Das Leben und Sterben der Rosemarie Nitribitt

Dies ist die traurige Geschichte des „Mädchen Rosemarie“, die bereits Stoff für mehrere Filme und Erzählungen lieferte, die jedoch nicht als sehr authentisch und als sehr verklärend bewertet werden.

Rosalia Annemarie Auguste Nitribitt wurde am 1. Februar 1933 in Ratingen bei Düsseldorf als uneheliches Kind geboren. Ihren Vater lernte sie nie kennen. Sie und ihre Schwester Irmgard kamen 1936 „wegen drohender Verwahrlosung“ in das Kinderheim St. Josef in Eschweiler und im September 1938 in das Erziehungsheim Düsseldorf-Herdt. Rosemarie wurde im Mai 1939 in einer Pflegefamilie in Niedermendig (Kreis Mayen-Koblenz) untergebracht und erlebt dort eine unbeschwerte Kindheit.

Als sie 11 Jahre ist, wird sie jedoch von einem 18-Jährigen in Tannenwäldchen vergewaltigt. Der Täter bleibt anonym, die Tat wird tabuisiert. Geahndet wird dieses Verbrechen nie. Ab ihrem 12. Lebensjahr sind Verhaltensauffälligkeiten bekannt. Sie freundet sich mit zwei Prostituierten an und wird von diesen an französische Soldaten des benachbarten Militärflugplatzes Mendig vermittelt, an die sie Sex gegen Ware verkauft. Mit 14 Jahren wird sie schwanger und lässt Anfang 1947 eine Abtreibung vornehmen, die fast tödlich endet. Es folgen zahlreiche weitere Heimaufenthalte, aus denen sie wiederholt abhaut. Am 22. August 1947 wird eine Fürsorgeerziehung erlassen wegen ihres „starken Hangs zu geschlechtlichen Ausschweifungen“ und dem „wahllosen Einlassen mit Männern“ (wie ihre Mutter). Sie wird mehrfach polizeilich aufgegriffen und wegen „gewerblicher Unzucht“ in ein Arbeitshaus gesteckt. Auch dort gelingt es ihr zu fliehen. Im April 1950 erhält sie eine Hausmädchenanstellung in Andernach, wechselt aber ganz schnell in andere Jobs. Weil sie auch in dieser Zeit immer wieder wegen Prostitution aufgegriffen wird, schickt man sie in ein Krankenhaus zur „Beobachtung von Geschlechtskrankheiten“ und bringt sie anschließend in einem Kloster unter. Auch eine Überweisung in die Landesnervenklinik in Andernach wird in Betracht gezogen. Sie flüchtet sich zu ihrer Mutter.

Ab März 1953 erhält sie eine Anstellung als Haushaltshilfe in Mayen (neben der sie weiterhin als Gelegenheitsprostituierte arbeitet). Hier lernt sie Peter kennen und verliebt sich in ihn. Mit ihren jetzt 17 Jahren möchte sie heiraten und eine Familie gründen. Als sie ihrem Freund von einer (vermutlich erfundenen) Schwangerschaft erzählt, meldet dieser sich zur Fremdenlegion und lässt sie sitzen.

1951 wird Rosemarie Nitribitt erstmals in Frankfurt polizeilich registriert und wegen „Landstreicherei“ für 3 Wochen Haft in die JVA Preungesheim inhaftiert. Es folgt eine Zeit des Anschaffens im Frankfurter Bahnhofsviertel und eine weitere Episode in einem Erziehungsheim. Am 14. August 1953 erklärt man sie frühzeitig für volljährig und entlässt sie aus der Fürsorgeerziehung.

Rosemarie mietet eine Wohnung in Frankfurt an. Sie versucht der Prostitution durch Bewerbungen in anderen Bereichen zu entkommen, dies gelingt ihr jedoch nicht. Aufgrund finanzkräftiger Verehrer kann sie sich mit 21 einen Wagen kaufen, dessen Preis heute etwa 58.000 € entsprechen würde. Ihr Monatseinkommen wird auf 4.000 DM geschätzt. Im Jahr 1954 übersteigt ihr Jahreseinkommen das bundesdeutsche Jahreseinkommen um das siebenfache.

Rosemarie Nitribitt vor ihrem Mercedes 190 SL, 1957. (Kriminalmuseum Frankfurt)

Rosemarie Nitribitt bietet sich zeitweise unter dem Pseudonym „Rebecca“ (teilweise auch mit dem Nachnamen „Rosenbaum“) an.

Mit ihrem Opel Kapitän und später ihrem Mercedes Cabrio 190 SL nimmt sie täglich ab etwa 17 Uhr Rundfahrten durch Frankfurt zur Kundenakquise vor. Sie machte durch eine provokante Fahrweise auf sich aufmerksam, gabelt Kunden auf und bringt sie nach dem Sex wieder zum Ausgangspunkt zurück. Nicht sie wird von den Sexkäufern ausgewählt, sondern sie wählt aus. Ihr Auto wird regelmäßig beschädigt, zum Beispiel durch das Einritzen von Hakenkreuzen oder ordinären Sprüchen. Auch die gehobeneren Cafés in Frankfurt dienen ihr zur Kundenakquise. Eine Bedienung berichtet sie habe ihren Hund Joey (sprich: „Schoey“) so trainiert, dass dieser als „Icebreaker“ zu für sie interessanten Männern dient.

Am 1. November 1957 wird Rosemarie Nitribitt im Alter von 24 Jahren in ihrem Apartment in der Stiftstraße 36 in Frankfurt erwürgt aufgefunden. Der Todeszeitpunkt wird offiziell auf den 19. Oktober 1957 zwischen 15 und 17:30 Uhr festgelegt, könnte jedoch auch am 30. oder 31. Oktober gewesen sein.

Die Ermittlungen der Polizei können nur als schlampig und stümperhaft bezeichnet werden, sie sind ein einziges Desaster wie zum Beispiel folgende Pannen zeigen:

  1. Zahlreiche Beweismittel werden nicht asserviert um entweder prominente Kunden zu schützen oder als Souvenirs in den Privatbesitz überführt (zum Beispiel pornographische Fotos von Rosemarie)
  2. Wegen der von der Fußbodenheizung stammenden Hitze reißen die Ermittler die Fenster auf, ohne vorher die Zimmertemperatur zu messen, was die Bestimmung des ungefähren Todeszeitpunktes fast unmöglich macht.
  3. 27 Personen laufen nach Entdeckung der Leiche in der Wohnung herum, gehen ein und aus
  4. Ein Polizeikommissar vergisst seinen Hut am Tatort, weshalb eine ganze Weile nach einem Täter mit Hut gefahndet wird.
  5. Die Polizei vermutet Habgier als Motiv (wegen vermuteter fehlender Barbestände) und schließt deshalb vermögende Kunden per se aus. Kommissar Helmut Konrad sagt später in einem Fernsehinterview „Die Kunden der Nitribitt waren gutbetuchte und seriöse Leute. Die brauchten das Mädchen nicht umzubringen, das ihnen obendrein auch noch Freude geschenkt hat. Das wäre ein schlechter Dank gewesen“
  6. Aufgrund einer Notiz in Nitribitts Kalender „Rolf Endler“ in Kombination mit München und Düsseldorf, gerät ein Rudolf Endler aus München ins Visier der Ermittler und gilt über Monate als tatverdächtig. Wenige Stunden nach der Nachricht er käme nicht mehr als Täter in Frage erliegt er einem tödlichen Herzinfarkt.

Der Nachlass von Rosemarie Nitribitt betrug 120.000 DM(wovon das Finanzamt 50.000 DM einforderte) und ging an ihre Mutter.

Zwischenzeitlich war auf Hinweise, die zur Überführung des Täters führen eine Belohnung von 100.000 DM ausgesetzt: 50.000 DM von der Mutter und 50.000 von der Illustrierten „Quick“. Dies war zum damaligen Zeitpunkt die zweithöchste Belohnung aller Zeiten.

Als Haupttatverdächtiger galt und gilt Rosemaries guter Bekannter, der Handelsvertreter Heinz-Christian Pohlmann, der, chronisch pleite, nach der Ermordung plötzlich über große Summen Bargeld verfügte. Aus Mangel an Beweisen wurde er jedoch freigesprochen.

Rosemarie Nitribitt hat Kunden aus allen sozialen Schichten. Zu Ihren prominenten Stammkunden gehören u.a.

  • Harald von Bohlen und Halbach: Der erst 1955 aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrte Krupp-Sprößling schreibt ihr zahlreiche Liebesbriefe und -gedichte
  • Harald Quandt, der Sohn von Magda Goebbels und Stiefsohn von Joseph Goebbels, unterhält eine längere „geschäftliche“ Beziehung mit ihr
  • Gunther Sachs, der jüngere Sohn des Industriellen Willy Sachs, der später als Prototyp des „Gentleman-Playboys“ bekannt wird und zwischenzeitlich mit Soraya, der persischen Exkaiserin liiert und drei Jahre verheiratet ist mit Brigitte Bardot
  • Ernst Wilhelm Sachs, Gunthers älterer Bruder, der Rosemarie 1953 oder 1954 in einem Wiesbadener Luxushotel kennenlernt und sie mehrere Tage lang in seiner Wohnung in Schweinfurt wohnen lässt. Laut einer Freundin war Rosemarie sehr verliebt in ihn
  • Fritz Huschke von Hanstein, Rennfahrer und späterer Rennchef bei Porsche. Hanstein verzeichnet in 16 Jahren 16.559 Siege und 259 Meisterschaften. In Nazideutschland war er SS-Mitglied und sein Sportwagen (Kennzeichen SS-333) trug ebenso wie sein Anzug und der Helm SS-Runen
  • der Jazzmusiker Joe Zawinul, der Rosemarie Nitribitt im Jahr 2002 einen Bildausschnitt auf seinem CD-Cover und im Booklet widmet („Faces and Places“)

Es gibt nicht belegte Gerüchte, dass auch Bundeskanzler Ludwig Erhard, Kurt-Georg Kiesinger und ein Bruder von Bundespräsident Gustav Heinemann zu den Kunden von Rosemarie gehörten. Um diese Verbindungen ranken zahlreiche Verschwörungstheorien und eine ganze Weile vermutete man eine CIA-Spionageaffäre hinter dem an ihr verübten Mord.

Im Jahr 2013 fanden Polizisten im Keller des Frankfurter Polizeipräsidiums die 5 Jahrzehnte lang vermissten Spurenakten.

Da die Kriminalpolizei nicht mit Sicherheit sagen konnte, woher die Verletzung an ihrem Hinterkopf stammte, wurde Rosemarie Nitribitt am 11. November 1957 ohne Kopf beerdigt. Der Schädel wurde zum Asservat erklärt und später an die Lehrmittelsammlung der Frankfurter Polizei ausgeliehen. Auf Bitten von Rosemaries Schwester wurde er 2008 (!), 51 Jahre nach ihrer Beerdigung (bei der sich der Pfarrer weigerte den Sarg ans Grab zu begleiten und ihr einen letzten Segen zu geben), im Grab von Rosemarie in Düsseldorf beigesetzt. Dessen Liegerecht ist seit 2001 abgelaufen, Spender kommen für die Verlängerung der Grabnutzung auf.

Quellen:

Guido Golla: Rosemarie Nitribitt. Recherchen und Theorien. BoD, Norderstedt 2013, ISBN: 978-3-7322-5384-5, 216 Seiten, 28.50 € (D) + diverse Internetquellen

 

5 Kommentare

  1. Alfred kutschke

    Ich hatte im August Kontakt zu der enkelin von drr nitribit

  2. hartmann horst

    Unvorstellbar.
    Trotz alle dem Mord verjährt nicht. Ich würde den Fall heute neu aufrollen.
    Ansetzen würde ich hier, derjenige der gezahlt hat und hier, derjenige der Sie für sich oder länger haben wollte und Sie nicht mitging ! No matter who it is or who it was ! DNA im Körper von Frau Nitribitt oder ihre Körper Flüssigkeiten könnten mit heutiger Technik neue Erkenntnisse liefern. Ebenso sollten die Herren Kommissare um Öffentlichkeits-Unterstuetzung bitten und insbesondere Zeugenaussagen und die Alibis von relevanten Personen öffentlich bearbeiten.
    Die Story der Butler war’s – ist zu banal !

    der

  3. Hallo Alfred,

    das hört sich sehr spannend an! Könntest du dich per Email bei mir melden? Einfach an podcast@antenne.de schreiben.

    Danke 🙂

    LG

  4. Gabi Murek

    Hallo,ich wohne in Bad Homburg,also Frankfurt um die Ecke,vorgestern stand ich im Hausflur von Rosemarie Nitribitt,letztes Jahr am Grab.ich bin erschüttert über den gesamten Ablauf der 1.Minute nachdem man sie fand?die oberflächlichste Arbeit einer Polizei….und obendrein noch Notizbuch und Bilder verschwinden zu lassen…die Herren Saubermann durften ja nicht auffliegen….unglaublich…
    Und Adolf,wie kamst du zu Kontakt zur Enkelin?Enkeling heisst Kind vom Sohn,der ja wohl existiert… auf Kontakt würde ich mich freun….mehr zu wissen,über eine tolle Frau,die es halt wusste,wie es geht,um immer höher zu steigen…

  5. Gabi Murek

    Hatte eben schon mal geschrieben…hätte gerne Kontakt zu R,Nitribitts Verwandten,bin gerade sehr beschäftigt mit dem Fall und fahre Weihnachten wieder ans Grab,von Frankfurt.Über ein bischen Info wäre ich super glücklich
    LG aus Bad Homburg

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