Kategorie: Prostitution

Radikal- vs. Liberal-/Queerfeminismus, oder: Wer exkludiert hier eigentlich wen?

Bild einer Katze

CCO Public Domain, Pixabay

Weil mein auf Facebook gepostetes Fazit zu einer aktuellen Auseinandersetzung sehr lang geworden ist, veröffentliche es nachfolgend der besseren Lesbarkeit wegen an dieser Stelle. Anlass siehe Link – mein Text hier

Achtung es folgt eine Texttapete…  (bereits sorry dafür)

Ich will gar nicht mehr so viel meiner kostbaren Zeit auf diese Diskussion verschwenden, denn diese Art von Auseinandersetzung bringt am Ende keinem was – und am wenigsten noch kommen wir irgendeinem feministischen Ziel damit auch nur einen mm näher. Ich möchte dennoch (hoffentlich für mich abschließend) ein Fazit daraus ziehen (das die „Gegenseite“ sicher nicht teilt, aber das muss sie ja auch nicht)

Erst nochmal ein paar Bemerkungen zum Inhalt (politisch), und zwar ein paar Dinge, die durchaus nochmal gerade zu rücken sind.

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What the actual fuck!? Ein Rant über Täter, die um eine „zweite Chance“ betteln

Pixabay Public Domain

Als wir 2013 begannen die Morde in der Prostitution in unserem Projekt „Sexindustry Kills“ zu dokumentieren, waren wir uns dessen bewusst, dass die Dokumentation der Schicksale jener Frauen, die in der Prostitution einen gewaltvollen Tod fanden ein zweischneidiges Schwert ist: Auf der einen Seite war es uns wichtig, dass diese Frauen nicht vergessen werden. Deutlich zu machen, dass sie unsere Schwestern sind, die fehlen. Zu vermitteln, dass sie Frauen mit Schicksalen, Träumen und Wünschen waren und nicht irgendwelche anonymen Frauen, die oft von der breiten Öffentlichkeit auf ihre Prostitutionstätigkeit reduziert werden. Dass sie Familien hatten und FreundInnen, die sie vermissen. Wir haben zahlreiche rührende Zuschriften erhalten, von jenen, die auch noch nach vielen Jahren an die Frauen denken, die so brutal aus unserer Mitte gerissen wurden.

Auf der anderen Seite war uns auch bewusst, dass die Dokumentation auch dazu beiträgt, die Prostitutionstätigkeit besagter Frauen weiter öffentlich zu machen. Einige dieser Frauen wollten, dass die Tatsache, wie sie Geld verdienten / zum Teil auch verdienen mussten, niemals publik wird. Nicht den Menschen, die ihnen nahe standen gegenüber und schon gar nicht einer großen Öffentlichkeit. Wir versuchen, dieses leider oft nicht aufzulösende Spannungsfeld damit zu mindern, indem wir den Auftritt so neutral wie möglich gestalten

Keinerlei Skrupel hatten wir jedoch jemals gegenüber der Benennung der Täter. Jener Männer – zumeist Freier – die die verdammte Verantwortung dafür tragen, dass diese Frauen nicht mehr leben. Was wir nicht für möglich gehalten hätten: Dass diese Typen tatsächlich die Chuzpe haben uns anzuschreiben und um Löschung ihrer Namen zu bitten winseln. Bisher haben wir diese Zuschriften immer bewusst mit Ignoranz gestraft: Unsere Aufmerksamkeit haben DIE nicht verdient. Irgendwann platzt einer jedoch die Hutschnur und deshalb lassen wir euch hier und heute an zwei solcher erbärmlichen Exemplare teilhaben.

Ein „Löschantrag“ eines gewissen Tim Schüler erreichte uns bereits im Jahr 2015. Besagter Tim ermordete in den 1990er Jahren gemeinsam mit seinem Kumpel Till-Hauke Heldt zunächst einen nepalesischen Flüchtling sowie einen Bremer Kaufmann. Heldt stand auf Sadomaso, träumte von einer SM-Welt, in der er nach Lust und Laune fesseln, bestrafen und erniedrigen konnte. Er eröffnete ein Bordell in einem ehemaligen Flüchtlingsheim, in dem seit 1998 auch Yvonne Polzin prostituiert – und von Heldt schamlos ausgenutzt – wurde. „Sie hat fantastisch gearbeitet, weil sie in mich verliebt war“, sagte Heldt. Er war fasziniert von der „totalen Unterordnung bis zur Selbstaufgabe“ und behandelte sie „wie Dreck“. In seinen Augen beging Yvonne einen „Tabubruch“, als sie vor seinem Privathaus auftauchte – und seine bürgerliche Fassade mit Frau und Kindern bedrohte. Er lud sie ein zu einem „romantischen Wochenende“ – in Wahrheit hatte er ihre „Beseitigung“ geplant. Bereits im Vorfeld hatte er einen Handwerker einen Ofen bauen lassen, der zu Yvonnes Krematorium werden sollte. Nach dem Mord stellte sich heraus, dass besagter Ofen nicht so funktionierte, wie er sollte und hier trat unser Spezi Tim Schüler auf den Plan: Gemeinsam tüftelten die beiden, wie sie den Ofen doch noch wie gewünscht zum Laufen bringen konnten. Als dies scheiterte, beschafften die beiden Winkelschleifer, Trennscheiben, Beil und Fleischwolf. Dem Klempner, der anschließend bei der Entsorgung des Ofens helfen sollte und aufgrund des Leichengeruchs Verdacht schöpfte, erzählten sie was von „Rehfleisch“. Dieser musste sich zwei Mal an die Polizei wenden, bis diese die abenteuerliche Geschichte glaubte und Ermittlungen eingeleitet wurden. Heldt wurde zu dreimal lebenslänglich, Schüler zu 9 Jahren Haft verurteilt. Die Gesamtfreiheitsstrafe betrug 15 Jahre.

Nachfolgend dokumentieren wir Tim Schülers Löschgesuch:

Sehr geehrte Damen und Herren,
ich beantrage den folgenden Artikel zu löschen: http://sexindustry-kills.de/doku.php?id=prostitutionmurders:de:yvonnepolzin
Meine Wiedereingliederung in die Gesellschaft, insbesondere in das Arbeitsleben wird erheblich beschwert.
Ein besonderes öffentliches Interesse an meiner Person, das meinen Löschungsanspruch ausnahmsweise entfallen ließe, ist nicht ersichtlich.

Mit freundlichem Gruß

Tim Schüler

Nicht nur, dass Schüler offensichtlich meint, dass wir in irgendeiner Weise uns verantwortlich fühlen müssen, damit ihm, der an drei Morden beteiligt war, seine „Wiedereingliederung in die Gesellschaft“ gelingen kann, er faselt darüber hinaus noch etwas von einem Löschungsanspruch. Man will seinen Augen nicht trauen. Auch ist er so vermessen zu fordern, dass der Artikel ersatzlos gestrichen wird – und damit Yvonne aus dem öffentlichen Gedächtnis verschwindet. Die Erinnerung an eine Frau, die – anders als Herr Schüler – kein Teil dieser Gesellschaft mehr ist – weil sein Kumpel Heldt entschieden hat, ihr Leben zu beenden.

Es gibt also „kein öffentliches Interesse an der Person Tim Schüler“? Nun, das sehen wir leider anders.

Hartnäckig erweist sich unser Fallbeispiel Numero 2:

Bereits vor mehr als einem halben Jahr bat ein gewisser Dirk Goldmann um die Abkürzung seines Nachnamens. Goldmann zeichnet sich gemeinsam mit seinen Kumpels verantwortlich für den brutalen Mord an Beate Fischer in Berlin im Jahr 1994. Beate, Mutter zweier Kinder, wurde von einer vierköpfigen Naziclique, darunter Goldmann, mehr als zehn Stunden brutal gefoltert, mehrfach vergewaltigt, man rasierte ihr die Haare ab und versuchte, sie zu ertränken und zu vergiften. Schließlich wurde sie durch Strangulation ermordet und nackt in einen Teppich gewickelt vor Mülltonnen entsorgt. Das Gericht verhängte lebenslange Haft für den Haupttäter Matthias F. (Nachname leider unbekannt) sowie neun und zehn Jahre Jugendstrafe für die Mittäter. Der Richter sagt in der Urteilsbegründung, die Neonazis „haben nach ihrer Wolfsmoral Sex als die Bühne ihrer Macht benutzt“. 2019 fand in Berlin anlässlich der 25 Jahre zurück liegenden Tat eine Gedenkaktion für Beate Fischer statt. Im Mai 2019 schickte uns Goldmann diesen rührseligen Text:

Weil die Tat nun also 25 Jahre zurück liegt und der werte Herr Goldmann dafür ein paar Jahre seines Lebens in Haft verbringen musste, habe er also seiner Meinung nach ein Recht auf ein „halbwegs normales Leben“, denn er führe ja jetzt ein „komplett neues Leben“. Ach so.

Nachdem diese „Bitte im Löschung / Änderung“ (sic!) bei uns auf taube Ohren stieß, versuchte er es jetzt in zwei aktuellen Mails (Dezember 2019 und Januar 2020) unter einem anderen Namen. Wir dokumentieren diese hier:

Eine „2. Chance“ hätte er gerne der Herr, denn er habe seine „Vergangenheit abgelegt“. Deshalb, liebe Feministinnen, „reitet“ doch bitte bitte nicht so auf der Vergangenheit „rum“. Zwei Wochen später setzt er noch eins drauf:

Da ist aber jemand einem Irrtum aufgesessen: Nicht „zufälligerweise“ nennen wir einen Täter mit vollem Namen, sondern ganz bewusst und intendiert. Nachdem wir ein paar Minuten über die Frage sinnierten, ob man auch „ehemaliges Opfer“ werden kann, wo es doch offenbar „ehemalige Täter“ gibt, waren wir für eine Sekunde ganz angetan, weil Herr Goldmann sich jetzt „mittlerweile“ doch für „schwächere engagiert“ und der rechten Szene den Rücken gekehrt hat. Nicht. Bitte wie? Das soll uns überzeugen? Sorry, not sorry: Nein!

Eins ist nämlich auffällig, und das macht uns am meisten wütend: Nicht mit einer einzigen Silbe erwähnt Goldmann Beate. Das hat er mit Tim Schüler gemein. Alles dreht sich ausschließlich um die Konsequenzen, die diese Taten für die Leben der Täter haben. Die Opfer finden keine Erwähnung – nicht einmal mit einer klitzekleinen Silbe. Narzissmus much!?

Das Tragische an der ganzen Sache:

Anders als Yvonne und Beate, hatten diese Typen eine Wahl bei der ganzen Angelegenheit. Niemand hat ihnen einen Mord aufgezwungen, und ihre Leben wurden nicht ausgelöscht.

Beate und Yvonne hatten mit 32 und 31 Jahren ihre Leben noch vor sich.

Ihnen gehört unser Mitgefühl.

Ihnen ganz alleine.

Kein Vergeben, kein Vergessen.

Feministische Praxis nicht nur für die, die wir mögen

Zugegeben: Als ich die Schlagzeile las, dass die Betreiberin einer Escort-Agentur und „Sexarbeiterin“ Salome Balthus von der Zeitung die Welt in der sie seit einigen Monaten eine Kolumne unter dem Titel „Das Kanarienvögelchen“ schrieb, gefeuert wurde, dachte ich mir „Das wurde aber auch Zeit“. War es mir doch völlig schleierhaft, warum sie diese Möglichkeit überhaupt erst bekommen hatte. Ob einer die Inhalte oder der Schreibstil einer anderen Person gefallen oder nicht, ist ja eher subjektiv und Geschmackssache.

Politisch jedoch hatte ich in mehrfacher Hinsicht ein Problem mit dem Podium, welches ihr dort geboten wurde: Zum einen halte ich es nach wie vor für unerträglich, wie viel Raum Mainstream-Medien jenen Menschen einräumen, die sich für die Erhaltung einer der patriachalsten und frauenfeindlichsten Institutionen unserer Gesellschaft, der Prostitution, stark machen – ohne gleichermaßen auch jenen Frauen in und außerhalb der Prostitution diesen Raum zuzugestehen, die Prostitution als kommerzialisierte sexuelle Gewalt empfinden und für eine Welt ohne Prostitution und Frauenverachtung kämpfen. Dem Netzwerk Ella beispielsweise kommt dieses Privileg nicht zu. Dies ist jedoch den jeweiligen Medien und einer Gesellschaft anzulasten, die natürlich lieber jenen ein Sprachrohr verleiht, welche die gegebenen Machthierarchien stärken – und eben nicht jenen, die diese in Frage stellen.

Unklar ist, ob Balthus an der Prostitution der auf ihrer Agentur-Seite angebotenen Frauen verdient. Ist dem so, dann wäre dies in meinen Augen moralisch verwerflich und nach dem von mir und uns vertretenen Nordischen Modell kriminell und strafbar. Dass sie sich, ihre Agentur und ihre „Hetären“-Kolleginen angesichts des Bewerbungsfragebogens auf der Seite offensichtlich für besonders elitär und intellektuell hält: geschenkt.

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Im Stuhlkreis mit linken Männern

Björn Láczay, auf Flickr (https://www.flickr.com/photos/dustpuppy)

Es wird ja gesagt, dass unser Gehirn emotionale Erfahrungen im Traum verarbeitet: Der Traum als „Reise ins Unterbewusstsein“ oder „Telefonleitung zur Seele“.

Gestern hab ich mal wieder geträumt: Ich saß in einem (sehr großen) Stuhlkreis mit Männern. Linken Männern. Es ging darum, dass ich mich mal wieder, wie früher, außerhalb meiner feministischen Kreise engagieren wollte, aber klarstellte, dass es für mich hierzu notwendigerweise einen gewissen Grundkonsens zu bestimmten Sachen geben müsse. Zum Beispiel, dass Rassismus immer ein „No Go“ ist, auch dann, wenn dahinter eine milliardenschwere Sexindustrie steht.

Das Ende vom Lied: In meinem Traum wurden mir alle Relativierungen von Rassismus gegen Frauen und  Klassismus betreffend Frauen entgegen geschleudert, die allen linken Frauen, dich sie mit diesen Themen befassen, allerbestens bekannt sein dürften. Es war wie ein Gewitter, das auf mich einprasselte und schlussendlich wachte ich schweißgebadet – und völlig gerädert – auf.

Dieser Traum ist offensichtlich Ausdruck einer in mir wachsenden Ratlosigkeit und Ohnmacht. Ich habe mich mehr als 15 Jahre in linken Strukturen engagiert, an vorderster Front gegen Nazis mobil gemacht, Demos angemeldet und für das Einstehen gegen Rechts Drohbriefe erhalten. In meinem Freundeskreis, auch dem engeren, gibt es weniger „Biodeutsche“ (schreckliches Wort) als Menschen, in deren Familie es eine Migrationsgeschichte in der ersten, zweiten oder dritten Generation gibt.  Ich lebe gerne – SEHR GERNE – in meinem Viertel, in dem Menschen mit rund 160 verschiedenen Nationalitäten zuhause sind und wenn ich mit irgendetwas Hilfe brauche, dann stehen sehr viele davon parat (und umgekehrt).

Macht mich also der zunehmende Rassismus in unserer Gesellschaft betroffen?  Ja natürlich. Ich könnte täglich kotzen, wenn ich sehe, wie meine FreundInnen tagtäglich von Behörden behandelt werden, wenn ich (nicht nur deutsche) NachbarInnen höre, die über die „Zigeuner“ weiter oben oder unten in der Straße herziehen oder Typen zuhören muss, die ihren Arsch nicht hochkriegen um ihr eigenes Leben in den Griff zu bekommen und stattdessen Geflüchtete für ihr Elend verantwortlich machen. Weil’s halt so schön einfach ist.

Früher dachte ich immer, dass ich mich als „westliche“ Frau im 21. Jahrhundert glücklich schätzen darf. Ich bin behütet und (relativ) unbeschwert in einem kleinen Dorf in der Eifel aufgewachsen, wurde in allem unterstützt, was ich erreichen wollte und war in dem, was ich tat, erfolgreich. Ich hielt mich immer für weitgehend gleichberechtigt und wie es dem weiblichen Rollenideal entspricht, nahm ich mein gefühltes Privileg wahr, um anderen, weniger privilegierten Menschen (meint vor allem Männern) zu helfen. Gegen soziale Not, gegen Rassismus und Abschiebung, gegen Behördenwillkür.

Passiert ist in all den Jahren Aktivismus in linken Strukturen vor allem eins: Ich habe Sexismus kennengelernt – und zwar nicht zu knapp. Ich habe erlebt, wie Männer sich einen antisexistischen Anstrich geben, sich vielleicht sogar Feministen nennen und genau das Gegenteil von dem verkörpern, was sie vorgeben zu sein. Ich habe erlebt, wie ich für das Eintreten für Frauenrechte fallengelassen, verdeckt oder offen bekämpft oder als hysterische Kuh schlicht abgehakt wurde.

Das war schmerzhaft, das war frustrierend und vor allem hat es mir in weiten Teilen meine politische Heimat und damit auch ein Stück Halt genommen. Inzwischen kann ich sagen, dass mich die Ignoranz, mit der mir frühere Wegbegleiter begegnen und ihre subtile Misogynie mehr schmerzen als ein offen zur Schau getragener Machismo, dem frau wenigstens offen die Stirn bieten kann.

Gerade erst schrieb der von mir wirklich sehr geschätzte Rolf Löchel (ein Mann mit echter Ahnung zur Geschichte der Frauenbewegung und dem Feminismus) in seiner weitgehend sehr positiven Störenfrieda-Buch-Kritik:

„Weiter meint Sigel, der „deutsche Frauenhass“ sei „ein anderer als der in muslimischen Ländern“, nämlich „intellektuell verbrämter, subtiler“ und „gerade deshalb so schwer zu greifen“. Dies klingt ganz so, als sei er darum im Grunde gefährlicher. Schließlich erklärt sie kurzerhand: „Freiheit gibt es nicht, weder unter der Religion, noch im Neoliberalismus“, denn mit dem „muslimischen“ und dem „westlichen Patriarchat“ […] stehen sich zwei zutiefst männerdominierte und patriarchalische Gesellschaften gegenüber […] und keine von ihnen ist besser“. Letzteres in einem radikalfeministischen Buch lesen zu müssen, macht sprachlos. Denn fraglos sind die bis hin zu Verurteilungen von Vergewaltigungsopfern als Ehebrecherinnen, Auspeitschungen, Ehrenmorden und öffentlichen Hinrichtungen reichenden Praktiken der einen weit schlimmer als die übelsten der anderen. Doch ähnlich wie Sigel erklärt auch Schon, Feministinnen liefen „in eine Falle“, wenn sie, „die Lage der Frau in der ‚westlichen‘ (zivilisierten) Welt im Vergleich zu anderen (barbarischen, im Mittelalter feststeckenden) Kulturen als ‚freier‘ und Fortschritt hierarchisieren“. Man muss ja nicht von Fortschritt reden. Wie viele ‚westliche‘ Frauen, zumal Feministinnen würden es aber nicht vorziehen, in einer liberalen, demokratischen Gesellschaft etwa Europas zu leben als in einem muslimisch geprägten Land?“

Die Botschaft dieser „sprachlos machenden“ Message ist eindeutig:  Freut euch doch einfach als „westliche“ Frauen „sanfteren“ (??) Formen von männlicher Gewalt gegen Frauen ausgesetzt zu sein – mal ganz davon abgesehen welches schwarz-weiß Bild von Teilen der Welt in dieser Aussage reproduziert wird… Es ist ein Argument, das uns immer wieder in verschiedenen Formen begegnet, sicherlich nicht von Rolf Löchel, aber sonst: Was wollt ihr denn, hier hat der Feminismus doch gar keine Berechtigung mehr, aber doooort, hinter den sieben Bergen, bei den sieben Muslimen …!

Worauf ich hinaus will: Ja, ich persönlich halte den intellektuell verbrämten und subtilen und schwer zu greifenden Sexismus tatsächlich für gefährlich. Nämlich genau deshalb, weil er Otto (und Ottilie) NormalbürgerIn noch nicht einmal auffällt. Weil diejenigen, die unsere politischen Verbündeten sein wollen (und sollten), uns in jedem unerwarteten Moment das Messer in den Rücken rammen und uns mit unserer Lebensrealität im Stich lassen können, ohne dass es überhaupt jemand als problematisch erachtet. Sie setzen halt andere Prioritäten, ihr Tag hat auch nur 24 Stunden und es gibt ja abgehängtere Menschen (meint: Männer), für die es sich ihrer Meinung nach vorzugsweise einzusetzen gilt.

Und das ganz perfide dabei: Alles, was wir tun um Frauen vom Joch des Patriarchats zu befreien, wird von ihnen auch noch als rassistisch gebrandmarkt:

Prostitution abschaffen: Rassistisch! Neokonservativ! Wie bei den Nazis! (was für eine Offenbarung eines miesen Geschichtsbewusstseins…)

Problematisierung von männlicher Gewalt gegen (geflüchtete und nicht geflüchtete) Frauen, die von geflüchteten (Männern) ausgeht: Rassistisch!

Problematisierung eines Kopftuchzwangs: Rassistisch!

Hinweis darauf, wie die Genderidentitätstheorie sexistische Geschlechterstereotype reproduziert und welche negativen Effekte für Frauen damit einhergehen: Rechts!

Problematisierung von Unterrichtsmaterial, welches vorsieht, dass Jugendliche sich gegenseitig betatschen, erzählen sollen wann sie „das erste Mal Analsex hatten“ und ein Bordell nach den eigenen Vorstellungen planen sollen: Rechts!

usw usw.

Hätte ich nicht irgendwann die Werke Andrea Dworkins entdeckt, dann wäre ich vermutlich verloren gewesen – ich reihe mich ein in die Menge jener Radical Feminists, die sagen „Andrea Dworkin hat mein Leben gerettet“.  Essays wie „Rechter und Linker Frauenhass“ waren für mich eine Offenbarung, haben sie mir doch gezeigt, dass ich mit meiner subjektiven Wahrnehmung nicht alleine dastehe und dass das, was linke Frauen heute in Deutschland erleben, weder singulär noch zufällig ist.

„Der Frauenhass in der Pornographie interessiert keine der beiden Seiten. Der Frauenhass beleidigt … weder die Linken, noch die Rechten. … Die kommen damit klar. Beide Seiten. …“

Und damit kommen wir zum aktuellsten Beispiel:

Während die Rechten auf der einen Seite versuchen, Gewalt gegen Frauen zu instrumentalisieren um rassistische Ressentiments in der Gesellschaft anzufeuern, versichern die Linken im Netz, auf Anti-AfD-Demos, … sich unentwegt, dass sie für Frauenrechte einstehen. Inhaltlich substantiell kommt dabei rein gar nichts rum, aber hauptsache wir haben es mal erwähnt.  Die Gewalt der „anderen“ wird relativiert mit der Gewalt der „eigenen“.  Es werden Statistiken bemüht, dass die meiste Gewalt in den eigenen vier Wänden stattfindet und nicht durch den „Fremden“ im Gebüsch – Etwas dagegen tun, dass Frauen in den eigenen vier Wänden Gewalt erfahren wollen sie jedoch nicht. DAS nenne ich eine doppelseitige Instrumentalisierung von Frauenrechten.

Nach dem Mord an Susanna F. in Wiesbaden Erbenheim und der mantrahaften Betonung von Frauenrechten habe ich versucht, das beim Wort zu nehmen. Unter anderem habe ich gefragt, wer bereit sei etwas gegen das sexistische Programm der diesjährigen Wiesbadener Biennale inklusive Pornokino, Porn-Performance und Prostitutionsbagatellisierung (Pretty Woman im Autokino etc.) zu unternehmen. Nicht verwunderlich war die zugesagte Unterstützung gleich NULL.

Während sich nun angesichts der beunruhigenden Ereignisse in Chemnitz alle wieder überschlagen mit Aktivitäten und u.a. ein Konzert promoten, auf dem u.a. die sexistischen Arschgeigen von K.I.Z. („[Deine Mutter] wird immer dicker, die Drecksschlampe würde ich nicht von der Bettkante stoßen können. Ich bringe den Müll runter im Leichensack, es wird ein Hurensohn. Baby treib ihn ab!“) („Ich bin wie Adam: ein Feigenblatt verdeckt mein Gemächt. Ich komme angeflogen, hacke in dein Loch wie ein Specht”) und Kraftklub („Du verdammte Hure, das ist dein Lied“) ohne irgendeinen wahrnehmbaren Protest auftreten dürfen, bleiben sexistisch-rassistische Ausfälle hier vor Ort mal wieder unbeachtet. Aber klar:  Da die „Künstler“ ja links sind und das, was sie singen, ja alles nur Satire ist, ist das ja maximal für dumme hysterische Kühe wie mich ein Problem. Unter dem Deckmantel der Kunst und Satire ist schließlich alles erlaubt. „Sei halt nicht so verkrampft“.

Deshalb dürfen die Künstler der „Frankfurter Hauptschule“ (juchhu, Klassismus) bei der Biennale (1) dann auch ohne großen Aufschrei eine „Kunstaktion“ unter dem Motto „Der große Austausch“  durchführen und zur Produktion von „interracial porn“ aufrufen. Als „künstlerisches Statement gegen Fremdenhass“ fordern die „Künstler“ „dazu auf, Fotos unter dem Hastag #dergrosseaustausch! in sozialen Netzwerken zu posten, wo Menschen verschiedener Herkunft beim „Knutschen und Fummeln“ zu sehen sind.“. „Die „Frankfurter Hauptschule“ [will außerdem] das Thema Speeddating umdrehen und dort [auf dem Faulbrunnenplatz] einen Interracial Gay Porn mit dem Titel „Der große Austausch“ drehen. […] Der fertige Pornofilm soll dann am Samstag um 21:30 Uhr in dem Container gezeigt werden.“

Mal unabhängig davon, dass das Ziel der Biennale unter dem diesjährigen Motto „Bad News“ offenbar Provokation ist und es fraglich ist, ob Porno in unserer pornifizierten Gesellschaft überhaupt noch Provokation darstellt (außer unter dummen hysterischen Radikafeministinnen natürlich): Wie ignorant kann man denn bitte sein, unter dem Label „Interracial Porn“ ein Zeichen gegen Fremdenhass setzen zu wollen?  Die „interracial porn“ Seite „Latina Abuse“ („Missbrauch von Latinas“) gehört zu den Beliebtesten unter den Pornonutzern, die Soziologin Gail Dines hat in ihrer Arbeit, unter anderem veröffentlicht in ihrem Buch „Pornland“ den unwidersprochenen Rassismus der Pornobranche aufgezeigt, der eigene Erzählungen von der unterwürfigen, “engen” asiatischen Frau und dem angeblich sexuell überaktiven schwarzen Mann wieder und wieder reproduziert. Von Seiten wie „cruel and callous: gypsy porn“ (grausam und gleichgültig: Zigeunerporno) und den dazugehörigen Bildern ganz abgesehen. “Interracial” bedeutet eine zusätzliche, weil rassistische Erniedrigung der Darstellerinnen.

Auf dem Rücken von Frauen werden so wieder einmal Millionen Profite gescheffelt.

Dines kommt zu dem Schluss:

„Die Abwesenheit von Kritik gegenüber diesen offen rassistischen Bildern […] legt nahe, dass diese inzwischen so normalisiert sind, dass sie heute gewöhnliche Annahmen über die Sexualität von People of Colour nahelegen“

Bereits Dworkin, die u.a. die frühen deutschen Ausgaben des Playboys analysierte, hatte auf den der Pornographie inhärenten Rassismus hingewiesen:

„„Die Sexualisierung der Jüdin […] bildet das Paradigma für die Sexualisierung aller rassisch oder ethnisch degradierten Frauen […] Hitler stellte den jüdischen Mann als Vergewaltiger und Schänder arischer Frauen dar. Er schuf das Bild der jüdischen Frau als Dirne, wild, promiskuös, die sinnliche Antithese zur arischen Frau, die blond und rein war. Sowohl männliche wie weibliche Juden wurden als sexuell bestialisch dargestellt.“

Und sie stellte in ihrem Standardwerk „Pornographie“ unter anderem fest:

„Wie nun kann man Rassismus bekämpfen und sich gleichzeitig damit einen runterholen? Die Linke kann nicht ihre Huren und ihre Politik gleichzeitig haben“

Dass nun hier von „Gay Porn“ die Rede ist, macht es im Übrigen in keinster Weise besser: Die beachtliche Zahl an Depressionen und Drogensucht leidender und Suizid begehender homosexueller Pornodarsteller spricht eine deutliche Sprache  und auch im gay porn werden besagte rassistische Stereotype reproduziert.

Kunst soll provokativ sein? Provokativ wäre es wohl eher mal zum Thema zu machen, was nur wenige Meter vom Biennale-Container entfernt im „HM Massage Center“ tagtäglich an sexistischer und rassistischer Scheisse vonstattengeht.

„hatte mal wieder Luft auf chinesisch […] die letzten 8 mal kostet es 45 Euro …. diese Dame kam mir gleich mal mit 50 Euro. Es geht mir nicht um die 5 Euro; aber bei dieser Person merkte ich die Geldgier aus den Augen leuchten. […] Ich sagte noch, sie soll langsamer machen, aber nach kurzer Zeit spritzte ich ab. […] [ich] war ziemlich geladen …. das war das erste Mal in diesem Laden, das es zu so einer Abzocke kam. Emily vor 2 Wochen war eine klare 1+ …. diese Figur eine klare 6- .
Hier kam es mir vor, das die Dame in die eigene Tasche gearbeitet hat …. es war das erste Mal, das die “Bestellung” nicht ins Tablet eingetragen wurde ….. […] 50 Euro für schlechtes Wichsen ….. das geht gar nicht.“

Was bleibt? Ich würde mich sehr gerne wieder auch in anderen Strukturen engagieren, vor allem in Zeiten wie diesen. Was ich aber sicher nicht kann, ist dabei zusehen wie Frauenrechte – egal von wem – politisch instrumentalisiert werden, bunte Schilder malen, mich in Selbstgerechtigkeit baden und zu „Du kleine Hure“ mit den Hüften wippen. Also werde ich wohl auch in Zukunft frühzeitig von Demos verschwinden oder gleich gar nicht hingehen. Und das hat nichts damit zu tun, dass ich in irgendeiner Weise weiter „nach rechts“ gerückt wäre, sondern damit, dass ich mit einer bestimmten Scheinheiligkeit einfach nicht mehr umgehen kann…

Das bedeutet auch: Ich sehe mich zurzeit gezwungen, euch aus dem Weg zu gehen, im Gegenzug benehmt ihr euch bitte so, dass Feministinnen euretwegen keine Albträume kriegen. Bleibt gefälligst wenigstens meinen Träumen fern!

Fußnoten:

(1) Die Wiesbaden Biennale ist ein Festival des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden und wird ermöglicht aus Mitteln des Landes Hessen und der Landeshauptstadt Wiesbaden. Gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes und den Kulturfonds Frankfurt RheinMain.

Sex Industry Kills- vom inneren Sterben

Ein Gastbeitrag von Cat

Eigentlich hatte sie nicht auffallen wollen. Zumindest nicht direkt. Deshalb hatte sie sich ja auch für das Pünktchen-Kleid und die flachen Sandalen entschieden. Nur war es nun mal nicht möglich, auf die große, tiefschwarze Sonnenbrille zu verzichten. Auch nicht auf die orangefarbene Perücke- obgleich sie damit die Blicke aller Veranstaltungsbesucher auf sich zog. Sich zu zeigen wäre zu riskant. Zu groß die Gefahr, erkannt zu werden.

Sie kannte das Empfinden irgendwie anders zu sein nur zu gut. Gesellschaft gab ihr immer schon das Gefühl, in ihr ein Fremdkörper zu sein. Aber heute war es anders, denn heute wollte sie genau darüber sprechen. Seit sie vor einem halben Jahr ihren Job an den Nagel gehängt hat, spürt sie eine merkbare Transformation; einen Übertritt in eine andere Welt. Schließlich geht es nicht um irgendeinen Job: Susan Müller war Prostituierte- und eigentlich heißt sie ganz anders.

Während sie spricht, klingt sie gelassen. Auch dann, wenn sie erzählt, wie sie mit Anfang zwanzig damit begann, sich zu verkaufen oder wenn sie sich daran erinnert, wie sie bei ihrem ersten Freier an einen gewalttätigen Sadisten geraten war.

„Bevor man einsteigt sollte man sich vorstellen können mit jedem zweiten Mann, der einem auf der Straße begegnet, zu schlafen.“ Eine erste Voraussetzung, der nur Wenige standhalten können.

Dabei fiel ihr der Einstieg leichter als gedacht: Job verloren. Lahme Ämter. Hungrige Kinder.

Dass sie sich gerade für diesen, nicht etwa für einen Job in der Gastronomie, im Verkauf oder für eine Putzstelle entschieden hat, kann sie heute anders reflektieren als damals. Schon als Kind hatte Susan sexuelle Gewalt erfahren. Sexualität, so sagt sie, sei für sie auf dieser Grundlage nichts wert gewesen und konnte also verdinglicht werden. Ein blutiger roter Faden, der sich, wie sie später erfahren sollte, durch die Biographien vieler Kolleginnen zieht. Einer Studie des Familienministeriums zufolge erlebten etwa 52 Prozent der Prostituierten körperliche Gewalt in der Kindheit. Rund 43 Prozent wurden Opfer sexuellen Missbrauchs- von den Dunkelziffern ganz zu schweigen.

Dass sich eine derart große Anzahl an Gewaltopfern für diesen Beruf entscheidet, erklärt Traumaexpertin Dr. Ingeborg Kraus damit dass Menschen, die  körperliche oder sexuelle Gewalt erfahren haben, ähnliche Überlebensmechanismen ausbilden wie Kriegsopfer- so auch in der Prostitution. Die Arbeit fungiere demnach als Ort der Reinszenierung von Traumata- diesmal aber im Rahmen eines vermeintlich kontrollierten Aktes, gesteuert von der traumatisierten Person. „Wenn der Freier weg ist hast du immer das Gefühl, etwas Schlimmes überlebt zu haben. Es gibt dir diesen Kick, den man bei einem Unfall erlebt. Viele haben das Bedürfnis, sich danach mit dem Bargeld zu belohnen. Ich kenne keine Frau, die aus dem Zimmer kommt und sagt „Das war jetzt schön.“ Es war immer bestenfalls „ok“- und zwar dann, wenn der Mann möglichst schleunigst wieder gegangen ist.“ Hört man Susan zu, wird sehr schnell deutlich, wie problematisch die von Kraus beobachtete Reinszenierung tatsächlich ist.

Das Milieu ist ein Zufluchtsort für all jene, die von Kind an mit Traumata leben müssen. „Es gibt einem das Gefühl, in Ordnung zu sein“, obwohl etwas im Innersten gebrochen ist. Weil Alle um einen herum auf ihre ganz persönliche Weise gebrochen sind. „Das Leben fickt härter als jeder Freier“, zitiert Susan trocken- und spielt damit auf eine Line der Frankfurter Rapperin und Ex-Prostituierten „Schwesta Ewa“ an. Die habe trotz ihrer Vulgarität einen wahren Kern.

Das Milieu fange auf, reiche einem in der Personifikation des Zuhälters oder der Zuhälterin seine klebrige Hand, um steuerliche Registrierungen vorzunehmen, einzuweisen oder Ratschläge zu geben- etwa, wie unliebsame Praktiken am besten zu überstehen seien. Und dann kommt die Gewohnheit, die man sich einredet, obwohl es keine ist. Weil man sich in einen Zustand versetzt, an den sich niemand jemals gewöhnen kann.

Susan lehnt sich zurück, streicht ihren Rock glatt. „Das Beunruhigende ist ja, dass du die Männer nicht kennst. Ich hatte immer ein komisches Gefühl in der Magengrube. Du bekommst einen Namen, meinetwegen „Udo“, und der wartet dann hinter der Tür. Du machst die Tür auf und siehst sofort, dass du „Udo“ absolut unattraktiv findest. Trotzdem musst du ihm die folgenden Minuten vorspielen, er sei der tollste Mann der Welt.“ Ihn abzulehnen, gäbe Stress. „Wenn eine Frau dreimal nicht will, spricht sich das rum. Manchmal muss man den Laden dann mit Zwangszahlung entschädigen.“

Zwischen drei und sechs Mal in der Woche hatte sie gearbeitet. Meistens tagsüber. Das habe dem Geschäft aber keinen Abbruch getan: „Der Tag hat Platz für Ausreden. Wirklich Alle gehen in den Puff. Vom Polizisten, zum Gerichtsmediziner, dem Studenten bis hin zum Arbeitslosen. Am Nervigsten sind die Jungen- die sind so porno-verseucht.“ Obwohl sie es sarkastisch sagt, bietet das Thema keinen Raum, um darüber zu lachen.

In ihren fünf Jahren war Susan neben der Selbstständigkeit in verschiedenen Etablissements tätig. Dort konnten die Frauen gegenseitig aufeinander aufpassen, wenn es die Umstände erlaubten. Alleine war man dennoch. Alleine mit den Freiern- ob brutal, erträglich, schmierig oder pervers- und letztlich alleine mit sich selbst und seinen Erinnerungen. Finstere Geister, die viele der Kolleginnen mit verschiedensten Pharmaka in Form von Alkohol, Kokain oder Crystal Meth zu bändigen versuchten.

Susan nahm keine Drogen. Stattdessen eignete sie sich eine andere Strategie an, um taub zu werden. „Wenn ich mit dem Freier auf Zimmer war hab ich immer versucht, möglichst wenig zu fühlen. Der Job tötet dich. Weil du dich dauernd verbiegen, dich innerlich tot machen musst.“

Eine ihrer engeren Kolleginnen habe zwischen zehn und fünfzehn Kunden am Tag gehabt. Das habe sie ertragen, so glaubt Susan, weil sie längst tot war.

Um ihrem eigenen inneren Tod ins Auge zu blicken, brauchte sie einen Spiegel. Den lieferten die Texte der Aktivistin und ehemaligen Prostituierten Huschke Mau, die sich kritisch mit der Liberalisierung des Prostitutionsmarkts,  Gewalt wider Frauen im Gewerbe und Freiern als Tätern auseinandersetzten. Themen, die Susan zunächst ärgerten: „Zuerst hab ich die Texte als Affront, als Provokation gegen mich empfunden. Damals habe ich mir noch eingeredet, das sei ein toller Job.“ Heute erkennt sie die Mechanismen, die im Milieu dafür sorgten, dass ihre Illusion so lange aufrechterhalten blieb. Einer davon ist die Abgrenzung. So schaue der Escort auf das Bordell und das Bordell auf den Straßenstrich herab. Diese streng abgestufte Hierarchie, die Vergewisserung, nicht an unterster Stelle zu stehen, mache den Alltag erträglicher. Hinzu kämen die säuselnden Worte der Zuhälter, die freundlich ermahnten, dass man sich nicht anstellen solle, wenn es einem schlecht geht, weil ja eigentlich alles ganz normal sei.

Der Zuhälter von heute nennt sich übrigens „Buchhalter“. Kaffee schlürfend, die Glieder in einem schicken Anzug steckend inszeniert er sich in der Öffentlichkeit als nobler Gönner. Als Familienvater. Als Saubermann. Dass er Leichen im Keller hat, solche, die tot sind im Inneren, hindert ihn nicht daran, in der Mitte der Gesellschaft anzukommen und das Klischee des auf dem Kiez auf und ab fahrenden Luden hinter sich zu lassen.

Das gesamte Milieu hat sich einem Wandel unterzogen. Rund 400.000 Prostituierte arbeiten laut öffentlicher Zahlen heute in Deutschland. Auch hier scheint die Dunkelziffer jedoch weitaus höher zu liegen. Eine Konkurrenzsituation, die Ausbeutern geradezu in die Hände spielt. Susans Diagnose ist bitter: „Die Rolex- und Benz-Zeiten sind längst vorbei. Vor der Liberalisierung hat man in der Branche sehr gut verdient. Die Männer haben nicht viel verlangt. Seit der Öffnung zum Osten hin werden die Freier perverser, haben immer extremere Forderungen. Durch Schleusung ist der Markt überschwemmt, die Preise sind im Keller.“ „Schleusung“, das meint die Masse an Frauen, die aus Ost- und Südost- nach Mitteleuropa verschleppt und prostituiert werden. Von hunderttausend Opfern geht man aus. Deutschland biete dafür den optimalen Humus, so Manfred Paulus. Er ist ehemaliger Polizeihauptkommissar und widmet sich der Untersuchung von Ursachen von Frauen- und Kinderhandel. Überhaupt die Möglichkeit der Verschleppung nach Deutschland zu bieten deute auf ein komplettes Versagen des deutschen Staates hin, was einerseits auf eine unzureichende Gesetzeslage zurückzuführen und andererseits einer fehlerhaften Philosophie und Sprache verschuldet sei.

Deutschland hat sich 2002 für das Legalisierungsprinzip im Umgang mit Prostitution entschieden. Das erkennt Sexarbeit als Form der Erwerbsarbeit an und regelt sie dementsprechend- etwa durch Kontrollen von Anmeldebescheinigungen und Hygienevorschriften.  Und ganz nebenbei verdient der Staat Milliarden im Jahr an deren Leid- für Manfred Paulus Ausdruck einer opferfeindlichen deutschen Politik. Für die Beamten sei es zum Beispiel nahezu unmöglich, während einer kurzen Kontrolle festzustellen, ob Zwangsarbeit vorliegt. „Außerdem fehlt da auch das Vertrauen. Wenn dir ein Kunde erzählt, dass er Polizist ist, vertraust du dich dem ja nicht an. Dann hat der am Ende noch deinen Klarnamen und weiß wo du wohnst.“, gibt Susan zu bedenken.

Mit der lückenhaften Gesetzeslage gehe auch ein sprachliches Problem einher. So wird die Arbeit der  Prostituierten im Gesetz als „freiwillig“ bezeichnet. Gespräche mit tausend Aussteigerinnen und Erkenntnisse der Kriminalpolizei ergaben jedoch, dass freiwillige Prostitution ein Mythos sei. Anzuschaffen hänge häufig mit Notsituationen oder dem Motiv von- besonders durch den Eingriff krimineller Banden- erzeugter Abhängigkeit und Schuldgefühle zusammen. Von Freiwilligkeit zu sprechen wäre eine Normalisierung sexueller Dienstleistungen. Das sei fatal und wird aus dem Ausland mit dem verächtlichen Beinamen „Deutschland- Puff Europas“ gestraft. Ist es Naivität? Sind es ökonomische Faktoren? Oder ist das organisierte Verbrechen bis in die Führungsspitzen vorgedrungen?

So oder so für Susan Müller Grund genug, um das Gewerbe hinter sich zu lassen.

„Es ist nicht so, dass eine Frau, die angeschafft hat, von einem Tag auf den anderen einfach am Fließband arbeiten kann. Prostitution ist enorm mit Scham besetzt. Man fühlt sich minderwertig, verliert sein gesamtes Selbstbewusstsein. Und dann sind die meisten Frauen traumatisiert. Man muss erst mal wieder im bürgerlichen Leben ankommen. Das macht ja was mit einem.“ Aus diesem Grund seien gute Ausstiegsprogramme wichtig.

Ihr eigener Ausstieg war ein echter Prozess. Die Texte von Huschke Mau hatten sich in Susans Kopf gebohrt, öffneten ihr nach und nach die Augen und machten die Arbeit unerträglich. Sie suchte sich einen kleinen Nebenjob als zweites Standbein und erklärte den Betreibern von ihrem Plan, aufzuhören. „Die ganze Hilfe, die dir anfangs zukommt, fällt sofort weg wenn du dich entschließt, das Milieu verlassen. Verrat ist die schlimmste Verfehlung- sie schadet dem Geschäft.“

Stattdessen fand Susan ein neues Milieu. Das der Ehemaligen. Mit dem von Huschke Mau gegründeten Netzwerk „Ella“, einer unabhängigen Interessensvertretung für Frauen aus der Prostitution, setzt sie  sich heute für einen abolitionistischen Kurs gegen Prostitution ein und macht sich damit stark für deren langfristige Abschaffung. Auf ihrer Website schreiben die Mitglieder von „Ella“: „Wir nehmen Prostitution als sexuelle Gewalt wahr und setzen uns dafür ein, dass dies anerkannt wird. Prostitution ist keine Dienstleistung und kein Beruf, sondern Ursache und Auswirkung eines ungerechten Geschlechterverhältnisses.“ Genau das sehen die Frauen in dem bereits in Schweden geltenden „Nordischen Modell“ verwirklicht. Dieses geht davon aus, dass der Freier als Exekutive von sexueller Gewalt bestraft werden muss. Zugleich soll die Frau entkriminalisiert und mithilfe von Ausstiegsprogrammen und Traumatherapie an die Hand genommen werden. Dieser Umgang würde, ähnlich wie in Schweden, eine Bewusstseinsveränderung bewirken. Nur so würde den Frauen geholfen. Die wahre Hilfe, die ihr den Austritt aus der Prostitution und den Eintritt in ein langsam verheilendes Leben erleichterte, will Susan Müller nun weitergeben. Wenn sie mit der tiefschwarzen Sonnenbrille, der orangefarbenen Perücke vor den Bürgern dieser Kleinstadt spricht-ruhig, aber vehement- dann hören ihr alle gebannt zu. Es ist eine Stimme, die lange unterdrückt wurde. Und eine Frau, die von ihrer Nahtoderfahrung berichtet. Denn sie hat sich innerlich Sterben gesehen- und wollte leben.

 

(c) Cat

„Feministischer Porno“? Warnung: Rant.

Ein Gastbeitrag von Inge Kleine zur Forderung der SPD Berlin „feministische Pornographie“ staatlich zu subventionieren:

* „Die Darstellung von Vielfalt an Körperformen, Geschlechtern, ethnischer Herkunft, Sexualität und Sexualpraktiken.“

Das ist ja mal eine echte Neuerung in Pornos, echt – da werden bisher ja keine schwarzen Menschen gezeigt, oder Frauen mit Kopftuch, oder Asiatinnen, oder „Zigeunerinnen“ oder, oder, oder, oder …….

Ganz toll. Und es gibt auch einen Mangel an der Darstellung von „Sexualpraktiken“ in Pornos. Oder? Also her damit, damit sie dann in einer Reihe mit der Vielfalt der Personen stehen, Gangbang in der in Pornos typischen Variante braucht ja auch beides, weiße (Frauen), (schwarze) Gangs …..

Und verdammt noch mal – einer der wenigen Vorteile darin, zufällig lesbisch zu sein, bestand bisher darin, bei diesem Mist weitestgehend ignoriert zu werden, keine Vorschriften zu kriegen, was Lesbe zu tun hat oder wie sie zu stöhnen hat oder sonst etwas. Die „Lesbenpornos“ waren genauso Gewalt wie die anderen, aber die hatten ja mit uns nichts zu tun.
Aber jetzt soll es ja „realistisch“ werden. Weil Kameras, Regieanweisungen, nachträgliche Tonspuren und Geld für jede Handlung ja so realistisch sind – und davon abgesehen – gerade wenn etwas „realistisch“ ist, möchte ich damit nicht auch noch diesen Voyerismus bedient sehen.

Mal im Ernst.
WEN WOLLT IHR HIER VERARSCHEN??

*Verhütung (wenn nicht, dann nur im (dokumentierten) Konsens)

Klar – eine Unterschrift zeigt und beweist ja den „Konsens“. Alles gut. Ist dann im Zusatzmaterial zu sehen.

*Die explizite Darstellung von Konsens und Kommunikation

Klar – wir plappern einfach in der Eingangszene, wie sehr wir Vergewaltigungsphantasien lieben und das jetzt spielen, und dann ist alles hunkie-furzi-fick-galori!

Ich wiederhole mich: WEN WOLLT IHR HONKS VERARSCHEN?

Die schöne neue Welt für Frauen – zerquetscht zwischen diesen Optionen:
(1) Einer rassistischen, Frauen-an-den-Herd, Lesben-und-Schwule-bitte-raus, Väter-sind-die-Herren-über-(Ex-)frauen-und-Kinder Partei (und zwei dahin ausfransenden Parteien) und
(2) mehreren Parteien mit schöner Einigkeit zu Frauen: Frauen bitte A.-in-die-Luft und Frauen, macht ein paar Kurse wegen des Würgereflexes, bei Schmerzen bei Anal hilft ganz viel Gleitcreme und ein paar Entspannungsübungen, ein paar Sternchen, ein paar Formulierungen, ein paar Behauptungen, ein bisschen Gequatsche zu „mainstream“, zu Sexismus und zu Rassismus, nur um ihn zu bedienen, und alles ist gut – diese Parteien dann.

Die alte Kontroverse zwischen Konservativen und „Liberalen“ so richtig vor die Nase geklatscht, mit ein paar Modifikationen auf der linken Seite: „Die einzelne Frau gehört nur einem Mann, und der hat alle Rechte auf sie“ (Konservative, AfDler, Männerrechtler-offen-rechts-Variante), oder „Frauen haben immer allen Männern zugänglich zu sein, aber weil wir ehemaligen sozialistischen und linken Leute inzwischen keine Texte mehr lesen, geschweige denn sie verstehen, dürfen die Frauen dafür ein bisschen Geld nehmen, und sie müssen lernen, dass es freiwillig sein muss, und das ist doch tooooooooooolllllllllllllllllllll! Und gar kein Mainstream, nein igitt, wir sind [enter buzzword here]!“ (Linke, Grüne, SPD, CDU, Männerrechtler-angeblich-links-Variante.)
Abgefuckt seid ihr, sonst nichts.

Und zig gehorsame Frauen unterstützen das. Denn wir sind so in diese Formen getreten worden, dass wir Alpträume kriegen beim Gedanken, zu Männern einfach „Nein“ zu sagen.

Echt. Ich glaube, ich habe bei Pornos mehr Respekt oder komme mit Schenkel klopfenden Wichsbolzen besser zurecht, als mit A-Löchern, die mir diesen Mist erzählen.

Und dann möchte ich noch wissen, was die SPD sonst noch alles tut, um nie irgendwo politische Verantwortung übernehmen zu müssen.

Seid doch einfach ehrlich, sagt doch einfach, Frauen sind Drei-Loch-Fickpakete, manche Trans und manche junge Männer sind Zwei-Loch-Fick-Pakete, wir sind dafür, es so zu gestalten, dass ihr es ein paar Jahre überlebt, und wieso, das Wahlrecht habt ihr ja noch, und wir sagen doch die ganze Zeit, dass es freiwillig sein MUSS, also was soll’s.
Warum nicht einfach ehrlich sein.


Und wir sind alle so sozialisiert, dass wir uns nicht wehren.

Nationalismus, Trauma und Patriarchat

Bundesarchiv, Idealbild der deutschen Mutter aus: SS-Leitheft, Februar 1943, CC-BY-SA 3.0

Ein Gastbeitrag von Antje Holtzmann

Wir alle haben ein Bild vor Augen, wenn wir an Neonazis denken: Springerstiefel, Glatze, Thor Steinar oder Consdaple Kleidung, grölend mit einer Flasche Bier in der Hand. Wenn wir an Neonazis denken, denken wir in der Regel an einen weißen cis-Mann. Aber was ist mit den Frauen der Bewegung? Wie dürfen wir uns die Rolle der Frau der rechten Szene vorstellen und was sind Beweggründe, sich als Frau einer absolut misogynen Bewegung anzuschließen? Oder wie kommt es, dass Menschen dem Nationalismus verfallen, die gar nicht dumm genug sind, den haltlosen Argumenten dieser Ideologie glauben zu schenken?

Nach drei Jahren in der rechten Szene kann ich von meinen persönlichen Erfahrungen erzählen und glaube auch, eine neue Perspektive auf das Thema eröffnen zu können.Um Zusammenhänge besser aufzeigen zu können, muss ich erst einmal ein bisschen autobiographisch werden. Ich komme aus einer bayrischen Großstadt, wuchs ohne Vater bei einer psychisch kranken Mutter auf und kam dann zu Pflegeeltern. Die Zeit bei meiner Mutter war ich mit ihren Traumata konfrontiert und wurde auch selbst von Bekannten der Familie sexuell missbraucht. Ab meiner Pubertät erlebte ich immer wieder sexuelle Gewalt und begann dann mit 14 mit der Prostitution. Frauenhass war für mich sowohl Realität, als auch Normalität. Auch meine Mutter negierte jegliche Weiblichkeit. Sie schnitt mir seit meinem zweiten Lebensjahr die Haare kurz und wandelte meinen Vornamen in die männliche Variante um. Sie selbst gab sich auch Mühe, möglichst maskulin auszusehen.

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Zukunft Rotlicht(-Profiteure)

Rotlichviertel Frankfurt am Main

By Arne Hückelheim [CC BY-SA 3.0 or GFDL], via Wikimedia Commons

Auf einer Internetseite wird – ganz frisch – eine „bundesweite Zusammenkunft für Sexworker und Betreiber“ unter dem Motto Zukunft Rotlicht 2018 beworben. Die Veranstaltung, die sich als „Deutschlands 1. Rotlicht-Kongress“ präsentiert, ist angekündigt für den 23. April in Frankfurt a. M.

Sie findet im SAALBAU Gallus statt, einem Bürgergemeinschaftshaus, wo FrankfurterInnen und Nicht-FrankfurterInnen seit vielen Jahren zum kulturellen, sozialen, kreativen, politischen und festlichen Austausch zusammenkommen.

Zukunft Rotlicht 2018 verspricht „Wissen & Networking“, „Branchenbekannte Fachfirmen kennenlernen“ und „Experten (!sic) aller relevanter Bereiche“, darüber hinaus u. a. Kaffee, Brezeln, Currywurst und Prosecco (letzteren aber nur, wenn an der „PartyNetzwerk – Afterwork – Party“ teilgenommen wird).

Ermöglicht bzw. „gesponsert“ wird das Event vom „Rotlicht“ selbst, finden sich im Footer doch fast ausnahmslos Unternehmen, deren Profit sich aus der Sexindustrie speist. Allerdings ist die Sponsorenliste im Laufe der letzten Tage etwas geschrumpft, die Verweise auf einschlägige Anzeigenportale zur Vermittlung von Sexjobs Frauen in der Prostitution wie ladies.de oder kollegin.de sind zwischenzeitlich aus der heißen Auflistung verschwunden. Verstehe einer das Rotlicht, das ist ein guter Punkt, denn es sollte tatsächlich einmal gefragt werden, wer denn damit so gemeint ist, mit diesem „Rotlicht“ und dieser ominösen „bundesweiten Zusammenkunft für Sexworker und Betreiber“. Dass das alles so herrlich ungegendert ist, deutet ja bereits eine einschlägige Richtung an.

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Niemand wurde gezwungen, ein Lächeln für bare Münze zu nehmen

Linda Lovelace

Foto: Bitchflicks

Oralsex ist heute eine jener Sexpraktiken, die zum Standard gehören. Sexpraktiken finden ihren Einzug in das private Sexleben fast immer über die Sexindustrie: Das im Porno gesehene will nachpraktiziert werden, schlägt sich zunächst in der Prostitution in den Freierwünschen und –forderungen nieder, bis eine gesellschaftliche Normalisierung – bis hin zur Normierung – stattgefunden hat. Der Pornofilm, der die Verbreitung des Oralsex eingeleitet hat, war der Film „Deep Throat“. Mit einem Budget von nur 25.000 Euro abgedreht, brachte er den Produzenten bis heute mehrere Milliarden Dollar ein, und hinterließ die Hauptprotagonistin mit einem Schuldenberg.

Ein (liberal-)feministischer Blog bezeichnete die Hauptdarstellerin des Filmes, Linda Lovelace, vor einigen Jahren als „wichtige Akteurin des Blowjobs“ was zu einigem Widerspruch führte, da Linda Boreman, wie sie wirklich hieß, ein Vergewaltigungsopfer und eine zwangsprostituierte Frau war, und sich in den USA den (radikal-)feministischen Kämpfen gegen die Pornographie und die Industrie angeschlossen hatte. Die Kritik wurde erwidert mit der lapidaren Aussage: „„Sie [Linda] ist im Diskurs um das ganze Thema eine wichtige Akteurin. Auch als Betroffene verliert man den Status und die Kompetenz der Handelnden nicht.“

Anlässlich dieser Diskussion hatte ich mir damals vorgenommen, die beiden biographischen Bücher von Linda Boreman, die auch in deutscher Sprache unter den Titeln „Ich packe aus!“ und „Ich bin frei“ erschienen sind, irgendwann einmal zu lesen. Die (lange aufgeschobene) Lektüre hat mir noch einmal eines deutlich gemacht: Die Worte „Vergewaltigung“ und „Zwangsprostitution“ kommen ohne Hintergründe gefüllt fast schon harmlos da her. Sie sind in keinster Weise in der Lage, das unermessliche Leid, was Frauen in unserer Gesellschaft zugefügt wird, in Worte zu fassen und abzubilden. Dass Linda Boreman ihr Martyrium überlebt hat, grenzt für mich an ein Wunder. Der Umgang der Gesellschaft mit ihr ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit.

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Buch: Pornographie. Männer beherrschen Frauen (Andrea Dworkin)

Andrea Dworkin Pornographie

„Pornographie“ wurde 1979 von der radikalfeministischen Vordenkerin und Soziologin Andrea Dworkin geschrieben und erschien 1987 in deutscher Sprache im Fischer Taschenbuch Verlag in der Reihe „Die Frau in der Gesellschaft“. Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich halte dieses Buch für eines der klügsten, scharfsinnigsten und wichtigsten Bücher, die ich jemals gelesen habe. 38, bzw. 30 Jahre später müssen wir feststellen, dass unsere Gesellschaft heute eine andere sein könnte, hätte man Andrea seinerzeit zugehört und die notwendigen Konsequenzen aus den erkannten Fehlentwicklungen gezogen.

In ihrem Vorwort zur deutsche Ausgabe beschreibt Alice Schwarzer die neue Entwicklung wie folgt:

„Wie schon andere Feministinnen vor ihr, entlarvt auch Dworkin (die Feministin mit der linken Vergangenheit) die Rolle der Linken […] als besonders zynisch: Sie benutzt und erniedrigt die Frauen auch noch im Namen der (sexuellen) Freiheit. Ihre konservativen Väter genossen sexuelle Dienstleistungen noch hinter bigott verschlossenen Türen. Ihre Söhne stehen öffentlich dazu: Nutten-Look und Zuhälter-Attitüde beherrschen die Szene, die Mutter-Hure feiert ihre Wiederauferstehung in den Kultfilmen der Intelligenzia […], die Bukowskis bleiben WG-Bestseller, Peep-Shows und Puffs sind „geil““ (S. 11f)

Erst durch Andrea Dworkin (seinerzeit die Lektüre der Rede „Women Hating Left and Right“) habe ich, als linke Feministin, die sich gegen die Sexindustrie engagiert, verstanden, dass der Gegenwind, der einem aus den eigenen politischen Zusammenhängen entgegenschlägt kein Zufall oder eine deutsche Besonderheit ist, sondern, dass sehr viele Feministinnen vor mir / vor uns die gleichen bitteren Enttäuschungen machen mussten.

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