Sterbehilfegesetz 2015: Sauberes Sterben im Kapitalismus

Seestern

By Britt1014 (Own work) [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

 

Eine breite Auseinandersetzung mit diesem Thema, dem Sterben und dem Sterbehilfegesetz, ist unangenehm, besonders im Sommer und in diesen schönen Tagen. Leider ist es aber notwendig, denn nicht alle von uns haben ein schnelles, sanftes, und  überraschendes Einschlafen zu unserem Lebensende zu erwarten. Die Chance ist sehr groß, dass auch uns dieses Thema mehr betreffen wird, als wir hoffen. Verdrängung des Themas Tod und des Sterbens erlaubt uns zwar ein ruhiges Leben, aber es holt uns dann doch irgendwann ein. Vielleicht durch unsere eigene schwere Krankheit (oder lebenslimitierende, wie ich einmal in einer Klinik las), oder die schwere Erkrankung von FreundInnen oder Familie. Und das neue Sterbehilfegesetz kann uns dann selbst, direkt oder indirekt, auf überraschende Art und Weise selbst treffen.

Im Herbst 2015 soll ein neues Sterbehilfegesetz in Deutschland im Bundestag verabschiedet werden.

In Deutschland ist die aktive Sterbehilfe noch verboten. Aktive Sterbehilfe tritt dann ein, wenn die Person, die sterben möchte, den eigenen Tod nicht mehr selbst herbeiführen kann und die Tötung durch eine  andere Person durchgeführt werden muss. Dies ist strafbar nach  § 216 StGB – „Tötung auf Verlangen“.

In der Schweiz ist die Verordnung und Abgabe von Natrium-Pentobarbital erlaubt, ein angeblich angenehmes Tötungsmittel und somit nutzbar für den Suizid, aber auch dies ist bislang in Deutschland untersagt. Aus diesem Grund gibt es bislang noch einen Sterbetourismus in die Schweiz.

Im Zusammenhang mit diesem geplanten Gesetz bietet zur Zeit anscheinend Dignitas sehr breit gefächert an, Veranstaltungen zu diesem Thema durchzuführen. Dignitas möchte die Meinungsbildung zu diesem Thema beeinflussen. Die Beschreibung von Dignitas auf der Homepage hört sich schon einmal sehr gut an:…“ Der Verein verfolgt zum einen das Ziel, die derzeitige Rechtslage im Bereich des Sterberechts zu verbessern; insbesondere soll auch erreicht werden, dass die aus dem Grundgesetz sich ergebenden elementaren Bürgerrechte (Leben und Sterben in Würde, sowie Ausübung des Selbstbestimmungsrechts) in der täglichen Praxis verwirklicht werden. Darüber hinaus unterstützt der Verein mittels anwaltlicher Hilfe seine Mitglieder darin, dass diese ihre durch die Verfassung gewährleisteten Rechte auf freie Selbstbestimmung gegenüber Krankenhäusern, Pflegestationen, Ärzten und Pflegepersonal durchsetzen können.

Der Verein hat sich ferner seit seiner Gründung engagiert dafür eingesetzt, dass die von den Bürgern errichteten Patientenverfügungen einklagbar und durchsetzbar sind. Dass es in Deutschland im September 2009 gelungen ist, die gesetzliche Regelung der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen zu erreichen, ist ein besonders großer Erfolg.

Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes garantieren das Leben und Sterben „in Würde“ und ferner die Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes des Menschen. Daraus ergibt sich auch das Recht des Bürgers, eine nicht gewünschte ärztliche Behandlung zu verweigern und ferner das Recht, das eigene Leben zu beenden. Dass diese Rechte des Bürgers sich aus dem Grundgesetz ergeben, ist vom Bundesverfassungsgericht und vom Bundesgerichtshof wiederholt festgestellt worden.

Demgemäß muss kein Kranker erdulden, dass er gegen seinen Willen an Beatmungsgeräte und Ernährungssonden angeschlossen wird. Ganz im Gegenteil handelt ein Arzt rechtswidrig, er macht sich darüber hinaus strafbar, wenn er solche medizinischen Geräte gegen den Willen des Patienten anschließt oder angeschlossen lässt! Sollten Ärzte, Pflegeheime oder Pflegepersonal sich in dieser Weise rechtswidrig verhalten, gewährleistet der Verein seinen Mitgliedern entsprechende anwaltliche Hilfe zur Durchsetzung ihrer Rechte….“

Diese Auszüge von der Homepage von Dignitas beschreiben die zur Zeit bestehende Lage sehr gut und es hört sich auf den ersten Blick auch sehr gut an. Ein zweiter Blick ergibt aber auch Problemfelder. JedeR, der/die zum Beispiel mit schwer psychisch oder geistig beeinträchtigten Menschen zu tun hat oder hatte, weiß, dass diese Gesetzeslage in den letzten Jahren dazu genutzt wurde, in Extremfällen (zum Beispiel Anorexie) das Nichtstun und elendige Sterben, oder schwerste Verwahrlosung, als Selbstbestimmung und freie Willensbildung zu verkaufen. Natürlich können Amtsgerichte und BetreuererInnen intervenieren, aber dies passiert mehr als früher erst  nach schon eingetretenen sehr schweren gesundheitliche Schädigungen.

Menschen, die als Folge schwerer psychischer Erkrankungen sich, zum Beispiel, klar ausdrücken können, aber entscheidungsambivalent sind und immer mit der Selbstzerstörung gespielt haben, werden jetzt diesem Weg der eigenen Zerstörung zunehmend alleine überlassen. Es ist einfacher, billiger und macht keine Arbeit. Sie wollten es ja halt so und ab geht es in den preisgünstigen Tod, anstatt in die frühe teure medizinische und therapeutische Versorgung. Wohlgemerkt, auch ich befürworte keine brutale Zwangsbehandlung, sobald jemand schwierig ist, aber es gibt auch noch viel Raum zwischen dem Einen und dem Anderen. Die Entwicklung der letzten Jahre geht in eine sehr klare Richtung, auch wenn es jetzt etwa überspitzt ausgedrückt wurde.

Tatsächlich war auch die Möglichkeit der persönlichen Verfügung äußerst wichtig um quälende und sinnlose medizinische Interventionen am Lebensende abzuwehren.

Wir leben aber im Kapitalismus und nicht in einer Gesellschaft, in der Menschen vor Profite die gültige und entscheidende Maxime ist. Der Neoliberalismus verkauft uns schon lange das Konzept der Selbstbestimmung als heilige Kuh. Das Wort hört sich auch sehr gut an und Selbstbestimmung ist ein hohes Gut, aber wir müssen fragen wer von dieser Selbstbestimmung wirklich profitiert, und auf Kosten von wem oder was diese Selbstbestimmung stattfindet.  Auch muss die Frage gestellt werden, wo Kosten eingespart werden könnten. Oder anders ausgedrückt: folgt der Spur des Geldes.

Ethik ist leider nicht einfach. Es gibt kein Schwarz und Weiß. Wir können wahrscheinlich nie alle ethischen Konflikte sauber lösen, aber wir können uns diesem Dilemma mit größerer Sorgfalt annehmen, als es bisher der Fall war. Im Kontext des Kapitalismus ist es, meiner Ansicht nach, unmöglich ethische Fragen sauber zu klären. Denn wir müssen immer davon ausgehen, dass Geld der dominante Faktor ist und somit Menschen mit mehr Geld erheblich mehr begünstigt sind als arme Menschen. Schon die Bildungschancen und somit unserer weiterer Lebensweg ist bestimmt durch unsere Herkunft.

Wieso sollte dies beim Sterben anders sein?

Die Kosten für medizinische Versorgung sind im letzten Lebensjahr am höchsten. Insbesondere ältere Menschen benötigen intensivere medizinische Behandlung als jüngere Menschen um länger leben zu können, oder in der Sprache des Kapitalismus: sie verursachen den Krankenkassen erheblich höhere Kosten.

Sollten wir nicht vorsichtig sein angesichts zunehmend leererer Kassen, Schuldenbremse, und Einsparungen im sozialen Bereich? Das die Kassen nur leer sind durch ungerechte Reichtumsverteilung ist in diesem Zusammenhang irrelevant.

Wird nicht jetzt schon in den Medien sehr häufig über die teuren alten Menschen gesprochen, die intensiv Pflege benötigen und die Pflegekassen aus dem Rahmen sprengen? Wird nicht schon jetzt angekündigt, dass es in den nächsten Jahren einen Pflegenotstand geben wird und die wenigen jüngeren Menschen nicht die Last der alten Menschen tragen können werden?

Könnte da nicht ein selbstbestimmt eingenommenes Natrium-Pentobarbital das Problem lösen? Das mag sehr überspitzt sein, allerdings glaube ich das perspektivisch leider nicht wirklich. Ich gehöre allerdings noch zur Generation, die von Soylent Green geprägt wurde (Sterbehilfe und dann ab zur Verwertung als Nahrungsmittel in die Fabrik). In einem weiteren schönen Science Fiction Film wurden alle ab 30 Jahre in einer Zeremonie getötet. Es wurde ihnen zuvor die „Befreiung“ durch diese Zeremonie versprochen. Ältere waren unerwünscht, da sie als hässlich gesehen wurden. Da auch vieles andere aus Science Fiction mittlerweile Realität wurde (Handys, Drohnen, Internet), kann ich mir fast schon irgendwann Soylent Green vorstellen. Manche Filme prägen und sollten uns eine gesellschaftliche Warnung sein, auch wenn es nur Science Fiction ist.

Ich war übrigens bis vor wenigen Jahren eine Befürworterin von Organspende. Nach intensiverer Beschäftigung mit diesem Thema habe ich meinen Ausweis weggeworfen. Organspende ist ein weiteres Thema, dass ich in einem anderen System anders sehen würde, aber nicht im Kapitalismus. Es gab in Deutschland bekannte Skandale, in denen bekannt wurde, dass einige auf den Empfängerlisten vorrutschten. Die Leberspende von Steve Jobs, zwar in den USA, aber trotzdem, sollte auch jeden stutzig gemacht haben. Dort ist es angeblich nur so, dass reiche Menschen sich einfach auf die Listen mehrerer Kliniken setzten lassen können, so dass er noch im terminalen Krebsstadium eine Leber erhielt.

Organhandel hat beängstigende Ausmaße angenommen. Das am meisten nachgefragte Organ ist die Niere, und hier gibt es nur genügend Nierenspenden für jeden Zehnten. 2010 wurden bis zu 160000 Euro für eine Niere gezahlt, wobei die SpenderInnen, falls überhaupt, nur wenige tausend Euro erhalten. Hier wird in diversen Berichten den fehlenden offiziellen SpenderInnen die Schuld gegeben ohne eine wirklich scharfe Verurteilung der Ausbeutung oft armer Menschen zu machen, ganz nach dem Motto, es fehlt eben an genügend Organen, deshalb gibt es diesen Schwarzmarkt. Was auch sonst?  Eine spannende Schlussfolgerung ist das, denn man könnte ebenso sagen, der Schwarzmarkt blüht als Folge von moralischer Verwahrlosung, die das eigene Leben höher einschätzt als das Leben und die Gesundheit eines anderen Menschen.

Ich möchte jedenfalls nicht, dass meine Organe an den höchsten Bieter gehen, oder das mein Ableben genau zur günstigen Nutzung zur Entnahme geplant wird. Früher glaubte auch ich an den Spruch…“Do not take your organs to heaven, god knows we need them here..“. Aber der Kapitalismus hat mich skeptisch gemacht. Und bei der Sterbehilfe sehe ich das ähnlich.

Die Mehrheit der Deutschen spricht sich mittlerweile für eine Legalisierung der Sterbehilfe aus (66%). Es hört sich ja erst Mal auch sehr gut an und viele haben Angst vor dem Sterben. Dieser Weg des Suizids sieht sauber und einfach aus, und so hätten wir es ja gerne alles mittlerweile.

Aber wo geht der Weg wirklich hin im Kapitalismus?

1800 Belgier haben im vergangenen Jahr die aktive Sterbehilfe durchgeführt, so viele wie noch nie. Es gibt keine Altersgrenze mehr in Belgien und auch unheilbare Kinder können die aktive Sterbehilfe dort in Anspruch nehmen.

Auch in der Schweiz will die Sterbehilfeorganisation Exit einen Schritt weiter gehen und gesunden alten Menschen ohne ärztlichem Gutachten aktive Sterbehilfe ermöglichen. Sie setzen sich mittlerweile ein für den Altersfreitod. Ein schönes Wort….

In Belgien gab es schon Sterbebegleitung für eine Frau, die an Depressionen erkrankt war.

Die Bundesärztekammer hat dagegen die große Koalition in Deutschland aufgefordert ein Gesetz gegen kommerzielle Sterbehilfe schnell umzusetzen. Anlass ist der Prozeß gegen den Justizsenator Kusch, der den Verein Sterbehilfe Deutschland, gegründet 2009, leitet und begleitet. Er stellte  auch die  Weiterentwicklung des Injektionsautomaten vor, eine Selbsttötungsmaschine, die nur mit einer leichten Kopfbewegung betätigt werden kann. BAK-Präsident Montgomery sagt, es sei unerträglich, wie Kusch die Angst der Menschen vor dem Altern, vor Einsamkeit und Pflegebedürftigkeit für seine Zwecke missbrauche.  Ärzte erlebten außerdem immer wieder, dass schwer kranke Patienten von ihrem Wunsch zu sterben abkämen, wenn sie sich geborgen und gut versorgt fühlten.http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/58649/Montgomery-draengt-auf-Gesetz-gegen-kommerzielle-Sterbehilfe

Ich habe keine klare Antwort in Bezug auf dieses Thema, und ich denke, es gibt auch keine einfache Antwort. Aber ich muss zugeben, irgendwie möchte ich persönlich in diesem System keine aktive oder passive Sterbebegleitung. Ich wäre zwar vielleicht schnell dabei Natrium-Pentobarbital zu schlucken um niemandem zur Last zu fallen, aber vielleicht ist eine sehr gute Palliativversorgung doch der bessere Weg. Ich musste bisher das langsame Sterben mehrerer Menschen erleben, und keine von ihnen wollte vorher gehen. Eine der Sterbenden hatte sogar Angst, dass sie umgebracht werden sollte mit Zyankali, da sie krank war. Sie hatte die Nazizeit erlebt.

1 Kommentare

  1. Zitat“BAK-Präsident Montgomery sagt, es sei unerträglich, wie Kusch die Angst der Menschen vor dem Altern, vor Einsamkeit und Pflegebedürftigkeit für seine Zwecke missbrauche“

    Ist das nicht der, der in den 1990gern mal von „sozialverträglichem Frühableben “ oder ähnlichem gesprochen hat? Das sei die Lösung des Finanzproblems der Krankenkassen.

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