Die Sauvage „Affäre“ oder das vierfache Scheitern der französischen Justiz

Hand

{bathe in light} (CC BY-NC-ND 2.0)

Wir wollen den feministischen Diskurs beleben und unterschiedliche Ansätze zur Diskussion stellen. Deshalb erscheinen bei uns regelmäßig Gastbeiträge, die nicht zwangsläufig die Haltung der oder aller Störenfriedas wiedergeben, aber wichtige Impulse für die feministische Debatte geben können.

Wenn eine Frau sich auf einen Mann einlässt, und einen Teil ihres Lebens mit ihm verbringen will, geht sie ein unermässliches Risiko für ihre Gesundheit, und ja sogar ihr Leben ein. Diese Wirklichkeit wird von den meisten Medien, den meisten PolitikerInnen ignoriert und in der Öffentlichkeit verschwiegen. Die heterosexuelle Beziehung bleibt idealisiert und romatisiert, obwohl ein Viertel der Ehen eine Anhäufung von tagtäglichen Belästigungen, Drohungen oder sogar Quälereien darstellt, mit der Gefahr vom geliebten Mann sogar getötet zu werden.

Unsere Gesellschaft hat Schwierigkeiten, diese Gewalt anzuerkennen und lässt sie in ihrer Mitte geschehen. Das Zugeben ihrer Existenz wird als generalisierte Anklage des Mannes wahrgenommen und befreit die Täter somit von ihrer Verantwortung. Also spricht man viel lieber von “Familiengewalt“ oder häusliche Gewalt, als ob Häuser schlagen würden, um Männern diese allgemeine Beschuldigung zu ersparen, obwohl bei Weitem nicht alle Männer gewalttätig sind, diejenigen aber, die es sind meistens mehrere Opfer haben, zum Teil weil sie unbestraft bleiben.

Der Fall zeigt ein schreckliches Versagen unserer Justiz und unserer Polizei: Die Staatsdienste, die unsere Sicherheit gewährleisten sollten, versagen darin, die Hälfte der Bevölkerung zu schützen.

Erstes Scheitern: Gewalt und Männlichkeit bleiben unauslöslich gebunden: unsere ganze Kultur verherrlicht diese Kombination, es bleibt also in unseren Mentalitäten so. Es wurde nicheinmal veruscht, sexuelle Gewaltverherrlichung in Medien, Filmen und kulturellen Produktionen  zu verbieten. Rassistische Inhalte können vor der Justiz belangt werden. Sexistische nicht. Der Rapper Orelsan hat sein Gerichtsverfahren gewonnen, die Lieder, wo er zur Vergewaltigung und Waffengewalt aufrief verstoßen gegen kein Gesetz, so lange potenzielle Opfer nur Frauen sind. Die Meinungsfreiheit ist ein Vorwand für sexistische Gehirnwäsche. Wenn die Justiz jedoch die schlimmsten Excesse, weder sanktioniert noch kritisiert, dann kommt es einer Zustimmung gleich.

Zweites Scheitern: SIE hat keine Anklage eingebracht, hat ihre Klage zurückgenommen,  hat ihre Kinder nicht geschützt, ihre Angaben revidiert, ihre Beschuldigungen relativiert… Die Polizei und die Justiz werfen den Frauen immer Untätigkeit vor. Anstatt jedoch diese Schutzmechanismen und die sexistischen Strukturen in Frage zu stellen, wirft man den Frauen vor sie nicht zu nutzen.  Wenn Frauen in Not diese Strukturen nicht nutzen, dann ganz einfach deshalb, weil diese Schutzmechanismen nicht für sie geschaffen worden sind. Also beschuldigt man Frauen, sie nicht benutzen zu können.

Eigentlich ist die Mehrheit der Gesetze unserer Republik aus einem alten Rechtssystem geerbt, aus einer Epoche in der Frauen nicht mal vollberechtigte Bürgerinnen waren. Wie der napoleonische Zivilcode, der unser Rechtssystem noch sehr beeinflusst. Der Schutz gegen Gewalt des Intimpartners war den Männern, die diese Gesetze geschaffen haben, und die noch mehrheitlich für deren Umsetzung verantwortlich sind, nicht nützlich. Polizei Kommissariate und Gerichte sind dazu geeignet Männern vor Delikten und Verbrechen zu schützen, die sie am allerwahrscheinlichsten betreffen. Partnergewalt gehört nicht dazu.

Jacqueline Sauvage hat ihr Martyrium nicht passiv erlitten, wie es ihr schamlos vorgeworfen wurde, sie hat das Polizeikommissariat aufgesucht, sie hat versucht, ihren Mann zu verklagen. Ihr Mann kam aber zum Kommissariat und nahm sie wieder nach Hause, ohne dass ein Polizist sich einmischte. Schützt die Polizei Gewaltopfer? Nein, nicht wenn sie Frauen sind, nicht wenn die Frau Gewalt von dem Mann erleidet mit dem sie ihr Leben teilt, der noch viel zu oft seine Partnerin als sein Eigentum betrachtet.

Drittes Scheitern : Eine Frau, die vierzig Jahre lang die Gewalt ihres Partners erlitten hat, ihn am Ende ermordet hat, und vor Gericht ihre Taten zu verantworten hat, ist eine tatsächliche Umkehrung der Schuld: er musste sich nie für irgendwas verantworten. Und die einzige Argumentationslinie der Verteidigung ist Notwehr: was für ein Versagenseingeständnis, wenn die Justiz ihre eigene Ohnmacht bestätigt, und dem Opfer das Recht einräumt, Selbstjustiz zu betreiben. Dass das Gericht diese Verteidigung nicht annahm hat aber mit diesen Betrachtungen nichts zu tun, sondern mit Details des Tatvorgangs.

Viertes Scheitern: die Präsidenten der französischen Republik haben ein Recht ihrer monarchischen Vorgängern geerbt: die präsidentielle Gnade, die sie eine.r.m Verurteilten erteilen dürfen. Diese Gnade ist ein Affront gegen die Justiz und das geltende Recht, weil sie einen Beschluss aufhebt, das das Ergebnis einer langwierigen Prozedur ist. Dabei wurden Experten verhört, professionnelle Richter eingesetzt. Das Gnadenrecht ist auch ein Affront gegen die Demokratie, ein Relikt aus der monarchischen Vergangenheit. Die Tatsache, dass die Gnade die einzige Lösung im Fall Jacqueline Sauvage war, macht folgende traurige Erkenntnis sichtbar: auf einem Justizversagen folgt ein Demokratieversagen.

Ein Beitrag von Florence-Lina Humbert

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert