Ist männliche Gewalt immer noch eine Privatangelegenheit?

"If I had a hammer… I'd SMASH Patriarchy"

T via Flickr, [CC BY 2.0] I FOUND IT!

Vergewaltigung in der Ehe wurde in Deutschland erst 1997 zum Straftatbestand. Vorher gab es das nicht, wurde von der Justiz einfach zur Privatangelegenheit erklärt. Denn: Der Staatsanwalt habe im Ehebett nichts zu suchen. Und außerdem herrscht bis heute noch weithin die Meinung vor, ein Ehemann habe nun mal Anrecht auf sexuelle Befriedigung durch die Ehefrau.

Mehr als jede dritte Frau in Deutschland wird im Laufe ihrer Lebens Opfer von männlicher Gewalt. Gewalt gegen Frauen wird überwiegend durch Partner oder Expartner und im häuslichen Bereich verübt. 25% der in Deutschland lebenden Frauen haben Gewalt durch aktuelle oder frühere Beziehungspartner erlebt (häusliche Gewalt).

Obwohl es ein wichtiger Erfolg der Frauenbewegung war, diese Taten im privaten Bereich in die öffentliche Debatte zu holen (Slogan: „Das Private ist politisch“) und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es sich hier nicht um Einzelschicksale handelt, verweigert sich die Gesellschaft bis heute einer systemischen Analyse. Wenn eine Frau von ihrem Partner getötet wird lesen wir in den Medien immer wieder von „Beziehungsdramen“ oder auch „erweiterten Selbstmorden“ – Verständnis für die Frau die beim gewalttätigen Partner bleibt: kaum vorhanden. Dabei ist die Angst vor Eskalation, wenn man den prügelnden Mann oder Freund verlässt absolut berechtigt, denn: Frauen in Trennungs- oder Scheidungssituationen sind besonders gefährdet, Opfer von Gewalt durch den (Ex)Partner zu werden.

In meiner unmittelbaren Nachbarschaft wurde am 10. Januar diesen Jahres eine 35 Jahre alte Frau leblos in ihrer Wohnung aufgefunden. Der 42 Jahre alte Täter wurde festgenommen, da bei der Obduktion Spuren der Gewaltanwendung festgestellt wurden.  NachbarInnen berichten, sie hätten schon häufiger die Polizei gerufen, und zwar wegen regelmäßiger, ganz offensichtlicher, häuslicher Gewalt nach massivem Alkoholkonsum – Folgen für den Täter: Keine.

Auch fremde Männer können zur Gefahr werden. Amokläufer oder Serienkiller sind – das lässt sich nicht bestreiten – in aller Regel Männer. Immer wieder lesen dürfen wir dann wie zur Beruhigung: Der Täter war psychisch krank. Na, dann ist ja alles halb so schlimm, oder? Fragen, warum es überwiegend Männer sind, die Gewalttaten begehen oder warum die Zahl psychisch kranker Täter zunimmt, werden nicht gestellt. Dann müsste man sich ja kritisch mit dem Zustand der Gesellschaft auseinandersetzen. Lieber beruhigt man sich und uns mit der Feststellung „Die Majorität der Täter ist nicht psychisch krank“. Sicherlich ist auch die Mehrzahl psychisch kranker Menschen nicht gewalttätig. Zu einer pauschalen Beruhigung führt jedoch weder die Feststellung des Gegenübers als „männlich“, noch als „psychisch krank“.

Am 20. Dezember 2016 wurde im Wiesbadener Stadtteil Biebrich die 59 Jahre alte Manuela W. in ihrem Kiosk in Biebrich erschossen. Schwer verletzt wurden ihr 63 Jahre alter Ehemann sowie ihr 21 Jahre alter Neffe. Der 25 Jahre alte Täter Benjamin G. wurde erst nach einigen Tagen gefasst und in U-Haft überstellt. Als Motiv gab der Täter, der in Nähe des Tatorts wohnte, die Absicht eines Raubüberfalls an. Er war unter anderem der Polizei im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln bereits bekannt. Aktenkundig war auch ein Verstoß gegen das Waffengesetz. Es war um ein verbotenes Butterfly-Messer gegangen. In seiner Wohnung fanden die Polizeibeamten Einschusslöcher in den Wänden und der Matratze, die von Schießübungen zeugten.

Immer wieder wurde ich in den vergangenen sieben Jahren gefragt ob ich eigentlich keine Angst habe, bis spät abends in einem Kiosk zu arbeiten. Immer antwortete ich mit „Nein“, da ich (bis auf zwei nächtliche Einbrüche) schlicht keinerlei Veranlassung dazu hatte. Knapp zwei Wochen nach dem Biebricher Kiosk-Mord an meiner Namensvetterin, der fast täglich in den Lokalmedien Thema war, und am eben jenem Tag des o.g. Mords in meiner Nachbarschaft, betrat ein mir unbekannter Mann den Laden und forderte mich auf die Kasse aufzumachen und ihm das Geld zu geben. Dabei fielen auch Worte wie „Schlampe“. Auch eine psychische Erkrankung des Täters war durch sein Verhalten offensichtlich. So fragte er mich beispielsweise aggressiv „Hast du mich gerade Hurensohn genannt?“ – obwohl ich vor Lähmung zunächst total sprachlos war und nur langsam überhaupt etwas sagen konnte, was sich dann aber auf den Hinweis der Kameraüberwachung beschränkte und die Aufforderung doch besser ohne Geld zu gehen, weil eh alles auf Band ist. Die Zeit erschien mir endlos und als er den Laden endlich verließ und ich die Tür hinter ihm zugeschlossen hatte, zitterten meine Knie wie Espenlaub. Ich war so verwirrt, dass ich der Polizei am Telefon einfachste Fragen, wie zum Beispiel was er trug, nicht beantworten konnte: So hatte ich unter Vorbehalt angegeben, eine grüne Bomberjacke gesehen zu haben, obwohl auf dem Video dann deutlich eine braune Lederjacke zu erkennen war. Im Moment des Telefonats war die Erinnerung an das was gerade geschehen ist, jedoch so gut wie ausgelöscht. Als die Polizei unmittelbar erschien, während ich noch mit ihrer Kollegin am telefonieren war, hielten die BeamtInnen mir ein Foto vor und fragten „War das der Mann?“ – was ich überrascht bestätigte. Er war also schon bestens bekannt. Wie ich im Nachhinein hörte, terrorisierte er die anderen Läden in der Straße schon eine ganze Weile und ich hatte wohl eher Glück, dass er bei mir bis dato noch nicht aufgetaucht war. Die Kioskbetreiberin gegenüber bekam fast täglich „Besuch“ von ihm, der im Übrigen selbst in der Straße wohnt. Meinen Kollegen hatte er im Übrigen bereits vor zwei Jahren in ähnlicher Weise wie mich bedroht – was der Polizei ebenfalls bekannt war. Einige Stunden nach dem Vorfall bekam ich einen Anruf von der Polizei, man habe den Täter in Gewahrsam genommen und der Psychiatrie überstellt.

Als ich am nächsten Tag bei der Polizei anrief, um zu fragen ob sie das Video brauchen für meine Anzeige, erlebte ich die erste Überraschung: Der Einsatz war zwar vermerkt, ein versuchter Raub, eine Bedrohung oder ähnliches, jedoch nicht. Ich brauche mir aber keine Sorgen machen, der Täter sei ja in Gewahrsam. Als ich das über Whats-App weitergab an meinen Kollegen, schrieb der zurück: „Wieso, der lief doch gerade hier wieder vorbei?“ – was bei mir eine Angstattacke auslöste. Die von mir herbeigerufene Polizei zuckte nur mit den Schultern, war sichtlich angepisst dass man sie überhaupt gerufen hatte (obwohl er in der Zwischenzeit schon wieder den Kiosk gegenüber aufgesucht hatte) und der Beamte meinte „Na dann nehmen wir den halt wieder mit und morgen ist er wieder frei. So läuft das in diesem Land.“

Lange Rede, kurzer Sinn: Ich musste eine Online-Anzeige aufgeben, damit überhaupt gegen den Täter ermittelt wurde, und wenige Wochen später wurde er wie ich erfuhr, wie der Zufall es will im Stadtteil Biebrich, einem Freund gegenüber gewalttätig, und stationär für mehrere Wochen eingewiesen. Medikamentös behandelt, erfuhr er dann wohl auch später über die Lektüre der Polizeiakten über seinen Anwalt, was er in der Zwischenzeit so alles angestellt hat und brach darüber einem seiner Freunde zufolge in Tränen aus. Im Moment ist er wieder zu Hause und offensichtlich friedlich. Die Straße hat zumindest derzeit Ruhe.

Als die Polizistin im Nachgang meiner Online-Anzeige den Fall aufnahm, sagte sie mir nach Betrachtung des Videos: „Hätten wir das damals schon gehabt, wäre er sicher nicht nach einem Tag vom Richter freigelassen worden“. Sie fand es schockierend anzusehen und ihn zweifellos sehr bedrohlich. Insbesondere wie er sich immer über den Tresen zu mir rüber beugte und ein Halsaufschlitzen andeutete.

Gestern nun erhielt ich Post von der Staatsanwaltschaft, darin heißt es auszugsweise (Fehler im Original!):

In dem Ermittlungsverfahren gegen … wegen des Verdachts der Bedrohung, Beleidigung … wird die Anzeigenerstatterin mit der Strafanzeige vom 11.01.2017 auf den Weg der Privatklage verwiesen.

Die Staatsanwaltschaft darf … von Amts wegen nur tätig werden, wenn ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. Die Prüfung des Sachverhalts hat ergeben, dass diese Voraussetzung hier nicht vorliegt … Maßgebend für die Bewertung des angezeigten Einzelfalles sind folgende Umstände: Der unter einer Pschose leidende Beschuldigte betrat am 10.01.2017 den Kiosk der Anzeigenerstatterin und verwickelte diese in ein Gespräch. In diesem Rahmen zwischenzeitlich hervorgebrachten Äußerungen wie „Mach die Kasse auf!“ entkräftete er dabei unmittelbar mit den Worten „Alles nur Spaß“, womit ein Anfangsverdacht für einen versuchten Raub, auch im Hinblick auf die psychische Erkrankung des Beschuldigten nicht angenommen werden konnte. Die Anzeigenerstatterin fühlte sich durch die weiteren Gesten und Aussprüche des Beschuldigten („Schlampe“, Andeuten des Halsaufschlitzens) jedoch in ihrer Ehre gekränkt und bedroht. Der Verletzten steht es frei, gegen den Beschuldigte im Wege der Privatklage bei dem Amtsgericht vorzugehen. Dieser Weg reicht aus, ihr Rechtsschutz zu gewähren und Genugtuung zu verschaffen. … Der Erhebung der Privatklage muss in aller Regel eine Sühneverhandlung vorausgehen.

Halten wir fest:

  • Wer psychisch krank ist, stellt für die Staatsanwaltschaft offenbar pauschal keine Gefährdung für die öffentliche Sicherheit dar, selbst dann nicht, wenn er der Polizei bereits einschlägig bekannt ist.
  • Als Betroffene bleibt mir der Weg einer Privatklage, unter Einsatz privater Mittel, damit ich meiner „gekränkten Ehre“ „Genugtuung” verschaffen kann.

??? WHAT THE HELL ???

Ich habe die Anzeige ganz sicher nicht gestellt, weil mich jemand „Schlampe“ genannt hat – Dann würde ich doch gar nicht mehr fertig werden mit Anzeigen schreiben, so oft wie das on- und offline passiert.

Ich habe die Anzeige gestellt, weil ich mich in der konkreten Situation ernsthaft bedroht gefühlt habe.

Ich habe die Anzeige gestellt, damit die Tat aktenkundig wird und niemand sagen kann „Wir haben von nichts gewusst“.

Mich interessiert keine „Genugtuung“ für irgendeine vermeintlich „gekränkte Ehre“ – mich interessiert ob und welche Maßnahmen ergriffen werden, damit keine weiteren Menschen geschädigt werden.

Musste es erst zu einer weiteren Tat mit tatsächlicher körperlicher Gewaltanwendung kommen, bis man sich endlich veranlasst sah den Täter vorrübergehend „aus dem Verkehr zu ziehen“?

Wer hätte eigentlich die Verantwortung übernommen, wenn diese schlimmer (zum Beispiel tödlich) ausgegangen wäre?

Was wäre gewesen, wenn mich das Erlebnis psychisch so stark beeinträchtigt hätte, dass mir die Tätigkeit im Laden nicht mehr möglich wäre?

Ganz allgemein gesprochen: Wie viele (insbesondere tödlich endende) Taten hätten eigentlich bereits verhindert werden können, bzw. könnten zukünftig verhindert werden, wenn man vorliegende Hinweise ernst nehmen würde?

Und: Können wir vielleicht endlich aufhören, männliche Gewalt immer und immer wieder zu einem privaten Problem zu machen?

5 Kommentare

  1. Ich weiss nicht warum männliche Gewalt IMMER und überall ständig heruntergespielt und verharmlost wird. -Weltweit! Dies scheint ein geheimes Abkommen des Patriarchats zu sein. Lieber werden Tausende von Frauen als “hysterisch” oder voller Einbildung und Lügnerinnen bezeichnet, als dass man (Frau) das weltweite Übel benennen dürfte. Alles, nur das nicht.
    Vermutlich ist es ein “Geldproblem”, da es einfach billiger ist, Frauen in Behandlung und die Psychiatrie zu schicken, als gewalttätige Männer in den Knast. Und JA, ich weiss, (namalt… not all men are like this….) Das hat auch noch niemand behauptet. Nur dass laute Weghören und starrende Wegsehen ist so schrecklich. Und niemand darf etwas sagen, sonst…… (ist sie krank….. und siehe oben! Das ganze System scheint blind geworden.

  2. Nur ein totes (weibliches) Opfer wird als Opfer ernst genommen. Vorher ist sie hysterisch und realitätsfremd – wenn sie vorher angezeigt, die Polizei gerufen, die Öffentlichkeit informiert hat, oder sie selbst schuld – falls sie vorher NICHT angezeigt, die Polizei gerufen oder die Öffentlichkeit zu Hilfe gerufen hat.
    Rum wie num – am Arsch!

    Ein weiteres Problem ist die Psychiatrie. In Deutschland haben wir ja eines der liberalsten Gesetzgebungen. Man kann als psychisch KrankeR nicht mehr einfach weggesperrt werden, sondern nur bei nachweislicher Eigen- oder Fremdgefährdung. Du kannst also verrückt sein, auch herumschreien und bedrohlich wirken – nur eine wirkliche Bedrohung führt zur Einweisung. Die neuen Fallpauschalen wirken sich aber auch in der Psychiatrie negativ aus. Die Leute werden ganz schnell wieder aus der Akten entlassen, denn wenn sie drei Tage später wieder eingewiesen werden, sind sie eventuell wieder ein neuer Fall. Es gibt kaum langfristige Behandlungs- und Betreuungsangebote für chronisch mehrfach Kranke, z.B. alkoholkranke Psychosekranke, oder teilstationäre Angebote. Wie diese Leute draußen klarkommen, und wie die Umwelt mit ihnen klarkommen soll, dafür fühlt sich die Akutpsychiatrie nicht mehr zuständig.
    Das ist teilweise schon paradox: Während die meisten Menschen noch eine Vorstellung von Verwahrpsychiatrie wie in “einer flog übers Kuckucksnest haben”, habe ich ganz oft erlebt, dass die Patienten uns anflehen, länger da zu bleiben, da sie sich noch gar nicht in der Lage fühlen, “draußen” klarzukommen. Sie klammern sich fest, manche verletzen sich kurz vor der Entlassung, um wieder ein paar Tage rauszuschinden. Das Personal wird dann in der Vollversammlung rund gemacht, wenn in ihrer Abteilung ein Langzeitpatient liegt und der so genannte “Patientenumsatz” nicht stimmt… 🙁

  3. Nachtrag: Falls dann doch einmal ein Gewalttäter gefasst und eingebuchtet wird, (Mord, Tötung? Vergewaltigung und Folter reichen ja nicht….) kriegt er sofort Therapie und viel viel Zuneigung und Entschuldigungen: Sicher war die Frau ja selber schuld, die Schlampe!—-oder war es die böse Mutter?
    Die Frau hat dann vielleicht eine lebenslängliche Traumafolgestörung, darf aber ihre Therapie dann gefälligst selber zahlen. Nett ist dann ja auch, wenn der Therapeut, wahlweise die Therapeutin, die Gegenwart völlig ausklammert und darauf beharrt, dass die Kindheit, sprich die Eltern, vorzugsweise die Mutter schuld sind/war. Der Kreis ist geschlossen, Tat und Täter ausgeklammert. Halloooo, Aufwachen!
    Leiden eigentlich ALLE an einer geistigen Amnesie? Das permanente Wegschauen, Wegschieben, Verdrängen und die Opfer/Täter-Schuldumkehr müssen doch WEH tun, nicht? All dies führt zu der Realitätsverzerrung in der wir z.Z. leben “dürfen”.

  4. Nachtrag 2: Durch die Zunahme der Gewalt an Frauen und den ständigen verbalen Attacken, Demütigungen, dem Lächerlichmachen, dem verbalen Gegängel sowie der Reduzierung auf das grosse F, (Ficken, Form, Farbe und Figur)
    ist mein weibliches Begehren, sprich Erotik völlig eingeschlafen, resp. total abhanden gekommen. Das ist das Resultat des grassierenden Frauenhasses. Keine Ahnung, was Männer damit ursprünglich bezwecken wollten. Denken sie allen Ernstes, dass das Begehren der Frau ins Unermessliche steigt, wenn sie wie Schmutz behandelt wird? Spinnen die Römer, äh, Männer? Wir sind doch hier nicht bei den Affen!

  5. Wobei auch Affenweibchen sich das nie und nimmer gefallen lassen. Und der blödeVerweis auf die Natur, resp. Steinzeit ist schon völlig plemplem!
    Es sollte auch dem letzten Neandertaler aufgefallen sein, dass wir zwischenzeitlich eigentlich eine geistige Evolution durchgemacht haben sollten. Ausser eben, die Ewiggestrigen die leider leider in der Neander-Steinzeit stehen geblieben sind. Also ihr lieben gestrigen Gewalttäter: Husch husch zurück in die Höhle, aus der ihr gekrochen kommt.

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