HAI: Human Awareness Institute-Gruppensex als Weiterentwicklung von Intimität

White shark

Terry Goss [GFDL, CC-BY-SA-3.0 or CC BY 2.5], via Wikimedia Commons

Wir wollen den feministischen Diskurs beleben und unterschiedliche Ansätze zur Diskussion stellen. Deshalb erscheinen bei uns regelmäßig Gastbeiträge, die nicht zwangsläufig die Haltung der oder aller Störenfriedas wiedergeben, aber wichtige Impulse für die feministische Debatte geben können.

Wer hat schon vom Human Awareness Institute gehört, HAI? Wahrscheinlich fast niemand, und auch ich wäre davon verschont geblieben, wenn mich nicht ein Bekannter darauf angesprochen hätte. Er schilderte vor einigen Jahren begeistert von einer neuen Seminarreihe, die ihn sexuell weiter gebracht hätte, und insbesondere seine Frau wäre durch die Seminare viel offener geworden. Seine Frau selbst wurde von einer Arbeitskollegin auf diese Workshops angesprochen und ihr wurde empfohlen, diese doch auszuprobieren um ihre Ehe zu verbessern.

In jedem Fall wurde ich neugierig über HAI, denn meine …“hier ist was ganz faul Antenne“ war deutlich zu hören.

Schnell stellte ich fest, dass es schwierig ist, überhaupt etwas über HAI herauszufinden, was kein nebulöses Gefasel ist, und Hand und Fuß hat (und nicht Hand aufs Herz, das Motto von HAI). Auf der Seite von HAI Deutschland ist zu lesen:

Was ist HAI?

… ein Weg zu glücklicheren und befriedigenderen Beziehungen – zu uns selbst und anderen.

 

Das Human Awareness Institute (HAI) wurde 1968 durch Dr. Stan Dale gegründet. Er schuf die „Love, Intimacy and Sexuality“ Workshopreihe, um Menschen dabei zu unterstützen, erfolgreichere und liebevollere Beziehungen einzugehen, basierend auf Ehrlichkeit und Integrität…http://www.liebe-workshop.de/    Es handelt sich offensichtlich um eine auf Stufen aufbauende Seminarreihe, insgesamt 9.

Hört sich doch toll an, oder? Wir sollten uns alle gleich anmelden, oder? Es gibt immer Raum für Verbesserungen!

Mir erschien das Ganze jetzt nochmals verdächtiger, denn je weniger transparent etwas ist, desto mehr Unschönes verbirgt sich dahinter. Das ist zumindest meine Erfahrung bis jetzt. Und auch die weitere Recherche zu HAI war sehr mühselig, denn ich fand so gut wie nichts. Ich musste auf amerikanische Seiten zurückgreifen und wurde auf einigen Seiten, insbesondere Foren, fündig. Zuerst wurde mir die Geheimniskrämerei deutlich, denn es ist SeminarteilnehmerInnen verboten über die Inhalte zu sprechen, da die Inhalte von Außenstehenden nicht verstanden werden können (?!) und ein Überraschungsmoment haben müssen. Dies ist wohl die Argumentation von HAI. Diese Vorgehensweise erschien mir sehr merkwürdig, da ich als freie Frau selber entscheiden können muss, auf was ich mich einlasse, und einlassen möchte, vor einem Seminar. Alles andere wäre Manipulation oder ließe die Vermutung aufkommen, dass es Manipulation sein könnte.

Die Gründungsgeschichte und Geschichte von Stan Dale, dem Gründer, lässt schon Schlimmes erahnen. Stan Dale war in der Armee in Japan stationiert und besuchte in Japan ein Geishahaus. Dieses Erlebnis war für ihn heilend, denn er als  Mann wurde durch diese Geisha geehrt und angebetet. Er wurde durch die Geisha als Krieger wieder in die Zivilisation zurück gebracht. Dieses Erlebnis wollte er auf Frauen ausweiten und so wurde das Institut geboren.   So the story goes… HAI basiert, nach meinem Verständnis, als Konzept auf der gekauften Zuwendung einer ausgebeuteten und bezahlten japanischen Frau, die in ihrem Kulturkreis völlige Unterwerfung unter die Bedürfnisse von Männern lernen musste.

In den diversen amerikanischen Foren war zu lesen, dass die Workshops sich ähneln. Durch Übungen und Gruppendruck werden Grenzen verändert und überschritten, so dass ein neues Erlebnis geschaffen wird, und durch Sex starke Gefühle ausgelöst werden.

Die Workshops kosten mehrere hundert Euro und es gibt immer auch Treffen zwischendurch. Es ist schwierig die Anzahl der aktiven HAIs herauszufinden, da dieses System, wie erwähnt, sehr geschlossen ist. HAI Deutschland selbst berichtet von 500 TeilnermerInnen an den Seminaren bis jetzt, was eine zu vernachlässigende Zahl ist, aber erschreckend hoch genug. Häufig finden sich Hinweise auf HAI auf den Seiten von polyamorösen Christen. In jedem Fall wird das Beziehungskonstrukt der Polyamorie durch HAI unterstützt. Auch mein Bekannter kommt von einem religiösen christlichen Hintergrund.

In einem der ersten Workshops gibt es die Spekulum-Übung. Männer untersuchen Frauen mit einem Spekulum und Frauen die Geschlechtsteile von Männern. Diese Übung lässt darauf schließen, dass ein sexuell sehr eingeschränkter Personenkreis diese Workshops besucht, denn ansonsten würde ich davon ausgehen, dass die Geschlechtsteile des Sexualpartners bekannt sind und die eigenen sowieso. Und wenn noch nicht, braucht man hierfür kein Workshop, würde ich sagen.

Kleidung ist bei den Workshops immer optional, aber der Gruppendruck führt bei vielen natürlich zur Entkleidung und diese fördert die Schutzlosigkeit.

In einer der ersten Übungen ist es auch Aufgabe persönliche Verletzungen vor der Gruppe zu erzählen. Ein Forumsmitglied schreibt, dass er persönlich mehrfach erlebt hat, dass Frauen, die früher sexuell missbraucht worden sind, in den Paarübungen gepaart wurden mit Männern, die zugegeben hatten selbst sexuelle Gewalt ausgeübt zu haben. Die gemeinsamen sexuellen Übungen sollten heilen und der Vergebung helfen.

Ein anderes Forumsmitglied schreibt, dass HAI der Verbesserung des Sexlebens von Männern dient und von Frauen erwartet wird, den Männern jederzeit zur Verfügung zu stehen.

Eine weitere Meditationsübung handelt vom Tod und Sterben. Viele brechen hier weinend zusammen, aber Zielsetzung soll es sein, zu verstehen, dass wir alle Möglichkeiten nehmen sollen, die sich uns bieten, inklusive Sex mit wemauchimmer.

Alle Übungen ist es gemeinsam, dass sie zu einer sexuellen Aufweichung und dem langsamen Verlieren von Grenzen gegenüber anderen führen. Im letzten Workshop soll es dann zum gemeinsamen Sex aller im Liebeszimmer kommen. Viele Übungen beinhalten Oralverkehr, es werden Kondome verteilt, und es gibt Öle, Lotionen und Kerzen. Es kommt auch zu Schlafentzug, und dies steigert zusätzlich die Möglichkeit zur Manipulation.

Es gibt Verbindungen zu Werner Erhart und dem Landmark Projekt. Die Methoden der Kontrolle von Menschen in Gruppen wurden in den letzten Jahrzehnten sicherlich verfeinert.

Über die finanzielle Situation bzw den Profit ist auch nichts in Erfahrung zu bringen. Seminare 2-9 kosten 275 €, zuzüglich Unterkunft und Verpflegung.  Damit den älteren TeilnehmerInnen etwas geboten wird, sind die Seminarkosten für unter 30jährige nur 99 Euro.

Ein wirklich interessanter und wahrheitsgetreuer Bericht könnte nur durch Seminarteilnahme geschrieben werden, aber ich sehe den Preis hierfür als zu hoch an, sowohl finanziell, als auch psychisch. Trotzdem ist es spannend, welche Gruppierungen sich im Kapitalismus so tummeln, ganz im Namen der Befreiung. Interessant ist auch, dass diese Gruppierung völlig unentdeckt vor der Öffentlichkeit agieren kann und agieren konnte. Werbung erfolgt nur über persönliche Ansprache und so konnte sicherlich bis jetzt eine breite negative mediale Öffentlichkeit verhindert werden.

Die Preise lassen Rückschlüsse auf den finanziellen Hintergrund der TeilnehmerInnen zu. Und natürlich ist das Ganze ein Modell, das für persönliche Schwierigkeiten individuelle Lösungen anbietet, in diesem Fall Sex, und nicht das System angreift.

Vieles zu diesem Thema bleibt Spekulation, aber das was bekannt ist, ist prinzipiell ausreichend um sich zu wundern.  Liebe wird mit völliger Grenzenlosigkeit und sexueller Verfügbarkeit gleichgesetzt. Das Ganze ist sozusagen eine Art teurer Gang Bang für diejenigen, die einen pseudointellektuellen Überbau brauchen, um dies zu tun. Polyamory ist der Weg ins Glück, und Sex mit jedem/jeder jederzeit ist alles was wir brauchen. Diese Idee entspricht dem Neoliberalismus; die eigene und sofortige Bedürfnisbefriedigung als elementaren Lebensinhalt. Danach sind wir vollkommen erleuchtet und sexuell befreit, und können mit allen intim sein, was dann Intimität bedeutet.

Gunhilde Spötter-Dröhme

4 Kommentare

  1. danke für die Informationen, ich hatte mich angemeldet weil ein freund mir das seminar empfohlen hat. jetzt melde ich mich wieder ab.
    diese Nummer mit Intimität mit jedem- ist nicht mein ideal. Ganz im Gegenteil, in der afrikanischen und latino scene ist mir das alles eh zu wahllos und zu schnell. bei mir geht es eher darum genauer und achtsamer in meiner Wahrnehmung zu werden und meine Grenzen zu spüren. Das Selbstbewßtsein zu bekommen auszuwählen und Bedürfnisaufschiebung…und liebe und sex nicht zu verwechseln und kuscheln ohne druck und wirklich die Selbstgefälligkeit vieler Männer zu enttarnen, dadurch das ich was fordere, wirklich was fordern nicht nur im Liebesspiel, sondern im Zusammenleben überhaupt!

  2. Hallo zusammen, ich war gerade bei dem 1. Workshop der Reihe. Es geht genau darum, genauer und achtsamer die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen. Der Preis ist vergleichbar mit anderen Workshops. Ich habe sehr viel universelle Liebe, Achtsamkeit, Freundlichkeit erlebt und außerdem einige Heilung. Darüber hinaus wichtige Fähigkeiten für das Leben erfüllter Beziehungen.
    Es gab dort Menschen mit Interesse an Polyamourie. Durchaus nicht alle! Es geht darum mit viel Achtsamkeit für sich selbst das eigene Leben zu gestalten.

  3. Mein Partner und ich waren gerade auf diesem Workshop und es hat uns wirklich gut getan. Es gibt schöne Übungen mit Partner oder anderen Teilnehmern und es geht viel um Nähe, Sexualität und Vertrauen. Auch Nein zu sagen ist ein wichtiger Bestandteil des Kurses. Es gibt bei allem die Wahl, ob man etwas mitmachen möchte oder nicht. Druck durch „die Gruppe“ habe ich überhaupt nicht empfunden. Berührungen in der Intimzone oder gar Sex gab es auch nicht, war auch nicht erwünscht. Uns hat es Spaß gemacht und ich bin erstaunt, das auf Leute reagiert wird, die von Leuten gehört haben, die wiederum Kollegen haben welche … und selbst nicht dabei waren … solche Artikel verfassen. Weltfremd oder? Herzliche Grüße an alle.

  4. Hach, was für ein Quatsch ist das denn…

    Ich habe meinen ersten HAI-Workshop 2006 besucht, habe einige davon wiederholt, und mache seitdem alle 1, 2 Jahre einen neuen… mir tun sie gut. Punkt.

    NIEMALS! in all den Jahren jedoch habe ich dort Gruppendruck (schon GAR NICHT! im Hinblick auf Intimität) erfahren, oder die Aufforderung, sich (sexuell) zur Verfügung zu stellen, und NIE war es Aufgabe, persönliche Verletzungen vor der Gruppe zu erzählen.

    Ganz im Gegenteil – ich habe alle dort – Workshopleiter*innen, Team und auch die Teilnehmer*innen als sehr ACHTSAM erlebt.

    Nur ein einziger Workshop von den 9 „fehlt“ mir noch, der Vorletzte – über den kann ich naturgemäß nichts sagen, aber NIE ist es während einer „meiner“ zahlreichen Workshops zu Gruppensex, Oralverkehr etc. pp. gekommen – auch nicht im letzten. Wie schon geschrieben: totaler Quatsch.

    Der Verein Hand on Heart e.V., der die Workshops durchführt, ist übrigens ein gemeinnütziger Verein, womit sich die Frage nach dem Profit erledigt haben dürfte… das hätte man mit ein bisschen Recherche sicherlich herausfinden können. Macht halt nur keine dramatischen Schlagzeilen, und darum ging es der hinter einem Tarnnamen versteckten Verfasserin wohl…

    Fazit: Ein bisschen mehr Liebe täte der Autorin auch gut – vielleicht hätte sie sich einfach mal einer persönlichen Eindruck verschaffen ODER mit echten Teilnehmer*innen über ihre Erfahrungen sprechen sollen.

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