Das gesellschaftliche Lied vom Tod: Trauerkonventionen & Trauma

Statue Zentralfriedhof Wien

By HeinzLW (Own work) [CC BY-SA 3.0 at], via Wikimedia Commons

Wir wollen den feministischen Diskurs beleben und unterschiedliche Ansätze zur Diskussion stellen. Deshalb erscheinen bei uns regelmäßig Gastbeiträge, die nicht zwangsläufig die Haltung der oder aller Störenfriedas wiedergeben, aber wichtige Impulse für die feministische Debatte geben können.

Vor einiger Zeit starb meine Mutter. Wir hatten ein „schwieriges“ Verhältnis, der Kontakt war seit Jahren abgebrochen. Das hat u. a. mit meiner nicht so prickelnden Kindheit und Jugend zu tun (ein Teilaspekt dieses Lebens beschreibe ich auch in diesem Artikel).

Die Gesellschaft und die (Bio-)Familie und ihre Bekannte fordern von Menschen, hier: von einer Frau, deren Mutter stirbt, eine konventionelle Trauer[TM]; dass mir das nicht möglich ist und war, ist und bleibt für sie unverständlich und teilweise nicht tolerabel.

Dabei sind die Reaktion/en, die der Tod einer Person auslöst, die Mitverursacherin einer Traumafolgestörung ist, hochgradig komplex (eine dissoziative Identitätsstruktur macht das Ganze noch einmal auf einer anderen Ebene schwierig).

Widersprüchlich sind die Gefühle diesen Menschen gegenüber, die von uns rein objektiv gehasst werden dürften. Aber da ist das kleine Mädchen, dass die „beste Mama der Welt“ hat, da ist die Jugendliche, die ihr – würde sie der Mutter begegnen – an die Gurgel gehen würde (und das meine ich nicht im übertragenem Sinne), da ist die andere Jugendliche, die all dieses Leid auf sich genommen hat, weil sie glaubt, dass diese Behandlung aus ihr einen besseren Menschen macht; dass es notwendig war und ist, gedemütigt zu werden. Und am Ende der Dissoziationskette sind die, die die Schmerzen ausgehalten haben, die die anderen Innenanteile zuvor nicht mehr aushielten, und diese Schmerzen haben sie heute noch.

„Ich habe das verdient“

… ist einer der Leitsätze, der durch das Hirn geistert und eine der Grundüberzeugungen vieler misshandelter Kinder. Ein Kind liebt seine Eltern. Das ist so. Das Kind, die Jugendliche, die junge Erwachsene von damals und die Erwachsene heute denkt immer noch (manchmal), dass der Grund für diese „Maßnahmen“ in ihr selbst liegt oder mindestens zu suchen ist. Sie war „zu doof“, zu „hässlich“, zu „ungeschickt“, an sich schlecht, eine „Schlampe“, „dumm“, hassenswert eben. Wenn sich diese massiven Abwertungen mit liebevollen Einlagen und Sequenzen echter Wertschätzung abwechseln, ist die Verwirrung komplett.

Erwartet wird via gesellschaftlicher Konvention, dass eine Frau, deren Mutter gestorben ist, sich unverzüglich in einen Trauerzustand nach Anleitung begibt, damit ist aber wohl ein Abziehbild einer konventionellen Vorstellung (und Erwartung, die dieser innewohnt) gemeint: Traurigsein (?), Heulen (?), Verlustschmerz haben (?), und auch: zu einer Beerdigung gehen und nichts Schlechtes über den/die Verstorbene/n zu sagen. Tut diese Frau das nicht, dann ist sie herzlos, egozentrisch, halt die „schlechte“ Tochter, das von Geburt an „schlechte Kind“ von damals, das sich schon immer „nur um sich selbst gekümmert“ hat, „selbstverliebt“ und „geltungsbedürftig“ ist, der die Mutter „scheißegal“ war, sie „am langen Arm verhungern ließ“.

„Am Ende bleiben nur die schönen Momente“

Der Rest dieser Bio-Familie mutiert derweil zu Wesensformen in einem Zustand der Totalverblendung: Es ist wichtig, nur noch an das Schöne, Nette (dieser Person) zu denken. Oder anders gesagt: Wenn du an etwas Unschönes denkst (geschweige denn sagst), dann bist du „pietätlos“.

Ich habe gegenüber meiner Bio-Familie weder etwas Schlechtes noch etwas Gutes über die Verstorbene gesagt, obwohl ich mit Sicherheit das Recht dazu hätte (durchaus habe ich die Merkwürdigkeit kritisiert, in einen Zustand der Totalverblendung zu verfallen). Ich habe letztlich einfach gar nichts gesagt, weil alles andere entweder unangemessen glorifizierend oder aber mit viel Kämpfen und moralisch-ethischen Abstrafungen verbunden gewesen wäre (und einen Mittelweg hab ich nicht gefunden). Für all das habe ich keine Kraft und selbst wenn ich sie hätte, würde ich sie nicht aufbringen wollen.

Trauerkonventionen und -anordnungen sind (ein weiteres) Mittel, Opfer zum Schweigen zu bringen, innere Grundüberzeugungen („selbst schuld“ etc.) neu zu befeuern und zu bestätigen, dass das Opfer lügt. Zeitgleich kann sich die verblendete Horde erneut zusammenrotten und in den Chor der unversehrten Familie einstimmen.

Ich habe mich entschieden, dabei nicht mitzumachen.

Und allgemein betrachtet: Können wir vielleicht mal damit anfangen, Menschen selbst zu überlassen, wie sie den Prozess, den Verlust eines Wesens zu verarbeiten, gestalten (wollen/müssen/können)?

6 Kommentare

  1. Silvio Reindl

    Sehr geehrte Iana Weißbaum,

    vielen Dank für diese mutigen Worte. Ich teile Ihre Meinung voll und ganz, was den Umgang mit Trauer über Familienmitglieder betrifft, die an der Bildung einer narzistischen bzw. dissoziativen Persönlichkeitsbildung beteiligt waren. Auch ich kenne diese ambivalenten Gefühle gegenüber dem Elternhaus. Die gesellschaftliche Norm fordert das Aufsetzen einer Maske und somit das bewußte Verdrängen der negativen Gefühle, was zu einer weiteren Dissoziation der Gefühle führt und nicht förderlich ist um den „Panzer“, den ich um mich aufgebaut habe, zu „durchbrechen“ (zumindest bei den Menschen, die uns wichtig sind). Die Gefühle, die ich habe, benennen zu können und auch zu Ihnen stehen zu dürfen, ist mein wertvollstes Ziel.

    Dafür sind Freiräume, wie diese Webseite hier, sehr wichtig. In diesem Zusammenhang möchte ich „den Stoerenfridas“ (und einer sehr guten Freundin für die Erkenntnis, das es diese Freiräume gibt) einen großen Dank aussprechen.

    Mit freundlichen Grüßen
    Silvio Reindl

  2. Danke für Deine Gedanken. Kenne die Problematik in Bezug auf Pflege. Ich bin nicht in der Lage, meine Eltern zu pflegen, kaum, sie zu besuchen, schon einfache Telefonate sind kaum aushaltbar. Von allen Seiten wird von erwachsenen Kindern erwartet, ihren gebrechlichen Eltern doch endlich zu verzeihen und die Vergangenheit loszulassen. Die Vergangenheit lässt mich aber nicht los und prägt jede einzelne Sekunde meines Lebens. Habe trotz jahrelanger Therapie aufgrund ständiger Gewalterfahrung als Kind und Jugendliche eine chronische Angststörung, die körperlichen und seelischen Schmerzen sind oft unerträglich. Niemand hat meine missbräuchlichen Eltern jemals dafür zur Rede gestellt, geschweige denn zur Verantwortung gezogen. Verzeihen, Kümmern, Liebe und so eine Schwamm-drüber-Attitude sollen einseitig ganz bei mir als „guter Tochter“ liegen. Es wird den Eltern gegenüber Dankbarkeit erwartet nur für die Tatsache, geboren geworden und nicht verhungert zu sein. Und so geht es vielen erwachsenen Kindern, deren Kindheit die Hölle war.

  3. Danke für den Beitrag und die Kommentare.
    Ein spannendes (Tabu)Thema.

    Zitat:
    „Trauerkonventionen und -anordnungen sind (ein weiteres) Mittel, Opfer zum Schweigen zu bringen, innere Grundüberzeugungen (“selbst schuld” etc.) neu zu befeuern und zu bestätigen, dass das Opfer lügt. Zeitgleich kann sich die verblendete Horde erneut zusammenrotten und in den Chor der unversehrten Familie einstimmen.“

    ja, das stimmt.
    Und konservative BestatterInnen sind Teil dieses Systems.

    Zum Glück gibt es heute aber auch die Möglichkeit(en), die Sache der Zeremonien, Gestaltung der Trauerfeier etc., sofern man dazu psychisch und so in der Lage ist, selbst in die Hand zu nehmen. Die Chance des letzten Wortes sozusagen.
    Ich war da in meinem letzten Sterbefall ganz radikal, und habe die oben genannte „verblendete Horde“ (sprich: TäterInnenlobby) einfach von der Feier ausgeschlossen und gerade in der Rede die „Familiengeheimnisse“ noch einmal zum Thema gemacht. Weil ich keine Lust hatte, sie ideell weiter zu „schreiben“. Und weil ich die Strukturen und Folgen der Gewalt sichtbar machen wollte auch für die Menschen, die davon nichts wussten oder nichts mit zu tun hatten.

    In meinem vorletzten Sterbefall allerdings hatte ich eine andere Strategie: ich habe mich genau auf dieses Schweigen der Horde und so-tun-als-ob verlassen und es hat mich getragen.
    Ein interessantes Thema… worüber ich mich gerne weiter austauschen würde.

    Der Tod meiner Mutter (Haupttäterin) steht noch aus und ich freue mich schon darauf (also ich hoffe, sie stirbt vor mir), und auf die passende Zeremonie, die ich mir dann überlegen werde. Damit alles stimmig ist.

    Zitat:
    „Die Gefühle, die ich habe, benennen zu können und auch zu Ihnen stehen zu dürfen, ist mein wertvollstes Ziel.“
    so sehe ich das auch. 🙂

  4. Zu Pflege und Telefonate – ja das kenne ich nur zu gut. Meine Mutter hat dieses wehleidige Klagen an sich , ihr doch von meinen Problemen zu erzählen. Gebe ich diesem Begehren nach und gehe in die Offenbarungsebene kommen im selben klagenden Tonfall so Sätze wie „Wenn wir doch nur genug Geld hätten, dir einen guten Psychologen zu bezahlen“. Verflucht, abgesehen vom Missbrauch der Mutter und der Gewalt des Vaters in der Kindheit, selbst in jüngster Vergangenheit (schweres Mobbing mit allen malignen Merkmalen der Sozialpsychologie nach Tom Kitwood und tätlichem Angriff durch meinen ehem. Arbeitgeber) wem wird dafür die Schuld (indirekt natürlich) in die Schuhe geschoben? Wohingegen natürlich vermeintliche Eskapaden, ja da weiß Sie „genaustens“ was ich verkehrt gemacht habe. Das dies ein Folge des Angriffs ist, hmm. Es ist dieses verbale „Ziehen“ auf der einen und das „Schlagen“ auf der anderen Seite, das mich einfach verstummen lässt. Spreche ich meine Gefühle aus, werden Sie für Null und nichtig erklärt. Ich weiß da momentan auch nicht weiter.

    Zu „sich von der stummen Menge tragen lassen“ – das ist auch der Rat einer Gerontopsychologin. Die direkten Auseinandersetzungen und Grabenkämpfe Kosten sehr viel Kraft und Energie, so das Sie mir riet, diese Dinge mit einer „ruhigen Fassung“ zu tragen. Im inneren wissen wir ja, das es anders war. Der Gedanke, die Feier so zu gestalten, wie ich es mir vorstelle ist leider nicht umsetzbar, so sehr ich mir das auch wünschen würde. Mal sehen, vielleicht finde ich Mittel und Wege für einen stummen Protest.
    Ich merke gerade das dies wirklich ein wichtiges Thema ist. Wichtig in diesem Zusammenhang ist sicherlich das mentale Vorbereiten, denn die Horde wird sich ebenfalls in allen malignen Merkmalen üben (Stigmatisierung, Etikettierung, Infantlisierung etc). Das ich keine Zeit mit Trauer verschwenden muss ist ein Vorteil. Klingt komisch ist aber so. Vielen Dank auch für Eure Gedanken dazu.

  5. Ich habe Angst vor dem Moment, auf der Feier zu stehen, all die nicht vorhandenen Gefühle Erträgen zu müssen, Ihnen ins Gesicht schauen zu müssen, Ihr betteln nach dem kleinen Bisschen Aufmerksamkeit ertragen zu müssen, wenn Sie Dir Ihr Beileid wünschen und von Dir Betroffenheit erwarten. Eine Betroffenheit die ich nicht im Stande sein werde, zu zeigen und wenn ich Ihnen diese Anerkennung Ihrer Gefühle verweigere, so wie es Frau Weißbaum getan hat, werden Sie sich auf mich stürzen (indirekt natürlich). Sie werden mich spüren lassen, das ich „falsch“ bin, ein Aussetziger, jemand der zum Psychologen muss, jemand der „silenced“ gemacht werden muss. Ich überlege gerade ob ich nicht ein T-Shirt mit den Worten „Ich fühle nichts und das ist vollkommen in Ordnung“ tragen sollte. Ich habe hier noch ein Video von Steffanie Heinzmann gefunden das die Gefühle im Ansatz wieder gibt. http://youtu.be/suEmsQRSIxY

    Nimm dieses Gefühl mal tausend und du bist noch nicht mal nah dran!

  6. silvio, war die „trauerfeier“ schon und konntest du dich genug menatl vorbereiten? wie hast du es erlebt? konntest du bei dir bleiben?

    „meine“ trauerfeier war mitte juni und es hat geklappt, wie ich es wollte.
    in der „rede“ habe ich die täterInnen noch einmal benannt, auch das sie nie zur verantwortung gezogen worden sind, und ich habe ausdrücklich die leistungen der überlebenden betont. vorgelesen habe ich nicht selbst, das hab ich delegiert. eine frau meinte hinterher, das es „mutig“ gewesen sei. ich dachte nur, dass es so gewesen war und deshalb auch so benannt werden musste. ich fand es noch nicht einmal besonders mutig. nur so konnte ein vollständigeres bild entstehen.

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