Buch: Beauty and Misogyny. Harmful Cultural Practices in the West (Sheila Jeffreys)

Buchcover "Beauty Misogyny"

Sheila Jeffreys ist Professorin an der Universität von Melbourne, an der sie Sexualpolitik und internationale feministische Politik lehrt. Seit 1973 setzt sie sich für lesbische Politik ein und ist Aktivistin gegen Pornographie und Gewalt gegen Frauen. Sie ist Mitglied der Coalition Against Trafficking in Women und hat insgesamt neun Bücher über Sexualitätsgeschichte und –politik veröffentlicht. Auf Deutsch erschienen ist ihr Buch „Die industrialisierte Vagina. Die politische Ökonomie des globalen Sexhandels“. Dieses Review bezieht sich auf die zweite Edition des bei Routledge in englischer Sprache erschienenen Buches „Beauty and Misogyny. Harmful Cultural Practices in the West“.

In ihrem Vorwort verleiht Jeffreys ihrer Verwunderung Ausdruck, dass die Ablehnung der Schönheitsindustrie zwar Konsens in der so genannten zweiten Welle des Feminismus war – in erster Linie beruhend auf den Analysen dergleichen von Catharina MacKinnon und Andrea Dworkin – dass diese Linie jedoch nicht bis heute fortgeführt wurde. Von den postmodernen Feministinnen nachvollziehbarer Weise nicht –  jedoch auch nicht von den Aktivistinnen des „radikalfeministischen Revivals“ (S. 1).

The „grip of culture on the body“. Beauty practices as women`s agency or women`s subordination

In ihrem ersten Kapitel erläutert Jeffreys Grundlagen radikalfeministischer Kritik, die insbesondere auf der Durchbrechung der Öffentlichkeit/Privat-Dichotomie beruht: Die Unterdrückung der Frau ist allgemein deshalb so erfolgreich, weil sie durch die Betonung der Privatsphäre geschützt wird. „Das Private ist Politisch“ war und ist deshalb ein wichtiger Ansatz um dies zu durchbrechen.

Eine besondere Bedeutung für einen Backlash gegenüber den radikalfeministischen Analysen kam dem Buch „The New Feminism“ von Natasha Walter zu, welches jene Dichotomie im Feminismus wieder einführte und die Sexualisierung von Ikonen wie Madonna zu einem Ausdruck von weiblicher Unabhängigkeit und Sexualität erhob. Während viele nachfolgende Bücher in die gleiche Kerbe schlugen, veröffentlichte Walter zehn Jahre nach „The New Feminism“ ihr Buch „Living Dolls. The Return of Sexism“, wo sie alle ihre vorherigen Thesen über den Haufen warf und sagte:

„Ich bin bereit zuzugeben, dass ich komplett falsch gelegen habe“ (S. 11, 13)

Die Grundlage für die Unterdrückung durch Weiblichkeit sieht Jeffreys bezugnehmend auf die feministische Psychologin Dee Graham im „gesellschaftlichen Stockholm Syndrom“:

„Wenn eine Gruppe (der man nicht aus dem Weg gehen kann) eine andere Gruppe mit Gewalt bedroht, aber auch – als Gruppe – der viktimisierten Gruppe eine gewisse Freundlichkeit entgegenbringt, dann wird sich eine Bindung zwischen den Gruppen entwickeln“ (S. 22)

Nach Graham werden Maskulinität und Weiblichkeit zu Codewörtern für männliche Herrschaft und weibliche Unterordnung, und Frauen verhalten sich so, dass unsere Interaktionen mit Männern möglichst geschmeidig und konfliktlos ablaufen. Nicht mehr feminin zu sein macht uns Angst, weil wir von der Anerkennung von Männern im hohen Maße abhängen. Wenn Frauen nun glauben, dass Weiblichkeit eine biologische Grundlage hat und es sich bei der Partizipation an Schönheitspraktiken um unsere natürlichen und freien Entscheidungen handelt, dann müssen wir nicht anerkennen, dass unser Verhalten maßgeblich von „externen Variablen“ bestimmt wird. (S. 23)

Harmful cultural practices and Western culture

Im zweiten Kapitel gibt Jeffreys einen Überblick über die UN-Politiken und zeigt die Blindheit für westliche Schönheitspraktiken auf, welche ebenso die Kriterien für „schädliche kulturelle Praktiken“ erfüllen. Der Grund für diese Blindheit:

„Kultur wird als etwas Reaktionäres betrachtet, das nur im Nicht-Westen existiert“.

Dabei ist das Spektrum vom Tragen von Lippenstift, bis hin zur kosmetischen Chirurgie sehr breit. (S. 25)

Jeffreys plädiert dafür, sich all jene Praktiken anzusehen, die nur von einer Geschlechter-Klasse gesellschaftlich erwartet werden und ihre politische Rolle in der Bewahrung der männlichen Dominanz zu untersuchen. (S. 27)

Sie konstatiert einen „Western Bias“, eine westliche Voreingenommenheit, wenn beispielsweise FGM und Diätenwahn mit zweierlei Maß gemessen werden. Sie verweist auf die schweren Schäden, die durch Essstörungen hervorgerufen wurden. So waren beispielsweise 5 (2 Prozent) der TeilnehmerInnen einer Studie zu Essstörungen fünf Jahre nach der Befragung an den Folgen ihrer Krankheit gestorben. (S. 32)

Sie vergleicht darüber hinaus Make-Up und das Kopftuch in ihrer jeweiligen Funktion: Frauen den Zugang zum öffentlichen Raum zu eröffnen. (S. 33f, Übersetzung einiger Passagen hier)

Transfeminity. „Dressed“ men reveal the naked reality of male power

Im nächsten Kapitel beleuchtet Jeffreys die Rolle von Weiblichkeit für Trans-Weiblichkeit.

Während Weiblichkeit Frauen – ob sie es wollen oder nicht – aufgedrückt wird, ist Trans-Weiblichkeit etwas, das gewählt wird und erfüllt Jeffreys zufolge die Befriedigung masochistischer sexueller Interessen, da ein untergeordneter Status gewählt wird. (S. 41)

Bezug nehmend auf Janice G. Raymond beschreibt Jeffreys Transsexualität als ein Konstrukt medizinischer Wissenschaft, mit dem drei Ziele verfolgt werden: 1) Profite aus Operationen, 2) Experimente um die Herrschaft über die Konstruktion von Körperteilen zu erlangen, und 3) das politische Ziel Gender-Kategorien zu belegen. Der Transsexuelle tauscht Jeffreys zufolge ein Stereotyp gegen ein anderes ein und verstärkt damit die sexistische soziale Struktur der Gesellschaft. Transsexualität ist damit zutiefst reaktionär und steht im direkten Gegensatz zum feministischen Projekt: der Abschaffung von Geschlechterrollen. (S. 42)

Transsexualität als sexuelle Fantasie (für manche) wird u.a. vertreten von dem kanadischen Psychologen Ray Blanchard, der den Begriff der Autogynophilie geprägt hat: Sexuelle Erregung durch den Gedanken sich selbst als weiblich zu sehen. (S. 44) Diese Theorie wird von einigen MtF-Personen unterstützt, während andere es ablehnen. (S. 46)

Für eine Transition ist es notwendig, dass Betroffene eine nachvollziehbare Geschichte abliefern, nach der sie sich schon seit ihrem Kindesalter „als Frau“ gefühlt haben. Jeffreys vergleicht dies mit den Geschichten, die Sexologen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert Homosexuellen aufzwangen. Havelock Ellis zum Beispiel bezeichnete Homosexuelle als Frauen, die in einem mysteriösen Prozess in einem männlichen Körper gefangen wurden. (S. 45)

Andere Erklärungsansätze drehen sich um Männlichkeits-Konzepte und sehen Transgender als Ausweg, wenn jemand daran scheitert diesen gerecht zu werden (S. 47).

Jeffreys weist darauf hin, dass die gesamte Industrie auf Männer, die Weiblichkeit erlangen wollen, ausgerichtet ist, und nicht umgekehrt. Die Nachfrage nach FtM wuchs erst durch das Internet im Laufe der 1990er Jahre. (S. 47)

Die „Makeover-Industrie“ ist in hohem Maße geprägt von der Prostitutionsindustrie. Kleidung, die mit prostituierten Frauen assoziiert wird, gilt als besonders weiblich, darunter zählen High Heels in denen niemand laufen kann, mit denen jedoch Preise bis zu 2.000 Dollar aufgerufen werden. Einige ehemalige prostituierte Frauen, die aus der Prostitution aussteigen wollten, haben sich auf diesen Markt spezialisiert (S. 48). Die These von Transsexualität als Masochismus unterstreicht Jeffreys u.a. durch die Betrachtung von Trans-Pornographie: 17 von 11 Transgender-Magazinen haben eindeutig masochistische Themen, wie man anhand von Titeln wie „Enforced Feminization,“Enforced Sex Slave“ oder „Enslaved Transvestites“ erkennen kann. Das Aufzwingen von Make-Up und weiblicher Kleidung ist ein bestimmendes Thema im Trans-Porno. (S. 53)

Pornchic. Prostitution constructs beauty

Wie Jeffreys im vierten Kapitel ausführt, ging die Ausbreitung und Normalisierung der Sexindustrie in den USA in den 1980er und 1990er Jahren einher mit der Entscheidung der Clinton-Administration, Pornographie nicht strafrechtlich zu verfolgen (S. 62). In Folge kam es zu einem zunehmenden Crossover von Pornoindustrie und Popkultur, dadurch, das Porno-Stars im Mainstream-Fernsehen gefeatured wurden. (ebd.) Die Pornoindustrie ging an die Börse und zahlreiche Unternehmen entdeckten die Pornographie als Profit-Möglichkeit, seien es Hotelketten wie Marriott oder Hilton oder die Firma General Motors, die bereits im Jahr 2001 mehr Pornos verkaufte als der Pornograph Larry Flynt. (S. 63)

Der Pionier für die Vermischung von Mode- und Porno-Industrie war der Fotograf Helmut Newton, der in den 1960er Jahren sexuelle Themen in die Vogue und andere Magazine einführte (S. 64) Die Arbeiten von Terry Richardson waren stark beeinflusst von Newton, Richardson führte nun jedoch auch sexuelle Handlungen ein (S. 65), und zeichnet sich auch verantwortlich für das bekannte „Wrecking Ball“ Video von Miley Cyrus (S. 68). Jeffreys verweist auf zahlreiche Frauen, die Richardson sexueller Übergriffe bezichtigten. Dennoch posierte beispielsweise Barack Obama 2007 im Rahmen einer Präsidentschaftskandidatur mit ihm zusammen (S. 67f) [Konsequenzen für ihn hatte dies erst im Zuge der aktullen #MeToo-Debatte – Anm. der Verfasserin] Pole Dancing wurde zunächst in Modeschauen integriert, bevor es seinen Weg in die Fitnessindustrie machte (S. 66) Jeffreys betont den negativen Effekt der Normalisierung des Pornchics für alle Frauen (S. 68).

Jeffreys äußert ihr Unverständnis darüber, wie liberale Feministinnen Madonna, die einen wesentlichen Beitrag dazu leistete, den Pornchic zu normalisieren, als „transgressive Heldin“ feierten. Sie weist darauf hin, dass es eine ganze postmoderne Richtung an amerikanischen Universitäten gab, die sich Madonna unter den Stichworten „Empowerment“ und „Agency“ widmeten, und sieht hierin eine entscheidende Weichenstellung für die Diskreditierung des als altmodisch betrachteten „Anti-Sex“-Feminismus. (S. 69)

Jeffreys widmet sich auch der Praxis der Vaginalrasur, die ebenso der Pornokultur entspringt. Während in den 1970er Jahren Frauen noch „behaart“ waren, stand dies dem Wunsch nach möglichst detaillierter Darstellung weiblicher Genitalien im Wege, weshalb die Behaarung zunächst gestutzt und schließlich komplett entfernt wurde (S. 72) Der Trend zur privaten Intimrasur entspricht in hohem Maße dem Wunsch dem Partner zu gefallen, der Pornographie und Prostitution sexuell erregend findet (S. 73). Ein Resultat aus der Rasur ist auch die Zunahme von Intimchirurgie, da Frauen feststellen, dass ihre Schamlippen nicht so aussehen, wie die (photogeshopten) im Porno (S. 74f) Auch der Zusammenhang von Brustvergrößerungen und Intimchirurgie wird von plastischen Chirurgen deutlich bestätigt. (S. 75)

Fashion and Misogyny

Im nächsten Kapitel befasst sich Jeffreys mit der Modeindustrie. Die gesellschaftliche Erwartung an Frauen ihren Körper zu präsentieren, wurde schon von der Feministin Elizabeth Cady Stanton im 19. Jahrhundert analysiert, als Sicherung der Zuneigung des Mannes, die am einfachsten zu gewinnen sei, wenn man die von Prostituierten perfektionierten Methoden zum Ansprechen des männlichen Appetits, anwende (S. 82).

Jeffreys weist darauf hin, dass die meisten Mode-Designer homosexuell sind. Jeffreys stellt die These auf, dass ihre Designs geprägt sind vom Stigma der schwulen männlichen SM-Interessen. Helmut Newton machte SM in den 60er Jahren populär. Dies hatte Auswirkungen auf die Nachfrage in der Prostitution und entsprechende Angebote entstanden in den Bordellen. Jeffreys weist darauf hin, dass SM-Kostüme in der Modeindustrie präsentiert werden. Designer wie Gaultier, Mugler, Valentino oder Lagerfeld promoten das Korsett, welches eine Folter für Frauen darstellt. Versace führte 1992 in einer Kollektion Bondage in die Mode ein. (S. 85f).

Jeffreys ist verwundert darüber, dass die Tatsache, dass schwule Männer die Modeindustrie bestimmen, für die Wissenschaft (und den zeitgenössischen Feminismus) so uninteressant zu sein scheint (S. 87).  Ihre These lautet:

„Die „Weiblichkeit“ die schwule Männer verkaufen […] hat mit den Leben von Frauen sehr wenig zu tun. Es ist die schwule Design Version von Weiblichkeit, die männliche, schwule Designer auf Frauen projizieren. Sie projizieren damit den Hass […] über das „feminine“ in sich selbst und für das sie lächerlich und attackiert wurden als sie aufwuchsen, weil sie nicht männlich genug waren. Weiblichkeit repräsentiert die unterste Geschlechterposition, auf die sie für ihr Verlangen nach männlichen Männern verwiesen wurden, und ist nichts liebenswertes oder geschätztes.“ (S. 88)

Sie verweist auf die Befunde des Psychoanalysten Bergler, der bei schwulen Modedesignern eine extreme Form von Frauenhass festgestellt hat (S. 89)

Die Pornographisierung der Mode begann Jeffreys zufolge in den 1980er Jahren. Der Designer Alexander McQueen nahm den Serienmord des Jack the Ripper als Thema für seine Promotions-Show. In seiner zweiten Show wickelte er die Models in Folie ein und schminkte sie als seien sie geschlagen und misshandelt worden. Seine fünfte Show nannte er „Highland Rape“. Eines seiner Models, Isabella Blow, beging 2007 Selbstmord. (S. 90) Tom Ford, ebenfalls schwul, ist fokussiert auf besonders hohe High Heels, und zwingt auch seine Mitarbeiterinnen auf Stiletto-Absätzen zu laufen. Er vergleicht Frauen auf diesen Schuhen mit Pavianen, die auf ihren Fußspitzen laufen, wenn sie sexuell erregt sind (S. 94)

Making Up is hard to do

Das Schminken ist das Thema des sechsten Kapitels. Die Alltagspraxen der Weiblichkeit passen zu dem von der Psychologin Katherine Philipps eingebrachten Phänomen der „body dysmorphic disorder“ (BDD), deren Kennzeichen unter anderem regelmäßiges in den Spiegel schauen, exzessives Vorbereiten und die Suche nach Bestätigung sind (S. 102). Jeffreys schreibt:

„Egal ob Frauen 30 Minuten oder eine Stunde am Tag mit Schönheitspraktiken beschäftigt sind, diese Prakiken sind nicht „natürlich“, sondern kulturell vorgeschrieben, und es ist wichtig zu verstehen wo diese Schönheitspraktiken herkommen. Die Geschichte des Make Up und die Tatsache, dass es Zeiten und Orte gab an denen Frauen nicht notwendigerweise besessen von Make Up waren […] machen klar, dass sie nicht auf einer natürlichen „Weiblichkeit“ beruhen.“ (S. 103)

Jeffreys weist darauf hin, dass es im 19. Jahrhundert keinen Massenmarkt für Schönheitsprodukte gab. Make Up wurde Farbe genannt und mit Prostitution und dem Theater assoziiert (S. 103f) Lippenstift hat seine Wurzeln im historischen Mittleren Osten und markierte Trägerinnen, die bereit waren Oralsex zu vollziehen, seine Funktion bestand darin den Mund als Vulva darzustellen (S.104)

Die Ursprünge der heutigen Schönheitsindustrie liegen in den 1920er Jahren, als Frauen zunehmend Zugang zum öffentlichen Raum fanden. Bereits 1930 waren Schönheitswettbewerbe normalisiert und bereits in Schulen durchgeführt (S. 106)

Jeffreys weist darauf hin, dass in der Psychiatrie die Anwendung von Schönheitspraktiken als Indikator für die mentale Gesundheit von Frauen verwendet wird. Das Tragen von Make-Up, das Hair-Styling und die Nagelpflege werden sozusagen als „Diagnosewerkzeug“ betrachtet (S. 113)

Wenn Jeffreys darauf hinweist, dass Frauen sich durch ihr morgendliches Schönheitsritual noch vor ihrem Morgenkaffee etwa 200 verschiedenen Chemikalien aussetzen, oder dass es 200.000 Notaufnahme-Fälle jährlich in den USA gibt aufgrund von allergischen Reaktionen auf Kosmetik, dann löst das schon einen Schockmoment aus – ganz zu schweigen von den 10-15 Millionen gefolterten Tieren, als Kollataralschaden der Schönheitsindustrie (S. 115)

Men`s foot and shoe fetishism, and the disabling of women

Jeffreys bezeichnet im nächsten Kapitel High Heels als Folterinstrument gegen Frauen, welches vergleichbar ist, mit dem en pointe im Ballett und dem chinesischen Füßebinden. All diese Praktiken haben wiederum ihre Wurzeln in der Prostitution, und zwar der des 11. Jahrhunderts:

„Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, wie schädliche Praktiken aus der Prostitution zum „Schönheits“-Vorbild für Frauen außerhalb der Industrie wurden“ (S. 123)

Die ersten High Heels in den USA wurden in einem Bordell in New Orleans in den 1850er Jahren aus Frankreich kommen eingeführt und von der dortigen Madam als verpflichtende Tätigkeitsbekleidung vorgeschrieben. Von dort breiteten sie sich in andere Bordelle aus, irgendwann fingen Männer an die Schuhe aus Frankreich für ihre Ehefrauen zu bestellen (S. 124)

Jeffreys weist darauf hin, dass Fussfetischismus zu einem der weit verbreitetsten Fetischen gehört, und sexueller Fetischismus generell ein männliches Phänomen sei. (S.128) High Heels können durch ihre Auswirkungen – kurze, kleine, unsichere Schritte – dem weiblichen Bondage zugerechnet werden. Jeffreys verweist u.a. auf eine Studie der American Academy of Orthopaedic Surgeons, nach der 8 von 10 Frauen angaben, Probleme mit schmerzenden Füßen zu haben, insbesondere aufgrund von High Heels. (S. 133f) Die Organisation warnt vor kosmetischen Fußoperationen, die das Tragen solcher Schuhe erleichtern sollen, da diese in die sehr komplexe Fussstruktur eingreifen – offensichtlich ein tatsächlicher Trend in den USA [und hierzulande?] (S. 135)

Jeffreys weist darauf hin, dass im Zuge der feministischen Bewegung High Heels ab den 1970ern aus der Mode gekommen sind, sie aufgrund der Modedesigner und Photographen wie Newton, Ford und Manolo Blahnik jedoch ein Revival erlebten (S. 136). Der Designer Christian Laboutin wurde für seine High Heel Kollektionen inspiriert, als er im Alter von 16 Jahren einen Pariser Strip Club besuchte (S. 137)

Selbstverletzende Praktiken, zu denen die genannten gehören, referenziert Jeffreys auf Mary Dalys Konzept der „Sadosociety“  (S. 138).

Cutting Up Women

Im letzten Kapitel beschäftigt Jeffreys sich mit dem ganzen Komplex um plastische Chirurgie und Selbstverstümmelung. Jeffreys unterscheidet zwischen sozial erwünschter (Brustvergrößerung, Vaginal“verjüngung“, Diäten …) und soziale unerwünschter Selbstverstümmelung (Ritzen, Verbrennen …) (S. 139) Sie stellt heraus, dass das Ritzen eine weibliche, mit traumatischen Erfahrungen verbundene, Praxis ist, der Schätzungen zufolge alleine in den USA von 2 Millionen Mädchen und Frauen nachgegangen wird (S. 140)  Auch Piercing ist eine mehrheitlich weibliche Praxis, die ihren Ursprung in der homosexuellen SM-Szene hat (S. 142f).

Wenn sie die enormen in Studien nachgewiesenen massiven gesundheitlichen Implikationen von Brustimplantaten aufführt (S. 146), dann fragt man sich, wie so oft bei der Lektüre des Buches, warum von diesen in der Mainstream-Debatte nie die Rede ist.

Eine besondere Rolle bei all diesen Praktiken spielen Jeffreys zufolge Onlineforen:

„Die Diskussionen ähneln einer entstellten Form von Bewusstseinsbildungs-Techniken. Frauen sprechen über ihren Schmerz und ihr Leid, aber anstatt dass dies zu Kritik führt an dem Prozess der Ausbeutung in dem sie gefangen sind, unterstützen sie sich dabei sich operieren zu lassen […] Diese Foren sind ein Bewusstseinsminderungs-Medium“ (S. 147)

Die extremste Form der Selbstverstümmelung verortet Jeffreys bei der Amputation von Geschlechtsteilen oder Gliedmaßen, dem Phänomen des Transablismus (S. 156), die auf einer Body Dismorphic Disorder beruht, einer Dissoziation vom eigenen Körper (S. 157).

Ein Buch für jedes Radfem-Bücherregal

Ich halte „Beauty & Misogyny“ für eines der Bücher, die meinen eigenen Horizont am meisten erweitern konnten. Das Buch ist gespickt mit Fakten und nachvollziehbaren Analysen und ich halte es für extrem wünschenswert, dass das Buch auch in die deutsche Sprache übersetzt wird. Es erweitert unser Bewusstsein für die patriarchalen Verhältnisse, die jede Ritze unserer Lebensrealität als Frauen durchdringen. Als jemand, die sich schon seit vielen Jahren mit der Sexindustrie beschäftigt, konnte mir diese Perspektive viele neue Facetten aufzeigen, inwiefern die Prostitutionsindustrie das Leben von allen Frauen beeinflusst – und wie sehr wir alle ihre Werte verinnerlicht haben. Sheila Jeffreys selbst hat für sich die Konsequenz aus ihrem Wissen gezogen und sich von all den alltäglichen Schönheitspraktiken getrennt, die in so hohen Maße unser Leben bestimmen. Insofern seien Leserinnen wie immer „gewarnt“, dass radikalfeministische Erkenntnis in der Regel nicht konsequenzenlos für das eigene Leben bleibt. In der Tat sind Schönheitspraktiken jedoch so alltäglich, dass sich die Umsetzung des Erkannten sicherlich als besonders große Herausforderung darstellt. „Radical Feminism – Not the fun kind“ hat Andrea Dworkin es genannt. Deshalb: Nicht abschrecken lassen, denn alles muss sich ändern!

3 Kommentare

  1. Danke für diesen Literaturhinweis. Konnte ich direkt in meine Abschlussarbeit einarbeiten.

  2. Angelika

    endlich konnte ich heute in ruhe lesen – mein grosses Danke an Manu Schon
    (schnell nachguck, das ist dann die ausgabe von 2005)
    dies ist eines der wenigen bücher, das ich mir vor ein paar jahren (noch) kaufen konnte. seitdem liegt es neben mir auf meinem sog. nachttisch und ich lese es mindestens ein mal jährlich – weil sie es so grundsätzlich analysiert hat.
    solange das herrschende system und die herrschenden strukturen sich nicht prinzipiell/radikal für frauen verändern/verbessern, wird mE dieses buch auch sog. aktuell bleiben.

    geschockt hat mich u.a. auch
    „Jeffreys weist darauf hin, dass in der Psychiatrie die Anwendung von Schönheitspraktiken als Indikator für die mentale Gesundheit von Frauen verwendet wird. Das Tragen von Make-Up, das Hair-Styling und die Nagelpflege werden sozusagen als „Diagnosewerkzeug“ betrachtet (S. 113)“

    vgl. auch dazu die studie von 2016, dass frauen mit makeup und „haar/styling“ mehr geld im job bekommen/“verdienen“ als ungeschminkte frauen („Research in Social Stratification and Mobility“; diverse dt. und engl. publikationen dazu im web)
    und #pink tax plus sog. gender-pay-gap (in dld. mE eher eine bezahl-schlucht) ergibt …

    jaklar, eine deutsche übersetzung wäre gut, weil …
    mir ist bewusst, dass die frauen, die es dann kaufen würden/möchten, es nicht könnten, weil …
    solidarische grüsse

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