Ein Gastbeitrag einer Frau, die anonym bleiben möchte
Es ist mitten in der Nacht und ich starre auf den Bildschirm mit diesem Inhalt. Eigentlich habe ich den ganzen Tag nichts anderes gemacht. Nur gestarrt. Und Fassungslosigkeit gespürt. Und Ohnmacht. Zwischendurch habe ich mich – unter dieser Beeinflussung – über andere Sachen aufgeregt. Wunderbare Nebenschauplätze, die den Schmerz kurz tilgen. Manche Aufreger beziehen sich auf Nichtigkeiten, ich meckere Freundinnen an – wegen Belanglosigkeiten. Ablenkung, die nur kurz funktioniert.
Ich fühle mich betäubt, sprachlos und schaue diesem Geschehen zu, das ich nicht stoppen kann. Ich müsste mir das nicht geben und tue es trotzdem – weil ich fassungslos bin und mir diese Fassungslosigkeit gestatte. Sicher – ich sollte jetzt besser etwas anderes tun. Meine Gefühlsreaktion ist ohnehin übertrieben – hallo patriarchale Infiltrierung.
Kommentare, die mich kräftigen, mich aufbauen, verschwinden – einer nach dem anderen. Kommentare, die für sich sprechen, die darauf aufmerksam machen, wie es Menschen, wie mir geht oder ging.
Ich war noch nie gut darin oder sagen wir besser, ich gestatte es mir ungern, Frauen zu kritisieren: Im Patriarchat ist der Mann unser gemeinsamer Feind und die Frauen, also, die, die es nicht erkannt haben, sie schlafen noch, oder so ähnlich. Irgendwie. Und irgendwann wachen sie auf. „Übe dich in Geduld“, sagt mir mein patriarchal konditioniertes Gehirn, das in diesen Momenten die Fusion mit Frauensolidarität eingeht. Aber es gibt Momente, in denen ich diese Haltung nicht bewahren kann, in denen meine Psyche und mein Körper dieser – im Grunde maßlosen – Anforderung nicht gewachsen sind.
Mädchenmannschaft also – ein feministischer Blog. Ein Blog, betrieben von Feministinnen. Ich bin auch eine – eine Feministin. Und ich bin Gewaltopfer. Opfer patriarchaler Gewalt. Feministinnen sind mit Opfern patriarchaler Gewalt solidarisch. Dachte ich. Denke ich. Trotz der Momente, in denen sich diese Überzeugung als Farce entpuppt. Trotz der Momente, in denen Feministinnen schweigen: zu einem Thomas Fischer, zu Kachelmann, Gina-Lisa Lohfink, usw. Eben zu Gewalt allgemein. Es ist still geworden um (sexuelle) Gewalt. Pronomina-Debatten sind wichtiger geworden.
Ich bin es gewohnt, dass in Diskussionen um Prostitution zwei Positionen aufeinander prallen, das liegt quasi in der Natur der Sache. Ich bin es gewohnt, beschimpft zu werden, als Hurenhasserin, Nazi, Stasi-Tante. Weil ich Abolitionistin bin. Ich kann damit meistens umgehen, ich komme damit meistens und einigermaßen zurecht, wenn sich in diesen Debatten Lobbyist_innen und (vom Neoliberalismus) Verblendete zu Wort melden.
Immer schlechter kann ich es ertragen, wenn selbst erklärte Feministinnen in dieses Horn tuten. Es tut mir weh. Es macht mich sprachlos. Und es ist, gemessen an den Ereignissen, die sich in diesem Thread abgespielt haben – das wird mir erst im Moment des Schreibens so richtig klar – die absolut logische Reaktion. Denn das, was dort geschieht, ist das Forcieren von Sprachlosigkeit. Das Erzwingen von Schweigen. Silencing. Mir wird gerade klar, dass es genau dieser Punkt ist, der mich ohnmächtig werden lässt. Es ist gar nicht mal so sehr das Aufeinanderprallen von Meinungen, Vorstellungen, Ansichten – auch wenn mich Wörter wie „Sexarbeit“ unfassbar verletzen. Es ist dieses urmächtige dem Patriarchat innewohne Instrument, Frauen zum Schweigen zu bringen.
Ich bin mit der Doktrin groß geworden zu schweigen, den Mund zu halten. Wenn-dann-Androhungen am laufenden Band. Diese Doktrin ist bis heute absolut wirkmächtig, auch wenn ich mich in Teilen davon emanzipiert habe. Ich kenne Silencing schon mein Leben lang. Und ich möchte es heute einfach nicht mehr erleben. Wenn es dann doch passiert, dann weckt das diese uralte Doktrin und ich kriege Flashbacks, Panikattacken, Dissoziationen. Deswegen, ja genau deswegen, ist so ein Thread für mich nicht nur ein Thread. Er ist viel mehr. Und die Methoden gewaltvoll – „Virtualität“ ist kein Freifahrtschein für Gewalt. Und Silencing ist Gewalt.
Aber sicher. Was kann eine Mädchenmannschaft schon dafür, dass ich (patho)logisch reagiere oder was kann sie für mein dysfunktionales Umfeld von damals, das mich heute so reagieren lässt? Nichts.
Aber sie könnte damit aufhören, Taktiken wie Silencing einzusetzen.
Silencing haut rein in die Kerbe meiner gefühlten Insuffizienz, wenn es um Reden geht. Ein Jahrzehnt lang lebe ich in einer innigen und liebevollen Beziehung. Und dennoch, nach all der verstrichenen Zeit: Wenn es um das Reden über das geht, dann zieht sich mein ganzer Körper zusammen. Ich kann nicht. Ich kann einfach nicht. Manches, was ich ihr sagen will, von dem ich denke, dass ich möchte, dass sie es weiß, schreibe ich ihr auf. Ich schreibe es auf und lege ihr den Zettel auf den Schoß und gehe ins Bett. Manchmal bleibe ich neben ihr sitzen, während sie liest. Sie sagt dann Sachen wie „ich habe es gelesen“ und nimmt mich in den Arm. Das ist immer noch in den meisten Fällen mein einziger Weg zu „reden“.
Silencing ist etwas, das wie ein Damokles Schwert über meinem Leben schwebt. Irgendwann habe ich einigen Freundinnen gesagt, nein – auch wieder – geschrieben, was Sache ist. Also die Betroffenheitsposition mitgeteilt. Darüber reden, im Sinne von verbal äußern, kann ich nicht. Ich tue es nicht. Und all zu oft gebe ich mich unbekümmert, unwissend, gefühlsresistent in Situationen, in denen ich etwas beitragen könnte – aus meinen Erfahrungen. Weil ein Kloß in meinem Hals steckt. Oder ich meine Gefühle abspalten muss.
Die Stimmen von Menschen auszulöschen, die Gewalt erfahren haben, dabei Zeugin zu sein, wie nach und nach diese Stimmen und Verweise auf diese Stimmen weg gelöscht werden, das macht mich krank. Ich ertrage das nicht. Ich ertrage es insbesondere dann nicht, wenn es jene tun, die eigentlich meine Verbündeten sein müssten – Feministinnen.
Ich bin eines Besseren belehrt worden.
Die letzten Stunden waren eine Achterbahnfahrt durch den Gefühlskosmos.
Und ja, liebe Mädchenmannschaft, ich bin wütend.
Weil ihr, euch als Feministinnen verstehend, Frauen zum Schweigen bringt, Gewalt negiert und der Vergewaltigungskultur unserer Gesellschaft in die Hände spielt.
Weil ihr, euch als Feministinnen verstehend, Allianzen mit dem Unterdrücker eingeht anstatt solidarisch zu sein und hinzusehen.
Das ist – ich wiederhole mich – Gewalt.
Bei der Vorstellung davon, dass diese ganzen Worte offen im Netz stehen, beginne ich zu zittern und bekomme Bauchschmerzen: weil ich meiner Doktrin widerspreche, weil ich mich dem Silencing nicht beuge.
Das ist – ich wiederhole mich – eine Folge von Gewalt.