Hauptsache vegan?

Straßenschild mit Zitat von Alice Walker

Straßenschild mit Zitat von Alice Walker von Duck Lover via Flickr, [CC BY-ND 2.0]

Immer mehr Hersteller fleisch- und käsehaltiger Produkte erkennen VeganerInnen als potentielle und kaufkräftige Zielgruppe und nehmen vegetarische und vegane Alternativen in ihr Sortiment auf. So stellt der Produzent Rügenwalder Mühle inzwischen vegetarische Wurstalternativen her – und erhält dafür ein schönes Label des Vebu (Vegetarierbund). Auch Wiesenhof, die in der Dauerkritik stehen wegen ihrer Geflügelskandale, plant in Zusammenarbeit mit PETA eine eigene vegane Produktlinie.

Während einige diese Entwicklung positiv sehen und der Meinung sind, man habe es hier mit zunehmender Einsichtsfähigkeit der Fleischindustrie zu tun, die durch die massive Kritik in der Vergangenheit erreicht worden sei, kann man auch mehr Realismus walten lassen und nüchtern analysieren, dass die Fleischindustrie sich schlicht ein neues Marktsegment unter den Nagel reißen möchte. Es handelt sich um eine klassische kapitalistische Anpassungsstrategie und eine logische Reaktion an die gestiegene Nachfrage nach veganen und vegetarischen Produkten.

Nun könnte man argumentieren, dass dies doch egal sei, wenn doch damit die Fleischproduktion nur insgesamt eingedämmt würde und Veganismus/Vegetarismus somit immer mehr zum Mainstream wird. Das Problem bei der ganzen Sache: Das ist nicht der Fall, denn obwohl es immer mehr VegetarierInnen und VeganerInnen (und auch FlexitarierInnen) gibt, sinkt die Fleischproduktion leider EBEN NICHT.

Der VEBU ging im Januar 2015 von rund 7,8 Millionen VegetarierInnen (rund 10% der Bevölkerung) und 900.000 VeganerInnen (1,1%) aus. Zum Vergleich: Nach einer Untersuchung der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) in Nürnberg ernährten sich 1983 nur etwa 0,6 % der Bevölkerung vegetarisch. Laut Meldung des Statistischen Bundesamts verließen 2014 jedoch rund 8,2 Millionen Tonnen Fleisch die gewerblichen Schlachthäuser, was gut 100.000 Tonnen oder 1,3 Prozent mehr als im Vorjahr waren. Den größten Anteil hatte die Produktionssteigerung von Hühnerfleisch (971.000 Tonnen, im Vergleich zu 910.000 Tonnen im Vorjahr). Davon macht Biofleisch übrigens nur einen Anteil von rund 2% aus. Es wird also immer mehr produziert und statt auf dem „heimischen“ Markt in anderen Ländern vermarktet (Exportanstieg).

Von kapitalistischen ProduzentInnen eine „zunehmende Einsichtsfähigkeit“ zu diagnostizieren wäre meines Erachtens ziemlich naiv. Genauso zu glauben, man könne durch individuelle Konsumentscheidungen das System verändern. Auf tierische Produkte zu verzichten ist vielmehr erst mal nur ein Ausstieg an der eigenen Partizipation an tierischer Ausbeutung. Eine (richtige) ethische Entscheidung, nicht mehr und nicht weniger.

Das größte Problem bei dieser neuerlichen Entwicklung ist nun folgendes: Die Aufnahme veganer und vegetarischer Produkte in das Sortiment der großen Akteure der Fleischindustrie hat schwerwiegende Konsequenzen für solche Betriebe, die ausschließlich vegan produzieren, denn da es sich im Vergleich um eher kleinere Unternehmen handelt, werden deren Produkte zugunsten der Mainstream-Marken, schlichtweg aus den Sortimenten der Supermärkte wieder ausgelistet.

Deshalb ist die Tofurei Lord of Tofu nun aus Protest als Mitglied beim Vegetarierbund ausgetreten. In der Stellungnahme heißt es unter anderem:

„Die Herstellung von veganen Produkten ist eine eigene Linie, die nichts mit Tierhaltung zu tun haben will, da der Kunde koschere Produkte haben möchte. Das ist eine Ideologie, die gefördert werden muss. Alles andere ist ein Rückschritt. z.B. Wenn ein Vegetarier, der vorher vegane Wurst gegessen hat, nun die Wurst aus Ei isst, weil ja die vegane nicht im Supermarkt verfügbar ist. […]

VEBU: „Der VEBU unterstützt auch kleinere Anbieter, die ein rein vegetarisches und veganes Produktangebot haben. Die Unternehmen, die am Markt etabliert sind, stoßen inzwischen jedoch an Kapazitätsgrenzen. Zudem kann ein kleiner Anbieter ein vergleichbares Volumen z. B. bei der Bewerbung von Produkten nicht tragen. Die kleinen Unternehmen werden unseres Erachtens langfristig davon profitieren, dass sich Konsumenten grundsätzlich für vegetarische und vegane Fleischalternativen interessieren. Eine Konkurrenzsituation entsteht nicht.“

Lord of Tofu, der als inhabergeführte Tofurei zu den kleineren Unternehmen gehört, wurde vom VEBU nie gefragt, ob sie auch in größerem Stil produzieren könnten. Das können wir, dank kontinuierlicher Erweiterung der Produktionslinie und Einstellung neuer Mitarbeiter. Dank Auslistungen (da die Fleischregale nicht kleiner werden) stehen wir nun davor Leute entlassen zu müssen und das zum ersten Mal seit 20 Jahren!“

Auch Rosalie Wolff von Veggyfriends, ein 22-köpfiges Unternehmen, welches seit 2002 vegane Produkte anbietet, berichtet von ähnlichen Problemen:

„Die sagen uns, dass unsere Produkte toll sind, aber sie müssten jetzt leider die Großen ins Regal nehmen, weil sie mit denen auch im Fleischsektor zusammenarbeiten“

Eine ethische Entscheidung für tierleidfreie Produkte darf nicht auf Zutatenlistenveganismus beruhen, sondern sollte meiner Meinung nach eben auch zu einer Unterstützung jener Betriebe führen, deren Leitmaxime nicht Profit, sondern ethisches Wirtschaften ist. Nur so kann man ausschließen, dass man eben zu einer Zielgruppe von vielen ist, für die eben AUCH produziert wird. Politischer Veganismus verliert das große Ganze nicht aus den Augen, sondern bezieht solche Überlegungen mit ein. An dieser Linie entlang sollten diese Diskussionen geführt werden.

 

Quellen:

https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2015/02/PD15_044_413.html

https://vebu.de/themen/lifestyle/anzahl-der-vegetarierinnen

http://www.taz.de/!5237558/

http://www.lord-of-tofu.de/de/home.html

 

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