Buch: Sheila Jeffreys – Die industrialisierte Vagina

Buchcover: Die industrialisierte Vagina

Sheila Jeffreys: Die industrialisierte Vagina - Die politische Ökonomie des globalen Sexhandels, Marta Press, 2014

Die australische Sozialwissenschaftlerin und Radikalfeministin Sheila Jeffreys hat im Jahr 2008 ein Buch über die politische Ökonomie und den globalen Sexhandel veröffentlicht. Marta Press hat nun die deutsche Übersetzung herausgegeben.

Für mich war das Lesen dieses Buches eine reinste Offenbarung. Obwohl ich mich schon viel mit der globalen Sexindustrie auseinandergesetzt habe, bescherte es mir zahlreiche Aha-Momente und wartete mit viel Hintergrundwissen auf. Jeffreys führt in ihrem Buch die großen Schriften zum Thema zusammen und liefert damit einen fundierten Überblick über die verschiedenen Facetten jener Praktiken bei denen

Männer durch Bezahlung oder dem Angebot einer anderen Vergünstigung das Recht [erwerben], sich mit ihren Händen, Penissen, Mündern oder mit Objekten an oder in den Körpern von Frauen zu schaffen zu machen“ und diese „zu Fotzen degradieren (Millett).

Jeffreys beschreibt den Weg von der lokalen, gesellschaftlich tendenziell verachteten Prostitution hin zur immens profitablen, gesellschaftlich respektierten und internationalen, in den globalen Kapitalismus integrierten, Prostitutionsindustrie.

Im ersten Kapitel geht es um die Rezeption von Prostitution durch Feministinnen. Jeffreys beschreibt, wie Frauen durch das „AIDS-Geld“ (von Regierungen an NGOs, die diese zum Kampf gegen HIV verwenden sollten) zu Cheerleaderinnen der „Sexarbeit“ wurden. Erst diese Finanzierung ermöglichte die Entstehung einer starken, internationalen Lobbygruppe für Sexarbeit, auf der heute Menschen wie Laura Augustin aufbauen. Der postfeministische Ansatz ist darüber hinaus wie sie zeigt ein neoliberaler:

Von dem neo-liberalen Subjekt wird gefordert, ungeachtet der Schwere der Einschränkung seiner Handlungsfähigkeit die volle Verantwortung für seine Lebensbiografie zu tragen, so wie der Neoliberalismus fordert, dass sie ihre Lebensgeschichte so erzählen, als ob sie das Ergebnis freier Entscheidungen ist.

Auch zeigt Jeffreys auf, dass die wirtschaftliche Entwicklung vieler Länder zunehmend von der Prostitution von Frauen abhängt, dies aber kaum Thema in der feministischen Literatur über Globalisierung ist. Den neoliberalen Feministinnen stellt Jeffreys den Kampf der Radikalfeministinnen gegenüber, die als einzige immer wieder auf die schädlichen Wirkungen der Prostitution auf die Betroffenen und die Gesamtgesellschaft hinweisen.

Im zweiten Kapitel geht es um Ehe und Prostitution, genauer um das, was sie als „untertänige Ehe“ bezeichnet, bei der kein direkter finanzieller Ausgleich stattfindet, aber Frauen aufgrund von Armut oder Mangel an Alternativen wie einer Scheidung gefangen bleiben. Da Prostitution ein integraler Bestandteil des patriarchalen Kapitalismus ist, ist die Ehe eine der gesellschaftlich anerkannten Möglichkeiten für Männer, Zugang zu den Körpern von Frauen zu bekommen (nach Pateman). Sie schildert, dass viele „westliche“ Frauen viel ungewollten Sex zu lassen, der abgelehnt und als zutiefst erniedrigend erlebt wird, obwohl er vielleicht nicht leicht als „Vergewaltigung“ zu klassifizieren ist, weil die Frauen nicht nein sagen (können). Sie haben das Gefühl, dass ihnen gar keine andere Wahl bleibt als durchzuhalten und zu „lieben, um zu überleben“. Ein Unterkapitel beschäftigt sich mit der Praxis der Katalogbrautindustrie, die durch Ungleichheit der Beziehungen geprägt ist in Bezug auf die wirtschaftliche Abhängigkeit, Sprachschwierigkeiten und das Fehlen kulturellen Wissens, Isolation von Familien, Freund*innen sowie das Fehlen jeder anderen Unterstützung und der drohenden Abschiebung der Frau. Sie stellt einem Mann, an dem sie kein emotionales Interesse hat und den sie nicht begehrt, ihre häusliche und reproduktive Arbeitskraft zur Verfügung und gewährt ihm sexuellen Zugang zu ihrem Körper, um unerträglichen wirtschaftlichen Umständen zu entkommen. Die Webseiten entsprechender Vermittlungsagenturen versprechen ihren männlichen Kunden Frauen, die unterwürfiger als „westliche“ Frauen sind. Auch Zwangs- und Kinderehen werden in diesem Kapitel ausführlich besprochen.

Das dritte Kapitel handelt von Pornographie, die als „Propaganda des Frauenhasses“ (Barry) beschrieben wird, weil sie als Anleitung für männliche Gewalt an Frauen dient. Sie beschreibt wie Feministinnen in den USA ein Gesetz gegen Pornographie verhinderten, welches von Andrea Dworkin und Catharine MacKinnon erarbeitet wurde, um Frauen, die bei der Herstellung von Pornos Schaden genommen hatten, die Hersteller*innen und Verteiler*innen des Materials hätten verklagen können. Der Startpunkt für Hardcorepornos kann festgelegt werden auf diese sexuelle Versklavung von Linda Lovelace in Deep Throat. Seitdem sind sie ein wesentlicher Bestandteil der Unterhaltung des Mainstreams. Auch der Aufstieg des Playboy-Imperiums unter der Kontrolle der Mafia und die heutige Bedeutung von mafiösen Strukturen wie die von Joseph Abinanti in den USA oder den japanischen Yakuza in den Niederlanden, werden im Buch dargestellt. Ebenso die Bedeutung von Firmen wie General Motors, die jährlich mehr pornographische Filme verkauft als die Hustlerkette. Wenn man weiß, dass GM einen ihrer ehemaligen Pornobetriebe an Rupert Murdoch verkauft hat, wird auch klar, warum Medien ein Interesse daran haben, Pornographie in der Bevölkerung zu puschen. Jeffreys macht deutlich wie Kapitalist*innen junge Mädchen in der Pornographie verheizen und auf ihrem Rücken ihre Profite einstreichen. Den meisten Pornostarbiographien ist gemeinsam, dass die Mädchen junge Teenager sind, die verzweifelt Geld brauchen, regelmäßig obdachlos sind und wenig Selbstwert oder Quellen emotionaler Unterstützung haben. Sie werden schnell in Hardcore-Filme gedrängt, die sie anfangs ablehnen. Wenn sie nicht akzeptieren, wird das Geld knapp und sie landen wieder auf der Straße. Jeffreys beschreibt auch, wie die „westliche“ Pornoindustrie kambodschanische Kinder für Kinderpornographie verheizt und welche schrecklichen Auswirkungen dies auf die dortigen Gesellschaften hat. Bei den australischen Aborigines führte die Einführung von Pornographie zu einer Epidemie von sexueller Gewalt gegen Kinder und Frauen. Die herbeigeführten Veränderungen von Sexualkultur führten in Papua-Neuguinea zu einer hohen Anzahl von Gruppenvergewaltigungen. Insbesondere dieses Kapitel hat mich tief erschüttert.

Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit der Tradition von Frauen, die tanzen, um Männer sexuell zu erregen (meist gefolgt durch ihren sexuellen, kommerziellen Gebrauch) mit den Stripclubs. Während bis zu den 80er Jahren die Tänzerinnen noch von den Clubs bezahlt wurden, ging man dann dazu über „Bühnengebühren“ einzuführen: Um tanzen zu dürfen, müssen die Tänzerinnen nun an das Management zahlen, in den Spearmint Rhino Clubs in den USA, Großbritannien, Moskau und Australien beispielsweise 80 Euro pro Nacht, sowie 35% ihrer Kundeneinnahmen. Die sorgfältigen Bemühungen Stripclubs durch Sexausstellungen, Stripwettbewerbe, Unterstützung von wohltätigen Zwecken einen Anstrich von Normalität zu geben, führte beispielsweise dazu, dass Personen wie Margaret Thatcher, Prinz Harry und Tony Blairs Sohn Euan zu deren Förderern gehör(t)en. Menschenhandel/Schuldsklaverei ist das übliche Mittel, um Frauen in den Clubs auszubeuten. In vielen Ländern sind Stripclubs nur ein Deckmantel für Prostitution. Außerdem sind sie der Ort, wo sich Geschäftsleute und Politiker am liebsten miteinander verbrüdern – mit ein Grund warum Frauen aus gewissen Führungszirkeln herausgehalten werden sollen. Eine Studie zeigte, dass solche Clubs Männern einen Ausgleich für den Machtverlust bieten, den sie erleiden, wenn ihre Ehefrauen, Partnerinnen und Arbeitskollegen sich aus ihrer Unterordnung befreiten, mit ihnen zu konkurrieren begannen und Gleichberechtigung verlangten. Einige Kunden wünschen sich „mit Frauen zu tun zu haben, die nicht feministisch sind und sich immer noch wünschen … mit Männern auf „traditionellere Weisen zu interagieren“

Im fünften Kapitel wird auf die Bedeutung der Militärprostitution und ihrem Effekt der Globalisierung der Prostitution, der sexuellen Ausbeutung von Frauen und Kindern aus armen Ländern durch Mitglieder reicher „westlicher“ Nationen, eingegangen. Nach Cynthia Enloe muss es darum gehen zu analysieren wie Gesellschaften mit Konflikten umgehen. Denn dies übe einen tiefen Einfluss auf ihr Wirtschaftsleben und die tagtägliche Politik aus. Die Bildung und Aufrechterhaltung von riesigen, kriegsbereiten Militärmaschinerien erfordere die Beteiligung von Hunderttausenden von Zivilist*innen und besonders Frauen, um sie zu unterstützen und zu versorgen. Prostitution ist dabei ein zentraler Bestandteil: Das Militär benutzt Prostitution und Pornographie, um die Truppen zu maskulinisieren. So wird es Männern ermöglicht, Frauen als „das Andere“ zu sehen. An Frauenkörpern werden Männer trainiert, Männer zu ein. Auch ermöglicht diese aggressive Maskulinität ihnen, andere zu töten. Jeffreys beleuchtet in diesem Kapitel auch das japanische Trostfrauensystem, welches ähnlich der heutigen Schuldsklavereiverhältnisse funktionierte. In Bosnien wurden durch serbische Milizen Vergewaltigungslager errichtet: Die sexuelle Ausbeutung wurde hier mit einem Völkermord kombiniert und die Frauen, wenn sie nicht mehr von Nutzen waren, getötet. In Jugoslawien gab es zu diesem Zeitpunkt den „freiesten Pornographiemarkt der Welt“. Sexuelle Erniedrigung war auch ein zentraler Bestandteil des Holocaust. Erst die US-Militärprostitution etablierte auf den Philippinen, auf Okinawa, Hawaii, in Thailand und Vietnam einen Prostitutionsmarkt, die später jeweils in den zivilen Bereich transformiert wurde. Im letzten Teil dieses Kapitels geht es um die verheerenden Folgen von Friedensmissionen, die in Ländern wie Kambodscha, Kosovo oder Westafrika ebenfalls zu florierenden Prostitutionsmärkten führte. Der Austausch von Lebensmitteln und Medizin gegen Sex gehört zu verbreiteten Verhaltensweisen von UN-Personal, die Verbreitung so genannter „UN-Kids“ wurde vielfach thematisiert. Jeffreys macht deutlich, wie auch diese Märkte von so genannten Feministinnen (z.B. Diane Otto) verteidigt werden, auch wenn es sich um Kinder handelt, die dort benutzt werden. Eine Direktive für das UN-Personal wird von ihr in den Kontext „sexueller Negativität“ und einer „repressiven Körperpolitik“ gestellt. Militärprostitution und zivile Prostitution sind nicht voneinander zu trennen, weil sie aufeinander aufbauen und weil „Männer im Krieg tun, was sie im Frieden tun“.

Im nächsten Kapitel geht es schließlich um den Prostitutionstourismus. Man kann zum einen feststellen, dass die „aus dem Kriegsdienst entlassenen Sexkrieger auf die Spielplätze zurückkehren“, egal ob nach Südostasien oder in andere Gebiete. Bereits 1996 entfielen zehn Prozent aller Konsumausgaben aus dem Tourismus. Für arme Länder, die in der wirtschaftlichen Weltordnung im Nachteil sind, bleibt fast nur der Prostitutionstourismus als Nische übrig. Viele reiche Männer besuchen ein armes Land, um Zugang zu Frauen anderer „Rasse“ zu haben. Aber auch die Niederlande werden als Ziel von Prostitutionstourismus in den Blick genommen. Der Versuch der Legalisierung der Prostitution zur Bekämpfung von Menschenhandel kann als gescheitert gelten, weil die Bekämpfung dieses Problems seitdem noch mehr zugenommen hat. „Der Prostitutionstourismus bekräftigt den übergeordneten Status als Männer und beruhigt sie hinsichtlich der sie verstörenden „sich verändernden Rolle der Frauen“, die „eine beträchtliche Bedrohung für die männliche Identität darzustellen scheint“. Nach einer Studie von O’Connell Davidson konnte bei Prostitutionstouristen eine „frauenfeindliche Wut“ festgestellt werden, auf „westliche“ Frauen, weil diese sich Männern gegenüber gleichberechtigt verhalten und sie nicht als Herren und Meister anbeten. Das Kapitel beschäftigt sich im Speziellen auch mit Prostitutionstourismus im Rahmen von Sportgroßveranstaltungen, dem Kinderprostitutionstourismus und mit dem Prostitutionstourismus von Frauen (siehe auch unser Artikel über „Freiende Frauen“ hier).

Im siebten Kapitel geht es um Menschenhandel und die Methode der Schuldsklaverei. Nach einem kurzen Abriss der Geschichte des Menschenhandels und der Inbezugnahme auf den Kapitalismus, beschreibt Jeffreys den rechtlichen Umgang im internationalen Recht und schließlich die massiven Schäden durch den Menschenhandel. Auch auf die Normalisierungsbestrebungen der Sexarbeitslobby und den Ansatz des „Stigma“ geht sie ausführlich ein. Letztendlich beschäftigt sie sich mit der männlichen Nachfrage und erklärt, warum ein Ansatz des „ethischen Freiers“ zum Scheitern verurteilt ist: 89% der Sexkäufer sehen prostituierte Personen als „schmutzig“, 77% von ihnen sehen sie als „minderwertig“ an. Sie werden durch die Tatsache, dass Frauen gehandelt sein könnten, nachweislich nicht vom Sexkauf abgehalten.

Das Thema des letzten Kapitels ist der „Staat als Zuhälter“. Legalisierung ist nach Jeffreys eine aktive Strategie, die die Bedingungen für eine schnelle Expansion der Prostitutionsindustrie schafft. Der weitaus größte Teil der Prostitution läuft auch in Ländern mit Legalisierung im illegalen Sektor ab. Auch der Einfluss der Allgegenwart von Prostitution und Pornographie auf das Zusammenleben von Männern und Frauen wird in den Blick genommen: „Mit der Sexualisierung des öffentlichen Raums durch die Werte und Praktiken der Sexindustrie, wird die öffentliche Landschaft für Frauen maskuliner, einschüchternder und befremdlicher.“ Der öffentliche Raum wird Frauen dadurch Schritt für Schritt genommen.

In ihrem Schlusswort beschreibt Jeffreys das Nordische Modell und plädiert für dessen weltweite Etablierung als Ausweg aus der Sackgasse in der sich viele Ländern befinden.

Meines Erachtens ist „Die industrialisierte Vagina“ ein Standardwerk, welches jede*r, der/die sich mit der Sexindustrie befassen möchte, unbedingt gelesen haben sollte. Es liefert so viele wertvolle Informationen und Querverweise, dass man Wochen und Monate damit verbringen könnte, diesen jeweils nachzugehen. Auf einer „To-Read-Liste“ befindet sich jetzt jedenfalls eine ganze Reihe von Vertiefungsliteratur. Was besonders positiv auffällt, ist die Tatsache, dass sich das Buch insbesondere auf wissenschaftliche Erkenntnisse und gesellschaftliche Analyse stützt. Eine Bereicherung für jedes Bücherregal! Herzlichen Dank an Marta Press für die deutsche Veröffentlichung!

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