Ergänzend zum Blog: Der erste radikalfeministische Podcast in Deutschland. Wir haben eineinhalb Stunden über aktuelle Themen gequatscht. Wir wünschen euch gute Unterhaltung und hoffen, euch gefällt unsere Premiere. (Wir bitten im Vorfeld um Entschuldigung für die zeitweisen Tonaussetzer, an dem optimalen Equipment arbeiten wir noch ;-)). Falls ihr etwas skippen möchtet, werft einen Blick in die Sprungmarken unten.
Wir freuen uns über eure Rückmeldungen, Kritik und Anregungen für zukünftige Podcasts. Die könnt ihr uns unten in die Kommentare schreiben oder via Facebook, Twitter oder Instagram übermitteln.
Als wir 2013 begannen die Morde in der Prostitution in unserem Projekt “Sexindustry Kills” zu dokumentieren, waren wir uns dessen bewusst, dass die Dokumentation der Schicksale jener Frauen, die in der Prostitution einen gewaltvollen Tod fanden ein zweischneidiges Schwert ist: Auf der einen Seite war es uns wichtig, dass diese Frauen nicht vergessen werden. Deutlich zu machen, dass sie unsere Schwestern sind, die fehlen. Zu vermitteln, dass sie Frauen mit Schicksalen, Träumen und Wünschen waren und nicht irgendwelche anonymen Frauen, die oft von der breiten Öffentlichkeit auf ihre Prostitutionstätigkeit reduziert werden. Dass sie Familien hatten und FreundInnen, die sie vermissen. Wir haben zahlreiche rührende Zuschriften erhalten, von jenen, die auch noch nach vielen Jahren an die Frauen denken, die so brutal aus unserer Mitte gerissen wurden.
Auf der anderen Seite war uns auch bewusst, dass die Dokumentation auch dazu beiträgt, die Prostitutionstätigkeit besagter Frauen weiter öffentlich zu machen. Einige dieser Frauen wollten, dass die Tatsache, wie sie Geld verdienten / zum Teil auch verdienen mussten, niemals publik wird. Nicht den Menschen, die ihnen nahe standen gegenüber und schon gar nicht einer großen Öffentlichkeit. Wir versuchen, dieses leider oft nicht aufzulösende Spannungsfeld damit zu mindern, indem wir den Auftritt so neutral wie möglich gestalten
Keinerlei Skrupel hatten wir jedoch jemals gegenüber der Benennung der Täter. Jener Männer – zumeist Freier – die die verdammte Verantwortung dafür tragen, dass diese Frauen nicht mehr leben. Was wir nicht für möglich gehalten hätten: Dass diese Typen tatsächlich die Chuzpe haben uns anzuschreiben und um Löschung ihrer Namen zu bitten winseln. Bisher haben wir diese Zuschriften immer bewusst mit Ignoranz gestraft: Unsere Aufmerksamkeit haben DIE nicht verdient. Irgendwann platzt einer jedoch die Hutschnur und deshalb lassen wir euch hier und heute an zwei solcher erbärmlichen Exemplare teilhaben.
Ein “Löschantrag” eines gewissen Tim Schüler erreichte uns bereits im Jahr 2015. Besagter Tim ermordete in den 1990er Jahren gemeinsam mit seinem Kumpel Till-Hauke Heldt zunächst einen nepalesischen Flüchtling sowie einen Bremer Kaufmann. Heldt stand auf Sadomaso, träumte von einer SM-Welt, in der er nach Lust und Laune fesseln, bestrafen und erniedrigen konnte. Er eröffnete ein Bordell in einem ehemaligen Flüchtlingsheim, in dem seit 1998 auch Yvonne Polzin prostituiert – und von Heldt schamlos ausgenutzt – wurde. „Sie hat fantastisch gearbeitet, weil sie in mich verliebt war“, sagte Heldt. Er war fasziniert von der „totalen Unterordnung bis zur Selbstaufgabe“ und behandelte sie „wie Dreck“. In seinen Augen beging Yvonne einen “Tabubruch”, als sie vor seinem Privathaus auftauchte – und seine bürgerliche Fassade mit Frau und Kindern bedrohte. Er lud sie ein zu einem “romantischen Wochenende” – in Wahrheit hatte er ihre “Beseitigung” geplant. Bereits im Vorfeld hatte er einen Handwerker einen Ofen bauen lassen, der zu Yvonnes Krematorium werden sollte. Nach dem Mord stellte sich heraus, dass besagter Ofen nicht so funktionierte, wie er sollte und hier trat unser Spezi Tim Schüler auf den Plan: Gemeinsam tüftelten die beiden, wie sie den Ofen doch noch wie gewünscht zum Laufen bringen konnten. Als dies scheiterte, beschafften die beiden Winkelschleifer, Trennscheiben, Beil und Fleischwolf. Dem Klempner, der anschließend bei der Entsorgung des Ofens helfen sollte und aufgrund des Leichengeruchs Verdacht schöpfte, erzählten sie was von “Rehfleisch”. Dieser musste sich zwei Mal an die Polizei wenden, bis diese die abenteuerliche Geschichte glaubte und Ermittlungen eingeleitet wurden. Heldt wurde zu dreimal lebenslänglich, Schüler zu 9 Jahren Haft verurteilt. Die Gesamtfreiheitsstrafe betrug 15 Jahre.
Nachfolgend dokumentieren wir Tim Schülers Löschgesuch:
Sehr geehrte Damen und Herren, ich beantrage den folgenden Artikel zu löschen: http://sexindustry-kills.de/doku.php?id=prostitutionmurders:de:yvonnepolzin Meine Wiedereingliederung in die Gesellschaft, insbesondere in das Arbeitsleben wird erheblich beschwert. Ein besonderes öffentliches Interesse an meiner Person, das meinen Löschungsanspruch ausnahmsweise entfallen ließe, ist nicht ersichtlich.
Mit freundlichem Gruß
Tim Schüler
Nicht nur, dass Schüler offensichtlich meint, dass wir in irgendeiner Weise uns verantwortlich fühlen müssen, damit ihm, der an drei Morden beteiligt war, seine “Wiedereingliederung in die Gesellschaft” gelingen kann, er faselt darüber hinaus noch etwas von einem Löschungsanspruch. Man will seinen Augen nicht trauen. Auch ist er so vermessen zu fordern, dass der Artikel ersatzlos gestrichen wird – und damit Yvonne aus dem öffentlichen Gedächtnis verschwindet. Die Erinnerung an eine Frau, die – anders als Herr Schüler – kein Teil dieser Gesellschaft mehr ist – weil sein Kumpel Heldt entschieden hat, ihr Leben zu beenden.
Es gibt also “kein öffentliches Interesse an der Person Tim Schüler”? Nun, das sehen wir leider anders.
Hartnäckig erweist sich unser Fallbeispiel Numero 2:
Bereits vor mehr als einem halben Jahr bat ein gewisser Dirk Goldmann um die Abkürzung seines Nachnamens. Goldmann zeichnet sich gemeinsam mit seinen Kumpels verantwortlich für den brutalen Mord an Beate Fischer in Berlin im Jahr 1994. Beate, Mutter zweier Kinder, wurde von einer vierköpfigen Naziclique, darunter Goldmann, mehr als zehn Stunden brutal gefoltert, mehrfach vergewaltigt, man rasierte ihr die Haare ab und versuchte, sie zu ertränken und zu vergiften. Schließlich wurde sie durch Strangulation ermordet und nackt in einen Teppich gewickelt vor Mülltonnen entsorgt. Das Gericht verhängte lebenslange Haft für den Haupttäter Matthias F. (Nachname leider unbekannt) sowie neun und zehn Jahre Jugendstrafe für die Mittäter. Der Richter sagt in der Urteilsbegründung, die Neonazis „haben nach ihrer Wolfsmoral Sex als die Bühne ihrer Macht benutzt“. 2019 fand in Berlin anlässlich der 25 Jahre zurück liegenden Tat eine Gedenkaktion für Beate Fischer statt. Im Mai 2019 schickte uns Goldmann diesen rührseligen Text:
Weil die Tat nun also 25 Jahre zurück liegt und der werte Herr Goldmann dafür ein paar Jahre seines Lebens in Haft verbringen musste, habe er also seiner Meinung nach ein Recht auf ein “halbwegs normales Leben”, denn er führe ja jetzt ein “komplett neues Leben”. Ach so.
Nachdem diese “Bitte im Löschung / Änderung” (sic!) bei uns auf taube Ohren stieß, versuchte er es jetzt in zwei aktuellen Mails (Dezember 2019 und Januar 2020) unter einem anderen Namen. Wir dokumentieren diese hier:
Eine “2. Chance” hätte er gerne der Herr, denn er habe seine “Vergangenheit abgelegt”. Deshalb, liebe Feministinnen, “reitet” doch bitte bitte nicht so auf der Vergangenheit “rum”. Zwei Wochen später setzt er noch eins drauf:
Da ist aber jemand einem Irrtum aufgesessen: Nicht “zufälligerweise” nennen wir einen Täter mit vollem Namen, sondern ganz bewusst und intendiert. Nachdem wir ein paar Minuten über die Frage sinnierten, ob man auch “ehemaliges Opfer” werden kann, wo es doch offenbar “ehemalige Täter” gibt, waren wir für eine Sekunde ganz angetan, weil Herr Goldmann sich jetzt “mittlerweile” doch für “schwächere engagiert” und der rechten Szene den Rücken gekehrt hat. Nicht. Bitte wie? Das soll uns überzeugen? Sorry, not sorry: Nein!
Eins ist nämlich auffällig, und das macht uns am meisten wütend: Nicht mit einer einzigen Silbe erwähnt Goldmann Beate. Das hat er mit Tim Schüler gemein. Alles dreht sich ausschließlich um die Konsequenzen, die diese Taten für die Leben der Täter haben. Die Opfer finden keine Erwähnung – nicht einmal mit einer klitzekleinen Silbe. Narzissmus much!?
Das Tragische an der ganzen Sache:
Anders als Yvonne und Beate, hatten diese Typen eine Wahl bei der ganzen Angelegenheit. Niemand hat ihnen einen Mord aufgezwungen, und ihre Leben wurden nicht ausgelöscht.
Beate und Yvonne hatten mit 32 und 31 Jahren ihre Leben noch vor sich.
Zugegeben: Als ich die Schlagzeile las, dass die Betreiberin einer Escort-Agentur und “Sexarbeiterin” Salome Balthus von der Zeitung die Welt in der sie seit einigen Monaten eine Kolumne unter dem Titel “Das Kanarienvögelchen” schrieb, gefeuert wurde, dachte ich mir “Das wurde aber auch Zeit”. War es mir doch völlig schleierhaft, warum sie diese Möglichkeit überhaupt erst bekommen hatte. Ob einer die Inhalte oder der Schreibstil einer anderen Person gefallen oder nicht, ist ja eher subjektiv und Geschmackssache.
Politisch jedoch hatte ich in mehrfacher Hinsicht ein Problem mit dem Podium, welches ihr dort geboten wurde: Zum einen halte ich es nach wie vor für unerträglich, wie viel Raum Mainstream-Medien jenen Menschen einräumen, die sich für die Erhaltung einer der patriachalsten und frauenfeindlichsten Institutionen unserer Gesellschaft, der Prostitution, stark machen – ohne gleichermaßen auch jenen Frauen in und außerhalb der Prostitution diesen Raum zuzugestehen, die Prostitution als kommerzialisierte sexuelle Gewalt empfinden und für eine Welt ohne Prostitution und Frauenverachtung kämpfen. Dem Netzwerk Ella beispielsweise kommt dieses Privileg nicht zu. Dies ist jedoch den jeweiligen Medien und einer Gesellschaft anzulasten, die natürlich lieber jenen ein Sprachrohr verleiht, welche die gegebenen Machthierarchien stärken – und eben nicht jenen, die diese in Frage stellen.
Unklar ist, ob Balthus an der Prostitution der auf ihrer Agentur-Seite angebotenen Frauen verdient. Ist dem so, dann wäre dies in meinen Augen moralisch verwerflich und nach dem von mir und uns vertretenen Nordischen Modell kriminell und strafbar. Dass sie sich, ihre Agentur und ihre “Hetären”-Kolleginen angesichts des Bewerbungsfragebogens auf der Seite offensichtlich für besonders elitär und intellektuell hält: geschenkt.
Wer kennt Sie nicht, die Bilder und Fotos von früher, vor vielen Jahrzehnten, auf denen halbnackte Frauen orientalischer Herkunft verträumt in die Kamera schauen oder den Maler zu betrachten scheinen. Diese Bilder schufen früher Sehnsucht, insbesondere bei Männern, und waren mitverantwortlich oder begründeten die sogenannte „Haremsromantik“. Schöne Frauen, die nichts mehr liebten wie in glitzernder Kleidung Granatäpfel und Feigen in die Münder der Männer aus den Kolonialländern zu stopfen und Ihnen sinnlich, erotisch jeden sexuellen Wunsch zu erfüllen. Ganz im Gegenteil zu den prüden und erschöpften Frauen Europas im 17ten und 18ten Jahrhundert, die nur Kartoffelsuppe zu bieten schienen.
Schon früher hatten Männer ein Hang dazu, die „bessere“ Frau zu präsentieren. Heute sind es prostituierte Frauen aus Bulgarien und Rumänien, die für ein paar Euro in Deutschland jeden Wunsch erfüllen müssen und gleichsam verachtet werden, da sie jeden Wunsch erfüllen. Oder früher, vor zwanzig Jahren, waren es die „unterwürfigen“ thailändischen Frauen, die noch geheiratet werden mussten um in Deutschland sexuell zur Verfügung zu stehen. Die Beispiele sind endlos, es gibt und gab immer eine noch bessere Frau in der Unterwürfigkeit und im Gehorsam. Die Frauen werden häufig verkauft als “Exotik” bis hin zu Sex Dolls in der heutigen Zeit. Mehr ist dann wirklich nicht vorstellbar. Diese „Exotik“ ist und war Rassismus, triefend von sexuellen Zuschreibungen basierend auf Herkunft.
In Algerien wurden die prostituierten Frauen der „Ouled Nail“, Frauen aus der Stadt Bou-Saada, im vorigen Jahrhundert vom deutschen Fotografen Rudolf Lehnert fotografiert. Wahrscheinlich nicht nur fotografiert, da er sich offensichtlich in den geschlossenen Räumen der Prostitution aufhielt. Die Bilder sind eine schreckliche Dokumentation des Kolonialismus und der Prostitution. Blutjunge Mädchen präsentieren sich halbnackt, verewigt zum Abwichsen auf Postkarten für die Masturbationsbedürfnisse europäischer Männer. Wahrscheinlich blieben sie ohne zusätzliche finanzielle Kompensation für ihre „Vervielfältigung“.
Rudolf Lehnert, zusammen mit Ernst Heinrich Landrock (L und L), waren vor mehr wie hundert Jahren sehr bekannt als Fotografen der Orientalistik. R. Lehnert reiste 1904 nach Tunesien und eröffnete in Kooperation mit Landrock ein Fotostudio in Tunis. Fotos aus dem Orient waren seine „Passion“, insbesondere eben die Fotoreihen blutjunger Mädchen. Er fotografierte auch die jungen Mädchen der Ouled Nail aus Bou-Saada.
Die Geschichte der „Ouled Nail“ ist aber weniger exotisch und erotisch wie es uns die Orientromantik der Vergangenheit glauben machen wollte. Diese ist sowieso heute fast völlig verschwunden, stehen Frauen, auch früher in Bou-Saada übrigens völlig verschleiert, nicht mehr so einfach dem europäischen Mann sexuell zur Verfügung. Es gibt tatsächlich noch Burkaporno, aber es gibt sowieso jeglichen Fetisch den Mann sich ausdenken kann. Mir fällt jedenfalls keine andere Erklärung ein für das Verschwinden der Orienterotik beim westlichen Mann. Wahrscheinlich spielt aber auch das „Überangebot“ der Ware Frau aus aller Welt eine Rolle.
Die Prostitution der Ouled Nail in Bou-Saada entspricht der Entwicklung der Prostitution überall.
Das Militär kam, ließ sich mit einer Garnison nieder, und brauchte Frauen für die Soldaten, in anderen Worten, Männer mit Geld verlangten Frauen und bekamen sie. Hier können wir dem Ganzen nur noch Bauchtanz und sehr sehr viel Schmuck beifügen als Element der ewig gleichen Geschichte der Prostitution. Dazu kommt vermeintlich einen Hauch von Fernwehromantik und Exotik. Und die Idee der Selbstbestimmung und Mitwirkung der prostituierten Frauen gehört auch dazu. Die Einheimischen, sprich Eingeborenen, wollten es nicht anders und sind einfach so. Ähnlich wird das Konzept noch heute reproduziert im „interracial porn“. Verschiedene Ethnien sind sexuell anders und „brauchen es“.
Die Bevölkerung Bou-Saadas bestand ursprünglich, vor dem 18ten Jahrhundert, aus verschiedenen Bevölkerungsgruppen wie Araber, Juden, Mozabiten, Europäer, dem Militär und den „öffentlichen Frauen“ (filles publiques), aus denen die Ouled Nail hervorgingen. Sie tanzten bei Festen und Veranstaltungen und führten traditionelle Tänze auf. Als Bou-Saada kolonialisiert wurde im Jahre 1845, lebten hier 5000 Menschen. In diesem Zeitraum zog eine Garnison von 500 Männern in den Ort.
Am Abend saßen die Händler und die Soldaten in den maurischen Cafes um sich abzulenken. Die jungen Mädchen der Ouled Nail begannen dort mit ihrer festlichen Kleidung und Verzierungen zu tanzen. Da sich aus diesem Entertainment schnell Prostitution entwickelte, entstand das „Asyl der Naila“, ein abgeschlossenes Gebiet. 1930 hatte Bou-Saada schon 50 000 Einwohner und es entstand eine „Toleranzzone“, die auch als Straße der Ouled Nail bezeichnet wurde. 1952 gab es hier zwanzig Häuser mit durchschnittlich fünf prostituierten Mädchen oder Frauen.
Bou-Saada war immer eine touristische Stadt und so wurden die Abende „m`bita“ initiiert, an denen gesungen und getanzt wurde. Die Tänze entsprachen zuerst traditionellen Tänzen, wie der Tanz Saadaoui, der auch Naili genannt wurde. Die Kostüme wurden immer ausgefallener und auffälliger um für die Männer interessant zu bleiben. Es kam schließlich zum „Nackttanz“ am zweiten Teil des Abends. Die Musiker haben dann in der Regel ihre Gesichter gegen die Wand gerichtet und gespielt. Als Muslime wollten sie die nackten Frauen nicht sehen. Die Frauen der Ouled Nail verzichteten in den geschlossenen Räumen der Prostitution auf ihre Schleier, aber außerhalb trugen sie den Schleier bu`awina, der nur noch ein Ohr zu sehen ließ. Unter dem Schleier trugen die Ouled Nail ihren kompletten Schmuck und ihre Kostüme. Vollverschleierung war ein traditionelles Gebot für alle Frauen in Bou-Saada, inklusive der Ouled Nail.
Die jungen prostituierten Frauen der Ouled Nail rekrutierten sich aus der Familie oder aus der Dorfgemeinschaft. Für die Initiierung in den Tanz, der den Eintrittspunkt in die Prostitution darstellte, war eine längere „Ausbildung“ notwendig. Fatima die Kapitänin zum Beispiel besaß 20 junge Tänzerinnen, die sie aus ihrem Dorf rekrutiert hatte und Yamina hatte alle ihre Schwestern und Nichten in den orientalischen Tanz und entsprechend in die Prostitution eingeführt. Wenig mehr ist bekannt. Die Verwaltung von Bou-Saada setzte die Steuern fest und legte die Prostitutionstage für die einzelnen Gruppen zur Konfliktvermeidung fest (Militär und Zivil getrennt). Regeln für die Prostitution wurden auch von der Verwaltung in Algier festgelegt, ebenso Gesundheitskontrollen.
Die Prostitution finanzierte den Familien der Ouled Nail Häuser, Gärten und Viehbesitz. Es erlaubte ihnen zu leben.
Es gab Kinder, da traditionelle Verhütung nicht immer effektiv war. Die Mädchen waren dann auch vorbestimmt für die Prostitution, sprich Bauchtanz, und die Jungen konnten durch Bildung eventuell das Milieu verlassen oder „verwalteten“ die Angelegenheiten der prostituierten Familienangehörigen.
Viele der „Ouled Nail“ waren bald gezeichnet vom Alkohol und vom Tabak und verelendeten. Auch hier in einer anderen Zeit und Kultur war die Benutzung des Körpers durch fremde Männer anscheinend nur mit Suchtmittelkonsum erträglich. Einige Frauen schafften den Ausstieg. Teilweise konnten sie den Weg Gottes als Option wählen. Sie kamen dann zur Gemeinschaft der Schwestern im Islam und spendeten Geld an wohltätige Zwecke. Wenn genug Geld vorhanden war, wurde in eine Reise nach Mekka investiert.
Jüngere „Ouled Nail“ konnten manchmal heiraten als Option des Ausstiegs. Der Prophet Mohammed empfahl den gläubigen Männern die Heirat einer prostituierten Frau um die Prostitution zu beenden. Wie man gläubig sein kann und Zugang zu Frauenkörpern kaufen kann, ist natürlich fraglich. Christliche Männer wurden nie geheiratet (oder umgekehrt, sie heirateten keine Ouled Nail).
Nach 40 Tagen Kontaktabbruch zum zukünftigen Ehemann war eine Hochzeit möglich. Diese Zeitperiode der Abstinenz ist im Koran vorgeschrieben, um vor einer Ehe sicher zu stellen, dass eine Frau nicht schwanger ist und ganz im Sinne des Patriarchats die Vaterschaft vermeintlich sicher festlegen zu können.
Die Prostitution der „Ouled Nail“ verschwand mit der algerischen Unabhängigkeit, ebenso verschwanden viele nähere Informationen zu diesem Thema.
Insgesamt war in Algerien die Geschichte der Prostitution vor der Kolonialzeit eine Geschichte der Sklaverei und „Geliebten“. Regeln der Prostitution wurden erst von der Kolonialverwaltung aufgestellt, da die Gesundheit der Soldaten gewährleistet werden musste. Gott bewahre, die Truppen sollten alle an Syphillis verrecken und die ehrenvoll keusch wartenden Ehefrauen im französischen Vaterland etwas von den sexuellen Aktivitäten ihrer Ehemänner oder Verlobten erfahren. Daran hat sich bis heute nichts geändert; nur die wenigsten Partnerinnen von Soldaten, egal welcher Nation, ahnen etwas von deren sexueller Ausbeutung von einheimischen Frauen. Der Zusammenhang von Prostitution und Militär ist eng, immer und überall, aber die eigenen Ehemänner sind sicherlich immer edel und gut.
Frauen in der Prostitution in Algerien waren immer einheimische Frauen, unabhängig ihrer männlichen Benutzer. Auch die prostituierten Frauen für die Soldaten Nordafrikas im zweiten Weltkrieg in Europa kamen aus Algerien, nicht aus Europa. In der untersten Ebene der Hierarchie der Prostitution fanden und finden sich immer mehrheitlich die Ethnien, die am meisten verachtet wurden und werden. Trotz aller Möglichkeiten sich sexuell selbst zu verwirklichen, haben sich also keine Frauen der französischen Oberschicht gefunden um sich durch die Prostitution mit algerischen Soldaten in Frankreich ein eigenes Einkommen zu verschaffen…
1859 gab es in Algier 15 Häuser der Prostitution. Später gab es getrennte Häuser für Europäer und für Algerier, aber die prostituierten Frauen waren immer einheimische Frauen. Nur die Männer sollten sich nicht mischen, aber die unterste Schicht der Frauen, kolonialisierte Frauen, waren für alle benutzbar. Auch nach der algerischen Unabhängigkeit blieben 19 Häuser der Prostitution, ganz legal, aber völlig versteckt, und seit 1995 floriert die Prostitution in den Luxushotels. Ebenso findet Prostitution in Diskotheken statt, wahrscheinlich für Menschen aus Europa kaum erkennbar. Nach einer Befragung des Institutes Abassa aus dem Jahr 2007 gibt es 1,2 Millionen prostituierte Frauen in Algerien. Geschätzte 4 Millionen (bei einer Bevölkerung von heute 40 Millionen) leben direkt oder indirekt von dem Geld der Prostitution. Diese Zahlen machen sprachlos.
In dem Bordell Europas, Deutschland, soll es nur 400 000 prostituierte Frauen geben. Ich kann nicht sagen, ob entweder die deutschen Zahlen stark übertrieben sind, oder ob eigentlich ganz Algerien ein Bordell ist. Ich vermute, dass die deutschen Zahlen leicht untertreiben sind.
Kurz gefasst, frühere männliche Orientromantik war eigentlich nur eine idealisierte Geschichte der sexuellen Ausbeutung von Frauen. Bauchtanz, der Tanz von halbbekleideten Frauen für Männer für Geld, ist ein Tanz der Prostitution. Die ist eigentlich auch körpersprachlich nahe liegend. Bauchtanz für fremde Männer ist die orientalische/nordafrikanische Form des Table Dance sozusagen.
Frauen wurden in der Kolonialzeit zwar prostituiert, und durch das Militär benutzt, aber zeitgleich wurde damit gewoben, die Rolle der Frau in Algerien zu verbessern, durch Kampagnen, auch mit dem Ziel der Entschleierung. Man finde den Fehler; die Kampagnen waren nicht von Erfolg gekrönt.
1959 wurden schließlich 2 Millionen Algerier und Algerierinnen zwangsinterniert. Die französische Armee setzte auch hier in einem nicht mehr ermittelbaren Ausmaß sexuelle Gewalt gegen Frauen ein. Vielfach wird noch heute erzählt, dass Mädchen und Frauen in den Dörfern vor der Internierung versucht haben sich mit Dreck zu beschmieren, sich nicht zu waschen, sich die Haare abzurasieren. Sie hatten Angst vor Vergewaltigungen durch französische Soldaten. Genützt hat es wahrscheinlich so viel wie es anderen Frauen in anderen Ländern genützt hat die ähnliche Maßnahmen ergriffen haben. Gar nicht. Sie glaubten aber, es gehe bei Vergewaltigung um sexuelle Lust und nicht um Macht und Erniedrigung. Orientalische angebliche Mystik und Sinnlichkeit hatten hier jedenfalls keinen Platz.
Was aber noch mehr erschreckt, immer wieder, ist die ewig gleiche Geschichte der Prostitution und ihrer Verklärung bis hin zu, in diesem Fall, „Romantik“ der orientalischen Frau im letzten und vorletzten Jahrhundert.
Und um ganz ehrlich zu sein widert mich zusätzlich der Soldatenkult immer wieder neu an. Die Unterwerfung und Benutzung von Frauen überall auf der Welt durch das Militär, ob im Krieg oder danach ist erschreckend. Ob ich als Frau durch John, Tarek, Reinhard, oder Miguel prostituiert oder vergewaltigt werde, bleibt sich irgendwie gleich.
https://journals.openedition.org/clio/584 La danseuse prostituée dite « Ouled Naïl », entre mythe et réalité (1830-1962). Des rapports sociaux et des pratiques concrètes, B. Ferhati.
Anlass: Berichterstattung und Kommentar in der taz zur Trennung von Terre des Femmes Deutschland und Terre des Femmes Schweiz (1).
Bei Themen wie Flüchtlingen, vielen sozialen Themen und der AfD ist die taz gut und eine notwendige Stimme in der Presselandschaft.
Bei Frauen allerdings nicht.
Zu Feminismus und besonders bei kontroversen Themen wie Prostitution oder Verschleierung sehen wir fast ausschließlich eine einseitige, uninformierte und diffamierende Berichterstattung, auch wenn es ein paar Ausnahmen gibt.
Es geht hier nicht um andere Meinungen und noch nicht einmal nur darum, wie diese Meinungen vertreten werden, und zwar in einer Art und Weise, in der ich das auch auf unserer, der abolitionistischen Seite nicht sehen möchte und bei der wir versuchen, einzugreifen. Diese grottenschlechte Art der Berichterstattung gibt es auch da, wo ich zufällig inhaltlich zustimme. Es kann nicht sein, dass sich im Bereich der Gender Studies, in den Kommunikationswissenschaften oder im Journalismus nur Frauen bewegen, die nach dem zu Urteilen, was sie uns zeigen, so wenig wissen und so wenig zu irgendeiner inhaltlichen Auseinandersetzung bereit sind, wie wir das seit Jahren bei der taz sehen, Redaktionswechsel unbeschadet: Ohne Differenzierung, ohne Recherchewillen oder vielleicht -fähigkeit, mit nichts als vorgefertigten Sprüchen und im Zweifelsfall der Nazikarte. Derart oberflächlich arbeitende Journalistinnen auszusuchen ist auch ein Kommentar dazu, wie unwichtig einer Zeitung diese Themen sind, und zeigt, dass es der taz absolut genügt, wenn regelmäßig ein paar rein assoziative Satzreihen zur Bedienung des Status Quo erscheinen. Wenn es mal einen einigermaßen guten Artikel gibt, ist er häufig genug von einem Mann.
Die taz erinnert darin an die Regierungen Kohls (Kabinett V) und Merkels mit Familienministerinnen wie Claudia Nolte oder Kristina Schröder, als Merkel die Stimmung im Land und den Antifeminismus einer bestimmten Gruppe eher jüngerer Frauen falsch interpretiert hatte, weil sie nicht bemerkt hatte, dass Antifeminismus heute anders läuft …. Frauen ohne Erfahrung und ohne wirkliches Interesse am Thema, denen gleich mal mehr als die Hälfte des Etats weggekürzt werden konnte und die nicht einen wesentlichen oder neuen Beitrag zum Thema brachten. Weiterlesen
Eigentlich hatte sie nicht auffallen wollen. Zumindest nicht direkt. Deshalb hatte sie sich ja auch für das Pünktchen-Kleid und die flachen Sandalen entschieden. Nur war es nun mal nicht möglich, auf die große, tiefschwarze Sonnenbrille zu verzichten. Auch nicht auf die orangefarbene Perücke- obgleich sie damit die Blicke aller Veranstaltungsbesucher auf sich zog. Sich zu zeigen wäre zu riskant. Zu groß die Gefahr, erkannt zu werden.
Sie kannte das Empfinden irgendwie anders zu sein nur zu gut. Gesellschaft gab ihr immer schon das Gefühl, in ihr ein Fremdkörper zu sein. Aber heute war es anders, denn heute wollte sie genau darüber sprechen. Seit sie vor einem halben Jahr ihren Job an den Nagel gehängt hat, spürt sie eine merkbare Transformation; einen Übertritt in eine andere Welt. Schließlich geht es nicht um irgendeinen Job: Susan Müller war Prostituierte- und eigentlich heißt sie ganz anders.
Während sie spricht, klingt sie gelassen. Auch dann, wenn sie erzählt, wie sie mit Anfang zwanzig damit begann, sich zu verkaufen oder wenn sie sich daran erinnert, wie sie bei ihrem ersten Freier an einen gewalttätigen Sadisten geraten war.
„Bevor man einsteigt sollte man sich vorstellen können mit jedem zweiten Mann, der einem auf der Straße begegnet, zu schlafen.“ Eine erste Voraussetzung, der nur Wenige standhalten können.
Dabei fiel ihr der Einstieg leichter als gedacht: Job verloren. Lahme Ämter. Hungrige Kinder.
Dass sie sich gerade für diesen, nicht etwa für einen Job in der Gastronomie, im Verkauf oder für eine Putzstelle entschieden hat, kann sie heute anders reflektieren als damals. Schon als Kind hatte Susan sexuelle Gewalt erfahren. Sexualität, so sagt sie, sei für sie auf dieser Grundlage nichts wert gewesen und konnte also verdinglicht werden. Ein blutiger roter Faden, der sich, wie sie später erfahren sollte, durch die Biographien vieler Kolleginnen zieht. Einer Studie des Familienministeriums zufolge erlebten etwa 52 Prozent der Prostituierten körperliche Gewalt in der Kindheit. Rund 43 Prozent wurden Opfer sexuellen Missbrauchs- von den Dunkelziffern ganz zu schweigen.
Dass sich eine derart große Anzahl an Gewaltopfern für diesen Beruf entscheidet, erklärt Traumaexpertin Dr. Ingeborg Kraus damit dass Menschen, die körperliche oder sexuelle Gewalt erfahren haben, ähnliche Überlebensmechanismen ausbilden wie Kriegsopfer- so auch in der Prostitution. Die Arbeit fungiere demnach als Ort der Reinszenierung von Traumata- diesmal aber im Rahmen eines vermeintlich kontrollierten Aktes, gesteuert von der traumatisierten Person. „Wenn der Freier weg ist hast du immer das Gefühl, etwas Schlimmes überlebt zu haben. Es gibt dir diesen Kick, den man bei einem Unfall erlebt. Viele haben das Bedürfnis, sich danach mit dem Bargeld zu belohnen. Ich kenne keine Frau, die aus dem Zimmer kommt und sagt „Das war jetzt schön.“ Es war immer bestenfalls „ok“- und zwar dann, wenn der Mann möglichst schleunigst wieder gegangen ist.“ Hört man Susan zu, wird sehr schnell deutlich, wie problematisch die von Kraus beobachtete Reinszenierung tatsächlich ist.
Das Milieu ist ein Zufluchtsort für all jene, die von Kind an mit Traumata leben müssen. „Es gibt einem das Gefühl, in Ordnung zu sein“, obwohl etwas im Innersten gebrochen ist. Weil Alle um einen herum auf ihre ganz persönliche Weise gebrochen sind. „Das Leben fickt härter als jeder Freier“, zitiert Susan trocken- und spielt damit auf eine Line der Frankfurter Rapperin und Ex-Prostituierten „Schwesta Ewa“ an. Die habe trotz ihrer Vulgarität einen wahren Kern.
Das Milieu fange auf, reiche einem in der Personifikation des Zuhälters oder der Zuhälterin seine klebrige Hand, um steuerliche Registrierungen vorzunehmen, einzuweisen oder Ratschläge zu geben- etwa, wie unliebsame Praktiken am besten zu überstehen seien. Und dann kommt die Gewohnheit, die man sich einredet, obwohl es keine ist. Weil man sich in einen Zustand versetzt, an den sich niemand jemals gewöhnen kann.
Susan lehnt sich zurück, streicht ihren Rock glatt. „Das Beunruhigende ist ja, dass du die Männer nicht kennst. Ich hatte immer ein komisches Gefühl in der Magengrube. Du bekommst einen Namen, meinetwegen „Udo“, und der wartet dann hinter der Tür. Du machst die Tür auf und siehst sofort, dass du „Udo“ absolut unattraktiv findest. Trotzdem musst du ihm die folgenden Minuten vorspielen, er sei der tollste Mann der Welt.“ Ihn abzulehnen, gäbe Stress. „Wenn eine Frau dreimal nicht will, spricht sich das rum. Manchmal muss man den Laden dann mit Zwangszahlung entschädigen.“
Zwischen drei und sechs Mal in der Woche hatte sie gearbeitet. Meistens tagsüber. Das habe dem Geschäft aber keinen Abbruch getan: „Der Tag hat Platz für Ausreden. Wirklich Alle gehen in den Puff. Vom Polizisten, zum Gerichtsmediziner, dem Studenten bis hin zum Arbeitslosen. Am Nervigsten sind die Jungen- die sind so porno-verseucht.“ Obwohl sie es sarkastisch sagt, bietet das Thema keinen Raum, um darüber zu lachen.
In ihren fünf Jahren war Susan neben der Selbstständigkeit in verschiedenen Etablissements tätig. Dort konnten die Frauen gegenseitig aufeinander aufpassen, wenn es die Umstände erlaubten. Alleine war man dennoch. Alleine mit den Freiern- ob brutal, erträglich, schmierig oder pervers- und letztlich alleine mit sich selbst und seinen Erinnerungen. Finstere Geister, die viele der Kolleginnen mit verschiedensten Pharmaka in Form von Alkohol, Kokain oder Crystal Meth zu bändigen versuchten.
Susan nahm keine Drogen. Stattdessen eignete sie sich eine andere Strategie an, um taub zu werden. „Wenn ich mit dem Freier auf Zimmer war hab ich immer versucht, möglichst wenig zu fühlen. Der Job tötet dich. Weil du dich dauernd verbiegen, dich innerlich tot machen musst.“
Eine ihrer engeren Kolleginnen habe zwischen zehn und fünfzehn Kunden am Tag gehabt. Das habe sie ertragen, so glaubt Susan, weil sie längst tot war.
Um ihrem eigenen inneren Tod ins Auge zu blicken, brauchte sie einen Spiegel. Den lieferten die Texte der Aktivistin und ehemaligen Prostituierten Huschke Mau, die sich kritisch mit der Liberalisierung des Prostitutionsmarkts, Gewalt wider Frauen im Gewerbe und Freiern als Tätern auseinandersetzten. Themen, die Susan zunächst ärgerten: „Zuerst hab ich die Texte als Affront, als Provokation gegen mich empfunden. Damals habe ich mir noch eingeredet, das sei ein toller Job.“ Heute erkennt sie die Mechanismen, die im Milieu dafür sorgten, dass ihre Illusion so lange aufrechterhalten blieb. Einer davon ist die Abgrenzung. So schaue der Escort auf das Bordell und das Bordell auf den Straßenstrich herab. Diese streng abgestufte Hierarchie, die Vergewisserung, nicht an unterster Stelle zu stehen, mache den Alltag erträglicher. Hinzu kämen die säuselnden Worte der Zuhälter, die freundlich ermahnten, dass man sich nicht anstellen solle, wenn es einem schlecht geht, weil ja eigentlich alles ganz normal sei.
Der Zuhälter von heute nennt sich übrigens „Buchhalter“. Kaffee schlürfend, die Glieder in einem schicken Anzug steckend inszeniert er sich in der Öffentlichkeit als nobler Gönner. Als Familienvater. Als Saubermann. Dass er Leichen im Keller hat, solche, die tot sind im Inneren, hindert ihn nicht daran, in der Mitte der Gesellschaft anzukommen und das Klischee des auf dem Kiez auf und ab fahrenden Luden hinter sich zu lassen.
Das gesamte Milieu hat sich einem Wandel unterzogen. Rund 400.000 Prostituierte arbeiten laut öffentlicher Zahlen heute in Deutschland. Auch hier scheint die Dunkelziffer jedoch weitaus höher zu liegen. Eine Konkurrenzsituation, die Ausbeutern geradezu in die Hände spielt. Susans Diagnose ist bitter: „Die Rolex- und Benz-Zeiten sind längst vorbei. Vor der Liberalisierung hat man in der Branche sehr gut verdient. Die Männer haben nicht viel verlangt. Seit der Öffnung zum Osten hin werden die Freier perverser, haben immer extremere Forderungen. Durch Schleusung ist der Markt überschwemmt, die Preise sind im Keller.“ „Schleusung“, das meint die Masse an Frauen, die aus Ost- und Südost- nach Mitteleuropa verschleppt und prostituiert werden. Von hunderttausend Opfern geht man aus. Deutschland biete dafür den optimalen Humus, so Manfred Paulus. Er ist ehemaliger Polizeihauptkommissar und widmet sich der Untersuchung von Ursachen von Frauen- und Kinderhandel. Überhaupt die Möglichkeit der Verschleppung nach Deutschland zu bieten deute auf ein komplettes Versagen des deutschen Staates hin, was einerseits auf eine unzureichende Gesetzeslage zurückzuführen und andererseits einer fehlerhaften Philosophie und Sprache verschuldet sei.
Deutschland hat sich 2002 für das Legalisierungsprinzip im Umgang mit Prostitution entschieden. Das erkennt Sexarbeit als Form der Erwerbsarbeit an und regelt sie dementsprechend- etwa durch Kontrollen von Anmeldebescheinigungen und Hygienevorschriften. Und ganz nebenbei verdient der Staat Milliarden im Jahr an deren Leid- für Manfred Paulus Ausdruck einer opferfeindlichen deutschen Politik. Für die Beamten sei es zum Beispiel nahezu unmöglich, während einer kurzen Kontrolle festzustellen, ob Zwangsarbeit vorliegt. „Außerdem fehlt da auch das Vertrauen. Wenn dir ein Kunde erzählt, dass er Polizist ist, vertraust du dich dem ja nicht an. Dann hat der am Ende noch deinen Klarnamen und weiß wo du wohnst.“, gibt Susan zu bedenken.
Mit der lückenhaften Gesetzeslage gehe auch ein sprachliches Problem einher. So wird die Arbeit der Prostituierten im Gesetz als „freiwillig“ bezeichnet. Gespräche mit tausend Aussteigerinnen und Erkenntnisse der Kriminalpolizei ergaben jedoch, dass freiwillige Prostitution ein Mythos sei. Anzuschaffen hänge häufig mit Notsituationen oder dem Motiv von- besonders durch den Eingriff krimineller Banden- erzeugter Abhängigkeit und Schuldgefühle zusammen. Von Freiwilligkeit zu sprechen wäre eine Normalisierung sexueller Dienstleistungen. Das sei fatal und wird aus dem Ausland mit dem verächtlichen Beinamen „Deutschland- Puff Europas“ gestraft. Ist es Naivität? Sind es ökonomische Faktoren? Oder ist das organisierte Verbrechen bis in die Führungsspitzen vorgedrungen?
So oder so für Susan Müller Grund genug, um das Gewerbe hinter sich zu lassen.
„Es ist nicht so, dass eine Frau, die angeschafft hat, von einem Tag auf den anderen einfach am Fließband arbeiten kann. Prostitution ist enorm mit Scham besetzt. Man fühlt sich minderwertig, verliert sein gesamtes Selbstbewusstsein. Und dann sind die meisten Frauen traumatisiert. Man muss erst mal wieder im bürgerlichen Leben ankommen. Das macht ja was mit einem.“ Aus diesem Grund seien gute Ausstiegsprogramme wichtig.
Ihr eigener Ausstieg war ein echter Prozess. Die Texte von Huschke Mau hatten sich in Susans Kopf gebohrt, öffneten ihr nach und nach die Augen und machten die Arbeit unerträglich. Sie suchte sich einen kleinen Nebenjob als zweites Standbein und erklärte den Betreibern von ihrem Plan, aufzuhören. „Die ganze Hilfe, die dir anfangs zukommt, fällt sofort weg wenn du dich entschließt, das Milieu verlassen. Verrat ist die schlimmste Verfehlung- sie schadet dem Geschäft.“
Stattdessen fand Susan ein neues Milieu. Das der Ehemaligen. Mit dem von Huschke Mau gegründeten Netzwerk „Ella“, einer unabhängigen Interessensvertretung für Frauen aus der Prostitution, setzt sie sich heute für einen abolitionistischen Kurs gegen Prostitution ein und macht sich damit stark für deren langfristige Abschaffung. Auf ihrer Website schreiben die Mitglieder von „Ella“: „Wir nehmen Prostitution als sexuelle Gewalt wahr und setzen uns dafür ein, dass dies anerkannt wird. Prostitution ist keine Dienstleistung und kein Beruf, sondern Ursache und Auswirkung eines ungerechten Geschlechterverhältnisses.“ Genau das sehen die Frauen in dem bereits in Schweden geltenden „Nordischen Modell“ verwirklicht. Dieses geht davon aus, dass der Freier als Exekutive von sexueller Gewalt bestraft werden muss. Zugleich soll die Frau entkriminalisiert und mithilfe von Ausstiegsprogrammen und Traumatherapie an die Hand genommen werden. Dieser Umgang würde, ähnlich wie in Schweden, eine Bewusstseinsveränderung bewirken. Nur so würde den Frauen geholfen. Die wahre Hilfe, die ihr den Austritt aus der Prostitution und den Eintritt in ein langsam verheilendes Leben erleichterte, will Susan Müller nun weitergeben. Wenn sie mit der tiefschwarzen Sonnenbrille, der orangefarbenen Perücke vor den Bürgern dieser Kleinstadt spricht-ruhig, aber vehement- dann hören ihr alle gebannt zu. Es ist eine Stimme, die lange unterdrückt wurde. Und eine Frau, die von ihrer Nahtoderfahrung berichtet. Denn sie hat sich innerlich Sterben gesehen- und wollte leben.
Screenshot der Facebookseite der Saarbrücker Zeitung, 19.06.2018
Eine Antwort von Huschke Mau
Sorry, dass ich erst jetzt schreibe, Kai, obwohl der Shitstorm gegen Dich ja schon gestern Abend stattgefunden hat. Aber ich konnte mich echt nicht entscheiden, welche Überschrift ich wählen soll: „Hi Kai“ (ahahaha) oder „Kolumnist Kai Klankert kriegt Kloppe“ (jaaaaa, schlechte Alliterationen kann ich auch!!!).
Naja, egal, zum Thema. Du bist stellvertretender Leiter des Ressorts Sport bei der Saarbrückener Zeitung und hast in Deiner Kolumne der deutschen Nationalmannschaft empfohlen, es doch mal wie die Mexikaner zu machen: „Eine kleine Sex-Party wäre hilfreich“. Du begründest das wie folgt: „Joachim Löw könnte gerne auch noch kreativer werden. Eine kleine Sex-Party mit 30 Escort-Damen hat auch der mexikanischen Mannschaft nicht geschadet, wie wir eindrucksvoll feststellen mussten. Die Mexikaner waren befreit von jedem Druck, spritzig. Da müssen wir hinkommen. Und zwar schnell. Einen Fehlschuss gegen Schweden können wir uns nicht mehr erlauben.“
Dazu kann ich als ehemals prostituierte Frau Dir Folgendes sagen:
Erstens, mach Dir keine Sorgen, Kai. Das sind Fussballer. Die gehen sowieso in den Puff, denn sie gehören zu einer der größten Freiergruppe, die es gibt. Aber sie gehen erst nach dem Spiel – Du als Sportheini müsstest das wissen.
Zweitens, Du kommst doch aus Saarbrücken. Ihr seid doch DER Hotspot für Prostitution an der Grenze. Du lebst also mittendrin und weisst trotzdem noch nicht, das Prostitution Gewalt und frauenverachtend ist? Ach so, ich vergaß – eure Fussballvereine iim Saarland sind ja eh bissl durch – wie der SV Oberwürzbach, der sich vom Management einer Pornodarstellerin sponsorn lässt. Dieses Management hat mit dieser Frau unter anderem Filme gedreht die so nette Titel tragen wie „Inzest – Papa Dein Schwanz ist zu groß!“ Ich will jetzt nicht gemein sein, Kai, aber ich glaube, ihr in Saarbrücken habt zu oft einen Ball an den Kopf gekriegt.
Außerdem, das mit dem Fehlschuss gegen Schweden, den “wir” uns nicht mehr leisten können – in Schweden ist Prostitution als Gewalt gegen Frauen anerkannt, Freier werden bestraft dafür, dass sie gegen Geld eine Frau missbrauchen. Dort fliegen Typen, die in den Puff gehen, aus den Fussballmannschaften raus – zu Recht. Mit denen will dort nämlich keiner spielen.
Fair play geht echt anders. Fair play sollte nicht nur unter Männern stattfinden, fair play gilt auch gegenüber Frauen. Aber wenn man sich Deine Facebookseite so anschaut, wundert man sich nicht mehr: Du likest vor allem Frauenfussballseiten und –spielerinnen und bist in einer Gruppe, die „Trainer unter sich“ heisst. Das hat schon bissl was von Creep, weisst Du das?
Egal. Ich will nicht nur gemein sein und auf Dir rumhacken. Deswegen, zwei Dinge.
Erstens ein Lob dafür, dass Du Dir so Gedanken darum machst, wie man der schlandschen Mannschaft zum Sieg verhelfen könnte. Da alle Mittel Recht sind, würde ich vorschlagen, Du machst den Anfang und hältst, bis die 30 Escortdamen bei der deutschen Mannschaft angekommen sind, selber den Arsch hin. Dein Arsch ist nicht schlechter als unsere Ärsche, also nur Mut, Kai! Wir müssen schliesslich alle Opfer bringen, nicht nur die prostituierten Frauen, die Du hier als Mittel zum Zweck der Leistungssteigerung zur Benutzung freigegeben sehen willst – geh mit gutem Beispiel voran!
Und zweitens, soviel Einsatz muss belohnt werden: Deswegen nominiere ich Dich hiermit zum „GENTLEMAN DER WOCHE“.
Aber, das muss dazugesagt werden, dieser Titel gehört verteidigt. Ein weiterer Anwärter auf ihn ist die Redaktion der Saarbrücker Zeitung. Ich schätze, ihr müsst euch den Titel teilen.
Denn nachdem sich gestern Abend sehr viele Frauen auf eurer Facebookseite darüber beschwert haben, wie frauenverachtend sie euren Scheissvorschlag finden, und nachdem auch prostituierte Frauen wie z.B. von der Aktivistinnengruppe für Frauen aus der Prostitution “Netzwerk Ella” klargemacht haben, dass sie sich verletzt fühlen davon, dass der bezahlte Missbrauch, den sie durchlebt haben, hier zum Witz verkommt, hatte die Redaktion nichts anderes zu tun, als ihre gesamte LeserInnenschaft für ein bisschen begriffsstutzig zu erklären:
Ach soooo! Ein Wihitz! Ja, es war nachher immer ein Witz, nicht so gemeint, falsch verstanden oder Satire, ne? Dazu möchte ich folgendes sagen: „Was darf Satire? Alles.“ Das stammt von Tucholsky. (Den kennt ihr nich, ich weiß.) Und jetzt freut ihr euch deppich, ne? Zumindest bis ich euch sage, dass euer Scheisstext gar keine Satire war. Er erfüllt nämlich die Kriterien für diese Textart gar nicht. Das ist nicht nur ganz schlechter Stil, zu behaupten, die LeserInnenschaft sei einfach nur zu blöde, eine Satire zu kapieren, sondern es zeigt auch, dass ihr euer journalistisches Handwerk nicht versteht – aber wer solche Altherrenwitzschmierlappen für Kolumnisten hält, der weiß halt auch nicht, was eine Satire ist, ne?
Deswegen nochmal für euch: Satire tritt nie nach unten, sie tritt immer nach oben. Das, was ihr hier gemacht habt, war, euch in süffisanter Sprache über die sexuelle Benutzung von Frauen lustig zu machen, nicht aber über die Typen, die diesen Missbrauch ausüben. Das war keine Satire. Das war ein Schenkelkopfer unter Männern, unter Tätern, das war ein rape joke. Und die sind nicht witzig.
Naja, nun müsst ihr euch diesen „Gentleman der Woche“-Award leider teilen.
Aber seht es sportlich, auch ein halber Titel ist ein Titel.
Und während Kai hoffentlich unter vollem Einsatz jetzt seinen eigenen Arsch hinhält, damit die deutsche Mannschaft ihre Laune und Leistung steigern kann, spendet ihr, liebe Saarbrücker Zeitung, das Gehalt, das Kai für diese Schrottkolumne bekommen hätte, vielleicht besser an die, über die ihr euch so herrlich „spritzig“ (ahahaha! AHAHAHAHA) lustig gemacht habt, nämlich an traumatisierte prostituierte Frauen. Hier geht’s zu den Spendendaten für das Netzwerk Ella.
Bundesarchiv, Idealbild der deutschen Mutter aus: SS-Leitheft, Februar 1943, CC-BY-SA 3.0
Ein Gastbeitrag von Antje Holtzmann
Wir alle haben ein Bild vor Augen, wenn wir an Neonazis denken: Springerstiefel, Glatze, Thor Steinar oder Consdaple Kleidung, grölend mit einer Flasche Bier in der Hand. Wenn wir an Neonazis denken, denken wir in der Regel an einen weißen cis-Mann. Aber was ist mit den Frauen der Bewegung? Wie dürfen wir uns die Rolle der Frau der rechten Szene vorstellen und was sind Beweggründe, sich als Frau einer absolut misogynen Bewegung anzuschließen? Oder wie kommt es, dass Menschen dem Nationalismus verfallen, die gar nicht dumm genug sind, den haltlosen Argumenten dieser Ideologie glauben zu schenken?
Nach drei Jahren in der rechten Szene kann ich von meinen persönlichen Erfahrungen erzählen und glaube auch, eine neue Perspektive auf das Thema eröffnen zu können.Um Zusammenhänge besser aufzeigen zu können, muss ich erst einmal ein bisschen autobiographisch werden. Ich komme aus einer bayrischen Großstadt, wuchs ohne Vater bei einer psychisch kranken Mutter auf und kam dann zu Pflegeeltern. Die Zeit bei meiner Mutter war ich mit ihren Traumata konfrontiert und wurde auch selbst von Bekannten der Familie sexuell missbraucht. Ab meiner Pubertät erlebte ich immer wieder sexuelle Gewalt und begann dann mit 14 mit der Prostitution. Frauenhass war für mich sowohl Realität, als auch Normalität. Auch meine Mutter negierte jegliche Weiblichkeit. Sie schnitt mir seit meinem zweiten Lebensjahr die Haare kurz und wandelte meinen Vornamen in die männliche Variante um. Sie selbst gab sich auch Mühe, möglichst maskulin auszusehen.
Hinweis: Der Artikel wurde zwischenzeitlich einmal offline genommen (aus Gründen), beim Wiederherstellungsprozess sind leider ein paar Kommentare verschütt gegangen, das bitten wir zu entschuldigen, gfs. dann einfach nochmal kommentieren.
Oder: Die Zwangsprostituierte und die “freiwillige” Prostituierte
Oder: What the fuck
Zwei Dinge kamen in Diskussionen um Prostitution neuerdings immer wieder auf.
Es gehe nicht um die “weiße, freiwillige deutsche Prostituierte, die sich nebenbei ein Taschengeld verdient”, sondern um Zwangsprostituierte und Frauen, die sich aus Notlagen heraus prostituieren.
Die Forderung, bis wir das Nordische Modell durchgesetzt hätten, müssten wir auf die straffe Umsetzung des ProstSchG pochen, denn dies sei wenigstens etwas und besser als nichts.
Dazu habe ich als ehemals prostituierte Frau Folgendes zu sagen:
Auch nicht der “Freiwilligen” oder der, die sagt, sie habe ein Recht dazu, sie wolle das so, auch nicht der weißen deutschen Studentin, die sich damit ihr Studium finanziert. Weil es keinen Unterschied macht.
„Ja, aber die weiße deutsche “freiwillige” Prostituierte …“
Ja, was aber?
Selbstverständlich respektiere ich die Frau, die das sagt und ihre “Entscheidung”. Aber ich spiele das damit verbundene Leid nicht herunter – auch wenn sie es gegenwärtig noch anders sieht. Ich weiß um die Umstände, die so eine „Entscheidung“ bedingen, es könnte sich – by the way – um Zwang handeln – ich sag’s ja nur.
Fangen wir ernsthaft diese Diskussion (wieder) an? Auszuklamüsieren, was nun Zwang ist und was nicht?
Wann habe ich angefangen zu pennen, um nicht mitzukriegen, dass wir uns ob der Basics immer noch nicht klar respektive einig sind?
So zu tun, als leite sich aus Parametern wie weiß, Sprachkenntnisse, deutsche Staatsangehörigkeit die Legitimation einer Zweispaltung ab, nämlich in arme ausgebeutete Zwangs-Prostituierte vs. „gut situierte“ (oder wie auch immer andere) Prostituierte, ist naiv, zynisch und entbehrt jeder feministischen und wissenschaftlichen Grundlage. Sie lässt Faktoren außen vor, die maßgeblich mitbedingen, ob wir prostituiert werden.
Wissen wir eigentlich auch schon längst – dachte ich.
Prostitution ist etwas, was keiner Frau zugemutet werden darf.
Sie muss weg.
Es gibt objektive Kriterien, die definieren, was sexuelle Ausbeutung ist. Prostitution ist sexuelle Ausbeutung. Durch eine Umdefinition, die im Grunde das Ende des Herunterbrechens auf die subjektive Ebene ist, nämlich: ich fühle mich nicht ausgebeutet (ich finde es empowernd, ich mache das gerne, etc.), wird die Ausbeutung nicht weniger Ausbeutung. Durch die Spaltung von außen in die, die zwangsprostituiert wird und die, die es „freiwillig tut“, wird die Ausbeutung auch nicht weniger Ausbeutung. So oder so: die Folgen für die Frau und nicht zuletzt für die Gesellschaft bleiben gravierend, ja katastrophal.
Prostitution schadet. Prostitution tötet. Prostitution macht den Körper und die Seele kaputt. Oft ein Leben lang. Weiterlesen
Oralsex ist heute eine jener Sexpraktiken, die zum Standard gehören. Sexpraktiken finden ihren Einzug in das private Sexleben fast immer über die Sexindustrie: Das im Porno gesehene will nachpraktiziert werden, schlägt sich zunächst in der Prostitution in den Freierwünschen und –forderungen nieder, bis eine gesellschaftliche Normalisierung – bis hin zur Normierung – stattgefunden hat. Der Pornofilm, der die Verbreitung des Oralsex eingeleitet hat, war der Film „Deep Throat“. Mit einem Budget von nur 25.000 Euro abgedreht, brachte er den Produzenten bis heute mehrere Milliarden Dollar ein, und hinterließ die Hauptprotagonistin mit einem Schuldenberg.
Ein (liberal-)feministischer Blog bezeichnete die Hauptdarstellerin des Filmes, Linda Lovelace, vor einigen Jahren als „wichtige Akteurin des Blowjobs“ was zu einigem Widerspruch führte, da Linda Boreman, wie sie wirklich hieß, ein Vergewaltigungsopfer und eine zwangsprostituierte Frau war, und sich in den USA den (radikal-)feministischen Kämpfen gegen die Pornographie und die Industrie angeschlossen hatte. Die Kritik wurde erwidert mit der lapidaren Aussage: „„Sie [Linda] ist im Diskurs um das ganze Thema eine wichtige Akteurin. Auch als Betroffene verliert man den Status und die Kompetenz der Handelnden nicht.“
Anlässlich dieser Diskussion hatte ich mir damals vorgenommen, die beiden biographischen Bücher von Linda Boreman, die auch in deutscher Sprache unter den Titeln „Ich packe aus!“ und „Ich bin frei“ erschienen sind, irgendwann einmal zu lesen. Die (lange aufgeschobene) Lektüre hat mir noch einmal eines deutlich gemacht: Die Worte „Vergewaltigung“ und „Zwangsprostitution“ kommen ohne Hintergründe gefüllt fast schon harmlos da her. Sie sind in keinster Weise in der Lage, das unermessliche Leid, was Frauen in unserer Gesellschaft zugefügt wird, in Worte zu fassen und abzubilden. Dass Linda Boreman ihr Martyrium überlebt hat, grenzt für mich an ein Wunder. Der Umgang der Gesellschaft mit ihr ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit.