Über Konsum-, Erwartungs- und Anspruchshaltungen im aktivistischen Netz oder: Bloggt doch selber!
Es ist Zeit für diesen Post, der mir schon seit Tagen, Monaten, Jahren, die ich im feministischen Netz unterwegs bin, durch den Kopf geistert ist, es aber nicht in eine Textform geschafft hat. Denn er ist mit ziemlich viel Wut verbunden. Und Wut ist nicht immer ein Faktor, der dem Schreiben förderlich ist. Heute schon. Denn mir reicht’s.
Ich schreibe auf diesem Blog hier – in meiner “Frei”zeit, unentgeltlich.
Ich bin Mitfrau in verschiedenen politischen Bündnissen – in meiner “Frei”zeit, unentgeltlich.
Ich organisiere politische Veranstaltungen (mit) – in meiner “Frei”zeit, unentgeltlich.
Ich übersetze Artikel – in meiner “Frei”zeit, unentgeltlich.
Ich bin Aktivistin – in meiner “Frei”zeit, unentgeltlich.
Ich möchte und muss dafür nicht bejubelt werden.
Ich mache das aus meiner politischen Überzeugung heraus.
Ich mache das, weil ich den gesellschaftlichen Status Quo unerträglich finde.
Und genau das machen auch meine Freundinnen, meine Mitaktivistinnen, meine Mitbloggerinnen: Eben alle diese tollen engagierten Frauen! Sie machen das, obwohl deren Leben und Zeitplan bereits vollgestopft ist mit Familie, Kindern, Krankheit/en, Behinderung/en, finanziellen Sorgen, Lohnarbeit, (Mehrfach-)Diskriminierungen, Behördenrennerei und sämtlichem anderen Kram, der einer so tagtäglich um die Ohren fliegt. Ja und trotzdem liefern alle diese tollen engagierten Frauen, meine Freundinnen, meine Schwestern, das hier:
“Gratis”-Inhalte, zum Beispiel in Form von Blogartikeln. Sie kosten Zeit, Geld, Nerven.
Diese Blogartikel werden gemocht oder auch nicht, kritisiert oder auch nicht, (kontrovers) diskutiert oder auch nicht. Das ist nicht nur völlig in Ordnung, so sollte es sein! Es geht in diesem Artikel also ausdrücklich nicht um solche Formen, Debatten zu führen und Inhalte zu diskutieren.
Was überhaupt nicht in Ordnung ist und mich auf die Palme bringt
Chronisches Rumgemoser, gekleidet in eine völlig unangemessene und überdimensionierte Anspruchs-, Erwartungs- und Konsumhaltung derer, die diese Inhalte konsumieren. Diese KonsumentInnen vermitteln (uns) in aller Regelmäßigkeit, dass sie ein völlig legitimes Anrecht haben, Inhalte auf dem Silbertablett serviert zu bekommen, gratis selbstredend.
Damit nicht genug, denn diese Inhalte, müssen höchsten Ansprüchen genügen:
- Sie müssen fehlerfreiTM und gut recherchiertTM sein.
- Sie müssen mit einer einwandfreien Orthographie und Interpunktion ausgestattet sein.
- Sie müssen in formvollendeter Grammatik glänzen.
- Sie müssen restlos alle Themen repräsentieren, die den KonsumentInnen so auf der Seele brennen.
- Sie müssen exakt die politischen Vorstellungen der KonsumentInnen widerspiegeln.
Es gibt noch jede Menge weitere solcher Ansprüche, kurzum:
Die Inhalte müssen für die individuellen KonsumentInnen perfektTM sein!
Was mich wundert?
Diese KonsumentInnen liefern selbst 0 Inhalte. Jedenfalls finde ich von diesen MeckerfritzInnen nie Blogposts, Zeitungsartikel, Übersetzungen oder Bücher.
Die Kommentarspalte ist der Sammelpunkt für diese nervtötenden seltsamen Menschen.
Dort zeigen sie sich in voller Pracht:
In Form von Kommentaren, die (implizit) vermitteln, dass diese AutorInnen, die hier (oder woanders) schreiben
- “nicht informiert” sind
- “keine Ahnung” haben
- “zu doof” sind, um Kommas richtig zu setzen oder die Buchstaben richtig anzuordnen
- “nicht alle Tassen im Schrank” haben
- “dumm” sind oder
- “Gören”
- “grottig” übersetzen
- lediglich “polemisieren”
- “Unwahrheiten” schreiben
Und so weiter und so fort …
Manche Kommentare sind kurz und machen es einer leicht, sie in den geistigen und/oder technischen Papierkorb zu werfen oder den Löschknopf zu drücken. So Kurzbotschaften wie “schlecht recherchiert”, “Scheiß-Artikel”, “ihr seid doof” oder sowas. Andere wiederum gleichen einer Belehrungsveranstaltung, in der vermuteten Annahme, dass die kommentierte Autorin es wohl anders nicht versteht. Es landen Kommentare mit Belehrungen in epischer Breite auf diesem Blog oder auf Facebook, die so lang sind, dass sie einen eigenen Artikel wert wären (dieser wird aber natürlich nicht geschrieben).
Wichtigstes Kriterium, was sie alle vereint: Herablassung, Arroganz, Unverschämtheit und Respektlosigkeit. Was sie außerdem vereint: Kein Hinweis auf eine Reflexion, die anerkennt, dass das, was da gerade von ihnen bemeckert wird, in der “Frei”zeit dieser Aktivistinnen entstanden ist.
Alle vereint laufen sie mit Zettelchen und Stift und ohne Geld durch den Selbstbedienungsladen Netzaktivismus.
Es folgt ein Minimal-Auszug aus meinem Fundus an Vorschlägen für diese Menschen dort:
Schreibt (selbst) Blogartikel!
Bietet ein Kostenlos-Lektorat an!
Fertigt (selbst) Übersetzungen an!
Gründet ein Blog! Dafür braucht man allerdings Menschen, die “Gratis”-Inhalte liefern. Ist manchmal nicht so einfach, solche zu finden. Aber ihr schafft das!
Es gibt wirklich viel zu tun. Und eure Ressourcen wären optimal(er) genutzt.
Wir schreiben hier nicht aus Selbstlosigkeit. Wir schreiben für unsere Befreiung.
Wir sind fehlbar, full of fails und trotzdem wertvoll. Wir machen es so, wie es uns möglich ist.
Es gibt keinen Anspruch auf “Gratis”-Inhalte In Rundum-Perfektion.
Der Netzfeminismus ist kein Selbstbedienungsladen mit Kostenlos-Artikeln und einem individuell bestimmbaren Sortiment.