Achtung Achtung, hier spricht die Kleidungspolizei

franek2 [CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Die Diskussionen zu zwei Beiträgen auf unserer Facebook-Seite veranlassen mich, doch noch einmal etwas zum Thema Bekleidungsvorschriften, die sich an Frauen abarbeiten, niederzuschreiben.

Am 28. Juni stellten wir ein Video ein, in dem dargestellt wurde, dass der Bürgermeister der Stadt Broummana im Libanon, Pierre Achkar, den Polizistinnen (nicht den Polizisten eine neue Sommeruniform verpasst hat (enge figurbetonte T-Shirts und sehr knappe Shorts). Seine Begründung: Die Frauen sollen westliche Touristen anziehen. Erstaunlich (aber nicht ganz verwunderlich), dass dieses beschränkte Bild vom „Westler“ – gemeint mit hoher Wahrscheinlichkeit der westliche Mann – keine Empörungsstürme auslöst. Mich würde so eine eindimensionale Darstellung ja stören, aber nun gut, das ist hier nicht das eigentliche Thema.

Uniformen sind Bekleidungsvorschriften für Männer wie Frauen gleichermaßen, deren soziale Funktion darin besteht den Träger oder die Trägerin in seiner gesellschaftlichen Position erkennen zu können. Sie weisen ihn oder sie quasi als Autoritätsperson aus.

Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat in seiner beeindruckenden Gesellschaftsanalyse „Die männliche Herrschaft“ dargelegt, wie Uniformen dazu dienen, den Körper dahinter zurücktreten zu lassen und ein Zeichen der sozialen Position darstellen. Die Sexualisierung der Frau hingegen dient dem Zweck ihre Nicht-Macht deutlich zu machen. Frauen in Machtpositionen müssen als „diskriminierte Eliten“ ihm zufolge „jede sexuelle Konnotation aus ihrer körperlichen Hexis und ihrer Kleidung tilgen“ und jegliche Attribuierung einer Frau in einer Machtposition als „sehr weiblich“ kann als Form angesehen werden, ihr das Recht auf Macht (als einem männlichen Attribut) abzusprechen.

In einfachem Deutsch: Bürgermeister Achkar macht seine Polizistinnen zu Witzfiguren, die man(n) in ihrer Autoritätsposition nicht ernst zu nehmen braucht. Man stelle sich vor, eine so gekleidete Frau soll sich in einer brenzligen Situation unter Männern Respekt verschaffen. Klappt bestimmt super.

Darüber hinwegtrösten kann nicht, dass die interviewten Frauen selbst darin kein Problem sehen. Auch einige Kommentatorinnen auf unserer Seite sprachen von „geeigneter Sommerkleidung“, die sie „gerne anziehen“ würden. Ganz schnell wurden auch die eingebrannten Stereotype von „denen da im Nahen Osten“ abgespult, nach denen eine Frau in einem Land mit muslimischer Mehrheitsbevölkerung  ja eh nur als Frau in einer Burka denkbar ist. Das der Libanon bis Mitte der 50er Jahre noch mehrheitlich christlich war und manonitische Christen bis heute nach wie vor eine der größten Bevölkerungsgruppen ausmachen: Was solls? Jedenfalls habe ich bei einigen Kommentaren, die meilenweit am eigentlichen Thema vorbeigingen, doch schwer gewundert.

Heute dann posteten wir einen Artikel in dem es darum ging, dass ein Rektor einer Schule, Christian Kröll, in Osterhofen (Bayern) labberige XXXL-Schulshirts angeschafft hat, mit denen alles bedeckt werden soll „was anstößig und nicht ästhetisch ist“. Die T-Shirts seien ein „charmanter“ Weg, um auf „kleine Unstimmigkeiten“ im Outfit hinzuweisen. Wer das inhaltlich auf welcher Grundlage entscheidet, will ich lieber nicht genau wissen.

Während die Schule in einem Shitstorm baden ging, konnten sich viele unserer KommentatorInnen grundsätzlich für Bekleidungsvorschriften für Mädchen erwärmen. Die Gründe auf den ersten Blick nachvollziehbar: Sexualisierung des Mädchen- und Frauenkörpers, Druck zum Stylen, gesellschaftliche Prägung, Konditionierung, Kritik der Modeindustrie. Alles richtig, alles sehr wichtig.

Das Problem ist die vorgeschlagene Lösung: Statt an einer SCHULE dem eigenen pädagogischen Auftrag nachzukommen und das Thema Geschlechterrollenstereotype und Sexismus in geschlechtergetrennten und gemeinsamen Gesprächs- und Diskussionsrunden abzuarbeiten, Consciousness-Raising zu betreiben und mit feministischer Grundlagenbildung jungen Mädchen Analyseinstrumente an die Hand zu geben zu dem was in einer Porn Culture abgeht,  steckt man sie in den Sack, damit sich die Jungs, die eine solche Aufarbeitung und antisexistische Erziehung SOGAR NOCH DRINGENDER brauchen damit sich wirklich was verändert, auch bloß konzentrieren können? MEGAFAIL.

Ja, die Sexualisierung ist extrem problematisch, ohne ihre Aufarbeitung überwinden wir sie jedoch nicht. Auch die mehrfach im Thread vorgeschlagenen Schuluniformen lösen das Problem in keinster Weise, denn die Mädchen haben ja auch noch ein Leben außerhalb der Schule, in dem sie mit dem Selbstsexualisierungsdruck konfrontiert werden. Wer von jeder Ecke her eingetrichtert bekommt, dass eine Frau entweder fickbar oder unsichtbar ist, dem wird eine Schuluniform in einem begrenzten Lebensbereich nicht großartig weiterhelfen. Vielleicht nimmt es für ein paar Stunden am Tag ein wenig des Drucks weg, aber es trägt insgesamt nichts zu einer Veränderung der Verhältnisse, aufgrund derer man eine Uniform für hilfreich hält, bei. Und: Während es in einem Amt hilfreich sein kann, qua Uniform als AmtsträgerIn erkannt zu werden und die individuelle Persönlichkeit hinter der Uniform zurücktreten zu lassen, nimmt ihnen die Möglichkeit der indiviuellen Entfaltung, ohne am eigentlichen Problem zu rütteln. Hier wäre anzumerken, dass eine Stärkung der individuellen Persönlichkeiten auch dazu ermächtigen kann,  mit den doch sehr rigiden Vorgaben der Modeindustrie zu brechen – auch die Befolgung dieser führt mitunter zu einer Art Uniformierung, wenn man sich mal anschaut wie unglaublich ähnlich sich junge Mädchen oft sehen.

Jedenfalls macht es keinen Sinn sich an Mädchen abzuarbeiten, deren „Verbrechen“ quasi darin besteht, den patriarchalen Erwartungen zu entsprechen. Da müssen wir schon an die Wurzeln dieser Entwicklung ran, und da wird es dann erfahrungsgemäß schnell schwer: Die gleichen Leute, die Mädchen und Frauen verhüllen oder ausziehen wollen, sind erfahrungsgemäß doch oft erstaunlich deckungsgleich mit jenen, die schmerzerfüllt aufjaulen, wenn man ihnen die extrem prägende Sexindustrie „wegnehmen“ will.

Und ist es ein Zufall, dass einige es für progressiv und zeitgemäß halten, wenn im Schulunterricht ein Bordell nach den eigenen Vorstellungen geplant wird oder 13-Jährige Mädchen im Sexualkundeunterricht erzählen sollen, wann sie denn ihr erstes Mal Analsex hatten (als wäre die Frage nach dem OB bereits obsolet und alles nur noch eine Frage des wann). So lange PädagogInnen sich in Interviews dahingehend äußern, dass Pornographie, trotz aller wissenschaftlichen Erkenntnisse, keinerlei Folgen für die immer jüngeren KonsumentInnen habe, passt es nur allzu gut ins Bild den Mädchen und Frauen die Schuld zuzuschieben und ihr Verhalten als warum auch „nicht richtig“ abzuqualifizieren. Das ist verlogen, das ist bigott und im besten Fall ist es schlicht uninformiert.

Wenn ein Sexismus-Problem zu lösen ist: Ask your local radfem – wir hätten da ein paar Vorschläge, die WIRKLICH etwas verändern :o)

3 Kommentare

  1. Es ist ja gar nicht die Kleiderordnung der Frauen, die das unsägliche männliche Verhalten, die sexuellen Übergriffe, die Abwertung und Diskriminierung der Mädchen und Frauen auslöst. Dies ist höchstens die vorgeschobene Entschuldigung. Die Ursache ist das zutiefst gespaltene (schizophrene) Frauenbild in den (Beton)köpfen der Männer sowie der fehlende Respekt und die fehlende Anerkennung des weiblichen Menschen.
    Die Kleiderordnung wird dann als Alibi vorgeschoben, um das unerträgliche männliche Verhalten un erklären und die Schuld wieder auf die weibliche Seite zu schieben. Ganz wie im Islam. Uralt und dumm. Frauen werden vergewaltigt ob sie verschleiert, sexy gekleidet, nackt, jung (Kinder) oder sehr alt (ü 70) sind. Die Kleiderordnung der Frau spielt da eben keine Rolle, sehr Wohl aber das massive gewaltbereite Fehlverhalten des Mannes. Also Männer, hört doch endlich auf, Euer krankes Frauenbild (Gute Frau vs. Schlechte Frau“ an den Kleidern der Frau „ablesen“ zu wollen und so das schizophrene Frauenbild weiter zu produzieren. Euer Denken über die Frau ist krank, pervers und zu tiefste gespalten und hat mit den Frauen und ihren Kleider überhaupt NICHTS zu tun. Erzieht Euch selbst, euer krankes Denken, euer gespaltenes (schizophrenes) Frauenbild; und euren Dödel; und alles wird gut.

  2. Das ist wahrlich ein fundamentales Problem, denn egal ob sich eine Frau uniformiert, u.a. auch mit einem Hijab oder einer Burka oder ob sie gerne körperbetonte Kleidung trägt, sie erfüllt damit ja immer die Wünsche des Patriarchats im puncto Hure oder Heilige. Prinzipiell müsste mann seine Wahrnehmung radikal ändern, doch da kommen wir zu Schlüsselreizen etc., müssen in die Evolution einsteigen und kommen vermutlich nicht weiter. Daher müssen Männer einfach lernen, dass wir Frauen uns so anziehen, wie wir es gerade empfinden, wenn es denn nicht sowieso vorgeschrieben ist. Kleidung ist keine Aufforderung. Das sollten sie lernen. Leider gibt es jedoch auch Frauen, die das gerade anderes handhaben und es eben doch eine Aufforderung ist. Ein Dilemma? Nein, denn es bleibt nur, dass Frauen und Männer sich davon befreien müssen oder auf einen einfachen Nenner heruntergebrochen: Ein NEIN ist ein NEIN. Das würde ja vielleicht schon reichen, wenn wir uns darauf verlassen könnten.

  3. Ich wäre für: Nur ein JA ist ein JA. Denn dauernd nein sagen müssen wäre ja auch schon stressig, so als tägliches Hintergrundrauschen… Wobei das einen Zusatz zum von Anna K geschriebenen meint, keinen Widerspruch oder Ersatz.

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