Nachfolgend die Übersetzung von Teilen eines Interview mit Audre Lorde, welches in dem Sammelband „I Am Your Sister: Collected And Unpublished Writings Of Audre Lorde“ erschienen ist. Quelle: radfem.org
Susan Leigh Star [Leigh]: Was denkst du über das Sadomasochismus-Phänomen in der lesbischen Community?
Audre Lorde [Audre]: Sadomasochismus in der lesbisch-feministischen Community kann nicht losgelöst von den größeren ökonomischen und sozialen Themen, die unsere Communities umgibt, betrachtet werden. … Trauriger weise fühlt sich Sadomasochismus angenehm an für manche Leute in diesem zeitlichen Entwicklungsstadium. … Sadomasochismus ist deckungsgleich zu anderen Entwicklungen in diesem Land, die mit Dominanz und Unterwerfung zu tun haben, mit ungleichen Machtverhältnissen – politisch, kulturell und ökonomisch. … Weil S/M ein Thema in der herrschenden Kultur ist, ist ein Versuch es „zurückzugewinnen“ (reclaim) im Gegensatz dazu es in Frage zu stellen, eine Entschuldigung sich dieses Verhalten nicht näher ansehen zu müssen. …
Leigh: Du meinst … die Medien fokussieren sich auf Lesben im Speziellen fokussieren, um sich nicht mit den allgemeinen Implikationen der Existenz dieses Phänomens beschäftigen zu müssen?
Audre: Ja. Und weil diese Machtperspektive ein Teil der weiteren Gesellschaft ist, ist es schwierig es isoliert zu kritisieren. Wie Erich Fromm schon sagte: „Die Tatsache, dass Millionen von Menschen einem Irrtum unterliegen, macht es nicht vernünftig.“
Leigh: Was ist mit der Maxime „Leben und Leben lassen“ … ?
Audre: Ich verstehe den Zusammenhang nicht. Ich stelle ja niemandes Leben in Frage. Ich sage nur, dass wir die Konsequenzen unseres Lebens bedenken sollen. Wenn wir über Feminismus reden, dann ist das private politisch und wir können alles in unserem Leben einer kritischen Überprüfung unterziehen. Wir wurden in einer kranken und abnormalen Gesellschaft großgezogen, und uns sollte es darum gehen uns selbst zurückzugewinnen … .Das ist komplex. Ich spreche nicht davon etwas zu verurteilen, sondern anzuerkennen was da passiert und sich die Frage zu stellen was das bedeutet. Ich will gar nicht irgendjemandes Leben reglementieren, aber wenn wir unsere menschlichen Beziehungen hinterfragen wollen, dann müssen wir auch bereit sein jeden Aspekt dieser Beziehungen zu hinterfragen. Das Subjekt der Revolution sind wir selbst, es sind unsere Leben.
Sadomasochismus ist die institutionalisierte Feier von dominant/unterwürfigen Beziehungen. Und er bereitet uns darauf vor entweder Unterwerfung zu akzeptieren oder Dominanz durchzusetzen. Auch dann wenn es gespielt ist, ist es so, dass die Machtausübung über eine/n Machtlose/n erotisch ist, empowernd ist, und dies die emotionalen und sozialen Voraussetzungen schafft für die Weiterführung dieser Beziehung, politisch, sozial und ökonomisch.
Sadomasochismus nährt den Glauben, dass Dominanz unausweichlich ist und genossen werden kann. Man kann das vergleichen mit dem Phänomen der Anbetung einer Gottheit mit zwei Gesichtern: Nur den weißen Teil des Vollmonds anzubeten, oder den schwarzen Teil des Mondes, als wären das zwei völlig verschiedene Dinge. Wir können aber nicht einen Aspekt unseres Lebens einzäunen, die Folgen abtrennen … Das ist es was Integrität bedeutet.
Leigh: [Was sagst du zu denen …], die meinen, dass wir eine liberale Toleranz brauchen in Bezug auf die Sphäre der Sexualität, und dass der „Macht über“ Teil einer Beziehung auf das Schlafzimmer begrenzt ist? …
Audre: Wenn es aufs Schlafzimmer begrenzt ist, warum drucken die dann Broschüren? (z.B. „Lesbischer S/M Reader“) … Es ist im Interesse des kapitalistischen Profit-Systems, dass wir möglichst viele unserer Erfahrungen privatisieren. Um integrierte Lebensentscheidungen zu treffen, müssen wir die Schleusentore in unseren Leben öffnen, und emotionale Konsistenz herstellen. Das bedeutet nicht, dass wir alle gleich handeln, oder nicht wachsen oder uns entwickeln würden, sondern, dass es eine grundlegende Integrität gibt, die in all unseren Handlungen erkennbar ist. Niemand von uns ist perfekt, niemand ist mit dieser Integrität geboren, aber wir können in Richtung dieses Ziels arbeiten. …
Manche Dinge in jeder Gesellschaft werden als vollkommen zerstörerisch definiert. Zum Beispiel dieses alte Beispiel „Feuer“ in einem Kino zu schreien. Der Liberalismus hat Pornographie und Gewalt gegen die Ehefrau als Rechte im Einklang mit dem First Amendment [erster Artikel der US-amerikanischen Verfassung) erlaubt. Das passt jedoch nicht in meine Vorstellung vom Leben, und beides ist eine unmittelbare Bedrohung für mein Leben.
Die Frage, die ich mir immer wieder stelle, ist, wer davon profitiert. …
Leigh: Wo fängt Sadomasochismus deiner Meinung nach an? Wo liegen seine Wurzeln?
Audre: In Form dieses überlegen/unterlege, welches uns tief indoktriniert ist. Dieser erlernten Intoleranz gegenüber Unterschieden.
Jene, die involviert sind in Sadomasochismus spielen diese Intoleranz gegenüber Unterschieden aus …: Überlegenheit, und damit das Recht zu herrschen. Der Konflikt ist vermeintlich selbstlimitierend, da er hinter Schlafzimmer-Türen ausgetragen wird. Aber kann das sein, wenn das Erotische alles in unserem Leben ermächtigt, nährt und durchdringt?
Ich habe mich selbst, sehr genau prüfend, gefragt, ob ich hierüber puritanisch bin – und ich habe mir darüber wirklich sehr sorgfältig Gedanken gemacht – und die Antwort lautet: Nein. Ich glaube, dass wir daran arbeiten ganzheitliche Lebensentscheidungen über unsere Netzwerke zu treffen, und diese Entscheidungen führen uns zu weiteren Entscheidungen und Engagement – bestimmten Weisen die Welt zu betrachten, Veränderung schaffen zu wollen. Wenn sie uns nicht in Richtung Wachstum und Veränderung bringen, dann haben wir nichts auf das wir bauen können, keine Zukunft.
…
Leigh: Du sagst, dass die Politik des S/M in Verbindung steht mit der Politik allgemeinerer Themen?
Audre: Ich glaube nicht, dass Sexualität vom restlichen Leben getrennt werden kann. Als Frau aus einer ethnischen Minderheit, weiß ich, dass Dominanz und Unterordnung keine Schlafzimmer-Themen sind. Genauso wie es bei Vergewaltigung nicht um Sex geht, geht es auch bei S/M nicht um Sex, sondern darum wie Macht ausgeübt wird. …
Leigh: Manchmal habe ich das Gefühl, dass es eine Art Tyrannei über das Konzept der Gefühle gibt, so als ob man etwas, das man fühlt auch ausleben muss
Audre: Man fühlt keinen Panzer oder Krieg – man fühlt Hass oder Liebe. Gefühle sind nichts Falsches, aber wir sind verantwortlich für das Verhalten, welches wir an den Tag legen um diese Gefühle zu befriedigen.
Leigh: Was ist deine Meinung über das Konzept der Macht von … lesbischen Sadomasochistinnen
Audre: Das S/M-Konzert über „Vanilla“-Sex ist Sex ohne Leidenschaft. Sie sagen, dass es keine Leidenschaft ohne ungleiche Machtverhältnisse geben kann. Meiner Meinung nach hört sich das ziemlich traurig und einsam an, und zerstörerisch. Die Verknüpfung von Leidenschaft mit Dominanz/Unterwerfung ist der Prototyp des heterosexuellen Bildes von männlich-weiblichen Beziehungen, eines welches Pornographie rechtfertigt. Frauen sollen es lieben Gewalt zu erfahren. Das ist auch die prototypische Rechtfertigung für jedwede Unterdrückung in Beziehungen – dass der unterworfene derjenige ist, der „anders“ ist und die untergeordnete Position genießt.
Ob das „Private“ immer auch politisch ist, weiß ich nicht so recht, doch speziell dieses Thema zeigt, dass der Feminismus uns Wahlmöglichkeiten gebracht hat, auch, wie wir unsere individuelle Sexualität ausleben möchten. Es zeigt aber auch, dass deshalb nicht jede Wahl, die wir treffen, feministisch ist. Die Frage ist, muss sie es in puncto Sexualität sein? Geraten wir dadurch in innere Konflikte? Oder können wir es einfach abstrahieren? Sicherlich eine individuelle Entscheidung. Und die Sexualität, die i.d.R. schon frühkindlich geprägt wurde? Haben wir darauf einen Einfluss und können wir deshalb sagen, (sexuelle) Unterwerfung ist zutiefst unfeministisch? Und speziell aus lesbischer Sicht, wenn Hetero-Verhaltensmuster perpetuiert werden? Oder ist Dominanz und Submission im lesbischen Kontext etwas anderes? Ich vermute eher nicht.
Aus radikalfeministischer Sicht ist das Private immer auch politisch, ja. Nur so konnte Vergewaltigung in der Ehe überhaupt zum Straftatbestand werden, indem man die Individualisierung überwand und auf die Parallelen hinwies, die sich für alle Frauen ergeben. „individuell“ und „Wahl“ sind eher keine radikalfeministischen Analyseraster oder Argumentationsmuster. Der Liberalfeminismus, der mit diesen Begriffen hantiert, ist m.E. genau deshalb blind für Ausbeutung und Unterdrückung: Weil die Gemeinsamkeiten nicht gesehen werden und die individuellen Freiräume im Patriarchat überschätzt werden.
Nun, selbstverständlich kämpft der Radikalfeminismus u.a. für Chancengleichheit und dafür, dass Frauen selbstbestimmt leben können, wozu natürlich auch Wahlmöglichkeiten gehören. Auch wenn der feministische Ansatz hier nicht auf das Individuum fokussiert ist, so profitiert letzteres natürlich von den erzielten Erfolgen. Der Unterschied zur Libertinage ist, dass dort die Losung gilt, „anything goes, egal der Konsequenzen, solange ich mich dazu entscheide“. Das ist der Unterschied, dass wir als Radikalfeministinnen schauen, was bedeutet meine Entscheidung nicht nur für mich, sondern für uns Frauen, sprich wir schauen uns die gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen an, zumindest soweit, wie ich das bisher verstanden habe.