Das hier wird ein für mich besonderer Post. Zum einen weil ich zum ersten Mal ein Interview im Rahmen meines Musikjournalismus geführt habe, welches von vornherein auch einen feministischen Anspruch hatte und zum Crossposten hier vorgesehen war. Zum anderen weil mir die Kontroversität durchaus bewusst ist, einem Mann, in dem Fall einem männlichen Musiker Raum auf einem feministischen Blog einzuräumen. Das insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Reaktionen auf Frank Turners achtes Studioalbum von überschwänglicher Begeisterung bis zum „Mansplaining“-Vorwurf reichen. Dies auch vor dem Hintergrund, dass das Interview eigentlich erst dadurch zustande gekommen ist, dass ich Frank im August des vergangenen Jahres eine Mail schrieb, die nicht nur Lob, sondern auch Kritik enthielt (auf die er im Übrigen sehr positiv, man könnte auch sagen dankbar reagierte). Vielleicht wird es also für diesen Beitrag Kritik hageln, vielleicht aber auch nicht….
Tatsächlich war das Album ursprünglich gar nicht als Album über Frauen geplant, sondern hat sich mehr oder weniger als solches ergeben. Die entsprechenden, bereits erwähnten Reaktionen, ließen auch nicht lange auf sich warten
„Am Anfang hab ich mich gar nicht hingesetzt um Sachen speziell über Frauen zu schreiben. Eigentlich war es vielmehr so, dass ich als Songwriter normalerweise autobiographisch schreibe und ich einigermaßen gelangweilt davon war. Oder zumindest hatte ich da keine Songs mehr in Petto. Ich hielt es für eine interessante Technik mal aus der Perspektive anderer zu schreiben. Ich liebe Geschichte und unterhalte mich gerne darüber. In der Folk-Musik gibt es viel großartige Geschichte, also hab ich versucht ein paar solcher Songs zu schreiben. Nach vier oder fünf Songs stellte ich fest, dass sie alle von Frauen handelten, das war eine Art „Aha“-Moment. Es liegt offenkundig ein politischer Anspruch in der Idee, zu versuchen Geschichten zu erzählen, die noch nicht ausreichend erzählt worden sind und ich dachte mir „Ok, ich verstehe“. […] Es gab Leute, die haben mir das Album übel genommen, und ich hab gesagt „Pass auf, ich bin gut darin Alben zu schreiben. Ich könnte über meinen eigenen persönlichen Bullshit schreiben oder über Männer in der Geschichte, wenn euch das lieber ist…“.
„No Man`s Land“ handelt also von zwölf historischen Frauen, plus einem Song über seine Mutter. Da ist zum Beispiel die amerikanische Jazz- und Blues Sängerin und Gitarristin Rosetta Tharpe, der Frank das Lied „Sister Rosetta“ gewidmet hat. Ursprünglich sollte das Lied eine Art „musikalische Petition“ für die Aufnahme der Musikerin in die Rock n Roll Hall of Fame, in der Frauen deutlich unterrepräsentiert sind, werden. Dazu kam es aber nicht, sondern er musste den Song vor Veröffentlichung nochmal ändern:
„Ich [habe noch] ein paar Sachen geändert, unter anderem den Text von „Sister Rosetta“, weil sie in der Zwischenzeit in der Rock n Roll Hall of Fame aufgenommen worden war. Das war ziemlich nervig. Also nervig für mich, aber gut für sie und die Welt.“
Wer sich das Video zum Song anschaut, dem fällt schnell auf, dass neben Frank nur weibliche Musikerinnen zu sehen sind. Dies war genauso Absicht wie die Tatsache, dass sich mit Catherine Marks eine Produzentin für das Album oder mit Hayley Clarke ebenso eine Produzentin für den Podcast verantwortlich zeichnet. Im Interview haben wir darüber gesprochen wie ein Musiker sich als „Ally“ für Frauen erweisen kann und wie Frank Turner dieser selbst gewählten Rolle gerecht werden will. Zwei Dinge waren ihm dabei wichtig:
„Vor ein paar Jahren gab es diese Sache, ich weiß nicht ob du das gesehen hast, da hat jemand das Poster vom Reading Festival genommen und alle Bands durchgestrichen, die ausschließlich aus Männern bestanden. Es blieben gerade mal drei übrig. Wer auch immer das gemacht hat, ich ziehe meinen Hut vor der Person, denn das war ein echt effektives politisches Handeln. Bei mir hat es ein Aha-Erlebnis ausgelöst und ich habe mich überdacht. Es gibt ja nicht viel auf diesem Planeten über das ich Kontrolle habe, aber ich kann entscheiden mit wem ich auf Tour gehe, wenn ich Headliner bin. Ich gebe mir richtig mühe dieser Tage ein möglichst ausgewogenes Geschlechterverhältnis bei meinem Line-Up zu haben.“
Frank sprach von der wichtigen Rolle, die seiner Meinung nach Frauen auf der Bühne für junge Mädchen oder Frauen als Vorbilder spielen:
„Und auch das hier ist jetzt nur aus zweiter Hand, weil ich ein Typ bin, aber wir haben mit BAD COP BAD COP in den USA getourt, die sind einfach der Hammer, mit der Sängerin Stacey bin ich seit mehr als 20 Jahren befreundet. Ich hab mir deren Show Abend für Abend angeschaut und hab insbesondere die jüngeren Frauen in der ersten Reihe wahrgenommen und in ihren Augen konnte ich lesen „Verdammt, ich kann mich mir jetzt auf dieser Bühne vorstellen!“ Es setzt die Hürden tiefer und eröffnet Möglichkeiten. Es gibt eine Band in den Staaten, WAR ON WOMEN, die sind einfach unglaublich. Meine Frau mag keinen Punkrock, oder sagen wir sie mag kein Hardcore Punk. Wir waren zusammen auf einem WAR ON WOMEN Konzert und sie drehte sich zu mir um und sagte: „Ich kapier es jetzt! Das ist großartig! Kein bulliger, wütender Mann, der mich anschreit, sondern jemand in dem ich mich wieder erkennen kann, die mir Dinge entgegen schreit, die mir wichtig sind“. Sie sagte auch: „Jetzt verstehe ich, warum du Hardcore Punk liebst.“ Das Feeling ist das Gleiche, aber es sind eben nicht irgendwelche Typen…“
„Ich habe auch schon Sachen mit der Kampagne „Safe Gigs for Women“ in Großbritannien gemacht. Auch das war ein Lernmoment für mich. Die haben angefangen mit einem Blog über sexuelle Übergriffe bei Konzerten. Eine dieser Geschichten drehte sich um etwas, was auf einem meiner Konzerte passiert ist. Mein anfänglicher Impuls war „Nein! Das ist nicht bei meinem Konzert passiert!“ Ich hab das dann gelesen und hab mir gedacht „Verdammte scheiße!“. – Ich bin kein Polizist wenn ich auf der Bühne bin, aber gleichzeitig habe ich erkannt, dass es eine Bedeutung hat, wenn ich meine Bekanntheit nutze, um über diese Dinge zu sprechen und Leute die da drüben stehen mit der Nase darauf stupse. Es sind also kleine Dinge wie diese.“
Als „Feminist“ möchte sich Frank Turner selbst nicht bezeichnen und erklärt auch warum:
„Mein Widerstand gegen das Word „Feminist“ ist, dass ich darunter diese Typen verstehe, die sich in den Vordergrund drängen und sagen „Hey, ich bin Feminist, hört mir zu!“. Und da denke ich mir „Du versaust es, Alter!“ Ich möchte nicht im Vordergrund stehen und wenn es darum geht Feminismus zu diskutieren denke ich mir „Geh verdammt noch mal aus dem Weg und hör zu!“
Die Geschichte über den Prostituierten-Friedhof („Graveyard Of The Outcast Dead“) Cross Bones in London, gelegen an der Themse fand ich persönlich eine der interessantesten Folgen. Sie handelt von den „Winchester Geese“, die im Mittelalter in vom Bischof lizensierten Bordellen prostituiert wurden. Der Gesprächspartner John Constable, bzw. die Unterhaltung im Podcast mit ihm, hatte mich auch zu meiner E-Mail im August veranlasst, denn hier wurde für mich deutlich, wie schnell sich Befürchtungen bewahrheiten können, wenn zwei Männer über Themen sprechen, die Frauen betreffen. Über den Experten und Touristenführer John Constable habe ich mich in der Folge mehr als einmal aufgeregt. Mit meiner geäußerten Kritik fühlte ich mich jedoch verstanden und der Tatsache, dass Constable derjenige war, der jahrelang für die Erinnerung an die betroffenen Frauen kämpfte, konnte ich dann auch wenig entgegen setzen.
Bei der Podcast-Folge über Jinny Bingham blieb ich seinerzeit extra noch 20 Minuten länger im Auto sitzen, weil das Gespräch mit der britischen Feministin Carol Clancy mich völlig in den Bann gezogen hatte. Die als „Hexe“ beschimpfte Landdame aus Camden Town fand bei mir wahrscheinlich auch deshalb besondere Resonanz, weil ich kurz zuvor in meiner Ahnenreihe eine als Hexe verbrannte Vorfahrin gefunden hatte (R.I.P. Maria Reußer)
Musikalisch betrachtet bin ich selbst großer Fan von „Sister Rosetta“, aber auch „The Lioness“, ein Song über die ägyptische Feministin Huda Sha-arawi (1839 – 1947) , deren Tochter im Podcast zu hören ist. 1922 traf Huda die Entscheidung in aller Öffentlichkeit den Schleier abzulegen und sorgte damit für Aufsehen. Im Song heißt es: „Huda Sha’arawi war der Name der Löwin. Ihr Herz wohlgefüttert, ihre Augen entflammt. Ihr unbedecktes Gesicht zeigte was sie überwunden hatte. Huda ist die Löwin, und sie wird sich nicht zähmen lassen“ – ein Lied über eine Störenfrieda sozusagen. Für den Podcast suchte Turner historische Orte der besungenen Frauen auf, aufgrund von komplizierten Visa-Prozessen schaffe er es zu seinem eigenen Ärger nicht nach Kairo um Hudas Tochter persönlich zu treffen.
Ich habe mich mit Frank darüber unterhalten, ob die Arbeit am Album etwas mit ihm persönlich gemacht hat und wenn ja was.
„Ich will nicht wie ein Vollidiot klingen wenn ich das sage. Ich bin mir bewusst darüber, dass wir in einer historisch sexistischen Welt leben, die nicht ausgewogen ist zwischen Männern und Frauen, wie immer du es nennen magst. Mir war das bewusst, ich habe das schon immer gewusst, ich bin kein Idiot. Aber es ist etwas anderes in diese Geschichten einzutauchen und zu versuchen, die Welt durch die Augen anderer zu betrachten. Ich glaube, dass das eigentlich eine gute Übung für jeden ist und man dies so viel wie möglich tun sollte. Mich hat es jedenfalls an meine eigenen Privilegien erinnert und daran, wie radikal anders diese Geschichten verlaufen wären, wenn die Personen Männer gewesen wären, oder gar nicht passiert wären. Punkt. Oder nicht in der Art und Weise wie sie geschehen sind. Es gab so viele Momente wo ich zu mir sagte „Ach komm, das ist so unfair!“. Ich hab während des Schreibens viel darüber mit meiner Partnerin / jetzt Frau gesprochen und ihr gesagt „Das ist so unfair“ und kassierte nur diesen Blick mit dem sie mir sagte „Ja, okay, herzlich willkommen“ und scherzhafte sagte „Du verdammter Idiot“. Ich glaube es hat bei mir weniger etwas auf einem intellektuellen Level ausgelöst als auf der emotionalen Ebene. Ich glaube ich bin mit mehr Verständnis daraus gekommen, oder hoffentlich mit mehr Demut darüber wer ich bin und wie ich die Welt sehe und versuche sie zu verstehen.“
Zum Abschluss wurde es sehr persönlich, als wir über den Song „Rosemary Jane“ sprachen, einem Song für seine Mutter. Frank Turner machte bereits in der Vergangenheit keinen Hehl aus seiner schwierigen Kindheit und dem belasteten Verhältnis zum Vater. Ich habe ihn deshalb gefragt was er davon hält, dass viele Männer, die gewalttätig gegenüber Frauen sind, ihre schlechte Kindheit als Begründung oder Entschuldigung für ihr Verhalten anführen. Seine Antwort war deutlich:
„Das ist eine tiefgründige Frage. Ich glaube es steht mir nicht zu das Trauma von anderen kleinzureden. Es ist mir wichtig, das zu betonen. Gleichzeitig glaube ich aber mit Nachdruck, dass wir als Menschen für unsere Handlungen verantwortlich sind. Vielleicht gibt es Gründe, vielleicht gibt es Erklärungen, aber wir tragen die Verantwortung für das was wir tun. In Bezug auf Männer, die Gewalt ausüben… Das Problem was ich mit solch mechanistischen Erklärungen habe, bei denen Gewalt durch Armut oder ein Kindheitstrauma begründet wird, ist, dass ich es für eine Beleidigung gegenüber all jenen halte, die nicht gewalttätig geworden sind oder es zumindest nicht so erklären. Am Ende treffen wir die Entscheidungen über unser Handeln. Die Dinge, die schlecht waren in meiner Kindheit waren eher emotional als physisch. Soviel kann ich sagen. Ich wurde nicht geschlagen, aber ich bin in einem Umfeld aufgewachsen, welches in mancher Hinsicht irre war. Das betrifft jedoch nicht meine Mutter. Ich rede ein wenig um den heißen Brei herum, aber belasse es jetzt mal dabei… Meine Mutter litt sehr und als Kind konnte ich das nicht erkennen. Darum geht es in dem Song. Als wir aufwuchsen haben ich und meine Schwestern uns darüber unterhalten und uns gesagt: „Verdammt! Das muss schrecklich gewesen sein!“. Ich hatte das Gefühl, dass es an der Zeit war dies anzuerkennen. Wenn du älter wirst kannst du deine Eltern plötzlich als Menschen erkennen, nicht als irgendwelche Figuren. […] Als wir das Podcast-Interview geplant haben, hab ich das mit Absicht als Review des Albums aufgezogen und meiner Mutter gesagt, dass wir nicht über diesen Song reden müssen. Ich habe angenommen, dass sie das nicht will. Ich war dann sehr überrascht als wir die Episode aufnahmen und sie plötzlich anfing darüber zu reden. Es ist ein sehr persönlicher Moment, das auf dem Podcast festgehalten zu haben. Ich habe in diesem Moment sehr viel gelernt, ihr könnt mir quasi beim Lernen zuhören [lacht] Meine Mama ist außergewöhnlich, ich liebe sie sehr.“
Das gesamte Interview (und andere meiner Interviews) findet ihr bei Neckbreaker. Den Podcast „Tales from No Man`s Land“ findet ihr zum Beispiel bei Spotify, oderApple Music oder auf Franks Webseite. Selbstverständlich dürft ihr in den Kommentaren gerne eure Meinung zum Album und Interview kund tun.