Ein Beitrag von Doktor Mihi
Textil-Unternehmen haben Angst davor, den Menschen freie Wahl zu lassen. Vom Betreten des Ladens bis zum Produkt werden Kund*innen wie an einem Nasenring in eine bestimmte Richtung geführt.
Pfeile mit “Männerabteilung” und “Frauenabteilung” pflastern wie Mahnschilder den Weg. Jedes Produkt ist nochmals separat markiert – mit Fotos von Männern und Frauen, mit expliziter Beschriftung. Schwierig zu dekodieren sind Abbildungen von räkelnden, abgefuckten, nackten Frauen: die können bedeuten, dass das Produkt für Frauen produziert wurde, oder eben für Männer, um diese dann zu den geilsten Stechern auf dem Planeten zu machen.
Natürlich wird auch erwartet, dass schon der Farbencode deutliche Hinweise oder sogar Warnungen liefert: schwarze Parfüms in der Männerabteilung, rosa-seichte Farben bei den Düften in der Frauenecke. Mahnende Blicke, verbale Korrekturversuche („Das ist eigentlich eine Männerhose!“), „Produced for men“, „for him“, „for her“, „Mr Dior“, „Mrs Dior“, “Echte Männer“, „Playboy“, „Die Frau von heute“ – Warnung, Warnung, Warnung! Betreten verboten!
„Stellen Sie das Produkt wieder an den Platz zurück, ihre Körpermerkmale unterscheiden sich von den notwendigen! Sie bewegen sich außerhalb der vorgegebenen Ordnung!“
Der Reiz des Verbotenen: Was wird wohl passieren, wenn ich mir ein Spritzerchen Armani Code Men auf mein Handgelenk träufle? Ich tue es. Und warte. Mehrere Minuten. Nichts passiert. Gut, vielleicht hatte ich Glück. Ich schnappe mir Bvlgari Men und drücke auf den Knopf. Nichts passiert. Riecht gut. Nun in die Kleiderabteilung. Eine Hose, „für Männer“, ich nehme sie mit in die Umkleidekabine. Was wird mir meinem Körper und Geist, mit meiner Umgebung und der ganzen Welt passieren, wenn ich mir diese Hose überziehe? Nichts. Mein Handy klingelt und ich erschrecke.
Falls die Produkte tatsächlich nur bestimmte Geschlechter ansprechen – könnte man dann nicht auf das penetrante Labeln und sozialisierte Farbcodieren verzichten?
Würden dann nicht als-Frau-identifizierende Menschen automatisch nach dem Erdbeer-Kotze-Sunshine-Parfüm greifen und nicht nach Moschus? Ach klar, mein Fehler, da kommt ja das heteronormative, binäre Korsett ins Spiel: Frauen dürfen herbe Düfte mögen, aber eben am Mann; für Männer sind Pastelltöne auch außerhalb des Golfclubs adäquat, aber nur auf Kleidungsstücken der Frau.
Für Menschen in gleichgeschlechtlichen Beziehungen wird es schwierig. Wobei, so schwierig auch wieder nicht. Schließlich gibt es ja auch hier einen „Mann“ und eine „Frau“ – abhängig von Haarlänge, Kleidungsstil oder der Bier-vs.-Weinschorle-Entscheidung. Easy.
Etwas zu beschriften, dass mensch als natürliche Ordnung verkaufen will, ist paradox. Als würde ich meine Hände mit „Hände“ beschriften, damit ich sie ja nicht aus Versehen „Füße“ nenne. Dabei müsste man doch bei den Bezeichnungen anfangen: Wenn man sich so vehement an eine Bezeichnung erinnern muss, damit bloß nicht die falsche verwendet wird, vielleicht ist diese Bezeichnung einfach nicht beschreibend. Der Diskurs sollte den Dingen einen Namen und damit eine Bedeutung zuweisen, nicht umgekehrt.
Hinzu kommt, dass die sozialen Geschlechternormen sehr kurzlebig sind. Trugen damals noch Männer High Heels und schminkten sich, ist dies heutzutage ein Tabubruch.
2015 wurde es dann plötzlich wieder trendy sich als Mann zu schminken: „Echte Kerle tragen Make-up!“
Diese Variabilität der Normen – getarnt als „Trends“ – zeigt die Willkür sozialer Vorgaben und der angeblich geschlechtertypischen Vorlieben. Ganz zu schweigen von der Lächerlichkeit der Zweigeschlechtlichkeit.
Zahlreiche Menschen beugen sich den Geschlechtertrends, schließlich resultiert aus der maximalen Anpassung an an etablierte Standards häufig die Zuschreibung (sexueller) Attraktivität. So lautet zumindest die soziobiologische Grundannahme zur Erklärung des Sozialverhaltens. Heute dies, morgen das, übermorgen unisex. Alle Gegenstände sind aus geschlechtsneutralen Rohstoffen hergestellt. Erst durch uns erhalten sie ihr Label.
Sei kein Fähnchen im Wind, trag was dir gefällt! Kleidung, Düfte, Make-up, Frisuren – alles Drag!