Agentur von innen: Ein Spiegel in die gesamte Gesellschaft

Agentur für Arbeit - Schild

via Pixabay, Public Domain CC0

Wir wollen den feministischen Diskurs beleben und unterschiedliche Ansätze zur Diskussion stellen. Deshalb erscheinen bei uns regelmäßig Gastbeiträge, die nicht zwangsläufig die Haltung der oder aller Störenfriedas wiedergeben, aber wichtige Impulse für die feministische Debatte geben können.

Als ich im Oktober 2011 einen Job suchte, dachte ich niemals daran, bei der Agentur für Arbeit beschäftigt sein zu können. Als ehemalige Sozialdemokratin, durchaus auch in sozialpolitischen Position tätig wie Sozialbezirksvorsteherin, also Ehrenbeamtin der Stadt Frankfurt, war ich unmittelbar mit dem Einführen der Agenda 2010 aus der SPD ausgetreten.

Mein Berufsbild bei der Agentur nannte sich „Integrationsberaterin und Vorlesekraft für eine 100% blinden Azubi der Agentur für Arbeit“, den ich in einer eins zu eins Betreuung durch seine Ausbildung bei der Bundesagentur zu begleiten hatte. Meine Aufgaben bezogen sich auf alle Bereiche der Ausbildung, der Besuch der Berufsschule aber auch die Teilnahme an allen Seminaren der Agentur und die Hospitationen im Rahmen der Ausbildung, auch in den JC in Frankfurt.

Eine meiner dringenden Fragen im Vorstellungsgespräch war, ob ich denn „AKTIV“ auch an „Fällen“ arbeiten müsste. Klar und deutlich ließ ich spüren, dass eine solche Tätigkeit für mich nicht in Frage kommen würde, klar sagte ich, dass ich eine Kritikerin von den Agenda-Gesetzen sei. Ohne meine Position zu hinterfragen, bekam ich dies zugesichert, einen befristeten Arbeitsvertrag für zwei Jahre und sonst nichts. Keine Einarbeitung, keinen Ansprechpartner, die Verantwortung für einen blinden Azubi und das war es.

Und dies ist zunächst einmal das erste Merkmal für das Arbeiten im „Inneren“ der Agentur. Durch die Merkwürdigkeiten im Stellenplan wechseln ständig MitarbeiterInnen. KollegInnen vor Ort weigern sich, ständig Menschen neu einzuarbeiten und man spürt immer und stetig die große Unzufriedenheit in der Belegschaft. Es herrscht eine Stimmung von Missgunst und Neid, dies wird bewusst von Vorgesetzten instrumentalisiert, befristet Beschäftigte bekommen vorgegaukelt, dass sie eventuell übernommen würden, wenn diese sehr still und brav alle anfallenden Tätigkeiten verrichten. Ohne nachzufragen versteht sich.

Hierzu ist wichtig zu wissen, dass der öffentliche Dienst der Arbeitgeber ist, der den höchsten Anteil an befristeten MitarbeiterInnen in Deutschland stellt.

Bei den Auszubildenden herrschte große Unsicherheit, nach der Ausbildung gab es nur zwei Einsatzorte zur Auswahl, des Callcenter der Agentur oder das JC (Jobcenter). Beide Arbeitsplätze waren in Verruf.

Wir nahmen an allen Seminaren teil, die die Agentur für Arbeit anzubieten hatte. Besonders auffällig war hier, dass zum Beispiel Telefonieren eintrainiert wurde in stundenlangen Übungen, jedoch keiner der AnruferInnen zum Beispiel einen Migrationshintergrund hatte. Völlig weg von der alltäglichen Routine, wenn man im Rhein-Main-Gebiet tätig ist.

Auch gab es eine „Benimmschulung“, bei der den Azubis das Essen mit Messern und Gablen erklärt wurde. Der Umgang mit Menschen in besonderen Problemsituation hingegen wurde nicht erklärt!

Erschreckend für mich war dann die Einarbeitung in den Bereich Hartz IV. Eines der Spiele in der Ausbildung bestand darin, dass die Auszubildenden den Hartz IV-Regelsatz für sich einteilen mussten. In den vier gebildeten Arbeitsgruppen gab es keine, die von den damals € 384, nicht mindestens € 150 als Sparguthaben verzeichneten. Der Ausbilder kommentierte das als sehr sinnvoll, so zu wirtschaften und wollte im Thema lapidar fortfahren. An dieser Stelle ging mir jedoch der Dilettantismus zu weit und ich bestand NACHDRÜCKLICH darauf, das Ergebnis dieser Workshop-Einheit zu diskutieren! Hierbei stellte sich heraus, dass bis auf wenige Ausnahmen alle Auszubildenden noch im elterlichen Haus wohnten und von Stromrechnung und anderen Ausgaben zum Teil noch nie etwas gehört hatten. Ich bat die Geschäftsleitung um ein Gespräch, indem ich forderte, für die Auszubildenden einen fiktiven „Haushaltsplan“ aufzustellen und zumindest einmal grob darzulegen, was ein normales Leben im Monat kostet. Meinem Wunsch wurde nicht nachgekommen und so erarbeitete ich das Thema in meiner Freizeit selbst und hielt den Workshop unter dem Motto „Was kostet uns die Welt?“ persönlich in unserer Freizeit ab. Ich möchte anmerken, dass ALLE Azubis freiwillig in ihrer Freizeit daran teilnahmen!

Mein blinder Azubi und ich wurden dann für ein Vierteljahr in das JC Sachsenhausen entsendet. Mir war hier wichtig zu erklären, wie es auf den Fluren der JC so aussieht. Ich wollte allen Klischees zumindest bei „meinem“ Azubi entgegen treten. Die Gesichter auf den Fluren sind sehr häufig weiblich, sehr jung oder sehr alt und alleinerziehend oder alleinstehend. Oft sind die Gesichter von Krankheit gezeichnet. Meine Aufgabe war es, einem Nichtsehenden als Sehende die Bilder auf den Fluren zu beschreiben. Dies führte zu sehr belastenden Situationen. Nicht selten war es meine Aufgabe zu beschreiben, wie eine junge Frau weinend auf dem Flur saß, ihr kleines Kind voller Angst an ihrer Seite, nicht wissend, was die Mutter denn so sehr an den Rand der Verzweiflung bringt.

In den Büros der einzelnen Sachbearbeiter, die Leistungen zu berechnen, war dann eher eine Stimmung wie auf Kriegsschauplätzen. Ich entschied gemeinsam mit meinem Azubi, dass es für eine blinden Mitarbeiter unmöglich sei, im JC zu arbeiten. Ich teilte dies der Geschäftsleitung mit und bat darum, die Hospitation abzubrechen, die Belastung für den 100% schwerbehinderten Nichtsehenden sei zu groß.

Ich bekam keine Antwort.

Im JC bekam ich dann tatsächlich die gängigen Vorurteile von MitarbeiterInnen zu hören. Ein Vorgesetzter brachte uns in die Abteilung „Bildung und Teilhabe“ mit dem Kommentar „Da können sie einmal hören was DIE so alles wollen! Ballett-Untericht, Reiten und was nicht noch alles. Unglaublich, was die hier versuchen zu schmarotzen“ . Wir waren zwei Wochen dort, nicht ein einziges Mal haben wir so etwas in der Realität auch nur ansatzweise erlebt.

Zu der technischen Ausstattung der Arbeitsplätze in den Agenturen ist insbesondere zu berichten, dass täglich einzelne Programme einfach nicht gehen.  Das führt zu großer Verzweiflung auf beiden Seiten des Tisches. Auch habe ich MitarbeiterInnen erlebt, die in Tränen ausgebrochen sind, weil sie nicht mit den Modulen der Software arbeiten konnten. Insbesondere das Erstellen von „Geldkarten“, um an Betroffene Geld in bar auszuzahlen, ist von einzelnen Beschäftigten einfach aufgrund mangelnder Schulung nicht zu leisten.

Um es noch einmal kurz zusammen zu fassen: die Agentur für Arbeit ist ein großer Arbeitgeber und somit auch ein Stimmungsbild in der Gesellschaft.

Die Kluft in der Agentur ist mehrschichtig.

Annette Ludwig von der AG FELIA (Frankfurter Erwerbslose in Aktion)

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