Ein Beitrag von Manuela Schon
Vorbemerkung
Am 20. Januar 2016 erschien das Buch „Burning Country: Syrians in Revolution and War“ der beiden syrischen AktivistInnen Leila al-Shami und Robin Yassin-Kassab. (Anmerkung der Redaktion: Eine Übersetzung eines Beitrags von Leila al-Shami aus dem Oktober 2014 wurde auf diesem Blog veröffentlicht) Die AutorInnen sind dem linken, anarchistischen Spektrum zuzuordnen. Das Buch ist ein wichtiges Zeugnis der Geschehnisse in Syrien und enthält Hintergründe zur Geschichte Syriens, den Beweggründen des Widerstands gegen das faschistische Assad-Regime, den Erfolgen der Demokratiebewegung, den internationalen Verwicklungen und den (leider oft auch negativen) Folgen. Auf diese Details wird in diesem Beitrag nur am Rande eingegangen. Die Lektüre des Buches ist unbedingt empfehlenswert. Viele AktivistInnen kommen selbst zu Wort und die Vielfalt an Informationen und weiterführender Literatur ist überwältigend.
Dieser Beitrag fokussiert sich auf die Situation und Rolle der Frauen in Syrien und im Kampf für Frieden, Freiheit und Gleichberechtigung. Die Beispiele sind vielfältig, inspirierend und sollen einen Einblick geben, der uns in deutschsprachigen Medien wenn überhaupt nur sehr vereinzelt gewährt wird. Deshalb spreche ich von den unsichtbaren Frauen der syrischen Revolution. In Syrien sind sie ganz und gar nicht unsichtbar – in unserer „westlichen“ Rezeption des Syrien-Krieges existieren sie (fast) nicht.
Die Darstellung ist nicht abschließend, kann sie auch nicht sein. LeserInnen sollen sich ermuntert fühlen den Links zu folgen und selbst in die Welt der syrischen Frauen in Krieg und Exil einzutauchen. Dann erwartet sie ein Wechselbad der Gefühle zwischen Überraschung, Trauer und Tränen, eventuell aber auch Motivation für den eigenen Kampf vor Ort.
Kurzer Abriss zur Geschichte der Frauenbewegung in Syrien
Die Frauenbewegung in Syrien reicht bis zum Beginn des 20ten Jahrhunderts zurück. Die christliche Damaszener Journalistin Mary Al-Ajami (1888- 1965) gründete die erste Frauenzeitschrift Al Arous (Die Braut) im Jahr 1910 und die Pioneer Literary Association im Jahre 1922. Sie kämpfte außerdem für das Frauenwahlrecht. Sie lehrte Frauenrechte und Staatenbildung im Libanon, bevor sie sich den Rest ihres Lebens der Wohltätigkeit verschrieb. 1929 wurde sie in Damaskus geehrt.
Naziq al-Abid (1898-1959) wurde bekannt als „Jeanne d’Arc der AraberInnen“. Naziq gründete im Jahr 1919 die erste Frauenorganisation Syriens, Noor al-Fayha (Das Licht Damaskus) (in deren Publikation auch Mary Al-Ajami regelmäßig schrieb). Im selben Jahr sprach Naziq vor der amerikanischen King-Crane Kommission. Ihren Wunsch nach einem liberalen, säkularen Syrien machte sie deutlich, indem sie ihren Schleier ablegte. Nach ihrer Teilnahme im Kampf um Mayaloun, wurde sie zur Ehrenoffizierin der syrischen Armee ernannt und gründete das Syrian Red Crescent (eine Art syrisches Rotes Kreuz), zur Unterstützung der verwundeten SoldatInnen. Im Jahr 1925 gründete sie zusammen mit Adila Bayhum die Damaszener Women’s Awakening Society, die in Workshops vertriebenen und verwitweten syrische Frauen Fertigkeiten vermittelte. 1935 gründete sie im Libanon die Association for Working Women, die sich für Krankengeld, Mutterschutz und gleiche Bezahlung für weibliche Arbeiterinnen stark machte.Adila Bayhum (1900-1975), geboren in eine wohlhabende Beiruter Familie, schrieb für zahlreiche arabischsprachige Zeitungen, in denen sie das Osmanische Reich kritisierte und dessen Beteiligung am Ersten Weltkrieg. Im Jahr 1918 gründete sie in Syrien den Muslim Girls Club, der muslimischen Mädchen kostenlose Kurse für English, Poesie und Religion anbot. Im Jahr 1927 gründete sie die Women’s Union in Syrien, als deren Präsidentin sie bis 1967 fungierte. Adila kämpfte zeitlebens für Frauenrechte, forderte Wahlrecht für Frauen, das Recht öffentliche Ämter zu besetzen und das Wiederaufleben eines weiblichen Intellektualismus. 1938 führte sie die syrische Delegation zur Frauenkonferenz in Ägypten an, leitete die größte Frauendemonstration in der syrischen Geschichte im Jahr 1945. Der damalige syrische Präsident Shukri al-Quwatli verlieh ihr im Jahr 1946 die Medaille der Syrischen Republik.
Bereits bei den Protesten gegen die französische Kolonisation spielten Frauen eine einflussreiche Rolle. So organisierten sie beispielsweise große Demonstrationen mit Tausenden von Menschen gegen die französische Bombardierung von Damaskus im Jahr 1925.
Nach der Unabhängigkeit Syriens im Jahr 1948 erlangten Frauen Wahlrecht, also noch vor der „Wiege der Demokratie“ Griechenland (1952) oder unserem Nachbarland der Schweiz (1971) und anderen Ländern. Allerdings war dieses zunächst beschränkt auf jene, die ihre Elementarschulausbildung abgeschlossen hatten. Diese Einschränkung wurde 1953 aufgehoben. Ab dann durften Frauen auch selbst zu Wahlen antreten und politische Ämter übernehmen.
Frauen unter der Baath Partei und Bashaar Al-Assad
Die Baath Partei wurde 1947 gegründet. Zunächst war sie kein bedeutender Faktor in Syrien, putschte sich jedoch am 8. März 1963 an die Macht. Hafez al-Assad wurde zunächst Luftwaffenschef und im Jahr 1966 Verteidigungsminister. 1971 wurde er Staatspräsident. Nach seinem Tod im Jahr 2000 beerbte ihn sein Sohn Bashaar al-Assad.
Unter der Baath Partei wurden die feministischen Aktivitäten eingedämmt und jegliche feministische Aktivität stand unter der Hegemonie des Regimes. Auch wenn sich die Regierung international immer als frauenfreundlich und säkular darstellte, erlebten Frauen unter Hafez und Bashaar al-Assad einen außerordentlichen Backlash.
Die Situation für Frauen in Bashaar Al-Assads erster Wahlperiode stellte sich so dar:
Sie unterlagen gesetzlichen Diskriminierungen in Bezug auf Heiratsalter, die Möglichkeiten sich scheiden zu lassen und dem Sorgerecht für ihre Kinder waren eingeschränkt. Vergewaltigung in der Ehe nicht strafbar Für Männer, die „aus Gründen der Ehre“ töteten, wurden reduzierte Strafmaße angewandt (eine Anhebung des Strafmaßes von 6 Monaten auf 5 Jahre fand erst 2011 nach den Aufständen in Tunesien und Ägypten statt). Das Syrien Bashaar al-Assads war patriarchal und die Frauenbewegung bestand vorwiegend aus der gebildeten Oberschicht, und wurde vom Staatsapparat vereinnahmt. So unterstützte die Baath Partei beispielsweise die konservativen Frauen der Oberklasse (Qubaysiyyat), die sich für den Bau von 80 Schulen allein in Damaskus verantwortlich zeigte. 75.000 Schülerinnen wurden hier beschult. Jegliche Fraueninitiativen, die sich jenseits davon engagierten, unterlagen Repressionen und Einschüchterungen. Das Regime führte auch zahlreiche grausame Massaker gegen Frauen durch.
Was die Verbreitung von Ehrenmorden betrifft rangiert Syrien international bis heute ganz oben, noch vor dem Yemen und Palästina. Jedes Jahr findet in Syrien im Oktober ein Tag zur Erinnerung der Opfer der Ehrenmorde statt.
Erst durch die syrische Revolution erlebte die Frauenbewegung eine Renaissance. Frauen spielten darin eine Schlüsselrolle. Sie gründeteten die beiden größten Graswurzelbewegungen (und viele kleinere) und brachten sich auf vielfältige Weise ein – und tun es bis heute.
Menschenrechtsaktivismus und friedlicher Protest
Razan Zaitouneh, eine junge Anwältin, setzte sich unermüdlich für die Rechte der vom Regime Verfolgten ein – ob Linke, KurdInnen, Muslime oder zivilgesellschaftliche AkteurInnen. Razan leistete darüber hinaus materielle und emotionale Unterstützung für politische Gefangene und deren Angehörige. Bereits 2007 verhängte die Regierung aufgrund ihres Engagements für Menschenrechte und der Dokumentation der Gewalttaten der Regierung gegen die Bevölkerung auf ihrer Seite Syrian Human Right Information Link (SHRIL) ein Reiseverbot für sie. Bereits Im Mai 2001 war sie eine er MitbegründerInnen der Human Rights Association in Syria (HRAS). Aufgrund dieser Arbeit für Menschenrechte erlangte sie internationale Bekanntheit.
Ab dem März 2011 entstanden überall in Syrien die LCCs (Lokale Koordinierungskommitees), die u.a. durch Razan Zeitouneh und Samira Khalil, die Ehefrau des bekannten Linken Yassin al-Haj Saleh, gegründet wurden. Samira wurde beschrieben als eine „mütterliche Person, die jeden liebt, jeden versucht glücklich zu machen und die sehr großzügig ist in der Unterstützung anderer Menschen“. Zusammen mit Razan und ihrem Mann gründete sie ein Frauenzentrum, Women Now, in Douma. Während Samira in Douma blieb, errichtete Yassin ein weiteres in Mesraba, Planungen für eins in Harasta liegen vor. Auf der Facebook Seite von Women now for Development finden sich Informationen über die dort geleistete Arbeit.
Aber auch an anderen Orten wurden Frauenzentren zu einem Kennzeichen der Revolution:
Before, a women’s centre was a ridicolous place controlled by the Baathist Women`s Union. Razan Zeitouneh started the Women Now for Development centres; Samar Yazbek’s Soriyat organisation runs them now. I’ll give you an example of a women’s centre in conservative Maarat al-Nowman. As well as providing a place for women to meet and discuss their rights, it teaches work skills, including in fields traditionally concidered unsuitable for women. There`s a course in presentation skills, and a subject called „scientific research“. These centres are still running even in areas under Nusra control, much more successfully and safely than in areas under regime control. This couldn’t have happened without the revolution, and I don’t see how it can be stopped (Yara Nseir)
„Zuvor, waren Frauenzentren lächerliche Orte, die vom Frauenverband der Baath Partei kontrolliert wurden. Razan Zeitouneh hat die Women Now for Development Zentren gegründet. Samar Yazbeks Organisation Soriyat führt diese heute. Nehmen wir als Beispiel das Frauenzentrum im konservativen Maarat al-Nowman. Dieses stellt Frauen einen Ort zur Verfügung um ihre Rechte zu diskutieren, sie erwerben berufliche Kompetenzen, auch in Bereichen die traditionell als ungeignet für Frauen angesehen wurden. Es gibt einen Kurs für Präsentation, und Unterricht in „wissenschaftlicher Forschung“. Diese Zentren bestehen selbst in Gebieten unter der Kontrolle von Nusra weiter, sogar erfolgreicher und sicherer als in Gebieten, die unter Kontrolle der Regierung stehen. Dies wäre ohne die Revolution undenkbar gewesen, und ich weiß nicht wie diese Entwicklung aufzuhalten sein sollte.“ (Yara Nseir)
Razan, ihr Ehemann Wael Hamada, Samira und Nazem Hamadi, die Douma Four, alle Gründungsmitglieder der LCCs, wurden am 9. Dezember 2013 von der Jaysh al-Islam (Army of Islam) Brigade entführt und womöglich getötet. Bis heute ist ihr Schicksal ungeklärt.
They were the backbone of the LCCs. We`ve survived since then, but I can`t say we are living. What upset Zahran Alloush? First, Razan was documenting the violations committed by his Army of Islam; second […] he wanted all support for civilians to go through his organisation. Beyond that, he was offended by Razan’s personality. She never dissembled or hid her identity. She`s a liberal woman who will never veil, who won’t allow anyone to dictate how she behaves. In her opinion, if Bashaar al-Assad was unable to impose upon her, no other dog would do so either. Those are her words. For a Salafist, such a free spirit is dangerous. (Assaad Al-Achi)
(„Sie waren das Rückgrat der LCCs. Wir haben seitdem überlebt, aber wir können nicht behaupten, dass wir leben. Was hat Zahran Alloush so erzürnt? Erstens, hat Razan die Gewaltaten seiner Jaysh al-Islam dokumentiert; zweitens, wollte er, dass jegliche Unterstützung der ZivilistInnen über seine Organisation läuft. Darüber hinaus, hat Razans Persönlichkeit ihn aufgebracht. Sie hat ihre Identität niemals verschleiert oder versteckt. Sie ist eine liberale Frau, die sich niemals verschleiern wird, die sich von niemandem sagen lässt wie sie sich zu verhalten hat. Nach ihrer Auffassung wird es keinem anderen Hund gelingen ihr irgendetwas aufzunötigen, wenn dies schon Bashaar al-Assad nicht gelungen ist. Das waren ihre Worte. Für einen Salafisten sind solche Worte gefährlich.“)
Als nach 2012 die meisten der männlichen Aktivsten entweder geflohen oder verhaftet worden waren, bildeten Frauen das Rückgrat der Bewegung. Ihnen fiel es leichter auch mit Menschen anderer Gemeinden/Gemeinschaften zusammenzuarbeiten, sie nahmen eine vernetzende Rolle ein, so wie beispielsweise Marcell Shehwaro, eine Zahnärztin, in Aleppo, wo sich Araberinnen und KurdInnen, ChristInnen und MuslimInnen gemeinsam an Demonstrationen unter dem Motto Freedom is My Sect beteiligten. Marcell hatte eine tragende Rolle in der gemeinsamen Organisation von ChristInnen und MuslimInnen.
Die erste Person, die es jemals wagte Bashaar al Assad zum Abdanken aufzufordern war eine Frau: Die Menschenrechtsaktivistin von Swasiya, Muntaha al-Atrash, eine Drusin und Tochter des Sultan Atrash, forderte Assad am 12. Aril 2011 angesichts der friedlichen Massenproteste auf seinen Hut zu nehmen.
Am 17. März 2014 wurde Marcell von einer Brigade festgenommen, weil sie sich weigerte sich zu verschleiern. Über einen Mitstreiter ließ sie über Facebook folgende Botschaft verbreiten.
I am Marcell Shehwaro. I am detained by the Sharia’ Council because of not wearing the veil in the liberated areas.
This is the story as it happens:. We were with a youth group involved in a revolutionary activity at the Jisr Al-Haj square. The activity was consisting of putting photos of the martyrs of the revolution in Aleppo and planting trees at the roundabout. Then a leader of the Army of the Mujahideen called Abu Hussanein came and asked me to wear the veil because this area was under the control of the Mujahideen Army. After my rejection of the order, a car came full of armed elements of this group and they asked me to come with them. The young men with me did not let them take me and and this led to shootings and fights, between the young men and the armed men and many different parties intervened. In the end and after a long discussion among all the groups in which they explain me I needed to wear the hijab and then they would let me leave. I refused and they detained with me Mohammad Khalili at the Sharia Council.(„Ich bin Marcell Shehwaro. Ich wurde vom Sharia-Rat inhaftiert, weil ich mich geweigert habe mich in den befreiten Gebieten zu verschleiern. Folgendes ist passiert: Wir waren eine Gruppe junger Menschen, die sich an revolutionären Aktvitäten am Jisr Al-Haj Platz beteiligte. Die Aktion bestand darin, dass wir Fotos von Märtyrern der Revolution in Aleppo aufgehängt haben und Bäume gepflanzt haben. Ein Anführer der Mujahideen, namens Abu Hussanein, kam zu mir und befahl mir mich zu verschleieren, da dieses Gebiet von den Mujahideen kontrolliert sei. Nachdem ich dieser Anweisung keine Folge leistete, kam ein Auto angefahren mit Männern seiner Gruppe und sie befahlen mir mitzukommen. Die jungen Männer, die mit mir unterwegs waren, ließen dies nicht zu, was zu Schießereien und Kämpfen führte, zwischen ihnen, den bewaffneten Männern und anderen die sich nun einmischten. Am Ende einer langen Diskussion zwischen den ganzen Beteiligten wurde mir erklärt, dass sie mich nicht gehen lassen würden, sollte ich mich weiterhin weigern einen Hijab zu tragen. Ich lehnte ab und wurde dann zusammen mit Mohammad Khalil vom Sharia-Rat festgenommen.“)
Nach Protesten vor dem Gerichtsgebäude wurden sie und Mohammad Khalili noch am selben Tag wieder freigelassen
Marcell Shehwaro betont, dass sie sich nicht als Christin von Muslimen unterdrückt fühlt. Sie sagt, dass Polizeikontrollen, die sich an ihren Haaren stoßen, sich auch an anderen Dingen stören werden. Es handele sich nicht um eine Glaubensdiskriminierung, sondern um Schamlosigkeit von bewaffneten Milizen, die der Zivilbevökerung Respektlosigkeit entgegenbringen, weil sie sich als deren Beschützer ansehen.
Die alewitische Schauspielerin Fadwa Suleiman organisierte Demonstrationen gegen Assads Regime in Homs und wurde eines der bekanntesten Gesichter der Widerstandsbewegung. Im November 2011 erklärte sie einen Hungerstreik. Von ihrer Familie wurde sie verstoßen, aus Syrien musste sie in Erwartung von Inhaftierung, Folter und Mord fliehen. Zum Schutz ließ sie sich die Haare abschneiden. Sie lebt jetzt im Exil in Paris.Als Selemmiyeh das Zentrum des Widerstandes wurde, bildeten Frauen ihre eigenen Organisationsgruppen und nahmen gemeinsam an Demonstrationen teil. Nach der Festnahme von weiblichen Aktivistinnen posteten sie Fotos und Videos von häusliche Sit-Ins und erwiesen sich damit als Stachel im Fleisch des Assad Regimes.
We organized sit-ins inside of our houses, where we held banners and statements that presented our political views, and our resistance to the brutality of the Assad regime. Our whole revolution can be summarized in these words: We want freedom, we want dignity, and we will demand these until the murderer falls and is finally executed.
(„Wir haben Sit-Ins in unseren Häusern organisiert, bei denen wir Transparente und Statements hochhielten, die unsere politischen Botschaften widerspiegelten, sowie unseren Widerstand gegen die Brutalität des Assad Regimes. Unsere Revolution kann zusammengefasst werden mit den Worten: Wir wollen Freiheit, wir wollen Würde, und wir werden diese einfordern, bis der Mörder endlich fällt und hingerichtet ist.“)
Im April 2011 organisierten Tausende von Frauen in Bayda Demonstrationen gegen die Inhaftierung ihrer Männer. Dies führte zu einer Freilassung von mehr als 200 Männern.
In der Innenstadt von Damaskus liefen vier Frauen Ende 2012 in weißen Brautkleidern durch den Medhat Basha Markt. Sie nannten sich Bräute des Friedens und trugen Schilder bei sich, auf denen sie zum Frieden aufriefen. Sie wurden verhaftet.
Im Adra Gefängnis traten am 1. Juli 2013 weibliche Gefangene in den Hungerstreik. Viele der politischen Gefangenen wurden über 6 Monate in Haft gehalten, ohne dass ihnen ein Prozes gemacht wurde und ohne dass man ihnen mitteilte was man ihnen überhaupt vorwarf. Kontakt zu Familienangehörigen wurde untersagt. Unter ihnen befanden sich kranke, schwangere und ältere Frauen. Das Syrian Human Rights Network zählte im März 2013 6.000 weibliche, politische Gefangene, darunter 1.000 Studentinnen.
In Raqqa führt die Lehrerin Suad Nowfal einen täglichen Ein-Frau-Protest gegen ISIS/Daesh durch. In Prag wurde ihr 2015 dafür der Homo Homini Preis von der Menschenrechts-NGO People in Need verliehen.
In Zabadani organisierten Frauen seit Sommer 2015 regelmäßig Demonstrationen, verhüllten sich als Schutz vor den Sicherheitskräften des Regimes. Sie leisteten medizinische und humanitäre Unterstützung. Eine Kampagne I am She befasste sich mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft mit den Schwerpunkten Freiheit, Gerechtigkeit und aktiver Partizipation an der Gesellschaft. Die Frauen stellten politische Forderungen auf, veröffentlichten ein Monatsmagazin (Suwar) und organisierten Trauma-Workshops für Opfer von physischer und psychischer Gewalt.
Die Christin Yara Nseir (Voices from Syrian Opposition), die aus Syrien fliehen musste, nachdem sie wegen dem Verteilen von Flyern 18 Tage politische gefangen gehalten wurde, stellt fest:
Die linke Bloggerin Razan Ghazzawi, wurde zweimal vom Regime verhaftet und sah sich gezwungen aus Syrien zu fliehen Zwischenzeitlich zog es sie im Jahr 2013 in eines der befreiten Gebiete zurück. Sie schrieb:Civil Resistance led to a real recognition of women´s roles in society. In conservative neighbourhoods women went out to protest in the streets. Men depended on women to carry supplies through the checkpoints. Now women like these will call to inform their husbands they’re spending the night outside because, for example, they have to deliver aid. This was unthinkable before
(„Gesellschaftlicher Widerstand hat zu einer Anerkennung der Rolle der Frau in der Gesellschaft geführt. In konservativen Gegenden sind die Frauen raus auf die Straße gegangen um zu demonstrieren. Männer waren abhängig von den Frauen um Vorräte durch die Kontrollpunkte zu schleusen. Das sind die Frauen, die heute ihre Ehemänner anrufen um ihnen mitzuteilen, dass sie heute nacht nicht nach Hause kommen, zum Beispiel, um Hilfe zu leisten. Das war vorher unvorstellbar.“)
I am the only outsider (as in Syrian but not from the village), non-veiled, living-in-a-house-alone female in this village who’s working among male revolutionaries. It’s hard to be an outsider all the time: an outsider as an active woman occupying man’s spaces
(„Ich bin die einzige Außenseiterin (eine Syrerin, aber nicht aus dem Dorf), nicht verschleiert, lebe als Frau alleine und arbeite Seite an Seite mit männlichen Revolutionären. Es ist sehr hart eine Außenseiterin zu sein: eine Außenseiterin weil weibliche Aktivistin, die Männerräume einnimmt“)
Obwohl die Menschen dort ihren Lebensstil und ihre politischen Ansichten für merkwürdig hielten, fühlte sie sich dort jedoch sehr willkommen.
I am kind of satisfied to see what kind of woman I have become due to this revolution and its space, due to this revolutionaries who are mostly patriarchal, but willing to work, respect and love me as I am.
(„Ich bin ziemlich zufrieden was für eine Frau im Laufe der Revolution aus mir geworden ist, aufgrund dieser Revolutionäre, die zwar meist sehr patriarchal sind, aber dennoch bereit, mit mir zusammenzuarbeiten, und die mich respektieren und lieben wie ich bin.“)
Frauen und Medien & Internationale Anerkennung
Einige Publikationen der Oppositionellen richten sich explizit an oder befassen sich ausführlich Frauen: Bei Yasemin Syria (einem Magazin, welches von weiblichen Studierenden aus Aleppo gegründet wurde), al-Ghurbal, and Tl’ina al-Hurriye handelt es sich um reguläre Zeitungen, die sich mit Frauenrechten befassen.
Das Frauenmagazin Sayyidat Suriyya (Die syrische Dame) wird in Deraa und an Flüchtlingsfrauen in der Türkei verteilt.
Das Mazaya Magazin in Kafranbel, einer Stadt in Idlib, hat den Slogan „I am not a burden; I am a support“. („Ich bin keine Last, ich bin Unterstützung“) Ein Schwerpunkt liegt auf der Rolle der Frau im Islam. In der dritten Ausgabe heißt es:
Islam has given women all legal rights, right to ownership and enjoy what she owns. These are the most important things that Islam gave to women and in this, Islam has preceded other legislations. Sharia made men and women equal in ownership and contracts. Some jurisprudents legalized women access to the judiciary.
(„Der Islam hat den Frauen alle Rechte zugesprochen, das Recht auf Besitz und zu genießen was ihr gehört. Das sind die wichtigsten Dinge, die der Islam den Frauen gegeben hat, und damit ging der Islam anderen Gesetzgebungen voran. Die Sharia stellt Männer und Frauen in Bezug auf Besitz und Verträge gleich. Einige Rechtsgelehrte haben den Zugang von Frauen zur Rechtsprechung geebnet.“)
Die Herausgeberin Ghalia al-Rahal sagt:
Our objective is to shed light on women’s roles and rights in our society which is predominated by religion. That’s why, it is necessary to address women cause from an Islamic perspective in articles and issues of the magazine. These articles represent moderate religion and the objective is to support womens cause.
(„Unser Ziel ist es Aufschluss zu geben über die Rolle und die Rechte der Frau in unserer Gesellschaft zu geben, die von der Religion bestimmt wird. Deshalb ist es notwendig, dass wir eine muslimische Perspektive in unseren Artikeln und in Bezug auf unsere Themen einzunehmen. Diese Artikel repräsentieren gemäßigte Religion und sie sollen die Angelegenheiten der Frauen unterstützen“)
In Aleppo gründete Reem Halibi, Studentin an der Universität von Aleppo, den ersten unabhängigen Radiosender (Radio Naseem) um Aktivismus und Geschlechtergleichheit zu promoten.
In zahlreichen Communities gründeten Frauen ausschließlich weibliche Aktionsgruppen um sich auf frauenspezifische Themen zu fokussieren.
Seit Januar 2011 wird Enab Baladi (Die Früchte meines Landes) in Daraya, einem Vorort von Damaskus, der schwer betroffen ist von Massakern, Giftgasattacken und Hunger, publiziert. Da die meisten Menschen in diesem Gebiet keinen Internetzugang haben wird es in den Straßen verteilt.
Enab Baladi konzentriert sich, trotz dem hohen Maß an Gewalt gegen diesen Stadtteil, auf unbewaffneten zivilen Widerstand. Kholoud Waleed, 31, gründete die Untergrund-Zeitung mit. Zum fünfjährigen Bestehen ging Enab Balabi auch mit einer englischen Verion online (Facebook-Seite)
Kholoud wurde am 12. März 2016 in London auf dem WOW – Women of the World Festival von der NGO RAW (Reach all Women in War) für ihren ausgezeichneten Journalismus mit dem Anna Politkovskaya Preis geehrt.
Drei JournalistInnen von Enab Baladi wurden getötet, weitere festgenommen. Kholoud bezeichnet ihre Arbeit ob der damit verbundenen Gefahren als „verrückt“, sie sei jedoch motiviert von „ihrem Glauben an die größere Sache, denn sie habe immer noch diesen Traum vom Frieden.“
Auch andere syrische Frauen erhielten internationale Auszeichnungen:
Majd Sharbaji, 34, ebenfalls eine Mitbegründerin von Enab Baladi, wurde am 7. März 2015 mit dem International Women of Courage Preis ausgezeichnet. Neben ihrer journalistischen Tätigkeit gründete sie im Januar 2014 ein Women Now Zentrum im Libanon und ihre Organisation Women for Development gründete insgesamt 5 Frauenzentren in Syrien und seinen Nachbarstaaten.
Die Aktivistinnen Suhair Al-Atassi und Oula Ramadan wurden am 5. März 2014 von der NGO No Peace without Justice mit Sitz in Rom für ihr Engagement für Menschenrechte geehrt. Suhair war Mitbegründern des Syrian General Commission, neben den LCCs eine der beiden größten Graswurzelbewegungen, welche die Proteste gegen Assad organisierte. Sie wurde vom Regime zeitweise politisch gefangen genommen. Oula ist ein Mitglied des Committe of Syrian Women Initiative for peace and democracy.
Razan Zeitouneh, deren Schicksal bis heute ungeklärt ist, erhielt zahlreiche Ehrungen, darunter den Anna Politkovkaya Preis (8. Oktober 2011), den Sakharov Preis des Europäischen Parlaments (27. Oktober 2011), den Ibn Rushd Fund in Berlin (2012) und einem Preis der Vital Voices Organiuation im Juni 2014.
Die Journalistn Zeina Erhaim, 30, gewann 2015 zwei Preise für ihre journalistische Tätigkeit und die journalistische Ausbildung von Menschen in befreiten Gebieten, darunter den Peter Makler Preis, verliehen in Washington DC von Reporter ohne Grenzen und der französischen Presseagentur. Zeina gründete darüber hinaus Zeitungen und Magazine im Norden Syriens und arbeitet für das Peace and War Report Insitute.
Zamar Yasbek, eine alewitische Autorin, Journalistin und Aktivistin aus Jableh, die sich für Frauenrechte und Frieden einsetzt, erhielt 2012 den schwedischen Tucholsky Preis., sowie den PEN/Pinzer Preis „International Writer of Courage“.
Hanadi Zahlout aus Lattakia erhielt 2012 in Washington DC den Human Rights Defenders Award des United States Department of State. Hanadi befindet sich bereits seit 2004 in Opposition gegen Assad und beteiligte sich seitdem an Internet-Journalismus gegen das Regime. Zusammen mit Zamar Yasbek und Rima Falihan betreibt sie auch Syrian Women. Im August 2011 wurde sie in einem Kaffeehaus in Jaramana im Süden Damaskus verhaftet und für zwei Monate gefangen gehalten. Im Februar 2012 wurde sie ein zweites Mal inhaftiert, für ihre Teilnahme am Media and Free Expression Centre. Nachdem sie drei Tage später entlassen wurde, entschied sie sich für den Gang ins Exil.
Militarisierung des zivilen Widerstands
Während die Proteste zunächst ausschließlich friedvoll waren, führten die Repressionen durch das Regime zu immer mehr Militarisierungstendenzen. Als ein entscheidener Grund wird auch der Einsatz von sexueller Gewalt gesehen.
Syria is very much a conservative, traditional society. Rape is something that will outrage the people. It is very emotional for them… By December 2011 rape had become a standard practice not only in prisons but by the army as well. When it went into towns, the first thing [soldiers] did was go into homes and start raping women in front of their fathers, brothers and husbands. (Assaad Al-Achi)
(„Syrien ist eine sehr konservative, traditionelle Gesellschaft. Vergewaltigung ist etwas, das bei den Menschen Entrüstung auslöst. Es ist etwas sehr Emotionales für sie… Im Dezember 2011 war Vergewaltigung eine Standardpraxis geworden, nicht nur in den Gefängnissen, sondern auch in der Armee. Als [die Repression] die Städte erreichte, war das erste was [die Solidaten] taten zu den Häusern zu gehen und Frauen vor den Augen ihrer Väter, Brüder und Ehemänner zu vergewaltigen.“)
Racheakte wie jener gegen den ca. 5000 Mann starken Berri Clan, der im Auftrag des Assad Regimes folterte und tötete, bei dem Anführer Zaino Berri und einige seiner Schergen durch Teile der FSA (Freie Syrische Armee) als Akt „revolutionärer Gerechtigkeit“ hingerichtet wurden, führte zu massiver Kritik weiter Teile der Oppositionellen, spielte jedoch letztendlich dem Assad Regime in die Hände.
Zivile Oppositionelle versuchten immer wieder auf die Reduzierung von Gewalttaten durch FSA-Teile hinzuwirken, teils mit Erfolg, teils weniger erfolgreich. Dazu muss an dieser Stelle gesagt werden, dass es sich bei der FSA nicht um eine Armee im klassischen Sinne handelt, sondern um einen relativ losen Zusammenschluss vieler verschiedener kleinerer Gruppen.
Der Terror des Regimes nahm immer mehr zu. Assads Milizen, die gefürchteten shabeeha, schrieben ihre Warnung an die Mauern: „Entweder Assad bleibt, oder wir brennen das Land nieder.“ Sie töteten Vieh, fackelten Felder, die zur Nahrungsversorgung dienten, nieder, zerbombten Bäckereien, Schulen, Krankenhäuser und Marktplätze. Hunderte von Fassbomben zerstörten Aleppo, Deir-Al-Zor, Homs, Deraa und das ländliche Damaskus.
Frauen vermieden es das Haus zu verlassen, denn sie wurden von den shabeeha vergewaltigt, Männer blieben zuhause da sie zwangsrekrutiert wurden. Dieser Terror durch die syrische Regierung trieb die Menschen zu der massenhaften Flucht, deren Ausläufer wir auch in Europa zu spüren bekommen (wobei Europa immer noch im Vergleich zur Türkei, Jordanien oder dem Libanon eher marginal betroffen ist).
Im Zuge der Militarisierung der Revolution wurden klassische Frauenrollen auf der einen Seite mehr und mehr marginalisiert, in anderer Hinsicht wurden sie mehr und mehr relevant. Viele Frauen leisteten logistische Unterstützung für die FSA, andere bildeten weibliche Kampftruppen um das Regime zu bekämpfen. Zubaida al-Meeki, eine Alewitin, wurde im Oktober 2012 die erste weibliche Offizierin und trainierte FSA-Kämpfer.
Eine Islamisierung des Widerstands fand erst relativ spät statt, insbesondere nach der Sarin-Attacke Assads in Damaskus im August 2013. Als US-Präsident Obamas zuvor gesetzte „rote Linie“ ohne Konsequenzen überschritten wurde, starben bei vielen SyrerInnen viele Hoffnungen auf einen baldige Ablösung von Assad.
Im November 2013 gründete sich die Islamische Front aus sieben verschiedenen Brigaden. Robin Yassin-Kassab und Leila Al-Shami stellen fest, dass Islamismus zwar meist nach rechts tendiert, dass es aber durchaus auch linke, selbst feministische Strömungen gibt. Islamismus steht nicht selten in Verbindung mit Verstädterung, Modernisierung. Er bietet außerdem oft Trost für jene, die an Unterdrückung und Entfremdung leiden:
Islamism can be liberation theology, or bourgeois democracy, or dictatorship, or apocalyptic nihilism.
(„Islamismus kann eine Befreiungsideologie sein, eine bürgerliche Demokratie, eine Diktator oder apokalyptischer Nihilismus.“)
Manchmal war die „Islamisierung“ auch schlicht eine pragmatische Strategie um von außen Unterstützung zu erhalten:
A militia called „Guevara“ doesn`t win funds. In the Ghouta there was a brigade called „the Martyr Meshaal Temmo“. It changed its name to „the Mujahid Osama bin Laden.
(„Eine Miliz, die sich „Guevara“ nennt findet keine Sponsoren. In der Ghouta gab es eine Brigade, die sich „der Martyrer Meshaal Temmo“ nannte. Sie benannte sich um in „der Mujahid Osama bin Laden.“- [Anmerkung der Verf.: Meshaal Temmo war ein bedeutender kurdischer Oppositioneller, der 2001 von den Regierungstruppen getötet wurde – er stand im Übrigen auch in Opposition zu der kurdischen PYD-Partei])
In manchen Fällen hatte die Islamisierung jedoch auch spaltende Tendenzen:
So begann Marcell Shehwaro sich in ihrer Umgebung immer unwohler zu fühlen:
Slowly, with the growth of wounded Sunni identity, I felt attitutes towards me change. At first everyone was very positive, very pleased I was there, as a Christian, living the revolution with them. Later some were more likely to ask why the other Christians hadn’t come with me. As far as Daesh were concerned, when they were there, I was part of the West, nothing else.
(„Langsam, mit dem Wachstum der verletzten sunnitischen Identität, spürte ich wie sich die Einstellung mir gegenüber änderte Am Anfang begegnete mir jeder positiv, war froh, dass ich da war und als Christin mit ihnen die Revolution durchführte. Später fragten mich manch einer warum nicht auch andere ChristInnen mit mir gekommen seien. Was Daesh betrifft, wenn die da waren, war ich ein Teil des Westens, nicht mehr.“)
In von IS/Daesh kontrollierten Gebieten können Frauen das Haus nur stark verschleiert verlassen. Aber: So sehr die Menschen Daesh auch hassen, sie hassen Assad noch mehr. Assad hat hundert Mal so viele Menschen ermordet wie Daesh. Die überwältigende Mehrheit der Bomben, Vergewaltigungen und Folterungen wurde durch die Schergen Assads begangen.
Lubna al-Kanawati von Women Now ist sich sicher, dass auch die schrecklichen humanitären Zustände jeglichen erreichten Fortschritt in den Geschlechterbeziehungen zerstört haben:
Ultimately there hasn’t been much change in gender relations, as a result of hunger and unemployment. In this issue, we have to consider the men as well as the women. When men are humiliated, some will humiliate their wifes and children.
(„Letztendlich gab es als Folge von Hunger und Arbeitslosigkeit wenig Veränderung in den Geschlechterbeziehungen. Was das angeht, müssen wir die Männer genauso betrachten wie die Frauen auch. Wenn Männer erniedrigt werden, bringt das manche dazu ihre Ehefrauen und Kinder zu erniedrigen.“)
Andere sind positiver. Serdar Ahmed sieht die größte Errungenschaft der Revolution darin, dass „Menschen nun über ihre Rechte sprechen – politische und ökonomische, Rechte für Frauen und Kinder. Die Menschen haben mehr Unabhängigkeit, es gibt weniger familiäre Überwachung, und dadurch auch mehr sexuelle Beziehungen. Heutzutage ist es gängig, dass Mädchen ihre Partner selbst aussuchen, und die Ehemänner, die ihnen von der Familie vorgeschlagen werden ablehnen.“
Ahmad Al-Agyl sagt:
Ours is a revolution against all forms of patriarchy – against the state, the tribe, even against the self-proclaimed leaders of the revolution.
(„Unsere Revolution richtet sich gegen alle Formen des Patriarchats – gegen den Staat, gegen die Sippe, sogar gegen die selbsternannten Anführer der Revolution.“)
Flucht und Exil
So unterschiedlich die Lage auch regional ist: Die Militarisierung treibt viele Frauen ins Exil. Dies können wir auch am zunehmenden Anteil von Frauen bei den Geflüchteten ablesen. Dies zeigt sich sehr deutlich am Beispiel von Razan Ghazawwi, die im September 2013 schrieb:
It’s war and it’s a man’s wold. We women, revolutionary women, are trying our best to exist in such world and it’s exhausting. It’s too much work and battles every now and then and I am tired. […] I belong to this revolution that exceeds its national boundaries. I love all revolutions. I love the revolutionaries who understand the meaning of it, its morals, its aspirations and its vision. I don’t mind living like this, under shelling, no electricity and water, no friends and family. It’s the patriarchal traditions that are preventing my creativity. I have lots of things I want to do and I need to fight harder to make them happen. I mean it when I said that shelling doesn’t bother me. It scares the hell out of me but I won’t leave because of it. I won’t leave because of ISIS. I won’t leave because of patriarchy.
(„Es ist Krieg und es ist eine Männerwelt. Wir Frauen, wir revolutionären Frauen, tun unser Bestes um in einer solchen Welt zu existieren und es ist anstrengend. Es ist viel Arbeit und beinhaltet hin und wieder viel Kampf und dann macht mich das müde […] Ich liebe es zu dieser Revolution zu gehören, die über die nationalen Grenzen hinausgeht. Ich liebe alle Revolutionen. Ich liebe die Revolutionäre, die ihre Bedeutung verstehen, ihre Moral, ihre Hoffnungen und ihre Vision. Mir machen diese Umstände unter denen ich leben muss nichts aus, die Bomben, keine Elektrizität und kein Wasser, keine Freunde und keine Familie. Es sind die patriarchalen Traditionen, die mich meiner Kreativität berauben. Es gibt so viele Dinge, die ich gerne tun würde und ich muss mehr kämpfen um sie zu verwirklichen. Es ist mir Ernst wenn ich sage die Bomben plagen mich nicht. Sie erschrecken mich zu Tode, aber deshalb werde ich nicht gehen. Ich werde nicht wegen ISIS gehen. Ich werde nicht wegen dem Patriarchat gehen.“)
I am not sure if I’m right, but I have noticed over the past three years that people who are still living inside Syria seem keener to “do something” than those who “left” Syria recently. Inside Syria, campaigning and calling for or against anything is no longer solidarity, it’s a way of staying alive. […] I was working non-stop on a project at the time, and could not find time for friends, family or any other potential collaboration. I was working flat out, and without electricity most of the time too. Those who are outside will advocate for Razan [Zaitouneh], I said to myself. I can’t. A few months later I left the North and Syria. I went to Lebanon for my “recovery phase,” and there I became a hermit. I went nowhere – not even to a pro-revolution meeting. Nor did I take part in anything except taking care of myself. I was my only priority.
(„Ich weiß nicht ob ich richtig liege, aber ich habe in den letzen drei Jahren festgestellt, dass Menschen, die noch in Syrien sind, noch leidenschaftlicher darin sind „etwas zu tun“ als jene, die Syrien „verlassen“ haben. In Syrien ist der Aktivismus und das Sich-Aussprechen für oder gegen etwas keine Solidarität mehr, es ist ein Weg um am Leben zu bleiben […] Ich habe ohne Pausen an einem Projekt gearbeitet, ich hatte keine Zeit für Freunde, Familie oder andere potentielle Zusammenarbeit. Ich hab volle Pulle gearbeitet, meistens ohne Elektrizität. Ich hab mir gedacht, die da draußen, die werden sich schon für Razan [Zaitouneh] einsetzen. Als ich ein paar Monate später den Norden und Syrien verließ um nicht im Libanon zu „regenerieren“, wurde ich zur Einsiedlerin. Ich ging nirgends hin, noch nicht mal zu einem Pro-Revolution Treffen. Ich habe an nichts teilgenommen, ich habe mich nur um mich selbst gekümmert. Ich selbst war meine einzige Priorität.“)
Nichtsdestotrotz: Nachem sie noch mal in ein befreites Gebiet zurückgekehrt war, hielt es Razan Anfang diesen Jahres nicht mehr aus in den männlich-dominierten befreiten Gebieten und beschloss den Gang ins Exil. Derzeit lebt sie in Leeds.
In den Flüchtlingslagern führt finanzieller Druck dazu, dass Mädchen in sehr jungen Jahren verheiratet werden, meist mit viel älteren Männern. Die Langeweile und mangelnde Beschäftigung in den Lagern führen zu einer Wiederbelebung traditioneller Geschlechterrollen. Frauen, die gemeinsam mit ihren Großfamilien in Zelten leben müssen, können gewalttätigen Verwandten nicht enkommen.
Viele Frauen wurden im politischer Gefangenschaft und an Kontrollstellen der Regime-Truppen vergewaltigt. IS/Daesh benutzt Yazidi Frauen als Sexsklavinnen.
In konservativen (nicht ausschließlich muslimischen) Gemeinschaften with Vergewaltigung als schlimmeres Schicksal als der Tod angesehen. Dies führt dazu, dass sich viele Opfer später selbst das Leben nehmen. Andere entkommen ihren Vergewaltigern und werden dann aus „Gründen der Ehre“ von Familienangehörigen getötet. Allerdings: Die hohe Anzahl der Betroffenen hat zu einem Aufbrechen des Tabus und einer öffentlichen Diskussion geführt, in manchen Fällen konnte so mit alten Scham-und-Ehre-Traditionen gebrochen werden.
Yifat Susskind von Madre, einer internationalen Menschenrechtsorganisation sieht hier einen Schlüssel im Kampf gegen Vergewaltigung als Werkzeug von IS/Daesh:
We want Noor’s community to see her not as a ruined, raped girl, but as a prisoner of war who was strong enough to survive weeks of torture and brave enough to escape. – No soldier in a war will hold on to a weapon that does not work.
(„Wir wollen das Noor`s Gemeinschaft sie nicht als ruiniertes, vergewaltigtes Mädchen ansieht, sondern als eine Kriegsgefangene, die stark genug war die Wochen der Folter zu überleben und mutig genug war zu entkommen.“ – „Kein Soldat in einem Krieg wird an einer Waffe festhalten, die nicht funktioniert.“)
Das Institute for Economics and Peace beziffert den Schaden für die syrische Volkswirtschaft aufgrund von Gewalt in ihren unterschiedlichsten Formen auf 23,8% des Bruttoinlandsprodukts. Dieser Wert wird weltweit nur noch von Nordkorea getoppt (27%).
Das Syrian Network for Human Rights hat von 2011 bis October 2015 7.761 Fälle von sexueller Gewalt dokumentiert (Dunkelziffer unbekannt). Dies entspricht Kosten von etwa 1,5 Millionen US-Dollar um die Opfer wieder herzustellen (Justiz, Gesundheit, soziale Dienste, Bildung, Arbeitskosten, persönliche und Haushaltskosten, nicht greifbare Kosten).
Das SNHR gibt jährlich zum internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen einen ausführlichen Bericht zu den an Frauen verübten Gewalttaten heraus. Der Bericht aus dem November 2015 umfasst 20 Seiten. (Übersicht der Berichte hier]
Aber auch im Exil kämpfen die syrischen Frauen weiter.
Am Internationalen Frauentag am 8. März 2016 organisierten syrische Frauen einen Protest in der türkischen Stadt Gaziantep.
In einem Statement heißt es:
A number of Syrian women gathered on land that wasn’t our own, hearts heavy with concern for a country we hope to be reunited in, to commemorate five years of Syrian women’s legendary resolve in front of the most notorious criminal regime humanity has known, one that has inflicted scourge and disaster on its own people and women. They gathered to demand freedom and salvation.
(„Eine Gruppe von syrischen Frauen hat sich in einem Land, welches nicht das ihre ist zusammengetan, mit schweren Herzen und Sorge um das Land in dem wir wieder vereint werden wollen, um den 5 Jahren entschlossenem und legendärem syrischen Frauenkampf zu Gedenken, angesichts des berüchtigtsten kriminellen Regimes welches die Menschheit kennt, ein Regime welches eine Plage und eine Katastrophe über seine eigenen Menschen und Frauen gebracht hat. Die Zusammenkunft forderte Freiheit und Rettung ein.“)
Ausblick
Das Fotoprojekt Vision not Victim Project befragte syrische Mädchen in jordanischen Flüchtlingslagern nach ihren Zukunftplänen. Diese wurden am 2. Februar 2016 neben solchen aus dem Kongo veröffentlicht.
So möchte die 12-Jährige Moutanha zum Beispiel Fotografin werden:
Since I was little I used to like taking people’s photographs and I was consistently documenting what was happening around me whether good or evil. I am happy now that I have started on the route to become a professional. I will use my photographs to give others hope and encourage them to be loving and understanding.
(„Seite ich klein war habe ich Fotos von Menschen gemacht und ich habe immer dokumentiert was um mich herum passiert ist, egal ob es gut oder böse war. Ich bin sehr froh, dass ich jetzt auf dem Weg bin das professionell zu machen. Ich werde meine Fotos dazu benutzen um anderen Hoffnung zu machen und sie zu ermutigen liebevoll und verständnisvoll zu sein.“)
Dies zeigt: Der schreckliche Krieg und die unbegreiflichen Menschenrechtsverletzungen konnten nicht alle Hoffnungen der syrischen Mädchen und Frauen zerstören.
Suheir al-Atassi, ein Mitglied der syrischen Koaltion sagte auf einer Konferenz anlässlich des Internationalen Frauentags:
Syrian women who have made such huge contributions to the revolution will certainly help shape the present and future of Syria and will reclaim all their rights as they have already assumed leading roles in the political, cultural, social and humanitarian fields.
(„Die syrischen Frauen, die einen so hohen Beitrag zur Revolution geleistet haben werden zweifellos das heutige und das zukünfitge Syrien prägen und sie werden ihre Rechte zurückfordern, da sie bereits führende Rollen im politischen, kulturellen, sozialen und humanitären Bereich angenommen haben.“)
Niemand kann voraussagen, wie es in Syrien weitergeht. Selbst wenn Assad fällt und selbst wenn es dann gelingt jene Gruppen (wie Daesh und andere) zurückzudrängen und ein demokratisches Syrien aufzubauen, kann niemand voraussagen wie groß das Trauma seiner Bevölkerung ist und welche Implikationen es mit sich bringt.
It’s a generation that`s seen its friends shot, that`s woken in the night to fire and screams. A generation of typhoid and leishmanians, of no education, of the camps and urban ruins. A hungry generation, reared on the apocalyptic signs of the Hour. But it`s a generation also reared on freedom – on the slogans of freedom, on the lived experience of freedom too, if only for a brief passage. A generation necessarily self-organised, preparing not for the end of time but for the practical business of living. A generation of speech to replace the generation of silence. (Leila Al-Shami / Robin Yassin-Kassab)
(„Es ist eine Generation hat, die gesehen hat wie ihre FreundInnen erschossen werden, die nachts aufwachte aufgrund von Feuer und Schreien. Eine Generation des Typhus und der der Leishmania, ohne Ausbildung, der Lager und städtischen Ruinen. Eine hungrige Generation, die großgezogen wurde unter der drohenden Apokalypse. Aber es ist auch eine Generation die auf Grundlage des Friedens großgezogen wurde – mit den Slogans des Friedens, sogar dem gelebten Beispiel des Friedens, wenn auch nur für eine sehr kurze Zeit. Eine Generation, die sich gezwungenermaßen selbst organisieren musste, nicht um sich auf das Ende aller Zeiten vorzubereiten, sondern für die gelebte Praxis des Lebens. Eine Generation der Sprache, die die Generation des Schweigens ablöst.“)
Weitere Quellen
- http://www.pbs.org/pov/thelightinhereyes/syrian-women-making-change-past-and-present/
- https://www.opendemocracy.net/arab-awakening/razan-ghazzawi/seeing-women-in-revolutionary-syria
- http://english.enabbaladi.net/archives/2016/01/syrian-women-political-presence-and-media-appearance/