Bericht aus einer mittelgroßen Stadt im Norden Rumäniens

Familie vor einem kleinen Lehmhaus

Wir wollen den feministischen Diskurs beleben und unterschiedliche Ansätze zur Diskussion stellen. Deshalb erscheinen bei uns regelmäßig Gastbeiträge, die nicht zwangsläufig die Haltung der oder aller Störenfriedas wiedergeben, aber wichtige Impulse für die feministische Debatte geben können.

Diese Stadt liegt unweit von der ungarischen Grenze. Die ungarische Bevölkerung bildet eine starke Minderheit. Sie wird ausgegrenzt, aber nicht so sehr wie eine andere Minderheit, die Roma Bevölkerung.

Bevor man in die Stadt selbst hinein fährt, reihen sich am Rand der Hauptstraße die Behausungen, die von Bauschutt und Mülldeponie umgegeben sind, und von barfuß laufenden Kindern und Jugendlichen betreten werden. Die Dächer sind aus Blech und die Öffnungen haben keine Türen oder Fenstern sondern höchstens Gardinen, also schließen sie nicht.

Eltern schicken ihre Kinder zur nächsten Mülltonne um Essbares zu suchen, und die gefundenen Müllsäcke werden den Müllberg vor der eigenen Behausung vergrößern. Geschickte Dealer deponieren mit Klebstoff gefüllte Tüten vor den Mülltonnen, damit sie von enttäuschten Kindern griffbereit zu Verfügung stehen, falls nichts Essbares zu finden ist. So werden viele schon im Kindesalter ans Klebstoff schnüffeln herangeführt und sind früh abhängig. Ihre Eltern sind nicht in der Lage, sie in die Schule zu schicken: Da sie selbst Analphabeten sind, können sie die bürokratischen Hürden nicht überbrücken.

Um sich im System Schule zurechtzufinden ist die rumänische Sprache Bedingung. Ungarisch oder Romanes sprechende Familien werden automatisch ausgegrenzt. Die allerwenigsten dieser Familien werden von Sozialämtern besucht oder überhaupt erreicht. Diese Ämter werden chronisch unterbesetzt und schlecht finanziert, unter den SozialarbeiterInnen gilt es als völlig sinnlos, sich um Roma-Familien zu kümmern, weil sie im Winter „eh alles verbrennen“. Ja, die Winter sind hart und es fehlt in den städtischen Vororten an Brennholz. Oft werden Mobiliar und Einrichtungen dem Feuer geopfert. Auch Fensterläden und desgleichen.

Es sind viele Hausbesitzer eher bereit, Wohnungen unbewohnt zu lassen als sie an Roma-Familien zu vermieten. Versteht sich. Sozialwohnungen werden zwar diesen Familien zugewiesen, aber ohne sozialpädagogische Begleitung, sodass es nicht lange dauert, bis auch die Sozialwohnungen genauso unbewohnbar sind.

Resignation ist das geistige Gift dieser Bevölkerung. So von Ausgrenzung und Diskriminierung geprägt, werden ihre Kinder leben wie sie und ihre Vorfahren seit Generationen [wenn nichts geändert wird] – ohne Selbstbestimmung und Autonomie.

Bevor ein Mädchen 12 ist, muss sie sich um ihre kleinen Geschwister kümmern. Die Schule verlässt sie dann automatisch, falls sie sie je besucht hat. Wenn sie in dieser Verantwortung ist, schafft sie es meistens nicht, für den Schulbesuch ihrer Geschwister zu sorgen. Die Eltern versagen in ihrer erzieherischen Funktion umso mehr [sind in ihrer erzieherischen Funktion umso mehr völlig überfordert], als sie selbst in den riesigen Waisenhäusern der Ceauscescu-Zeit groß geworden sind, wo sie jegliche emotionale Verbindung zu ihrer Eltern verlernt bzw. nie erlebt haben. Die seelischen Wunden der Zeit als Waisen heilen nie und hindern sie daran, adäquate Eltern zu werden. Viele sind so traumatisiert, dass sie psychisch krank sind. Gewalt ist allgegenwärtig, die Schutzeinrichtungen nicht ausreichend.

Der Schutz kann von Roma-Frauen nicht in Anspruch genommen werden, weil sie die Kommune nicht verlassen dürfen, wo sie registriert sind. Sie haben zwar keinen richtigen Wohnort, sondern Squats und Planendächer, aber genau deswegen trifft sie diese widersprüchliche gesetzliche Bestimmung. Die Behörden setzen sich stark ein, um die „mobile“ Bevölkerung zu kontrollieren. Die Einschränkung der Mobilität hindert auch die erweiterten Familien, solidarische Netzwerke zu pflegen, was manch eine Kernfamilie entlasten könnte.

Im Leben vieler junger Frauen hat Prostitution eine Rolle gespielt und bildet eine wiederkehrende Überlebensstrategie in problematischen Lebensphasen. Die psychisch Kranken sind besonders stark davon betroffen. Sie tauschen immer wieder Wohnort gegen Sex oder werden von Dealern sexuell benutzt, um ihre Sucht zu finanzieren. Der Migrationsdruck ist hoch, sodass diejenigen, deren psychische Stabilität und mentale Gesundheit es erlaubt, ins Ausland fliehen. Das Risiko, dort genauso ausgebeutet zu werden ist sehr hoch; gewaltsame Handlungen und Drohungen triste Banalitäten.

Der EU Beitritt Rumäniens hat die Armut eher verschärft. Ein Großteil der Bevölkerung ist von heute auf morgen arbeitslos geworden. Investoren aus Deutschland und Frankreich schaffen der Mittelschicht neue Arbeitsplätze und eine Teilhabe am weltweiten Konsummuster, aber verschärfen die sozialen Spannungen. Aufgenommen in der EU aber ausgeschlossen aus jedem sozialen Hilfssystem: haben Roma aus Rumänien eine Zukunft?

Ein Gastbeitrag von Florence Humbert

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