Abschied vom liberalen Feminismus

Liberaler Feminismus vs. Patriarchat (Comic)

Wir wollen den feministischen Diskurs beleben und unterschiedliche Ansätze zur Diskussion stellen. Deshalb erscheinen bei uns regelmäßig Gastbeiträge, die nicht zwangsläufig die Haltung der oder aller Störenfriedas wiedergeben, aber wichtige Impulse für die feministische Debatte geben können.

Dies ist eine Übersetzung des Textes „Leaving Liberal Feminism“ von Kate Leigh mit freundlicher Genehmigung der Autorin.

Ich kann euch – um ehrlich zu sein, nicht mehr sagen, wann ich damit begann, mich der liberal (ausgerichteten) intersektionell-feministischen Denkweise anzuschließen. Sie war einfach Teil meiner Auseinandersetzungsprozesse und in in Folge dessen mein Alltag – online und offline. Ich folgte allen Blogs und Seiten. Ich steuerte Kommentare bei, teilte Inhalte. Ich wies Menschen darauf hin, ihre Privilegien zu überprüfen und darauf, dass auch Männer Feminismus brauchen. Der liberale Feminismus war der einzige, den ich kannte. Eigentlich habe ich mich aber nie als liberale Feministin bezeichnet, obwohl ich seine Haltungen vertrat. Ich bezeichnete mich als „Feministin“, ohne zu wissen, dass es noch andere (feministische) Ausrichtungen gibt.

Mit meinen noch frischen Erinnerungen an das, was mir durch den Kopf ging, während ich diese Überzeugungen vertrat, möchte ich im nächsten Abschnitt versuchen, meine Erfahrungen aus der Zeit der liberal-feministischen Perspektive zu beschreiben. Im abschließenden Teil erkläre ich,  warum ich meine Haltung änderte und wie es dazu kam.

Die liberal-intersektionelle feministische Mentalität

Empowert durch Wahl(möglichkeitkeiten)

Alle Entscheidungen sind gut und richtig, solange du sie wählst. Agency steht an erster Stelle. Wir dürfen niemals Entscheidungen einer anderen Person in Frage stellen. Wir werden das unveräußerliche Recht jedes Menschen, ihre_seine eigene Entscheidungen zu treffen, bis auf den Tod verteidigen und jede_n verurteilen, die_der es unternimmt, diese Entscheidungen in einem größeren Kontext zu analysieren. Als Frauen ist jede Wahl, die wir treffen, standardmäßig eine femininistische Wahl, sofern wir Frauen sind und uns entscheiden. Folglich ist es feministisch, Stilettos zu tragen oder eine „Sexarbeiterin“ [Anführungszeichen von Störenfriedas] zu werden. Jede_r, die_der es unternimmt, das größere Ganze zu diskutieren, muss zum Schweigen gebracht werden, um individuelle Entscheidungen zu verteidigen.

Weil alle Entscheidungen gut und feministisch sind, bin ich unfehlbar in allem, es ist unerheblich, für was mich entscheide. Es ist mein Recht und niemand darf es mir nehmen. Es ist persönlich empowernd und zu verteidigen.

Selbst-Identifikation

Jeder Mensch hat das Recht, sich selbst zu bezeichnen und niemand hat das Recht, die Identität einer anderen Person in Frage zu stellen. Identität ist angeboren und intern; sie kann nicht verändert werden. Identität ist das, was du wirklich bist und immer gewesen bist; sie ist unabänderlich. Jemandes Identität in Frage zu stellen, ist inakzeptabel. Identitäten müssen angenommen, geglaubt und von allen bekräftigt werden. Jemand, die_der es wagt, das Gegenteil zu tun, wird unhinterfragt ausgebuht. Ich bin das, was immer ich behaupte zu sein. Ich bin allein so, wie ich mich fühle. Jede_r hat mich zu akzeptieren. Ich fühle mich empowert.

Privileg und Privilegien-Check

Es existiert ein riesiges und komplexes Privilegien-System. Wir sind alle in bestimmten Bereichen privilegiert und in anderen nicht. Es liegt in jeder Person selbst, eigene Privilegien zu erkennen und das Überprüfen von Privilegien anderer einzufordern. Die_der Privilegierte darf niemals die_den weniger Privilegierteren hinterfragen. Eine weiße Frau beispielsweise darf niemals die Erfahrungen und Entscheidungen einer Schwarzen Frau hinterfragen. Zu Privilegien gehören – (die Sammlung) ist aber nicht darauf begrenzt: männliches Privileg, weißes Privileg, Thin-Privileg (Privileg, dünn zu sein), Able-Privileg (das Privileg, nicht von einer Behinderung/Krankheit betroffen zu sein), ökonomisches Privileg und: Cis-Privileg (das Privileg der Übereinstimmung von biologischem und sozial konstruierten Geschlecht (Gender).

Ich bin mir meiner eigene Privilegien bewusst und überprüfe sie regelmäßig. Ich stelle Menschen zur Rede, wenn sie ihr eigenes Privileg nicht erkennen. Ich fühle mich überlegen und selbstgerecht dabei, für die Verletzlichsten einzutreten. Ich gehe auf die ein, die weniger Privilegien als ich haben und ich gestatte es niemals jemandem, sie_ihn oder ihr_sein Erleben zu hinterfragen. Weil ich Cis bin, darf ich niemals irgendetwas hinterfragen, was mit dem Leben als Trans-Person zu tun hat. Ich bin besser als Menschen, die ihr Privileg nicht erkennen.

Feminsmus ist für alle da

Feminismus ist nichts Exklusives. Wir schließen alle mit ein und nehmen jede_n mit. Wir sind davon überzeugt, dass auch Männer Feminismus brauchen, auch wenn sie den Begriff weder kennen noch erfassen. Frauen stehen nicht im Zentrum des Feminismus, wir sollen es auch nicht werden. Wir alle sollen gleich sein.

Ich bin aufgeschlossener als die meisten Menschen und wieder: ich fühle mich überlegen. Ich denke, dass ich jede_n unterstütze, auch wenn sie (die ich unterstützen möchte) gar nicht wissen, dass sie meine Hilfe benötigen.

Gender

Jemandes Gender ist intern und unantastbar. Gender ist der Kern unserer allmächtigen Identität. Gender ist ganz einfach die angeborene Erkenntnis dessen, wer du bist. Gender-Identität wird als unabänderlich verstanden. Gender und Geschlecht müssen nicht zwangsläufig übereinstimmen. Das gegenwärtig erklärte Geschlecht (im sozial konstruierten Sinne) einer Trans-Person ist ihr einziges Geschlecht, auch wenn sie ihr ganzes Leben bis zu diesem Zeitpunkt im anderen Geschlecht zugebracht hat. Trans-Frauen sind Frauen. Trans-Frauen sind die verletzlichsten Frauen, werden am meisten unterdrückt und am häufigsten ermordet. Folglich sind sie die Beschützenswertesten, über allen anderen Frauen. Cis-Frauen dürfen unter keinen Umständen Trans-Frauen ausschließen oder hinterfragen. Würden sie es tun, käme es dem gleich, wenn weiße Frauen Schwarze Frauen ausschließen: undenkbar.

Ich nehme alle Menschen an. Ich bin gut und aufgeschlossen. Ich bin nicht so voreingenommen wie andere Menschen.

Alles bricht zusammen

Das alles habe ich unterstützt bis zum letzten Frühling. Ich fühlte mich gut – und auch gut dabei -, mir meine Privilegien bewusst zu machen und auf jene mit weniger Privileg zu achten. Ich traf meine eigenen Entscheidungen und verteidigte das Recht einer_eines jeden Einzelnen, es mir gleich zu tun. Aber eine Sache störte mich ständig. Es gab etwas, das ich nicht verstand:

„Was ist eine Frau?“

Ich konnte nicht aufhören, über diese Frage nachzudenken. Ich fragte privat Freundinnen und stellte fest, dass sie genauso verwirrt waren. Ständig hörte ich, dass „Trans-Frauen Frauen sind“ und ich wollte begreifen, was das bedeutet. Ich dachte, dass mit mir etwas nicht stimmt, weil ich das nicht sofort verstehe. War ich vielleicht insgeheim in meinem Herzen scheinheilig? Ich fühlte mich, als täte ich etwas Unrechtes, nur weil ich mir überhaupt Gedanken darüber machte, aber es hörte auch nicht auf, dass ich es tat. Beklemmt stellte ich weiterhin meine Frage(n), wenn sich eine Gelegenheit ergab, aber die Antworten genügten mir nicht. Leute antworteten mir mit „Also, woher willst DU denn wissen, dass du eine Frau bist?“ Aber das führte nicht dazu, dass das etwas aufklärte, sondern dazu, dass mich das alles noch mehr verwirrte. Meine Antwort, die man mir niemals zugestanden hatte, war: „Ich weiß, dass ich aufgrund meines Körpers – Vulva, Uterus, Brüste – eine Frau bin. Ich bin eine Frau, weil ich menstruiere und schwanger werden kann.“ Mir fiel kein einziges weiteres Kriterium ein, das einen Menschen zur Frau macht, über die körperlichen Gegebenheiten hinaus.

Eine Frau sollte so sein dürfen, wie sie möchte, tragen, was auch immer sie möchte und jeden lieben, die_den sie lieben möchte. Sie sollte Femininität sowohl annehmen als auch sich ihrer entledigen dürfen. Pink zu tragen, macht eine Frau nicht mehr Frau und bequeme Schuhe zu tragen, macht sie nicht irgendwie weniger Frau.

Während dieser Phase beobachtete ich Trans-Frauen in den Nachrichten und dachte, dass wenn Frau-Sein an die Frauen-Rolle geknüpft ist, dann sind sie vermutlich Frauen, aber nicht ich. Laverne Cox entspricht mit Sicherheit mehr dem femininen Stereotyp als ich. Aber ich wollte auch nichts an meinem Körper ändern oder ihn als männlich gesehen wissen. Körperakzeptanz hat einen enorm befreienden Platz in meinem Leben eingenommen und zu meinem Körper gehören die weiblichen Bestandteile. Und jetzt sollte es mir plötzlich verboten werden, aus Rücksicht auf Trans-Frauen von mir als Frau zu sprechen. Weil ich als „cis“ betrachtet wurde und folglich der Unterdrücker, wurde mir nicht gestattet, das zu hinterfragen.

Ich habe mich dennoch dazu entschieden, es zu hinterfragen. Ich fing damit an, auf intersektionell-feministischen Facebook-Seiten nachzufragen, wenn ich etwas fand, das ich nicht verstand. „Wenn jede/r eine Frau sein kann und eine Frau einen Penis haben kann, ist dann der Begriff Frau nicht komplett bedeutungslos?“ Was bedeutet es, sich „innerlich wie eine Frau zu fühlen?“. „Wenn eine weibliche Person in ihrem Herzen spürt, ein Mann zu sein, ist damit dann nicht der Gedanke an Schwangerschaft unvorstellbar?“ Ich stellte all diese und noch mehr Fragen. Ich tat dies gutgläubig und aufrichtig, ohne bösartigen Absichten und um Vorsicht bemüht. Ich wollte es wirklich verstehen. Ich wollte dazu in der Lage sein, mein „Cis-Privileg“ zu begreifen.

Als ich anfing, Fragen zu stellen, passierten schnell verschiedene Dinge. Ich wurde als „TERF“ ( (trans exclusionary radical feminist) bezeichnet. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch nichts von Radikal-Feminismus gehört. Mir wurde gesagt: „Jede, die sich als Frau bezeichnet, ist eine Frau!“, was mich noch mehr verwirrte. Ich grübelte über den Begriff „Cis“ nach und konstatierte, dass er nicht zu mir passt, weil ich mich nicht mit Gender identifizierte. Mir wurde gesagt, ich solle mich selbst bilden. „Es ist nicht an uns, dich zu belehren.“ Und meine Kommentare wurden gelöscht, mein Profil auf vielen Seiten blockiert, von denen ich einige über Jahre verfolgt hatte.

Ich hatte also irgendwie versucht, online ein paar Antworten zu finden, aber nun musste ich mich auf eine neue Suche begeben. Ich recherchierte „Radikal-Feminismus“. Ich suchte nach Diskussionsgruppen. Mir wurde die Vorstellung von Gender als soziales Konstrukt klar und es machte Klick. Plötzlich machten die Dinge einen Sinn. Endlich fand ich Menschen, die mir halfen, meine Fragen zu beantworten, die mir Bücher, Blogs und Artikel zum Lesen empfahlen. Endlich verstand ich.

Nichts an mir war falsch; ich war keine liberale Feminstin mehr.

Ein Puzzle fügt sich zusammen

Ich bin diesbezüglich immer noch in einem Prozess. Ich bin nicht hier, um die radikal-feministische Philosophie zu erklären, dafür gibt es genug weitaus gebildetere Frauen als mich, die dies tun. Es gibt Bücher. Aber ich kann sagen, dadurch, dass ich mit liberalen Feministinnen zu tun hatte, ging ich davon aus, dass Radikal-Feministinnen hasserfüllte, engstirnige Menschen sind. Das sind sie nicht. Fast jede Radikal-Feministin, der ich begegnet bin, ist tiefgründig und möchte eine bessere Welt für alle, aber zu aller erst und am allermeisten für Frauen. Sie bringen Frauen nicht zum Schweigen, wenn diese von ihren Erfahrungen sprechen.

Wenn ich jetzt zurückblicke, erkenne ich, wie der liberale Feminismus in all seinen Formen Frauen im Stich lässt und mich im Stich ließ. In dem Männer und die Bedürfnisse von Männern zentriert werden, werden Frauen auf das Abstellgleis geschoben. Er unterlässt es, eine Bewegung zu sein, die die Situation von Frauen verbessert und wird zu einer Bewegung, in der es sich nur um das Individuum dreht.

Liberaler Feminismus räumt der Geschichte selten einen Platz ein. Ich wusste auch nie eine Antwort auf die mich plagende Frage: „Warum ist das so?“. Die Antworten waren längst da, um von mir gelesen zu werden. Es gibt so viel, das wir von den Feministinnen vor uns lernen können, aber anstatt dies einzuschließen, wird ihre Arbeit beiseite geworfen und nicht berücksichtigt. Die Lektüre von Gerda Lerners „Die Entstehung des Patriarchats“ lehrte mich mehr als die gesamte Zeit, in der ich eine liberale Feministin war.

Nie findet sich dort die Anerkennung von Unterdrückungssystemen oder von Frauen als Klasse. Stattdessen ist jede Person in ihrer eigenen speziellen individuellen Blase, die nie mit anderen vermischt werden darf, nie als Gemeinschaft gesehen wird und nie das Ganze im Kontext von Geschichte betrachtet hat. Differenzen sind der Fokus, nicht unsere gemeinsamen Erfahrungen als Frau in einer Gesellschaft, die Frauen weniger Wert zuspricht als Männern.

Der liberale Feminismus thematisiert nie, wer vom System profitiert. Männliche Privilegien sind eben etwas, das Männer (nur) prüfen sollen, aber es wird nie benannt, dass das männliche Privileg abhängig von der Unterwerfung der Frau ist. Es wird nie berücksichtigt, dass wir Männern nicht gleichgestellt sein können [Anmerkung Störenfriedas: Im Radikal-Feminismus geht es um Frauen-Befreiung und nicht um Gleichstellungsansätze, in denen der Mann als Maßstab herangezogen wird]. Es kann keine Klasse wie die der Männer existieren ohne die Arbeit und Unterstützung einer Unterklasse, wie sie gegenwärtig von Frauen gestellt wird.

Liberaler Feminismus erkennt nicht, dass Entscheidungen nicht in einem Vakuum getroffen werden. Wir müssen das Beste, was wir können, geben, um in einer Welt wie dieser zu leben, das bedeutet aber nicht, dass jede Entscheidung gut ist. Frauen wählen für gewöhnlich das geringere Übel und oft wollen wir dieser Entscheidungen nicht erhaben sein. Wenn es eine andere Option gäbe, meistens würden wir sie nehmen. Das Versagen darin, unsere Entscheidungen in einem größeren Kontext zu betrachten, macht liberalen Feminismus auf kurze Sicht großartig für das Individuum, aber er ändert überhaupt nichts am ganzen System. Er verrät die verletzlichsten Frauen in Not zugunsten individueller Agency.

Aber allen voran, lässt er Frauen im Stich, weil er uns zum Schweigen bringt. Uns wird vorgeschrieben, dass wir über unsere Körper und Lebenserfahrungen nicht sprechen dürfen. Stattdessen müssen wir uns anderen fügen, ganz besonders: Männern.

Ich war an einem Punkt, an dem ich Feminismus fast komplett aufgegeben hatte. Eines Tages sagte ich „Nie wieder!“ und löschte jede Seite und jeden Blog, dem ich begegnet war. Aber es war nicht das Ende. Jetzt finde ich mich umgeben von klugen Frauen, die Quellen des Wissens und der Erfahrung sind. Ich komme mir oft klein vor aufgrund ihres tief reichenden Verständnisses. Aber genauso fühle ich mich inspiriert. Ich bin nicht mehr eine einzelne individuelle Frau in einer Welt, deren Regeln keinen Sinn machen. Ich bin dabei, die Welt in Arten und Weisen zu erfassen, die mir Erklärungen in einem größeren Maßstab liefern.

Ich wurde wach gerüttelt und habe – noch immer – eine Menge zu lesen.

My feminism will never silence women.

Mein Feminismus wird niemals Frauen zum Schweigen bringen.

18 Kommentare

  1. Der Artikel ist super und beschreibt auch meine Laufbahn ziemlich gut. Was mir noch nicht ganz klar ist: wie genau schließen sich denn intersektionalität und radikalfeminismus aus?
    Ist man sich nicht als radikalfeministin erst recht über die Missstände in der Gesellschaft bewusst? Radikalfeminismus schließt doch keine Menschen aus, die mehrfach diskriminiert werden? Oder? Trotzdem steht halt das Frausein im Vordergrund? Hab ich das richtig verstanden?

  2. Hanna Dahlberg

    Radikalfeminismus und Intersektionalität schließen sich natürlich nicht aus. Zum Beispiel ist eine ethnisch diskriminierte, arme, Romnija eindeutig mehrfach diskriminiert (Frau, arm, rassifiziert). Der liberal-intersektionalistische Ansatz erklärt weißes (Cis)-Frau-Sein jedoch zum Privileg („Vagina-Privileg“), was dann zu den geschilderten Silencing-Prozessen führt (ganz grob vereinfacht gesagt)

  3. Anonymous

    Danke für diesen ehrlichen und guten Artikel!

  4. Finde mich in dem Geschriebenen auch wieder, da mir diese harmlose Form des Feminismus auch nicht liegt. Wie Hannah richtig bemerkt, führt das letzten Endes zu einem raschen Ende der Bewegung, die sich über angebliche Vorteile von Frauen nährt und somit zerstört (wird).

    Nachdem Frauen jahrtausendelang unterdrückt wurden und grossteils noch werden, ist diese Form des harmlosen Feminismus‘ nicht das Mittel der Wahl, um mit dem alten System, das ausgedient hat, zu brechen. Hier werden wieder Lücken für Ausbeutung von Frauen gelassen, in dem Mann es so hinstellt (und viele sich selbst als liberale Feministinnen bezeichnende Frauen es nachplappern), dass beispielsweise Prostitution von den dort tätigen Frauen (und Männern) gewünscht ist und somit als reguläre Arbeit angesehen werden müsste.

    Eine Gesellschaft kann sich somit nur weiter entwickeln, wenn alte Zöpfe abgeschnitten, Türen verschlossen und neue geöffnet werden, was eben bedeutet, dass Frauen sich erstmal wieder selbst entdecken müssen ohne gnädige Vorgaben der Männer, wobei die Männer natürlich mitgenommen werden müss(t)en.

  5. Radikalfeminismus und Intersektionaltät schließen sich überhaupt nicht aus. Intersektionalität war von jeher zentraler Bestandteil des Radikal-Feminismus – Frauenbefreiung. Nur behauptet der liberale Feminismus zu gerne, dieses Konzept auf die Agenda gebracht zu haben, was 1. nicht stimmt und 2. eine pure Anmaßung in Gestalt von Geschichtsvergessenheit ist. Es lohnt sich ein Blick in die Geschichte, insbesondere auf die Women’s Liberation Movement in den USA als auch in FrauenLesben-Geschichte in Deutschland. Es gab von jeher (heftige) Auseinandersetzungen um die Intersektion von Diskriminierungsformen. Als Beispiele: In den USA waren es Anfang der 70er-Jahre Lesben, die z. B. den Klassismus-Begeriff prägten (und Klasseunterschiede sichtbar machten), in Deutschland z. B. bildete sich z. B. die Prolo-Lesben und Krüppel-Lesben-Bewegung aus, es gab die Schwarze Lesbenbewegung sowie vielfache Kritik von jüdischen Lesben an weiß-christlichen FrauenLesben. Diese Auseinandersetzungen und Thematisierung ist nichts, was der liberale Feminismus erfunden hat (mal von der Entstehungsgeschichte der intersektionellen Theorie abgesehen), diese Geschichte wird nur nur gut und gerne von der liberalen feministischen Bewegung unter den Tisch gekehrt. Dass Kate Leigh dies nicht thematisiert, oder nur implizit, sehe ich der Tatsache geschuldet, dass der liberale Feminismus den Begriff dahingehend an die Wand fährt, in dem er Unterdrückunsgmuster kreiert, die keine Kategorien für sich darstellen – die Diskriminierung von Trans-Frauen ist eine sexistische – sprich dem Sexismus zuzuordnen, um nur ein Beispiel zu nennen von vielen, in denen Kategorien aufgemacht werden, die bereits erfasst sind.

  6. Ach und als Nachtrag in punkto z. B. Klassismus: Da schweigt sich die sog. Bubble des liberal-feministischen Spektums weitgehend aus – von ein wenig Tokenism mal abgesehen -, weil dann müsste man sich ja mit der eigenen akademisiert-privilegierten Position befassen und das ist natürlich mehr als ein großes Pfui. Wenn schon intersektionell, dann wirklich intersektionell, alles andere ist für mich unaufrichtiges Geblubber, das sich aber möglichst in intersektionellem Kleidchen präsentiert. Ziemlich (un)cool, oder nicht?

  7. anna schott

    Wow! Guter Artikel! Habe diesen Wandel auch durchlebt.
    Habe Sätze von mir gegeben, wie: Es gibt keine „Frauen“ mehr. Und die Kategorie Geschlecht gibts nicht mehr.
    Am Arsch!
    Als ich mehrere Jahre einen Freund hatte, der mich sexuell ausgebeutet hat und ich den angezeigt habe und ua bei Facebook offen darüber geschrieben habe, wurde ich von vielen Leuten ausgestoßen, ignoriert, wahlweise auch als Lügnerin oder selber Schuld bezeichnet.
    Dieses Erleben hat mir gezeigt, wie scheiße wir Frauen es heutzutage haben…

  8. Ein geniales Buch zu diesem (diesen) Themen hat die junge Kat Banyard geschrieben. Bitte lesen!
    The Equality Illusion. (The truth about Women and Men today. ) Sie zeigt u.a. nach, dass diese sprachliche Unklarheit und Verwischungen, den Männern und Zuhältern in die Hand spielt. ZB. wird beim Wort „empowerement“ und Choice in der Sexinsudstrie so getan, als sei Alles eine freiwillige Wahl der prostituierten Frauen, die „endlich“ ihre Sexualität frei ausleben können (dürfen?) ohne nach dem Hintergrund der sog. „Wahlfreiheit“ zu fragen. Ein Augenöffner, in den heutigen Zeiten.

  9. Hanna Dahlberg

    Das neue Buch „Pimp State“ ist auch SEHR empfehlenswert.

  10. Für mich ist die zunehmende Gewalt gegen Frauen, vor allem auch sexuelle Gewalt und Vergewaltigung einfach nur grauenvoll.
    Das Frauen darüber jetzt auch noch schweigen müssen, oder die unsägliche Täter-Opfer-Umkehr vor Gericht; und die Hatemails die eine Frau bekommt, falls sie es wagt gegen Gewalttäter vorzugehen, oder sie sogar anzuzeigen, ist dermassen Abgrundböse, dass mir die Worte fehlen. Was ist hier nur passiert? Bald herrschen hier auch Zustände wie in Saudi Arabien oder Afghanistan. NOCH finden die Steinigungen verbal statt. UND: Frauen machen bei diesen verbalen Steinigungen mit. Hat dies mit der allgemeinen Auflösung von Grenzen zu tun, (Wie Oben so Unten….Hermes Trismegistos) oder mit einem backlash ins Mittelalter? Ich weiss es nicht. Ich VERSTEHE es NICHT! Diese Solidarisierung mit den Grölern, Vergewaltigern, Tätern und trollen; …. Was soll das bringen? Es widerspricht jeglichem Gerechtigkeitsempfinden. Müssen wir warten, bis solche Vorfälle wie in Indien im Bus auch in Europa passieren? Und schweigt dann der Mainstream und die Mainstreampresse auch? Sind Frauen die neuen „Schwarzen“, an denen man ungestraft den ganzen Hass und Frust abreagieren darf? Fragen über Fragen.

  11. Hanna Dahlberg

    Saudi-Arabien, Afghanistan, Indien und „hier“ haben eines gemeinsam: Wir leben im Patriarchat. Einiges ist dort schlimmer, anderes hier. Ich würde das nicht auf diese Art und Weise gegeneinander stellen. Wir müssen auf nichts „warten“: Frauenhass ist bei uns bereits an der Tagesordnung.

  12. Camila do Nascimento

    Ich glaube beispielsweise nicht an das Kleinwort „cis“. Gender ist ja ein gesellschaftlicher Konstrukt. Aber was ist hier mit dem weißen Privileg? Verleugnet ihr als weiße Frauen nicht privilegiert zu sein? Ich wollte es nur wissen.

  13. Anna Berg

    Schlichte Verweigerung- kollektiv durchgeführt- wäre äußerst wirksam und ziemlich einfach. Verweigerung der Anpassung, Verweigerung des Gebärens unter unzumutbaren Bedingungen (z.B. wirtschaftliche Abhängigkeit in der Ehe),Verweigerung der Ehe selbst, Frauengemeinschaften und- netzwerke, die auch funktionieren und nicht korrumpierbar sind. Das allerdings funktioniert bisher offenbar nur unter extremen Bedingungen, unter denen das Leben für Frauen so furchtbar ist, dass die Alternative nur noch der Tod ist. Die Abschaffung von Frauengemeinschaften, die einander nicht bekämpfen, sondern im Gegenteil unterstützen, wurden vor Jahrtausenden mit Gewalt abgeschafft, und die Rivalität unter Frauen ist eben nicht naturgegeben, sondern ein Produkt des Patriarchats. Deswegen müssen wir im Fernsehen in überschminkte, durchgestylte Moderatorinnengesichter gaffen, die wahrscheinlich durchaus mehr auf der Pfanne haben, aber nicht dürfen. Das problem ist die ebenfalls seit Jahrtausenden anhaltenden, systematische Entwertung des Weiblichen im Patriarchat, welches leider am Ende dann das Selbstwertgefühl der Frauen in der Entwicklung nachhaltig stört. Das weibliche Begehren ist sowieso vollkommen tabuisiert, das darf es ja gar nicht geben, gibt es das doch, so wird es als „Schlampe“ massivst entwertet. Dabei deuten bekanntermaßen viele Untersuchungen darauf hin, dass die weibliche Sexualität mindestens gleich stark ist wie die männliche, möglicherweise die intensivere. Würden wir diese Tabus kollektiv einfach über Bord werfen (können), so würde sich sehr schnell etwas ändern. Aber auch das ist ein langer Prozess.

  14. Anna Berg, Sie sprechen mir aus dem Herzen! Danke! Sogar die Frauensolidarität wurde vom Patriarchat vernichtet und vergiftet.
    (Und jetzt? … ist auch Jede gegen Jede!) Teile und herrsche war wieder einmal mehr erfolgreich!

  15. Die Autorin behauptet doch an keiner Stelle im Text, dass Weißsein kein Privileg ist? Ich gehe auch nicht davon aus, daß sie das denkt. Garnicht.

    Ich glaube, sie ist es Leid, daß wir aus falscher Rücksichtsnahme nicht mehr in einem konstruktiven und pragmatischen Dialog sind, der uns echt – feministisch – weiterbringt. Und dass die Libfem-Gemeinde auf Nebenschauplätzen herumreitet, statt sich mal wieder um Feminismus und Frauen zu kümmern.

    Heißt doch auch überhaupt nicht, sich nicht über Gesellschaftsstrukturen klar zu sein, finde das wichtig.

    Ein Unterdrückungssystem bedeutet Vorurteil und Macht und die strukturelle Ebene muss vorhanden sein.

    Allerdings verlaufen Diskriminierungsstrukturen auch dynamisch und überschneiden sich.

    Als weiße (und deutsche) Frau bin ich privilegiert gegenüber einer schwarzen Frau/Woman of Color, wenn ich das isoliert in der rassistisch strukturierten Gesellschaft betrachte.

    Die Gesellschaft ist aber nicht nur rassistisch, sondern auch (hetero-)sexistisch, klassistisch, etc.

    Heißt auch: Eine weiße Frau kann auch von Unterdrückungsarten betroffen sein, von der eine schwarze Frau nicht betroffen ist.

    Ich finde das eigentlich gar nicht so kompliziert. Darüber sich im Klaren zu sein, wo man privilegiert ist und darüber im Austausch/Reflexion zu sein. Und/aber wenn es passiert, daß man sich diskriminierend/oder anderweitig bescheuert verhalten hat, sollte das benannt werden. Ja, immer! Und nicht aus Rücksicht ausbleiben – schreibt die Autorin ja auch indirekt, dass das zum strikten Reglement des lib. Feminismus gehört. Das ist doch behämmert!

    Ich finde den Anti-Bias-Ansatz zum Beispiel richtig toll. Habe aus einem Workshop deutlich mehr mitgenommen, als dieses in das Queer-Netz geschriebene Tausend-Privilegien-Unsinns-System.

    Ich möchte, dass Feminismus sich wieder um Frauen kümmert und der liberale Feminismus spaltet uns auf, und genau das will das Patriarchat. Wir sollten nicht darauf hereinfallen.

    Dialog- und Reflexionsbereitschaft finde ich wichtig. Wir können ja im Grunde nur voneinander lernen, auch aus Fehlern.

    Und viel von Leuten lesen, die wissen, wovon sie sprechen.

    Ich bin keine „Cis“-Frau, sondern eine Frau. Diese von Queers geschaffene vermeintlich privilegierte Stellung gegenüber Trans-Frauen halte ich für groben misogynen und heterosexistischen Blödsinn. Willkommen im Jahr 2016. Frauen sind zu Unterdrückerinnen von (biologischen) Männern geworden. Daß die diesen Schwachsinn nicht bemerken ….

  16. Danke Mona,…… wieder ein Lichtlein mehr im Begriffsdschungel der Verschwurbelungen und Nebelpetarden.

  17. Danke für Euren Mut, wer immer diesen Artikel verfasst hat, fühl dich gedrückt! Dieser Artikel ist unglaublich toll geschrieben, ich erkenne meinen auch meinen Weg wieder.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert