklusive Sexismus und Rassismus, produziert (und selbst ein Produkt dessen ist)? Normen, die es verdienen, in Frage gestellt zu werden, statt von unkritischen Feministinnen auch noch befördert zu werden?.

Viele liberale Feministinnen scheinen in einer Geisteshaltung gefangen zu sein, in der es nur zwei Wege gibt, über Sexualität zu sprechen: 1) eine konservative, „unterdrückte“ Art: Habe niemals Sex, oder 2) die liberale, „befreite“ Art: jeder „Sex“ ist gut, ganz egal welcher.

….Da haben wir sie wieder diese Dichotomie…..

In Wirklichkeit gibt es Millionen Wege, eine eigene Sexualität zu haben, und die erfordert kein Poledancing vor Millionen Menschen. Poledancing hat letzten Endes rein gar nichts mit weiblicher Sexualität zu tun, sondern ist Stripclubkultur – das heißt männliche Kultur, das heißt Sexualisierung für den männlichen Blick. Poledancing stellt nicht, in keinster Weise, den Status Quo in Frage.

Der jüngste Poledancing-Trend in Musikvideos, Tanzschulen und Junggesellinnenabschieden zelebriert nicht nur den sexistischen Status Quo, sondern verherrlicht sexuelle Ausbeutung. Eine Forschungsarbeit, die von einer Ex-Stripperin durchgeführt wurde. hat gezeigt, dass mehr als die Hälfte der Tänzerinnen im Job „digital rape“ (Fingern durch Kunden ohne Zustimmung), sowie andere Formen verbaler oder physischer Übergriffe, erfahren hat. Eine andere Forschung zeigt, dass Tänzerinnen herkömmlichen Schönheitsidealen entsprechen müssen, oft auf gefährliche Schönheitsoperationen zurückgreifen oder massiv an Gewicht verlieren müssen, um dies zu erreichen. Ich glaube, diese Frauen haben das mit der spaßigen feministischen „agency“ einfach irgendwie nicht mitbekommen.

Frauen haben das Recht, kritisch gegenüber dieser wachsenden pornoprahischen Kultur zu sein. Eltern haben das Recht, vor Wut zu schäumen über den Druck, der auf Mädchen lastet, sich selbst für den männlichen Betrachter zu sexualisieren. Frauen, die kritisch gegenüber diesen Botschaften sind, sind nicht notwendigerweise „gegen Sex“ oder prüde – die Realität ist weitaus komplexer als das, was uns diese Binarität anbietet.

Es gibt Menschen, die Sex mögen, aber auch kritisch gegenüber sexueller Ausbeutung sind.  In der Tat, wie sich gezeigt hat, können sich manche Menschen eine Sexualität vorstellen, die keine marktgesteuerte, männerzentrierte oder pornogetränkte Performance benötigt.

Nehmen wir zum Beispiel Lydia Cacho, eine mexikanische Journalistin, die undercover erforschte, wie im Sexmarkt immer jüngere Kinder rekrutiert werden, um die Nachfrage nach immer extremeren Porno zu stillen.

Cacho befand es für notwendig, während eines Gesprächs in Sydney zu sagen „Ich liebe Sex und Erotik“ – wahrscheinlich weil sie befürchtete, dass liberale Feministinnen die Nummer mit der „alten, prüden, bürgerlichen Frau“ rauskramen würden, sollte sie ein kritisches Wort über Porno oder „Sex“ auch nur hauchen. Cacho zeigte auf, wie die Kultur zu immer jüngeren Kindern, die ausgenutzt und ausgebeutet werden, führt, egal ob durch Zuhälter in Mexiko oder weil die Kinder versehentlich selbst über Kindervergewaltigungs-Porno stolpern, denn Pornoseiten versehen ihre Bilder mit kinderfreundlichen Suchbegriffen.

Cacho ist ein Beispiel einer Person, die Sex genießt, und dennoch kritisch gegenüber einer Kultur ist, die ein eindimensionales Bild von „Sex“ verbreitet, nämlich jeden und alles zu verkaufen (an immer jüngere Jungs und Mädchen). Die Dichotomie, die Sex als etwas darstellt, wo wir entweder „dafür“ oder „dagegen“ sind, ist unnötig.

Trotz der immer wiederholten Sorgen über sexuelle Unterdrückung und Verklemmtheit („pearl clutching“) ist Sexualität nicht länger versteckt oder unterdrückt durch Puritanismus. Tatsächlich war dies kaum mehr der Fall seit der „sexuellen Revolution“ in den 1960er Jahren. In der heutigen Welt ist „Sex“ zu einem allgegenwärtigen kulturellen Narrativ geworden. Es ist das Narrativ, welches uns erzählt, Frauenbrüste sollten für pornofizierte Werbung verwendet werden, aber nicht zum Füttern unserer Babys. Es ist online, im TV, in der Zeitung und in deinem Blickfeld 24/7 – und wird dafür benutzt, um Pornos, Mini-Pole-Dancing-Sets für Kinder oder sogar Pfirsiche zu verkaufen (ja ihr habt richtig gelesen).

Während viele liberale Feminist*innen kritisch gegenüber dem ausbeutenden Kapitalismus sind, bleiben sie unkritisch gegenüber der kapitalistischen Ausbeutung von Sex und Sexualität. Wie kann man antikapitalistisch sein, aber für eine Kommodifizierung von Sex? Dem liberal-feministischen Evangelium nach, fehlt es allen Arbeiter*innen auf der ganzen Welt an „agency“, mit Ausnahme der objektifizierten und sexualisierten Mädchen und Frauen. Sogar sehr junge Mädchen im Sexhandel, so wurde mir gesagt, sind nur „minderjährige Arbeiterinnen“ mit „agency“. Für eine Bewegung, die für sich beansprucht gegen Rape-Culture und den patriarchalen Status Quo zu sein, ist diese Heuchelei ist erstaunlich.

Liberale Feministinnen promoten eine marktgesteuerte, eindimensionale Sicht auf männerzentrierten Sex. Statt Vielfalt zu promoten oder weibliche Sexualität, dekorieren sie den patriarchalen Status Quo mit dem Label „agency“.

Auch wenn es verlockend scheint: Allem und jedem „agency“ zuzuordnen, bedeutet nur, eine kritische Analyse der strukturellen Unterdrückungsrealität zu meiden. Die Idee von „Gleichheit“ auf ein System zu heften, welches auf struktureller Ungleichheit gründet, ändert nichts an der Ungleichheit, sondern erhärtet und verkleidet sie. Die Idee, dass Frauen sich in entmächtigenden Situationen „empowered fühlen“ müssen, ist nichts anderes als Victim Blaming unter einem neuen Namen.

Das Patriarchat verlangt einen wachsenden Zugriff auf weibliche Körper, zunehmend auch jüngeren Alters. Die sexuelle Revolution bereitete Männer auf eine Welt vor, in der Frauen ja zu Sex sagen, aber sie bereitete sie nicht auf das Recht der Frau vor, nein zu sagen vor. Männliche Anspruchshaltung und Forderung in „agency“ zu übertragen, ist schlicht eine PR-Kampagne für das Patriarchat.

Das ist nicht einfach „agentic“ gegen „non-agentic“. Von Frauen zu erwarten, dass sie in Situationen struktureller Unterdrückung „agency“ fühlen sollen, trägt nichts bei, außer echten Widerstand still zu legen.  Liberale Feministinnen leisten Frauen einen ultimativen Bärendienst, wenn sie Stereotype wie „alte, prüde, bürgerliche Jungfer“ vs. Poledancerin beschwören. Frauen dazu zu drängen, sich anzupassen, damit sie nichtals „alte, prüde, bürgerliche Jungfer“ bezeichnet werden, ist das Werk von Frauenhasser*innen, nicht von Feministinnen.

s200_laura.mcnallyLaura McNally ist eine Psychologin, Beraterin, Autorin und Doktorandin. Ihre aktuelle Arbeit beschäftigt sich mit kritischer Theorie um die Grenzen öffentlicher sozialer Verantwortung u untersuchen und liberalem Feminismus. Sie bloggt auf lauramcnally.com.

Wir bedanken uns für die Erlaubnis zur Anfertigung einer Übersetzung des auf Feminist Current erschienenen Artikels.

 

 

[1] Im Orginal „pearls clutching: Ein Begriff der im Englischen verwendet wird um eine sehr konservative, „prüde“ Frau zu beschreiben, die allein beim Gedanken an Sex anfängt ihre vorhandene oder imaginäre Perlenkette nervös anzufassen und zu drehen. Im folgenden mit „alte, verklemmte, bürgerliche Jungfer“ übersetzt (besser passende Ausdrücke als deutsches Pendant gerne!)

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