Algerien-deutsche Waffenexporte und Frauenrechte…1,2,3 Viva L`Algerie

Government Place, Algiers, Algeria

See page for author [Public domain], via Wikimedia Commons

Algerien (Djazair), für viele ein mehr oder weniger unbekanntes Land, ist seit einiger Zeit in den Schlagzeilen aufgrund von deutschen Waffenexporten, und natürlich auch wegen der Weltmeisterschaft in Brasilien. Algerien ist jetzt zum wichtigsten Exportland für deutsche Waffen geworden. Der jetzt bekannt gewordene Rüstungsexportedeal wird sich auf 10 Milliarden Euro im Laufe von 10 Jahren belaufen. Rheinmetall wird eine komplette Panzerproduktionsfabrik in Algerien bauen und es sollen 980 Fuchs Panzer produziert werden. Die weiteren involvierten Konzerne sind die üblichen Verdächtigen: Thyssen Krupp und Daimler. Mit dem Waffenexport soll Algerien die Möglichkeit haben gegen Terrorismus zu kämpfen, da die Konflikte der angrenzenden Länder (Mali, Libyen) Algeriens Stabilität gefährden könnten.

Der Erfolg der Fennecs, der algerischen Fußballmannschaft, in der Weltmeisterschaft in Brasilien, lenkt insbesondere in Algerien von der Beschäftigung mit den hohen Ausgaben für Waffen ab. Ein sicherlich hilfreicher Nebeneffekt, denn die Fußballspiele der Weltmeisterschaft werden konstruiert zur Auseinandersetzung mit westlicher Dominanz und stärken den eigenen Nationalismus. Aber das ist ein anderes und eigenes Thema …

Algerien selbst ist ein Land reich an Erdöl und Gasvorkommen. Bedauerlicherweise hat die allgemeine Bevölkerung nicht unbedingt viel davon. Algerien ist weltweit sechsgrößter Erdgas- und fünfzehnt größter Erdöllieferant. Der Export von Öl und Gas machte 2012 96% des Gesamt-Exportvolumens aus, und trug ca. 30% zum BIP bei. Hauptabnehmer für Öl und Gas sind die USA (40%) und Europa (38%). Im Kontext zunehmender Ressourcenverknappung ist das Erdöl- und Gasvorkommen für Europa von äußerster Relevanz.Die Luftlinie von Algier nach  Marseille beträgt nur 750 Kilometer, und das bedeutet das ein Krieg, in welcher Form und in welchem Ausmaß auch immer, sehr nah, zu nah, an Europa rücken würde.

Die Jugendarbeitslosigkeit liegt in Algerien bei mindestens 25 Prozent und die Zahl der Analphabeten wird auf über 6,5 Millionen geschätzt um nur zwei Problembereiche zu benennen.

Spannend an dieser Sache ist allerdings, dass die deutsche Regierung oft behauptet auch  gegen die zunehmende radikale Islamisierung zu kämpfen um Frauenrechte zu erhalten. Tatsächlich gibt es regelmäßig Terroranschläge und Al Quaida im Maghreb ist insbesondere in der Sahara aktiv.

Ich frage mich aber als Feministin wie es denn mit den Rechten der Frau prinzipiell aussieht in Algerien. Natürlich ist dies eine rhetorische Frage; die Antwort ist nicht besonders gut.

Linke kritisieren den Waffenexport wegen der fehlenden Demokratie in Algerien, aber die rechtliche Situation von Frauen scheint in der Diskussion so gut wie irrelevant zu sein.

In Algerien wird das Patriarchat aber regelrecht zementiert durch den Code de la Famille. Der Code besagt letztendlich das eine Frau weniger Rechte besitzt als ein Mann.

Gesetze beeinflussen unser Denken, wie natürlich auch umgekehrt, in einer zirkulären Wechselwirkung, gesellschaftliche Prozesse die Gesetze beeinflussen. Durch die politische Unterdrückung in Algerien (Versammlungsverbot) und eine eingeschränkte Pressefreiheit ist allerdings das Spektrum der Handlungsmöglichkeiten für Feministinnen und somit Veränderung der Sichtweise äußerst limitiert.

Eine algerische Frau hat es durch die Einschränkungen des Code de la Famille schwerer ein selbständiges Leben zu führen und ihren Ehemann zu verlassen. Auf diesem Weg kann dann die Familie auf Kosten der Frau erhalten bleiben, sie ist verdammt zu bleiben, durch diesen Code, aber auch durch die anderen strukturellen Ungleichheiten, die aber auch wiederum durch den Code zementiert werden.

Der Code, am 09 Juni 1984 vom Parlament verabschiedet, enthält Elemente der Scharia als Folge des Einflusses der Islamisten und konservativer Kräfte.

Frauen haben nicht die gleichen Rechte wie Männer, insbesondere nicht in Bezug auf die Ehe, Scheidung oder Sorgerecht. Es erlaubt auch noch die Polygamie. Der Code ist ein Rückschritt gegenüber der algerischen Verfassung von 1976 und den Artikeln 39-42, die sich auf das gleiche Recht für alle BürgerInnen beziehen.

2005 wurde der Code, nach dreimonatiger Debatte, leicht modifiziert. Der Wali, der Ehevormund, wurde aufrecht erhalten, so dass eine Frau, die heiratet, diesen immer noch braucht. In anderen Worten, eine Frau kann nicht direkt und selbst heiraten, nach ihrem Gutdünken.

Die Polygamie wurde nur insofern eingeschränkt, dass die erste Ehefrau einer Zweitehe zustimmen muss. Außerdem muss der geschiedene Ehemann für die Unterkunft der Kinder sorgen, wenn die Mutter sich nach der Scheidung um sie kümmert. Die Umsetzung des Gesetzes ist allerdings etwas kümmerlich. Im Falle von verheirateten Frauen hat die Frau keinerlei elterliche rechtliche Autorität.

Kinder dürfen nur mit dem Vater Algerien verlassen, oder mit seiner notariellen Erlaubnis, sollte die Frau mit Kindern alleine reisen müssen. Umgekehrt ist dies nicht notwendig.

Frauen haben ein eingeschränkteres Recht eine Scheidung zu beantragen wie Männer. Diese können eine Scheidung einfach nur beantragen. Gründe die Frauen eine Scheidung erlauben, sind zum Beispiel fehlender Geschlechtsverkehr seit vier Monaten, Inhaftierung von länger als einem Jahr, oder unmoralische Verhaltensweisen, die den Ruf der Familie schädigen. Folglich werden 49% der Scheidungen von Männern beantragt, aber nur 9% von Frauen. Einvernehmliche Scheidungen betragen immerhin 31% und Scheidungen durch Zahlung einer bestimmten Summe (Khol) immerhin 11% 2009. Frauen sind durch das ungerechte Scheidungsrecht zunehmend gezwungen auf eine Kholscheidung zurückzugreifen um einer ehelichen Hölle zu entkommen, denn häusliche Gewalt oder einfach nur Auseinanderleben begründen für Frauen nach den Gesetzen keine Scheidung.

Das Erbrecht benachteiligt Frauen auch weiterhin erheblich.

Im Falle der Staatsbürgerschaft wirbt die algerische Botschaft auf ihrer Seite damit, dass seit 2005 auch Kinder von algerischen Müttern die algerische Staatsbürgerschaft haben, und nicht nur die Kinder von algerischen Vätern. Alleine die weiterhin bestehende Notwendigkeit der Erwähnung der Gleichbehandlung im Staatsbürgerschaftsrecht drückt die in den Köpfen existierende Ungleichheit von Männern und Frauen in Algerien aus.

Algerische Feministinnen haben als Folge der langen und brutalen Kolonialgeschichte das Problem, dass ihnen ihr Kampf für Frauenrechte als Verrat an ihrer Kultur vorgeworfen wird. Sie importieren schließlich Werte des Okzidents und das ist immer verwerflich, da es die Werte der ehemaligen Kolonialherren (in diesem Fall Herrinnen) sind. Feministinnen sind sowieso immer und überall schlimm, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen…In Frankreich hat die Front National in der Europawahl erheblich an Stimmen gewonnen und der Rassismus gegenüber französischen Algeriern (Algerien entlässt nicht aus der Staatsbürgerschaft und ermöglicht so die doppelte Staatsangehörigkeit) hat weiter zugenommen. Es wird somit wahrscheinlich nochmals schwieriger für Feministinnen einen eigenen Weg, einen Weg zum feministischen Islam, zu finden angesichts der Verbindung von Rassismus und Patriarchat, sowohl in Frankreich wie auch in Algerien. Beide Länder sind immer noch sehr eng verwoben, oft mit Familien in ebenso beiden Ländern.

Bei ihrer ersten Algerienreise 2008 erwähnte Bundeskanzlerin Merkel besonders das Familienrecht. Frauen seien in dieser Hinsicht benachteiligt. “Man muss aufpassen, dass es nicht schlechter wird”, sagte die Kanzlerin. Sie habe die Frauen bei dem Treffen als sehr selbstbewusst wahrgenommen (http://diestandard.at/1216034980851).

Na, dann ist ja weiterhin alles in Ordnung und Deutschland kann problemlos Waffen an die algerische Regierung liefern, ein wahres Bollwerk der Demokratie gegen den islamischen Fundamentalismus, der insbesondere die Geschlechtergerechtigkeit bedroht, laut  einer oft genutzten Argumentation, die ja häufig genug medienwirksam propagiert wird.

Einmal mehr wird hier deutlich, dass das Argument von fehlenden Frauenrechten im Zusammenhang zum Islam von der deutschen Regierung scheinheilig bei Bedarf zu ihnen passenden Gelegenheiten hervorgeholt wird, aber letztendlich sogar das fundamentale Recht von Gleichheit der Geschlechter völlig uninteressant ist, wenn es um die eigenen Machtinteressen geht.

Die Situation von Frauen ist in Deutschland auch schwierig, und der Islam bedroht Frauenrechte nicht mehr oder weniger als andere Ideologien, denn das Patriarchat nutzt die ihm jeweils zur Verfügung stehende Ideologie zur Reduktion von Frauenrechten immer. Aber im Zusammenhang mit den jetzt anstehenden Waffenexporten sollte der Code de la Famille wenigstens angesprochen werden, auch wenn die rechtliche Situation von Frauen wenig von Interesse zu sein scheint, außer diese können für andere Interessen zu Argumentationszwecken benutzt werden.

Es steht eine erneute Verfassungsänderung in Bezug des Codes de la Famille an, aber es bleibt abzuwarten, inwieweit sich zumindest rechtlich etwas für Frauen verbessern wird.  Im Kampf gegen Ausbeutung, Unterdrückung und als identitätsstiftend, besonders gegen den Rassismus der westlichen Welt,  wird der Islam als hilfreiche Ideologie genutzt, aber in den herrschenden ausgeprägten hierarchischen und autoritären Strukturen hat eine feministische Interpretation des Korans keinen Platz. Um den Machterhalt der Regierung nicht zu gefährden, kann es sein, dass konservative muslimische Kräfte dafür sorgen könnten, das es keine Gleichstellung von Mann und Frau geben wird.