Mit ihrem Artikel Die Farce von #Koeln hat Mira Sigel offenbar den richtigen Nerv bei Frauen (und auch einigen Männern) in diesem Land getroffen: Der Arikel wurde geliked, geteilt, es gab zahlreiche Anfragen ihn ins Englische zu übersetzen und auch international stieß er auf große Beachtung. Zwischenzeitlich war sogar unser Server kurzzeitig überfordert. KommentatorInnen ließen uns wissen: „[Der Artikel] spricht mir aus der Seele“, „Trifft die Wirklichkeit so gut, wie wenig, was ich bisher darüber gelesen , gesehen oder gehört habe.“, „Der Beitrag verdient den Pulitzer-Preis“ oder „Super Artikel. — Das Beste zum Thema. Danke“ – Das gebe ich nicht wieder, weil ich unseren Blog mit Eigenlob überschütten möchte, sondern weil wir doch selbst auch teilweise überrascht waren, wie viele in diesem Land die Schnauze offenbar voll davon haben, dass Sexismus nur dann als problematisch betrachtet wird, wenn er nicht von deutschen Männern begangen wird. Wenn aber die eigenen „eingeborenen“ Brüder, Väter, Kollegen oder Nachbarn die Täter sind, dann wird verharmlost, dem Opfer die Schuld gegeben und Staat und Justiz bleiben untätig. Welch ein Hohn, dass jetzt AUF EINMAL der zuständige Minister Heiko Maas (SPD) aus seinem Tiefschlaf erwacht und seine monatelange Blockade zur Verschärfung des Vergewaltigungsparagraphen urplötzlich aufgibt. Wo waren denn die ganzen Frauenfreunde, als Feministinnen und Betroffenenorganisationen Sturm gelaufen sind, weil einfach nichts vorangehen wollte? Und schauen wir doch mal, ob die Empörung bis zu einer tatsächlichen Beschlussfassung ausreicht oder ob nicht dann bereits längst eine andere Sau Wille an Veränderung heuchelnd durchs Dorf getrieben wird.
Wie Recht Mira Sigel doch hatte zeigt sich am Beispiel Regina Schleheck nur allzu deutlich: Sie besaß nämlich die „Unverfrorenheit“ ihre eigene Wahrnehmung ihres Silvesterabends am Kölner Hauptbahnhof auf ihrem Facebookprofil zu posten. Regina Schleheck behauptete darin mit keinem Wort, dass die Opfer von Köln die Unwahrheit sagen, sie forderte explizit dazu auf, den Opfern zuzuhören und die Berichte ernst zu nehmen. Sie schrieb unter anderem:
„Ich stand eingekeilt in einer Menschenmenge von gefühlten neunzig Prozent Männern arabischen Ursprungs. Die Gleiszugänge waren gesperrt, weil die Bahnsteige überfüllt waren und weil sich Menschen auf den Gleisen befanden, so dass die DB alle Züge gestoppt hat […] Die ich in der Nacht gesehen habe, waren einzelne und sie wurden nicht alleingelassen, da waren andere, die sich um sie gekümmert haben und denen das augenscheinlich peinlich war. Alle Menschen um mich herum haben sich außerordentlich ruhig, geduldig und sehr achtsam verhalten. […] Die Männer um mich herum – und das waren sehr, sehr viele -, haben sich sehr bemüht, mir trotz des Gedränges nicht zu nahe zu kommen, mehr noch, sie haben mich mit den Armen abgeschirmt gegen die Leiber, die von allen Seiten herangeschoben wurden. Sie waren sehr freundlich, haben die Situation bedauert, versucht, sich mit Händen und Füßen zu vermitteln, sich bei mir erkundigt, wohin ich wollte, haben andere gefragt, die weiter oben standen, ob die Bahn, die ich brauchte, möglicherweise am Bahnsteig stehe oder angeschlagen sei, radebrechten, um mir zu erzählen, woher sie kämen und was sie hier machten, während sie die ganze Zeit Ruhe bewahrt haben. Ich habe selten derart freundliche und geduldige Landsgenossen erlebt.“
Auch das war Köln Hauptbahnhof, Silvester 2015/2016. Die Reaktion: Ein Shitstorm widerlichsten Ausmaßes. Drohungen, Anrufe und ziemlich ätzende Mails und Privatnachrichten – und das alles gebettet in Sexismus und Altersdiskriminierung in Reinkultur. Aber zum Glück – puh – auch: nette Worte, Unterstützung, Solidarität und ein Strauß Blumen.
Ab hier Inhaltshinweis: Sexismus, Altersdiskriminierung, Rassismus, Vergewaltigungswünsche (Rechtschreibung und Grammatik könnte auch LehrerInnen zumindest Nerven kosten und Schreikrämpfe auslösen).
Die selbsternannten Verteidigerinnen der Frauenunversehrtheit und Antisexisten ließen sogleich ihrem Frauenhass freien Lauf. Wir dokumentieren einige Beispiele (Auszug, davon gibts noch zahlreiche mehr):
Besonders schockierend stimmen auch zahlreiche Frauen in den Tenor mit ein:
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Zum Glück fanden sich viele, die diesen aggressiven, extrem verletzenden und frauenverachtenden, altersdiskriminierenden Hassbotschaften etwas entgegenzusetzen hatten.
So stellt Claudia Di Resta richtig fest: „Das sind also die Verteidiger der Frauenrechte und die Beschützer unserer Wertekultur…“
Marcel Fuma Brömert schreibt: „Interessant anzuschauen wie die ganzen besorgten Bürger sich um die frauen sorgen und wenn eine Frau dazu ihre Meinung postet gleichzeitig frauenfeindliche Kommentare abgeben … Läuft bei euch“
Daniel Möltner konstatiert: „Na, das ist ja mal eine Antwort, die aus einem echten Interesse für die Belange von Frauen heraus geschrieben wurde, und in der sich die grundsätzlich wertschätzende Haltung herauslesen lässt, die im scharfen Kontrast zu den Ereignissen der Silvesternacht steht.“
Hannah Steenbock fasst das ganze Schauspiel gut zusammen: „Unglaublich. Es tut mir so leid. Da wird darüber geredet, wie Frauen vor Angriffen zu schützen sind, und hier wird mit Ihnen eine Frau gnadenlos und unfassbar attackiert. Ein geradezu irrsinniger Widerspruch.“
Wir hoffen, dass bei Regina Schleheck nicht doch etwas von diesen verletzenden und hochgradig verachtenden Äußerungen hängen bleibt – denn egal wie gut man das alles einordnen und von sich abgrenzen kann: Worte bohren sich oft bis tief in die Seele.
Liebe BILD-Zeitung, der Sex-Mob tobt nicht nur auf Deutschlands Straßen, nicht nur auf dem Kölner Bahnhofsvorplatz oder in den Rotlichtvierteln von Frankfurt, Hamburg oder Stuttgart: Der Sex-Mob tobt auch im Netz. Und die Protagonisten heißen nicht Sofian, Ismail oder Karim. Christian, Mario, Frank, Kai-Uwe und all die anderen verstecken sich noch nicht einmal vor der Dunkelheit, in der Anonymität, in einschlägigen Freierforen oder in den eigenen vier Wänden. SIe lassen ihrer Misogynie freien Lauf, öffentlich in sozialen Netzwerken, so dass all ihre Freunde, Bekannten und Familienangehörigen sehen können wie viel Respekt und Achtung sie für Frauen übrig haben: GAR KEINE!
Wir lernen: Frauen sind „Beute“ und wollen gejagt werden. Eine Frau über 35 will allerdings keiner mehr haben, ist unfickbar und NICHT EINMAL für die „triebgestörten Arabs“ interessant. Das ist die Botschaft, die uns aus jedem dieser Posts entgegenspringt. So hat es mir auch mal ein bekennender Sexkäufer auf der Hamburger Reeperbahn unverblümt gesagt: „Wer will denn schon eine ficken, die bereits älter ist als 30?“
Fast könnte man sich als junge Frau, die täglich mit unterschiedlichsten Sexismen zu leben hat ja fast aufs Älter werden freuen: Es wird eine Zeit kommen, in dem ich endlich meine Ruhe hab. Welch verlockender Gedanke. – Pustekuchen! Sexuelle Gewalt hört auch jenseits der 35 nicht auf; „Granny-Sex“ ist ein äußerst beliebter Fetisch – ob im Porno oder dem Puff; Sexuelle Übergriffe in Altenheimen (auch) durch wesentlich jüngere Pfleger sind an der Tagesordnung; …
Die kanadische Feministin Meghan Murphy sagt angesichts der Ereignisse von Köln: Männer, es reicht! Wir Frauen verlangen für euch eine Ausgangssperre nach Anbruch der Dunkelheit, so lange bis ihr gelernt habt, euch wenigstens im öffentlichen Raum zu benehmen und zu beherrschen und uns Frauen wie Menschen zu behandeln vermögt. Und vor allem: Wir nicht mehr in Angst aus dem Haus gehen müssen. Das wäre doch kein schlechter Anfang.
Man ist ja schon geneigt dazu, angesichts der aktuellen Ereignisse die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen und sich einfach nur noch unter die Decke zu verkriechen, hoffend, dass die „Männheit“ (männliche Menschlichkeit) vielleicht irgendwann von alleine mal zur Vernunft kommt. Ich will ja keine Spielverderberin sein, aber ich befürchte, das wird nicht passieren.
Wir könnten jedoch auch die gleich zu Beginn des neuen Jahres entfachte Debatte um sexuelle Gewalt, Sexismus und Frauenhass als Chance sehen um daraus etwas Produktives zu entwickeln Wir könnten die Empörung in Entschlossenheit verwandeln und sagen: GENUG! Wir machen da ab sofort nicht mehr mit!
Und vielleicht – ganz vielleicht – könnten wir im Jahr 2030 (oder so) zurückschauen und sagen: 2016 war das Jahr in dem die Gesellschaft angefangen hat sich in die richtige Richtung zu entwickeln. 2016 war das Jahr in dem wir Rape Culture, Victim Blaming, Alltagssexismus und der Sexindustrie den bedingungslosen Kampf angesagt haben. Ja, es war ein langer, mühsamer und steiniger Weg und wir sind noch lange nicht am Ende, aber 2016 fingen wir an Deutschland so richtig umzukrempeln…
Deutschland, hör mal zu, wir müssen reden! Und zwar Klartext.
Das ist ja fast schon eine Dokumentation. Habe diesen Beitrag aug G+ verlinkt, da er zeigt, wess Geistes Kind die meisten dieser Islamophoben sind.
Gut gesprochen, der Meinung bin ich auch! Und Ihr habt Recht, wir Männer müssen uns endlich emanzipieren und anfangen, wie einst Alice Schwarzer auch bei den Frauen angefangen hat, unsere eigenen Geschlechtsgenossen davon zu überzeugen, das Ihr Verhalten falsch ist.
Leider stellt sich das in der Realität sehr schwierig da. Da wird in der Kneipe, in der ich zum Beispiel ab und zu mal bin, in einem Gespräch völlig respektlos gesagt, ich hätte meine Freundin schlagen sollen, dann wäre Sie noch bei mir. Mein Nachbar, der erst vor ein paar Tagen seine Freundin verbal und tätlich angriff, weil Sie ihn aufforderte, die Sachen in Ordnung zu halten, wenn Sie schon ständig aufräumte, kannte mich und respektierte mich offenbar genug, um wiederum meiner Aufforderung nachzukommen, frische Luft zu schnappen, während seine Freundin sich bei einer Tasse Tee beruhigen und mir von Ihren Problemen in der Beziehung erzählen konnte. Nur so viel dazu, sie ist ne toughe Junge 19jährige Frau und hat einen klaren Verstand. Sie überlegt in Ruhe ob Sie die Beziehung weiterführen möchte. Ich hoffe das Sie Ihn verlässt.
Auch im lokalen Jugendzentrum der Linken, wo doch eher schon mal Kritik laut wird, bekam ich keine Unterstützung als ich nach Aktionen fragte, um im Haus nebenan das stundenlange Anschreien eines Mannes seiner Frau im Beisein seines 2jährigen Kindes zu stoppen. Erst nachdem ich 2mal die Polizei rief und in Absprache mit der Polizistin das Jugendamt verständigte und eine Kindeswohlgefährdungsanzeige machte, kehrte Ruhe ein.
Die Aussage (eines Geschlechtsgenossen) im Jugendzentrum war „es fällt alles wieder auf die Frauen zurück, da kann man nichts machen“. Aber nicht nur diese offensichtliche Gewalt ist ein Problem. Meine ehemalige Lebensgefährtin litt jahrelang unter einem Vorgesetzten, der jede Frau, welche keine Kinder hat, als „Ackergaul“ betrachtet, jede Frau welche Kinder hat, als „Rennpferd“. Auch nahm er Sie gerne mal abseits mit in ein Büro, um Sie dann 2 Stunden lang zuzutexten. Sexuell ist da zum Glück nichts passiert, aber Sie ist braucht auch keine Angst mehr vor falschen Bewertungen haben, er ist jetzt die Karriere-Treppe hochgefallen.
Es klingt zynisch, aber leider viel zu oft in Deutschland Realität.
Und auch das gibt es: ich musste mir kurz vor Weihnachten von meiner Lebensgefährtin mit 4 Kindern (keins davon ist von mir) anhören, das ich nicht so leistungsfähig wie Ihr Exmann bin, der einfach mal so den Unterhalt um 200€ kürzt und es nicht für nötig hält die Kinder auch mal in den Ferien zu nehmen, damit Sie nicht extra von Ihrer Arbeit Urlaub nehmen muss.
Ich habe mich auf meiner Arbeit durchgesetzt diesbezüglich. Das war gar nicht so einfach bei 4 Müttern, 2 davon Alleinerziehende und einer Chefin. Allerdings ist dieser Urlaub jetzt hinfällig.
Genug gepinst, es hat mich hart getroffen, aber ich hab auch jetzt auch wieder mehr Zeit für politische Aktionen.
Was ich vor allem brauche, sind Konzepte und eine stärkere Vernetzung mit o.a. Organisationen und vor allem natürlich auch mit meinen eigenen Geschlechtsgenossen, welche den Feminismus ernst nehmen und sich dafür auch politisch einsetzen.