„Gewalt unter der Geburt“ Buchempfehlung

Buchcover: Gewalt unter der Geburt

Christina Mundlos: "Gewalt unter der Geburt - Der alltägliche Skandal", Tectum Verlag, 2015

Mit ihrem Buch „Gewalt unter der Geburt“ möchte die Autorin, Christina Mundlos, eines der letzten Tabus in unserer Gesellschaft aufbrechen. Die Geburt eines Kindes wird im Allgemeinen als etwas Positives dargestellt, eines der wichtigsten Momente im Leben einer Frau. Es wird nicht über die oft brutalen Erfahrungen, die so viele Frauen während der Geburt erleben müssen, so offen berichtet.

Der Begriff Gewalt im Kontext von Geburt ist erst einmal sehr ungewohnt und somit vielleicht verstörend. Gewalt und Geburt werden üblicherweise nicht in einen Zusammenhang gebracht.  Christina Mundlos versucht, vielleicht auch deshalb, zum Verständnis Gewalt zu definieren, beginnend mit der sehr umfangreichen Definition von Galtung, dem Begründer der Friedens- und Konfliktforschung, und sie stellt fest, dass es tatsächlich keine allgemeingültige Definition geben kann, sondern eine Definition von Gewalt immer auch ein Werturteil beinhaltet. Sehr deutlich aber sagt Christina Mundlos:

„[…] unter der Geburt geht körperliche Gewalt mit psychischer Gewalt einher, oder die zunächst „nur“ psychisch ausgeübte Gewalt geht zu einem späteren Zeitpunkt in physische Gewaltanwendung über […]“

Als Beispiele für psychische Gewalt werden zum Beispiel das Hinwegsetzen von Wünschen der Gebärenden bezeichnet und Beispiele für unnötige Interventionen, die auch als Körperverletzung gesehen werden können, sind die Eröffnung der Fruchtblase oder langanhaltende Kontrolle der Wehen mit CTG.

Die Autorin spricht deutlich von Gewalt unter der Geburt und ermöglicht es so, hoffentlich zukünftig noch viel mehr Frauen auch ihr Schweigen zu brechen und sich nicht weiter in Schweigen zu hüllen, aus Angst als zimperliche Mimose angesehen zu werden, die einem einfachen körperlichen Prozess nicht gewachsen sein zu scheint.

Christina Mundlos spricht von einer „Technisierung der Geburtshilfe“, die sie als auch verantwortlich für die Gewalt in der Geburtshilfe betrachtet. Die Autorin liefert erschreckendes Zahlenmaterial zur Situation der, letztendlich, Pathologiesierung der Geburt der vergangenen Jahre und schmerzhafter Interventionen wie zum Beispiel das Kristellern – das Mitschieben des Kindes mit Händen oder Fäusten von Außen. Um ihre Aussage zu unterstützen und natürlich auch um die gesamte Bandbreite der Gewalt aufzuzeigen, berichten 19 Mütter, Hebammen und ein Vater von ihren Erfahrungen, die es der Leserin und dem Leser unmöglich machen, die schrecklichen und frauenverachtenden medizinischen Eingriffe in den deutschen Kliniken weiter zu verdrängen. Das ganze Spektrum der Gewalt spiegelt sich in den Erfahrungsberichten wieder. Wenn man selbst Gewalt unter der Geburt erfahren musste, so ist es besonders hilfreich sich durch diese Berichte als nicht alleine mit den schmerzhaften Erfahrungen zu fühlen. Aber auch prinzipiell eröffnen diese umfangreichen Berichte der Leserin und dem Leser die Möglichkeit emotional zu erfassen, was überhaupt alles als Gewalt gesehen wird und welche Gewalt ausgeübt wird. Eine der Mütter schreibt:

„Den Beginn des Kaiserschnitts mit dem Schneiden des Skalpells an meinem Bauch habe ich sehr deutlich gespürt und dies mit einem Schreien geäußert.“

Oder eine andere Mutter:

„Ich bekam von der Hebamme einen Einlauf, damit die Wehen angetrieben wurden.“

Das Buch von Christina Mundlos hilft es betroffenen Frauen und auch Vätern ihr Erlebtes während einer Geburt zu benennen, aber es hilft auch nicht betroffenen Frauen deutlich zu machen, was andere Frauen in ihrem oft hilflosesten Moment erleben müssen und auch sie selbst vielleicht in Gefahr sind zu erdulden in einer deutschen Geburtsstation.

Die Folgen dieser multiplen Gewalterfahrungen werden von der Autorin benannt und sie betont sogar, dass diese Erlebnisse Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft haben. Das ist natürlich eine logische Konsequenz einer so intimen und massiven Fremdbestimmung über den eigenen Körper, die mit Schmerzen einhergeht.

Doch Christina Mundlos hört nicht mit einer reinen Enttabuisierung durch Thematisieren und Anklagen auf, sondern sie bietet Lösungsvorschläge an. Christina Mundlos spricht von Maßnahmen zur Prävention und macht auch nicht davor halt, die politische Dimension anzusprechen, nämlich die Unterfinanzierung der Geburtshilfe.

Auch eine Möglichkeit zur Vernetzung mit anderen Betroffenen wird benannt, nämlich die Roses Revolution. Die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden aufgelistet, aber auch Traumaprävention ist der Autorin ein Anliegen und hier geht es

„[…] insbesondere darum, die Rechte der Gebärenden zu beachten und die Gebärende zu achten.“

Christina Mundlos, Soziologin – von 2009 bis 2011 im Gleichstellungsbüro der Universität Hannover tätig – möchte nicht weniger als das Ende der Gewalt. Für sie bedeutet das „Ende der Gewalt“ nicht nur, dass Geburtshilfe gewaltfrei ist, sondern auch, dass die erfahrene Gewalt für die Betroffenen ein Ende hat. Vergessen werden kann sie sicherlich nicht.

„Gewalt unter der Geburt“ ist ein berührendes Buch, das theoretische Erklärungen und Erfahrungen verbindet mit erreichbaren Zielen.

Gewalt unter der Geburt-der alltägliche Skandal. Christina Mundlos, Tectum Sachbuch, 2015 (16,95 €)
ISBN: 978-38288-3575-7

 

 

1 Kommentare

  1. Christina Mundlos leistet mit dem Buch fundierte Aufklärungsarbeit und ermöglicht einen kritischen Blick auf den aktuellen Umgang mit Gebärenden.
    Ich habe das Buch gelesen und finde es sehr empfehlenswert, aber es ist auch schockierend, wenn man die Problematik in ihrem Ausmaß begreift – selbst wenn sie mir vorher bereits bekannt war, dass sie existiert. Am Besten schon vor oder auch gänzlich unabhängig von der eigenen Kinderplanung lesen oder an Freundinnen schenken. Wahrscheinlich auch ein sehr gutes Geschenk für Hebammenschülerinnen und angehende Gynäkologinnen – damit die neue Generation sich vornimmt, es besser zu machen, bevor Ausbildung und Alltag sie abstumpfen lassen.

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