Sheila Jeffreys: Make-Up und Schleier: Läuft das auf das Gleiche hinaus?

Bildquelle: http://www.sheilajeffreys.com/

Wir wollen den feministischen Diskurs beleben und unterschiedliche Ansätze zur Diskussion stellen. Deshalb erscheinen bei uns regelmäßig Gastbeiträge, die nicht zwangsläufig die Haltung der oder aller Störenfriedas wiedergeben, aber wichtige Impulse für die feministische Debatte geben können.

Bei der nachfolgenden Übersetzung handelt es sich um Auszüge aus dem 2005 erschienenen Buch „Beauty and Misogyny. Harmful Cultural Practices in the West“ von Sheila Jeffreys.

Statt als zwei Seiten einer Medaille der Frauenunterdrückung, werden der Schleier und Make-Up in der Regel als Gegensätze angesehen. Make-Up wird sogar manchmal als befreite Alternative zum Tragen des Schleiers angesehen. Während es offensichtlich einen Unterschied gibt, wenn von ehrenhaften Frauen in der islamischen Kultur erwartet wird, dass sie ihre Köpfe und Körper bedecken, damit Männer nicht sexuell in Versuchung geführt werden, und im Westen von Frauen erwartet wird, sich so zu kleiden und zu schminken, dass Männer sexuell in Versuchung geführt werden und ein Fest für deren Augen veranstaltet wird, gibt es doch eine Verbindung zwischen den beiden. Diese Erwartungen spiegeln nämlich jeweils den traditionellen Dualismus in Bezug auf die Funktion von Frauen unter männlicher Dominanz wieder. Von Frauen wird traditionell erwartet, sich in die Kategorien Heilige oder Hure einzufügen, auch im Westen. Jungfrauen waren tabu bis zu ihrer Hochzeit und wurden dann sexuell individuell, also von einem Mann, besessen, während Huren zu Diensten von Männern allgemein existierten.

Leider können selbst feministisch Forschende oft nicht außerhalb dieses Dualismus denken, um sich einen autonomen Lebensweg für Frauen, der nicht in diese Kategorien fällt, vorzustellen. Lama Abu-Odeh zum Beispiel, die über die Wiedereinführung des Schleiers in manchen muslimischen Ländern schreibt, spricht davon, dass ihre Annahme als eine arabische Feministin die sei,

„dass arabische Frauen in der Lage sein sollten, sich sexuell auszudrücken, damit sie lieben, spielen, reizen, flirten und aufregen können … Darin sehe ich Akte der Subversion und der Befreiung“,

schreibt sie.  Was sie jedoch als freudvoll ansah, betrachteten die Frauen, die den Schleier anlegten, als „böse“. Indem sie der Rolle für Frauen als sexuell aufregend für Männer gegenüber dem Verhüllen den Vorzug gibt, ist Abu-Odeh gefangen in dieser Dualität, die Frauen unter männlicher Dominanz angeboten wird, Sexobjekt oder Verschleierte, Prostituierte oder Nonne. Es gibt jedoch eine dritte Möglichkeit: Frauen könnten sich selbst neu erfinden, jenseits der Stereotype westlicher und nicht-westlicher patriarchaler Kultur. Frauen könnten Zugang zum Privileg der Männer erhalten, sich nicht um ihr Aussehen scheren zu müssen und ungeschminkt und ohne Kopfbedeckung in die Öffentlichkeit zu treten.

Beides, sowohl Schleier als auch Make-Up, werden oft als freiwillige Verhaltensweisen von Frauen angesehen, die von selbstständiger Wahl gekennzeichnet sind und die Agency ausdrücken. Aber in beiden Fällen gibt es beträchtliche Beweise für den Druck, der von der männlichen Dominanz ausgeht und diese Verhaltensweisen auslöst. Die Wirtschaftshistorikerin Kathy Peiss beispielsweise stellt die These auf, dass die Kosmetikindustrie in den 1920er und 1930er Jahren ihren Durchbruch erzielte, als Frauen die öffentliche Welt der Büros und anderer Arbeitsplätze betraten. Sie sieht das Zurechtmachen der Frauen als Zeichen für eine neue Freiheit. Aber es ist auch eine andere Erklärung möglich. Feministische Kommentatorinnen der Wiedereinführung des Schleiers in muslimischen Ländern Ende des 20. Jahrhunderts weisen darauf hin, dass Frauen sich sicherer und freier fühlen in Bezug auf Beschäftigung und Bewegung im öffentlichen Raum, wenn sie sich verschleiern. Es könnte sein, dass auch das Tragen von Make-Up darauf hinweist, dass Frauen kein automatisches Recht haben den öffentlichen Raum im Westen zu betreten, also gleichberechtigt zu Männern. Make-Up stellt, genauso wie der Schleier, sicher, dass sie maskiert sind und nicht die Unverfrorenheit besitzen sich als jene echten und gleichen Bürgerinnen, die sie in der Theorie sein sollten, zu zeigen. Vielleicht offenbaren sowohl Make-Up als auch Schleier den Mangel an Anspruchsberechtigung von Frauen.

In manchen Fällen ist das Anlegen des Schleiers ein klares Resultat von Zwang und Gewaltandrohungen. Im Iran ist das sich bedecken vorgeschrieben und wird vom Staat vollstreckt. Wie Haleh Afshar erklärt, ist

„die offene Ablehnung des hejab und die Erscheinung in der Öffentlichkeit ohne ihn, mit 74 Schlägen zu bestrafen.“

Hier kann man nicht davon sprechen, dass Frauen „wählen“ können den Schleier zu tragen, da der Durchsetzungsprozess so deutlich und so brutal ist.

„Frauen, die als unadäquat bedeckt betrachtet werden, werden von diesen Männern (Mitgliedern der „Partei Gottes“, den Hezbollahis) mit Messern oder Waffen angegriffen und können froh sein, wenn sie das überleben.“

Make-Up wird nicht mit einer solchen Brutalität in westlichen Kulturen durchgesetzt.

Jedoch wird der Schleier, wie Homa Hoodfar ausführt, aus verschiedenen Gründen in verschiedenen Ländern, manchmal sogar innerhalb eines Landes, getragen. In manchen Situationen gibt es keinen sichtbaren Zwang. Lama Abu-Odeh beschreibt die Wiedereinführung des Schleiers. Sie sagt, dass in den 1970er Jahren Frauen

„die Straßen der arabischen Städte bevölkert haben, die westliche Garderobe trugen: Röcke und Kleider oberhalb der Knie, High Heels und Ärmel, die im Sommer den Oberarm bedeckten. Man konnte in der Regel ihre Haare sehen und sie trugen Make-Up.“

In den 1980er und 1990er Jahren legten viele, sogar viele eben jener Frauen, den Schleier an, hier definiert als Kopftuch. Abu-Odeh lässt uns wissen, dass „ihre Körper das Schlachtfeld zu sein schienen“ zwischen den Werten des Westens, der „kapitalistischen“ Konstruktion, in der weibliche Körper „sexualisiert, objektifiziert, verdinglicht“ werden und der traditionellen, in der Frauenkörper „eingezäunt“, „in Besitz genommen“ und als Hüterinnen der (sexuellen) Familienehre angesehen werden. Die Frauen, die den Schleier anlegten, waren jene, die öffentliche Verkehrsmittel nutzen mussten, um zur Arbeit oder dem Studium zu kommen. So wurden sie weniger wahrscheinlich von Männern sexuell belästigt. Bei Gelegenheiten bei denen sie sexuell belästigt wurden, fühlten sie sich wohler damit verschleiert zu sein, denn dann konnten sie nicht dafür verantwortlich gemacht werden, das missbräuchliche männliche Verhalten angespornt zu haben. Es war einfacher für die verschleierten Frauen und Mädchen empört zu sein und andere empörten sich eher für sie, wenn sie als unschuldige Opfer, die eine solche Behandlung nicht verdient haben, angesehen wurden. Das Anlegen des Schleiers kann insofern als Weg betrachtet werden, die Verletzungen abzumildern, die Frauen als Resultat männlicher Dominanz zugefügt werden. Eine solche „Wahl“ rührt jedoch eher aus einer Unterdrückung, als dass sie Agency ausdrückt.

Hoodfar erklärt die Wiedereinführung des Schleiers in Ägypten, wo es keine Bedrohung durch brutale Bestrafung gibt. Frauen, die sich „wieder verschleiern“ sind, wie Hoodfar es ausdrückt, eher der unteren Mitelschicht zugehörig, haben Universitätsbildung oder sind Büroangestellte im öffentlichen Sektor. Die Gründe, die Hoodfar liefert für die „Wiederverhüllung“, legen nicht nahe, dass Frauen nennenswerte Alternativen zu dieser Entscheidung gehabt hätten. Eine Frau, die Hoodfar interviewte, drückte bevor sie heiratete Widerstand zur Vorstellung einen Schleier zu tragen aus, erfuhr jedoch nennenswerten Druck durch die Familie ihres zukünftigen Ehemannes in Bezug auf ihre Arbeit als Lehrerin, auf die sie sich hatte ausbilden lassen und auf die sie sich freute. Ihre zukünftigen Schwiegereltern argumentierten, dass „die Leute reden würden, und ihre Reputation in Frage gestellt würde“, wenn sie arbeiten gehen würde. Außerdem würde sie sexuelle Belästigungen erfahren, „In überfüllten Bussen würden Männer, die ihren traditionellen Respekt vor Frauen verloren hätten sie belästigen und dies würde ihre Ehre und Würde beschmutzen, und auch die ihres Ehemannes und ihrer Brüder“. Um diesen Druck zu überwinden, beschloss sie eine muhaggaba (eine Verschleierte) zu werden. Dies stellte die Familie des Ehemannes zufrieden.

Die Gründe, die Hoodfar gibt, beziehen sich deutlich auf Versuche von Frauen sich der männlichen Dominanz anzupassen. Der Schleier, sagt sie, demonstriert die Loyalität der Frauen zu den Regeln der männlichen Dominanz, er

„kommuniziert der Gesellschaft im Allgemeinen, und den Ehemännern im Speziellen, laut und deutlich, dass sich die Trägerin an die islamische Idee ihrer Geschlechterrolle gebunden fühlt.“

Verschleierte Frauen können arbeiten, weil sie demonstrieren, dass sie immer noch „traditionelle Werte und Verhaltensweisen“ respektieren. Frauen, die den Schleier tragen, „vermindern die Unsicherheit ihres Ehemannes“ und zeigen ihren Ehemännern, dass „sie als Ehefrauen, nicht im Wettstreit stehen, sondern in Harmonie und Kooperation zu ihnen“.  Im Gegenzug für all diese Zeichen des Gehorsams, versetzt der Schleier

„Frauen in die Lage zu erwarten und zu verlangen, dass ihre Ehemänner sie ehren und ihre islamischen Rechte anerkennen“.

So lassen die Ehemänner die Frauen das Geld, was sie verdienen, behalten und erfüllen ihren Teil der Abmachung „der Familie das Maximum ihrer Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen.“ Keiner der hier genannten Gründe legt eine gewählte Aktivität nahe, die Frauen eine Befriedigung gibt, die abgetrennt ist von den Kräften der männlichen Dominanz. Um das Recht, das Männer besitzen, in der öffentlichen Welt arbeiten zu dürfen, in Anspruch zu nehmen, müssen Frauen sich verschleiern und andere Stereotype und Erwartungen an die untergeordnete Rolle der Frauen erfüllen.

Eine andere Frau, die von Hoodfar interviewt wurde, legte den Schleier an, um konkret sexuelle Belästigungen zu vermeiden, wenn sie nachts spät nach dem Studieren den Bus nach Hause nehmen musste:

„So oft haben mich Leute schlecht behandelt, dass ich nachts nach Hause kam und weinte.“

Sie entschied sich für den Schleier, damit

„die Leute wissen, dass ich eine gute Frau bin, und dass meine Umstände mich zwingen bis spät nachts zu arbeiten“.

Eine Strategie zu suchen, um nicht auf offener Straße von Männern angegriffen zu werden, ist keine Ausübung von freier Wahl, sondern eine Anpassung an Unterdrückung. Der gewöhnliche Mann in Ägypten, der sie belästigt, kann als das bürgerliche Äquivalent angesehen werden zu den Hezbollahs, die Frauen im Iran auspeitschen.

[…]

Abu-Odeh erinnert Feministinnen, die der Meinung sind, dass Frauen den Schleier einfach ablehnen sollten, daran, dass dies „gesellschaftlicher Selbstmord“ wäre. Muslimische Frauen haben keine Stellung um sich gegen den Schleier auszusprechen, weil dies als Verteidigung des Westens angesehen würde. Sie ergänzt den Einfluss islamischer Prediger als einen weiteren Grund für die Wiederverschleierung:

„Eine Frau, die sich entscheidet den Schleier anzulegen, unterliegt in der Regel einer bestimmten ideologischen Indoktrination […], nach der ihr gesagt wird, dass eine muslimische Frau sich bedecken muss, um Männer nicht zu verführen, und dass sie, indem sie dies tut, Allahs Wort befolgt“.

Das kann natürlich eindeutig als religiöse Indoktrination angesehen werden, aber es erscheint mir begründet zu fragen, ob es notwendigerweise machtvoller ist, Mädchen dahingehend zu beeinflussen, sich mit dem Schleier zu bedecken, als das was die Magazine und Mode- und Schönheitskultur des Westens tun, um Mädchen dazu bringen, sich mit Make-Up zu bedecken.

Westlicher Kulturimperialismus – Export schädlicher Praktiken in den Nicht-Westen

Die in Afghanistan angeblich neuerdings von der Herrschaft der Taliban befreiten Frauen, sind gefangen in der patriarchalen Dualität von Heilige und Hure, da ihnen zwei Wahlmöglichkeiten für ihre Erscheinung angeboten werden: die Verhüllung mit der Burka oder die mit Make-Up. Westliche Schönheitspraktiken werden als so offensichtlich natürlich, unvermeidbar und gut für Frauen betrachtet, dass sie den Frauen in Afghanistan wie ein Heiliger Gral angeboten werden. Nach Jahren schrecklichster Unterdrückung, in denen sie nur in einer alles verhüllenden Burka nach draussen gehen konnten, nur in Begleitung eines Mannes reisen durften, ihnen Bildung und Beschäftigung untersagt wurde und in denen sie auf der Straße von den Hütern islamischer Selbstgerechtigkeit ohne Entschädigung verprügelt werden konnten, erscheint die Möglichkeit sich an westlichen Schönheitspraktiken, insbesondere für Gesicht und Haar, zu beteiligen, nicht unbedingt als dringendstes Bedürfnis. Dennoch wird dies so angepriesen.

Die amerikanische Schönheitsindustrie stürzte sich 2002 in der Folgezeit des Krieges nach Afghanistan, unter dem Deckmäntelchen einer dringend benötigten Schönheits-„Hilfe“. Dies wurde in den Medien als positive Unterstützung dargestellt, und nicht als amerikanischer Kulturimperialismus und kapitalistisches Unternehmen. Frauen wurde die Rolle der in Make-Up verhüllten und sexuell objektifizierten Frau angeboten, statt unter der Burka verhüllt zu sein, um sie davor zu schützen, von Männern als Sexobjekte angesehen zu werden. […]  Ein Who ist Who der amerikanischen Schönheitsindustrie, angeführt von der Herausgeberin der Vogue, „eilte bald zur Hilfe“. Ein Ergebnis dieser Großzügigkeit war die Eröffnung einer Schule für Kosmetik, die auf dem Gelände des Afghanischen Ministeriums für Frauenangelegenheiten eröffnete, als wären Schönheitspraktiken tatsächlich ein äußerst wichtiges Menschenrechtsanliegen für Frauen, auf einer Linie mit Bildung, Sicherheit und Arbeit.

Die Hersteller von amerikanischen Schönheitsprodukten gaben Handbücher heraus um das Unterfangen zu unterstützen. Die Herausgeberin der Vogue, Anna Wintour, bezeichnete die Schönheitsindustrie als „unglaublich philantropisch“ und war der Meinung, die Kosmetikschule würde

„nicht nur den afghanischen Frauen helfen besser auszusehen und sich besser zu fühlen, sondern sie sogar mit Beschäftigungsmöglichkeiten versorgen“.

Offensichtlich führte die Situation in den 20 Kosmetiksalons, die nach Beseitigung der Taliban-Kontrolle eröffnet wurden, jedoch zu einer Krise im Gesundheitssystem, da die Bedingungen extrem unhygienisch und gefährlich waren. Eine afghanische Auswanderin berichtet:

„Sie verwenden rostige Scheren, sie haben einen einzigen billigen Kamm für den gesamten Salon und desinfizieren ihn nicht, es gibt kein fließendes Wasser oder Rasierschaum, und es gibt ein echtes Läuseproblem. Sie verwenden Holzstöcke und Gummibänder für die Dauerwellen. Und es gibt keine Watte, so dass die Dauerwellenlösung in die Gesichter der Kundinnen tropft“

[…]

Nicht nur in Afghanistan haben die amerikanischen Kosmetikunternehmen eine Marketing-Möglichkeit gesehen. Sie haben nach dem Fall des kommunistischen Regimes schleunigst die Sowjetunion aufgesucht, um ihre Dienste den Frauen dort anzubieten, und sie streben auch nach China. Wie die Wirtschaftshistorikerin Kathy Peiss es ausdrückt,

„verkaufen sogar in amazonischen Regenwäldern Frauen Avon, Mary Kay und andere Schönheitsprodukte“.

Aber Peiss verschweigt, wie die vielen Menschen, die in Afghanistan westliche Schönheitsideale verkaufen, die Unterdrückung durch diese kolonisierende Aktivität, indem sie auf die damit verbundenen Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen, die dringend darauf angewiesen sind, verweist.

[…]

Die Verhüllung von Frauen in patriarchalen Religionen

Obwohl die erforderte sexuelle Objektifizierung von Frauen im Westen sich sehr von der Verhüllung in Islamischen Regimen zu unterscheiden scheint, ist es aufschlussreich sich die identische kulturelle Basis aus der sowohl westliche als auch islamische Kulturen sich entwickelt haben, vor Augen zu führen. Die Bedeckung des Kopfes ist eine kulturelle Praxis von mittelöstlichen Stämmen, die sich über die monotheistischen Religionen, die in dieser Region entstanden, in andere Teile der Welt verbreitet hat. Die Bedeckung von Kopf und Körper wurde christlichen Frauen im Westen noch bis vor kurzem aufgenötigt. In Bezug auf meine Kindheit in den 1950er Jahren in Malta, wo mein Vater mit der Army stationiert war, erinnere ich mich an die Schilder in den Bussen, die Frauen instruierten „ein marienhaftes Kleid zu tragen“. In vielen Teilen Europas müssen Frauen beim Betreten einer Kirche noch immer ihren Kopf bedecken. Die christliche Religion hat, wie der Islam und die andere patriarchale, monotheistische Religion, das Judentum, seine Wurzeln in früheren patriarchalen Kulturen, die im Mittleren Osten existierten. In diesen frühen Kulturen mussten ehrbare Frauen sich nach dem babylonischen Code des Hammurabi bedecken. Gerda Lerner erklärt in „Die Entstehung des Patriarchats“, dass dieser Code, der vor die drei Religionen zu datieren ist, von Frauen, die keine Prostituierten waren, verlangte, dass sie sich bedeckten, so dass sie damit anzeigen konnten, dass sie der Besitz eines individuellen Mannes waren. Die prostituierten Frauen, in der Regel Sklavinnen, waren hingegen unverhüllt, um anzuzeigen, dass sie der Besitz der Allgemeinheit der Männer waren.

Im frühen Christentum wurde ein ähnlicher Code durchgesetzt. In Pauls Brief an die Korinther im Neuen Testament wird der Bedeckungscode ausgesetzt. Er erklärt, dass „der Kopf jedes Mannes Christus ist; und der Kopf der Frau ist der Mann;  und der Kopf von Christus ist Gott“. Dies soll jedoch durch eine Kopfbedeckung demonstriert werden:

„Ein jeglicher Mann, der betet oder weissagt und hat etwas auf dem Haupt, der schändet sein Haupt. 5 Ein Weib aber, das da betet oder weissagt mit unbedecktem Haupt, die schändet ihr Haupt, denn es ist ebensoviel, als wäre es geschoren. 6 Will sie sich nicht bedecken, so schneide man ihr das Haar ab. Nun es aber übel steht, daß ein Weib verschnittenes Haar habe und geschoren sei, so lasset sie das Haupt bedecken.  7 Der Mann aber soll das Haupt nicht bedecken, sintemal er ist Gottes Bild und Ehre; das Weib aber ist des Mannes Ehre. 8 Denn der Mann ist nicht vom Weibe, sondern das Weib vom Manne. 9 Und der Mann ist nicht geschaffen um des Weibes willen, sondern das Weib um des Mannes willen.“

Die Kopfbedeckung der Frau zeigte an, dass sie der Besitz des Mannes ist. Andere schädliche Praktiken des frühen Christentums gingen mit dem Dresscode einher.

[…]

Was macht eine schädliche kulturelle Praktik aus?

Ich habe in diesem Kapitel die These aufgestellt, dass sowohl die westlichen Kulturen, die vom Christentum beeinflusst sind, als auch die Kulturen, die vom Islam beeinflusst sind, Frauen schädliche kulturelle Praktiken aufzwingen. Nur die Entschlossenheit die politischen Ursprünge, Funktionen und Konsequenzen westlicher Schönheitspraktiken einfach zu ignorieren, kann die Vorstellung ermöglichen, dass die westliche Kultur in Bezug auf die Freiheiten, die sie Frauen in Bezug auf ihre Erscheinung erlaubt, [nicht-westlichen Kulturen] überlegen ist. […] Beide Sets von Regeln, die das Erscheinungsbild betreffen, setzen voraus, dass Frauen „anders/unterwürfig“ sein sollen, und beide setzen voraus, dass Frauen den männlichen sexuellen Bedürfnissen Genüge tun, entweder in dem sie sexuelle Erregung zur Verfügung stellen, oder indem die Frauenkörper versteckt werden, damit Männer weniger erregt werden. In beiden Fällen wird von Frauen erwartet, dass sie die männlichen Bedürfnisse im öffentlichen Raum befriedigen und, dass sie selbst nicht die Freiheiten haben, die Männer besitzen.

Das Konzept schädlicher kultureller Praktiken in Bezug auf die äußere Erscheinung, sollte deshalb nicht auf nicht-westliche Kulturen beschränkt werden. Alle in diesem Buch beleuchteten westlichen Schönheitspraktiken, von Make-Up bis Labioplastik, erfüllen die Kriterien für schädliche kulturelle Praktiken. Ich lege dar, dass sie stereotype Geschlechterrollen produzieren, dass sie aus der Unterordnung der Frauen entspringen, dass sie von Vorteil für die Männer sind und dass sie durch Tradition gerechtfertigt werden. Ich habe in Kapitel 6 dargelegt, dass selbst jene Praktiken, die wenig Effekt auf die Gesundheit von Frauen und Mädchen zu haben scheinen, wie das Tragen von Lippenstift, schädlich sein können. Obwohl westliche Schönheitspraktiken selten durch tatsächliche physische Gewalt aufgezwungen werden, sind sie dennoch kulturell aufgezwungen. Das Scheitern darin Make-Up zu tragen, die Beine zu enthaaren oder die Achseln, mag vielleicht nicht „gesellschaftlicher Selbstmord“ in den westlichen Kulturen sein, aber es beeinflusst, wie ich im Make-Up Kapitel dargelegt habe, die Möglichkeiten von Frauen in Arbeit zu kommen und diese zu behalten [….]. Die weiblichen britischen Abgeordneten, die ich erwähnt habe, mussten weibliche Kleidung tragen und ihre Beine zeigen um irgendeine Legimitation in der Gesetzgebung zu erhalten und sie hätten es sehr unwahrscheinlich dort überlebt, wenn Achselhaare unter ihren Blusen oder Beinhaare durch die Strumpfhosen durchgeblitzt wären.

Natürlich ist mir bewusst, dass das Ausmaß der Schäden, die durch plastische Chirurgie und Lippenstift tragen hervorgerufen werden, nicht das gleiche ist. Die Voraussetzung für die Anerkennung westlicher Schönheitspraktiken als schädliche kulturelle Praktiken, wie von der UN Konvention für die Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen definiert, ist die Veränderung der sozialen Einstellungen, die ihnen unterliegen. Im Fall mancher kosmetischer Schönheitschirurgiepraktiken sind die Konsequenzen ausreichend ernst und eine Regulierung könnte sehr einfach durch gesetzliche Bestrafung der Ärzte erreicht werden, so dass man sie einfach über die Gesetzgebung beenden könnte. Das Tragen von Lippenstift und Enthaarung sollte nicht ausgeklammert werden bei der Betrachtung, […] wobei gesetzliche Maßnahmen hierbei wohl nicht angemessen wären. Sie markieren Frauen als untergeordnet und demonstrieren deutlich stereotype Geschlechterrollen, auch dann wenn sie keine tiefgreifenden Folgen für die Gesundheit von Frauen haben. Die Rolle der Regierungen, die sich der Beendigung solcher Praktiken verschreiben, […] sollte es deshalb sein, die Herstellung von Geschlechterdifferenz zu bekämpfen, sowie jene Vorstellungen und Einstellungen und Geschäftspraktiken, die diese Auffassungen als Fundament der westlichen Kultur festschreiben.

7 Kommentare

  1. Das ist alles ganz richtig. Bei mir hat aber Sich-Schminken und modisches Kleiden ganz subjektiv etwas mit Spaß,Wohlgefühl und einem,denke ich,ganz ausgeprägten Sinn für Ästhetik zu tun,trotz auch kommuniziertem Radikal-Feminismus. Dieses Wohlgefühl und den harmlosen Spaß,der nichts mit „dem Mann gefallen wollen“ zu tun hat,lass ich mir nicht kaputt analysieren.Die patriarchalen Verhältnisse haben mir in jüngeren Jahren schon genug Spaß verdorben und Lebensfreude geraubt.

  2. Also Frau ist man der Schizophrenie des Mannes ausgeliefert. Egal wo!
    Dh. überall, weltweit. Für Frauen gibts nach Männersicht nur zwei Alternativen: Hure oder Heilige. Solche zum „Ficken“ und solche zum Heiraten. Statt dass der Mann mal seine Denkschablonen untersuchen würde, wird einfach ALLES am Verhalten und der Kleidung der Frau festgemacht. Ja, wir wissen alle, dass Männer besser schauen (glotzen) als denken können. Es wäre trotzdem an der Zeit, die Frau aus diesem grauenhaften männergezimmerten Cliché zu entlassen. Können Männer eigentlich einmal sich selbst und ihr Verhalten und Denken betrachten, oder
    sogar auf mehr als 2 zählen und auf eigene Vorurteile bauen….. Nicht die Frau hat sich bis zur Unkenntlichkeit einzuschränken, damit das beschränkte Denken des Mannes Heimat findet. Der Mann hat sein beschränktes Denken aufzulösen, damit auch Frau endlich Mensch sein darf. Danke auch bestens!

  3. Jutta, darum geht es ja nicht. Ich finde mich in allem sehr gut wieder, was Sheila Jeffreys schreibt und geh trotzdem morgens geschminkt aus dem Haus. 1) Weil mir ansozialisiert wurde, das ästhetisch schön zu finden, 2) weil es wie beschrieben einiges im Leben leicht macht (survival strategie) und 3) weil die Welt sich um mich rum nicht ändert, weil ich mich persönlich ändere. Zumindest nicht unmittelbar. Es gibt kein gutes Leben im Falschen, wir wissen das doch, aber dennoch können wir das falsche Leben doch analysieren. Oder?

  4. Danke für diesen Artikel. Als ich vor zwei Jahren beschlossen habe, dass mir meine Zeit zu schade ist, um sie mit Beinrasur zu vergeudet, reagierten viele in meinem Umfeld so, als hätte ich gerade eröffnet, dass ich mich von nun an nicht mehr waschen werde. Überwiegend kamen diese Reaktionen von Frauen. Wie kann ich es auch wagen, mich im Sommer luftig zu kleiden, ohne vorher sämtliche Körperbehaarung entfernt zu haben? Oder gar Sex haben und mich dabei wohlfühlen? Laut Aussage von einigen dürfte ich so etwas ja machen, weil man die blonden Haare sowieso nicht so stark sieht, aber bei dunklen Haaren, nein, das geht gar nicht. Wieso wird von uns eigentlich selbstverständlich erwartet, dass wir Unmengen an Zeit, Geld und Energie investieren, um irgendeinem weltfremden und unerreichbaren Schönheitsideal hinterherzurennen? Uns zu überlegen, wie viel Prozent unserer Hautobetfläche wir zeigen dürfen, um als attraktiv zu gelten aber trotzdem noch respektiert zu werden?
    Ich bin mir mittlerweile zu schade dafür, mein Lebensziel danach auszurichten, irgendwelchen Menschen zu gefallen, die sich ohnehin kaum für deine Persönlichkeit interessieren. Deswegen bin ich dafür, dass wir ab sofort damit aufhören und uns nur noch mit Dingen beschäftigen, die uns weiterbringen oder die uns Spaß machen. Wer ist dabei? 🙂

  5. Lana, das kommt mit dem Alter von alleine. Es kann dann allerdings sein, dass man sich darüber aufregt, wie naiv und fremdgesteuert man als junge Frau war. Also, das Thema „Objektivierung der Frau“ lässt einen nie ganz los. Auch wenn man sich nur retrospektiv und über sich selbst aufregt. Ausserdem wird man durch die Medien ja ständig daran erinnert. Das Thema ist allgegenwärtig. Ich habe schon lange versucht mich ganz aus dem Mann-Frau Diskurs auszuklinken, da es irgendwie immer wieder rückwärts rollt. Manchmal geht’s, manchmal nicht. Aber das zu suchen, was uns selbst Spass macht ist schon ein guter Ansatz.

  6. Manu Schon: Danke für Dein Feedback.Ich möchte nochmals klarstellen,dass ich alle Statements in obigem Artikel vorbehaltlos unterschreibe und die Analyse sehr gut finde und unterschreibe.Du schreibst,dass Dir Dein Make-up tragen ansozialisiert wurde.Mir ist eher noch(da mit Sicherheit viel älter als Du) ansozialisiert worden „Eine deutsche Frau schminkt sich nicht“/“geschminkte Frau ist gleich Hure/Schlampe/Flittchen“. Da war Schminken auch pure Provokation und Rebellion und ist es,neben schon genannten Gründen auch heute noch,da ich sichtbar nicht der Schublade angehöre „Alternde Frau reißt sich den Popo auf für die Enkelgeneration (habe keine,bin auch überhaupt nicht traurig drum).

  7. Hallo Sheila Jeffreys,

    ich finde deinen Beitrag sehr gut geschrieben sowie die die Überlegungen, die du angestellt hast, im Allgemeinen sehr treffend… und zudem sehr gut formuliert. Die Konzentration ist in deinem Beitrag auf die „Frau“ an sich gelegt, und nicht auf den Kampf gegen das Männertum. Auch der Inhalt erscheint mir sehr schlüssig, ich bin ebenfalls der Ansicht, dass sich die Frauenwelt mit viel zu vielen Tabus und „Ihr dürft nicht“ konfrontiert sehen, die in einer harmonischen Welt nicht wirklich etwas zu suchen haben…

    Was mir als Mann auffällt, dass selbst wir Erwachsen-werdenden mehr und mehr Untertanen dieses bestehenden Systems werden und in die Schubladen gezwungen werden, die das System für uns vorgesehen hat, welches vor langer Zeit eher zu Gunsten der Männerwelt erschaffen wurde, und beobachte das auch bei nachfolgenden, entstehenden Generationen, dass es auch so weitergegeben wird – leider.

    Im Endeffekt ist es aber dann oft nicht mehr so, dass die Unterdrückten sich gegen die Unterdrücker auflehnen, sondern die unterdrückten Weiblichkeiten gegen die unterdrückten Männlichkeiten kämpfen und umgekehrt, während sich diejenigen, denen daran liegt, das System wirklich erhalten zu wollen, ins Fäustchen lachen, weil ihre Unterdrückten sich gegenseitig aufreiben… welche Lösungen würdet ihr vorschlagen, damit wir hier aus diesem Kampf „Unterdrückte“ gegen „Unterdrückte“ austreten und ihn überwinden können? Ich hoffe, dass irgendwann hierfür eine Lösung entsteht… denn aus meiner Betrachtungsweise heraus wertschätze und respektiere ich Frauen genauso wie ich mich selbst schätze – manchmal auch ein bisschen mehr…

    Letztendlich überrennt und prägt dieses System uns alle – dass Frauen davon mehr „negativ“ betroffen sind als Männer, steht außer Frage. Männer werden dazu erzogen, keine Gefühle zeigen zu dürfen, dass Dominanz eine Stärke ist, dass eine Lösung immer die Gewalt ist, dass man sich im Leben durchsetzen müsste. Während die unnatürlichen Prägungen der Frauen des Systems hier ja schon hinreichend bekannt sein dürften und ich darauf wohl nicht mehr näher eingehen muss…

    Ich bin mir durchaus bewusst, dass ich mich als schreibender Mann hier gewissermaßen in „feindliches Gebiet“ stelle, dennoch nehme ich sämtliche Konsequenzen in Kauf, die diese Handlung meinerseits mit sich bringt… selbst wenn das Morddrohungen von verletzten und misshandelten Frauen wären…

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