Schlagwort: Kapitalismus

„Kollateralschaden“: Die Invasion in der Ukraine erinnert uns an die Kosten der Leihmutterschaft und wer den Preis dafür zahlt

Pixabay, Public Domain

Bei dem nachfolgenden Beitrag handelt es sich eine Übersetzung eines bei ABC erschienen Textes, mit freundlicher Genehmigung der Autorinnen.

Der Begriff „Kollateralschaden“ wird im militärischen Kontext in Bezug auf die Immunität von nichtmilitärischen Personen im Sinne des Grundsatzes der Unterscheidung zwischen zivilen und militärischen Zielen verwendet. Die Verwendung des Begriffs verweist auf die Anerkennung der Tatsache, dass militärische Aktionen Auswirkungen haben, einige davon beabsichtigt und andere nicht, für die die Akteure moralisch und rechtlich verantwortlich gemacht werden können. In seiner häufigeren und zynischeren Verwendung ist „Kollateralschaden“ zu einem beschönigenden Code für mutwillige Zerstörung geworden, die von denen, die „mit der Wahrheit umgehen können“,  mit einem Schulterzucken hingenommen wird. Spätestens seit der Zeit des Irakkriegs bezieht sich der Begriff nicht mehr auf die Inkaufnahme „unbeabsichtigter Schäden“ – wie in der traditionellen katholischen Moralvorstellung – sondern auf „beabsichtigte Schäden“, die berechnet und in die Planung einer militärische Mission einkalkuliert werden. Jede und jeder weiß das auch, auch wenn wir es nicht immer laut sagen.

Auch die internationale Industrie der Leihmutterschafts kalkuliert die Schäden ein, die sie den Leben von Frauen zufügt. Dies liegt zum Teil daran, dass das Leihmutterschaftssystem nach einem Franchise-Modell funktioniert. Mit anderen Worten: Es erscheint uns nicht wie ein Teil des globalen Spätkapitalismus. Es erscheint uns als Schaffung glücklicher Familien. Und diese „Familien“ werden nicht als das dargestellt, was sie sind: Teil des Schadens und der Ausbeutung durch den globalen Kapitalismus. Stattdessen zeigen die Bilder auf Webseiten für Leihmutterschaft wie im Bilderbuch Menschen, die eine „Reise“ unternommen haben sollen: eine „Leihmutterschaftsreise“.

Diese hübschen Bilder und diese hübsche Sprache tarnen – wir behaupten sogar, haben die Absicht zu tarnen – eine schmutzige Industrie, die sowohl mit dem Leben von Frauen als auch mit dem Leben von Neugeborenen Handel betreibt. Sie läuft parallel zu anderen Industrien, die den Körper von Menschen mit einem Preis versehen, wie zum Beispiel dem Handel mit Körperorganen, -teilen und -flüssigkeiten. Aber Organhandel ist rechtswidrig. Der Organhandel ist einer der Aspekte im Globalen Aktionsplan der Vereinten Nationen zur Bekämpfung des Menschenhandels. Die jüngste Resolution der UN-Generalversammlung zur Bekämpfung des Organhandels wurde im Jahr 2018 verabschiedet. Es gibt nur wenige Menschen, die den Organhandel verteidigen.

Nicht so bei der Leihmutterschaft. Die Reise der Leihmutterschaft wird getragen von unzähligen Philosophen und Akteurinnen und Akteuren aus dem Gesundheitssystem, die die Branche und ihre Praktiken verteidigen. Eine ihrer effektivsten rhetorischen Verteidigungen besteht darin, die sogenannte „altruistische Leihmutterschaft“ als ein Beispiel dafür anzusehen, wie Leihmutterschaft aussehen könnte, wenn sie besser organisiert und reguliert wäre. 

Aber es ist nur ein weiteres hübsches Bild, das als Projektionsfläche für eine Industrie dient, die auf der Kommodifizierung der Person basiert: Eine Frau, die in einen Behälter für einen Embryo verwandelt wurde, sei es gegen Bezahlung oder Erstattung der Unkosten. Alle Staaten und Territorien in Australien unterscheiden rechtlich zwischen kommerzieller und nicht-kommerzieller Leihmutterschaft (mit Ausnahme des Northern Territory, das keine Gesetzgebung zu dieser Frage hat), wobei erstere in allen Staaten rechtswidrig ist. Im Fall von New South Wales, Queensland und des ACT (Australisches Hauptstadtterritorium, Anm. der Übers.) ist der Abschluss internationaler Verträge für Leihmutterschaft ebenfalls rechtswidrig und wird mit einer hohen Geldstrafe und/oder Gefängnis geahndet. Die Realität ist, dass altruistische Leihmutterschaft – allgemein definiert als jene Vereinbarungen, bei denen kein Geld, sondern nur das Baby den Besitzer wechselt – einfach ein Zweig des wesentlichen Teils der Industrie der Leihmutterschafts ist.

Frauen sind der Kollateralschaden der Industrie der Leihmutterschaft – nicht nur ihr unbeabsichtigter Schaden, sondern ihr beabsichtigter und einkalkulierter Schaden. Für die Branche und diejenigen, die sie „Kunden“ nennt, wird der Schaden, der jener Frau zugefügt wird, die die Rolle der „Ersatzperson“ ausfüllt, als vollkommen proportional zum „Happy End“ – einem neuen, gesunden Baby – angesehen, welches das Verkaufsargument der Branche ist .

Leihmutterschaft ist eine Menschenrechtsverletzung der Frau, die zur Züchterin des „Produkts“ gemacht wird, eines Embryos, der von der IVF-Industrie hergestellt wurde und in ihrem Körper zu einem Baby herangewachsen ist, das dann entfernt wird (meistens durch Kaiserschnitt). Oft darf sie das Kind, das sie wahrscheinlich nie wiedersehen wird, nicht einmal halten.

Leihmutterschaft ist auch eine Menschenrechtsverletzung des Kindes, das nie zugestimmt hat, ein „Take Away“-Baby zu sein. Die Praxis der Leihmutterschaft verstößt gegen mehrere internationale Konventionen. Es kann mit der Sklaverei verglichen werden, die in Artikel 1 des Sklavereiabkommen von 1926 definiert ist als „der Status oder Zustand einer Person, über die einige oder alle mit dem Eigentumsrecht verbundenen Befugnisse ausgeübt werden“. Dies wird heute allgemein als grundlegende Definition der Sklaverei akzeptiert, mit dem Status des jus cogens im Völkerrecht. Die Bedingungen von Standard-Leihmutterschaftsverträgen lassen wenig Zweifel am Status der und Zwang gegenüber jener, die viele Käufer als „meine Leihmutter“ bezeichnen. Leihmutterschaft verletzt auch die Rechte des Kindes zutiefst. Artikel 35 der UN-Kinderrechtskonvention fordert: „Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten nationalen, bilateralen und multilateralen Maßnahmen, um die Entführung, den Verkauf oder den Handel mit Kindern zu verhindern.”

Diese wichtigen Bestimmungen in internationalen Konventionen werden von denen ignoriert, die von der Industrie der Leihmutterschaft profitieren. Eine gängige Verteidigung der Leihmutterschaftsbranche ist, dass das Geld nicht für das Baby den Besitzer wechselt, sondern für die „Dienstleistungen“ der „Leihmutter“. Aber die Branche beruht auf der Bereitstellung eines Babys – und eines Babys in einem bestimmten Zustand – ohne den eine Zahlung wahrscheinlich nicht erfolgt. 

Dies haben herzzerreißende Geschichten über die verlassenen Kinder der ukrainischen Leihmutterschafts-Industrie deutlich gemacht. Es gibt einfach keinen Ansatz um Leihmutterschaftsvereinbarungen als etwas anderes darzustellen als eine Verwertung der Frau, die entbindet, und des Kindes, für das bezahlt wird. Die Ukraine ist in bestimmten Kreisen als „Gebärmutter Europas“ bekannt geworden. Dies ist selbst ein Euphemismus in Bezug auf die Vektoren der Ausbeutung von Frauen in ärmeren Ländern. Die ehemaligen Leihmutterschaftszentren Indien, Nepal und Thailand haben Schritte unternommen, um die internationale kommerzielle Leihmutterschaft zu verbieten, infolgedessen wird die Ukraine als eines der ärmeren Länder Europas zu einem neuen Zentrum der Branche. Es ist kein Zufall, dass die Ukraine auch zu einem Herkunftsland für die Bordelle Westeuropas geworden ist. 

Vermutlich geht die Mehrheit der Frauen Leihmutterschaftsvereinbarungen in der Ukraine über das Unternehmen BioTexCom ein, obwohl es schwierig ist, hierzu eine genaue Schätzung abzugeben. Denn selbst unter den Bedingungen der Legalität in der Ukraine hält ein erheblicher Teil der Branche dort nicht mal die minimalen Vorgaben des Gesetzes ein. Diese Probleme in der Ukraine und die daraus erwachsenen Auswirkungen werden von Apologeten der Branche hingenommen und sie sind auch für die meisten derjenigen offensichtlich, die durch solche Arrangements ein Kind bekommen. Zum Beispiel berichtete Sam Everingham, Direktor der australischen NGO Growing Families und Koordinator von Seminaren in allen Hauptstädten mit eingeladenen Befürwortern der Leihmutterschaft aus Überseeländern, folgendes:

„Die Verträge zwischen Leihmutterschaftsunternehmen und den beabsichtigten Eltern besagen im Wesentlichen: ‚Du bist nach der Geburt auf dich allein gestellt‘. Es gibt einige ausgezeichnete Kliniken in der Ukraine, aber weil sie kleinere Marketingabteilungen im Vergleich zu BioTexCom haben, ist es für ausländische Paare schwieriger, etwas über sie zu erfahren.“

Everingham sagte, dass sich Paare oft darüber beschweren, dass Kliniken ihre Embryonen „verloren“ haben oder die Gründe für eine fehlgeschlagene Embryonenimplantation nicht erklären, was einige dazu zwingt, rechtliche Schritte einzuleiten. In anderen Fällen, fügte er hinzu, erhielten Leihmütter, die eine Fehlgeburt hatten oder eine Totgeburt hatten, keine Zahlung.

„Einige Unternehmen haben es so eingerichtet, dass sie nicht für negative Ergebnisse verantworten müssen. Es ist so wichtig, dass die Menschen sich selbst über die Risiken kundig machen.“

Es wird selten so formuliert, außer mit Bezug auf diese Branche, dass die Antwort auf “negative Ergebnisse” (ein weiterer Euphemismus, der an Kollateralschäden erinnert) darin besteht, “sich kundig zu machen”. Es ist auch klar, dass Everingham mit “den Risiken” in erster Linie die Risiken meint, dass ein Baby nicht in einem bestimmten Zustand zur Welt kommt. Was er nicht erwähnt, ist, dass gerade in den von ihm angebotenen Seminaren – auch in australischen Bundesstaaten, in denen internationale Leihmutterschaft strafbar ist – potenzielle Babykäufer von den Vertretern von Leihmutterschaftskliniken der Ukraine und anderen ärmeren Ländern über ihre Möglichkeiten informiert werden.

Mit anderen Worten, ohne die (bezahlte) „Hilfe“ von Growing Families hätten sogenannte „Wunscheltern“ nichts von der Möglichkeit eines Leihmutterschaftsvertrags mit einer Klinik in diesem Land gewusst, geschweige denn einen Vertrag mit diesen abgeschlossen. Die von Everingham gebilligten Vereinbarungen haben jene Frauen, die mit Babys für ausländische Käufer schwanger sind, in große Gefahr gebracht. Die Absprachen haben auch die Käufer selbst in Bedrängnis gebracht: „Kunden“, die befürchten, dass ihr „Auftragsprodukt“ – das Baby – möglicherweise nicht mehr auf dem Markt ist. Und es ist klar, dass es diese „Not“ ist, die die Rentabilität der Leihmutterschaftsbranche gefährdet, nicht der Zustand oder Status der Frauen, die das Produkt tragen.

Inmitten der russischen Invasion in der Ukraine wurde die Sprache der Leihmutterschaft auf das Wesentliche reduziert: Profit und seine Maximierung. Verschiedene Berichte zeigen eine gemeinsame Reaktion der Leihmutterschaftsindustrie und ihrer Käufer auf Katastrophen in den Herkunftsländern. Zum Beispiel gerieten die Kunden der Branche nach dem Erdbeben 2015 in Nepal (damals ein Zentrum für Leihmutterschaft) in Panik – nicht wegen der Menschen in Nepal oder der sogenannten „Leihmutter“. Sie waren besorgt darüber, ob „Kunden“ in der Lage sein würden, „ihre“ bezahlten Babys in Besitz zu nehmen. Viele Käufer flogen nach Nepal, um ihre Babys zu „retten“. In ähnlicher Weise lesen wir jetzt mit Bezug auf die Ukraine Berichte von Käufern aus Argentinien, Spanien, England, (Deutschlandergänzt durch d. Übers.) und Australien (neben anderen Ländern) und von ihrer Panik ihr Kind in einem Kriegsgebiet mit Atomalarmbereitschaft abzuholen – und ihre Erleichterung, wenn sie wie in einigen Fällen geschehen in der Lage waren, mit dem Kind „rauszukommen“, wobei die Frauen unbeachtet zurückgelassen werden. 

In solchen Zeiten klärt sich der Blick auf die Leihmutterschaftsindustrie – ihre Sprache ist so offen brutal wie die Praktiken, die sie widerspiegelt. So wird Sam Everingham in einem kürzlich erschienenen Bericht zitiert, der sich auf die „alptraumhaften“ Erfahrungen eines Mannes namens Adam und seiner Frau als mit der Leihmutterschaft in der Ukraine bezieht:

Die Ukraine ist auch ein wichtiger Anbieter von Eizellen. Während Adam und seine Frau ihren eigenen Embryo verwendeten, fliegen viele Paare Sperma ein, um ein Ei zu befruchten, das von einer ukrainischen Spenderin bereitgestellt wurde.

„Viele Menschen machen sich Sorgen um die Sicherheit ihrer Embryonen, wenn Kiew bombardiert wird. Einige geben dort drüben viel Geld für Spenderinnen aus, sie wollen sicherstellen, dass diese Embryonen sicher sind.“

Die Schamlosigkeit dieser Sprache, die Wert auf die Sicherheit der Geldanlage in Embryonen legt, ohne die Frauen zu erwähnen, die beim Ausbrüten der Embryonen wie Objekte behandelt werden, ist erschütternd. Wir müssen unseren Blick dringend auf diejenigen richten, die die eigentlichen Kosten tragen und den Preis für den völlig vorhersehbaren „Albtraum“ zahlen, nämlich das System der Leihmutterschaft selbst. Und anstatt ihren Organisatoren und Propagandisten zu folgen und eine stärkere Legalisierung zu fordern, um zu verhindern, dass die Branche und die damit verbundenen Praktiken „weiter in den Untergrund“ gehen (wo auch immer), ist es an der Zeit, die Abschaffung der ausbeuterischen Leihmutterschaftsindustrie mit all ihrem Elend zu fordern und all den Schmerzen, die sie insbesondere armen Frauen zufügt.

Wir müssen uns weigern, Frauen als den vorhergesehenen und kalkulierten Kollateralschaden von Leihmutterschaftsvereinbarungen zu behandeln, sei es im Krieg oder in der Zeit, die wir Frieden nennen – bevor Frauen, die als „Leihmütter“ bekannt sind, schwanger werden und bevor ihre Babys geboren werden.

Helen Pringle ist Associate Professor an der School of Social Sciences der Universität von New South Wales.

Dr. Renate Klein ist eine feministische Kritikerin der Reproduktions- und Gentechnik, einschließlich der Leihmutterschaft. Zuletzt hat sie zu „Towards the Abolition of Surrogate Motherhood“ beigetragen, herausgegeben von Marie-Josèphe Devillers und Ana-Luana Stoicea-Deram.

Hauptsache vegan?

Straßenschild mit Zitat von Alice Walker

Straßenschild mit Zitat von Alice Walker von Duck Lover via Flickr, [CC BY-ND 2.0]

Immer mehr Hersteller fleisch- und käsehaltiger Produkte erkennen VeganerInnen als potentielle und kaufkräftige Zielgruppe und nehmen vegetarische und vegane Alternativen in ihr Sortiment auf. So stellt der Produzent Rügenwalder Mühle inzwischen vegetarische Wurstalternativen her – und erhält dafür ein schönes Label des Vebu (Vegetarierbund). Auch Wiesenhof, die in der Dauerkritik stehen wegen ihrer Geflügelskandale, plant in Zusammenarbeit mit PETA eine eigene vegane Produktlinie.

Während einige diese Entwicklung positiv sehen und der Meinung sind, man habe es hier mit zunehmender Einsichtsfähigkeit der Fleischindustrie zu tun, die durch die massive Kritik in der Vergangenheit erreicht worden sei, kann man auch mehr Realismus walten lassen und nüchtern analysieren, dass die Fleischindustrie sich schlicht ein neues Marktsegment unter den Nagel reißen möchte. Es handelt sich um eine klassische kapitalistische Anpassungsstrategie und eine logische Reaktion an die gestiegene Nachfrage nach veganen und vegetarischen Produkten.

Nun könnte man argumentieren, dass dies doch egal sei, wenn doch damit die Fleischproduktion nur insgesamt eingedämmt würde und Veganismus/Vegetarismus somit immer mehr zum Mainstream wird. Das Problem bei der ganzen Sache: Das ist nicht der Fall, denn obwohl es immer mehr VegetarierInnen und VeganerInnen (und auch FlexitarierInnen) gibt, sinkt die Fleischproduktion leider EBEN NICHT.

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“Deutschlands neue Asoziale” – Rassismus ein Bildungsproblem?

"Rassismus führt zum Verlust Ihres Mitgefühls."

Dierk Schäfer via Flickr [CC BY 2.0]

Am 24. Juli 2015 erschien bei der Huffington Post ein Artikel mit dem Titel “Die neuen Asozialen: Eure Dummheit bringt Deutschland zum Abgrund”.

Dieser Artikel wurde unter meinen FacebookfreundInnen gefeiert – dutzendfach erschien er auf meiner Pinnwand, weshalb ich mich zu einer Erwiderung entschieden habe. Kritik zu äußern, fällt mir in diesem Fall nicht leicht, denn die Autorin Sabrina Hoffmann fiel mir vor genau einem Jahr – im Juli 2014 – sehr positiv auf, als sie sich als eine der ersten deutschsprachigen Journalistinnen mit einem sehr guten Artikel, “Prostitution: Warum Deutschland Sexkauf verbieten muss” , für ein Sexkaufverbot nach schwedischem Modell in Deutschland ausgesprochen hatte.

Ich möchte diese Replik deshalb als konstruktive und wertschätzende Kritik verstanden wissen.

Im Artikel wird die These aufgestellt, dass es nicht “die Zuwanderer [sind], die das Bildungsniveau senken” in Deutschland, sondern “es … die Deutschen selbst” sind. “Und zwar ausgerechnet jene, die bei Facebook gegen Ausländer hetzen.”. Fremdenfeindliche “gebildete und intelligente Menschen” bezeichnet sie als Ausnahme. Und sie sieht es als Gefahr an, dass sich ungebildete Menschen “von Gefühlen beherrschen lassen”.

Hoffmann beendet den Text mit

“Diese Menschen sind blind für die Not anderer. Sie sehen nur sich selbst. Und die Probleme, die sie bekommen könnten, wenn eines Tages zu viele Zuwanderer in Deutschland leben. Sie verstehen nicht, was Menschlichkeit ist. Sie stehen mit dem Kopf zur Wand und sehen nur Tapete. Wenn wir die Fremdenfeindlichkeit in Deutschland in den Griff bekommen wollen, müssen wir hier ansetzen. Alles andere ist nur Kosmetik.”

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Über Konzern-Feminismus und die Inbeschlagnahme der Frauenbewegung

Meghan Murphy

Übersetzung des Artikels “On “corporate feminism” and the appropriation of the women’s movement” von Meghan Murphy” mit freundlicher Genehmigung der Autorin. Meghan ist eine der wichtigsten Stimmen des kanadischen Feminismus. Sie erhebt unermüdlich die Stimme gegen die sexistische, klassistische und rassistische Ausbeutung von Frauen in der Sexindustrie. Nach einem Artikel im Playboy und Aufrufen von Männerrechtsaktivisten ist sie derzeit einer hässlichen Kampagne gegen sich ausgesetzt, bei der unter anderem ihr Arbeitgeber Rabble aufgefordert wird sie zu kündigen.  Eine Petitition mit dem Titel “We need Meghan Murphy” findet ihr hier.

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10 Jahre Hartz IV – Oder: Das Geschäft mit der Armut

Anti-Hartz4-Demo

By Björn Laczay from Moosburg, Germany (Flickr.com - image description page) [CC BY 2.0], via Wikimedia Commons

Reicher Mann und armer Mann / standen da und sahn sich an.  Und der Arme sagte bleich: »wär ich nicht arm, wärst du nicht reich«. Bertolt Brecht

Neulich saß ich im Zug und las in einer Kritik am Deutschen Tafelsystem (die ich vollumfänglich teile), dass es unter den Tafelbefürwortern Menschen gäbe, die tatsächlich meinen, dass nicht die Armut das Problem sei, sondern das Stigma. Da musste ich doch zunächst etwas schmunzeln. Diese Argumentation kennen wir doch alle nur allzu gut aus der Prostitutionsdebatte: Das Stigma muss weg und dann wird alles gut und Prostitution kann endlich als ein Beruf wie jeder andere anerkannt werden.

Das „Hartz IV“-Stigma – ein spannendes Thema. Keine Frage: Wer Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch in Anspruch nehmen muss ist stigmatisiert. In der Tat ist meine Erfahrung aus mehr als 5 Jahren ehrenamtlicher Beratung in diesem Bereich, dass die damit verbundenen psychischen Belastungen viel schwerer wiegen, als die Tatsache mit viel zu wenig Geld auskommen zu müssen. Beschämung ist weitverbreitet: Ob es die zahlreichen alten Menschen sind, für die es gar nicht in Frage kommt staatliche Unterstützung in Form von Grundsicherung überhaupt erst zu beantragen und die lieber von ihren 600 Euro Rente leben, wovon sie alles, inklusive der Miete bestreiten. Eine Frau, der ich neulich zum wiederholten Male dringend nahe legte, doch einen Antrag zu stellen, sagte zu mir: „Wissen Sie, ich habe den Krieg und wirkliche Not überlebt, dann überlebe ich auch das. Und eins habe ich gelernt: Wer was hat, der will immer mehr.“ Oder ob es die Kinder sind, die den Sportverein lieber vom Taschengeld bezahlen, als die (mickrigen) Leistungen für Bildung und Teilhabe in Anspruch zu nehmen – weil das nur in Direktzahlung an den Dienstleister geht (da die Eltern das Geld ja stattdessen sonst in Alkohol und Zigaretten anlegen würden, wie wir alle wissen) und damit mit einem Zwangsouting verbunden ist. Oder ob es der Leiharbeiter ist, der 40 Stunden die Woche arbeitet und trotzdem aufstocken muss und nur verlegen nickt, wenn wieder einer seiner Bekannten über die „faulen Hartzies“, die ihm „auf der Tasche liegen“ herzieht – und der Angst hat, dass auch über ihn so geredet wird, wenn jemand ihn zufällig im Warteraum des Jobcenters sieht und dies weitererzählt. Nein: 10 Jahre Hartz IV waren für die Betroffenen kein Zuckerschlecken und ich bin die Letzte, die sich über die Thematisierung des Stigmas durch Hartz IV lustig macht.

Dann wiederum frage ich mich: Wer davon redet und meint „Das Stigma muss weg“ sei eine sinnige politische Forderung, dem muss ich leider sagen ihm / ihr ist eine zentrale Tatsache entgangen. Nämlich die, dass es ein Kernelement der Agenda 2010 und ihrer neoliberalen Ideologie war und ist, eben dieses Stigma auf die Betroffenen zu legen. Und jetzt wird es spannend: Das Workfare Modell, mit dem Gerhard Schröder (und in England Tony Blair) mit seiner Agenda-Politik das Arbeitslosenversicherungssystem abgelöst hat, bedeutet doch nichts anderes als strukturelle Ursachen dem Individuum in die Schuhe zu schieben: Ungeachtet der Tatsache, dass es viel weniger offene Stellen als Arbeitssuchende gibt, ist das doch die zentrale Botschaft, die an Betroffene ausgesendet wird: „Jeder ist seines eigenes Glückes Schmied. Wenn du arm bist, dann hast du individuell versagt und dann bist du selbst schuld an deiner Situation“. In meiner Beratung habe ich erlebt wie das Jobcenter mit diesem Dogma aus aufrechten, selbstbewussten Menschen, gebrochene, mit Minderwertigkeitskomplexen beladene Menschen gemacht hat. Menschen, die beispielsweise aufgrund einer Firmeninsolvenz oder betriebsbedingten Kündigungen arbeitslos geworden sind, sagen oft „Hey, ich bin gut qualifiziert, ich habe jahrelange Berufserfahrung, ich finde ganz schnell einen neuen Job“. Wenn das dann jedoch nicht funktioniert, dann dauert es bei dem einen kürzer, dem anderen länger und bei so gut wie jedem setzen früher oder später die Selbstzweifel ein – selbst, wenn sie eigentlich ganz genau wissen, es liegt am Arbeitsmarkt und nicht an ihnen.

Diese neoliberale, politische Strategie strukturelle Missstände zu individualisieren hat Michel Foucault bereits in seiner Vorlesung zur Gouvernementalität eindrucksvoll beschrieben. Extrem verkürzt (Lektüre lohnt sich!): Dem Staat gelingt es Menschen zu führen und ihnen gleichzeitig jedoch zu suggerieren, dass sie es sind, die Entscheidungen für sich treffen und eben nicht der Staat und damit auch jede beliebige Lebenssituation selbst herbeigeführt wurde. Äußere Faktoren, komplexe Zusammenhänge werden einfach komplett ausgeblendet.

Wenn ich diese Sichtweise durch das entwürdigende, halbjährliche Gespräch beim Fallmanager/der Fallmanagerin so massiv internalisiere, von allen Seiten mit dem Klischee des Arbeitslosen konfrontiert werde, wundert es dann eigentlich wirklich, wenn der Massenprotest gegen diese menschenunwürdige Sozialpolitik ausbleibt?

Das bewusst erzeugte Stigma hat jedoch noch einen weiteren Effekt: Es spaltet die Gesellschaft und macht sie empfänglich für das Geschäft mit der Armut. Dieses hat zwei Ebenen:

Zum einen übt es massiven Druck auf all jene aus, die durchschnittlich verdienen und Angst davor haben, in „Hartz IV“ abzurutschen. Es macht sie erpressbar zu miserablen Löhnen zu arbeiten und zähneknirschend Bedingungen zu akzeptieren, für die sie vor der Agenda 2010 jedem Chef den Vogel gezeigt hätten. Das Damoklesschwert über dem Kopf hat einen extrem disziplinierenden Effekt und bringt Menschen dazu, tatsächlich fast jede Arbeit anzunehmen. Den ArbeitgeberInnen wird dadurch das Geschäft ihres Lebens ermöglicht. Sie können sparen an Löhnen, Zusatzzahlungen und so genannten „Lohnnebenkosten“ (diese Kosten sind das, was den Betroffenen dann eben fehlt in der Krankheit, in der Arbeitslosigkeit, in der Rente, … welch schöner Euphemismus).

Zum anderen gedeiht das Geschäft mit der Armut auch im Bereich der so genannten „Maßnahmen“. Vor „Hartz IV“ erfolgreich arbeitende und tatsächlich auch sinnvolle Träger wurden häufig durch diese Konkurrenz schlicht platt gemacht. Oder können ihre ursprünglichen Angebote nur dann noch aufrechterhalten, wenn sie auch in den Markt mit „Arbeitsgelegenheiten“ (so genannte „Ein-Euro-Jobs“), Bewerbungstrainings, Coachings, etc. einsteigen und damit querfinanzieren. Viele kleine aber (in Wirklichkeit gar nicht so) feine Träger schaffen viele kleine, schöne und gar nicht schlecht bezahlte GeschäftsführerInnenpöstchen (in denen gerne auch mal die eigenen Parteikollegen versorgt werden) und vor allem: zahlreiche Ausbeutungsstrukturen für billige und leicht erpressbare (Sanktionskeule!) Arbeitskräfte. Offizielles Ziel: „Wiedereingliederung in den 1. Arbeitsmarkt“ Dass ich nicht lache. Wenn ich nur (vereinfacht ausgedrückt) 10 Jobs im Angebot habe, kann ich 200 Menschen durch so viele Coachings, Bewerbungstrainings und Selbstwertstärkungsmaßnahmen jagen wie ich will, es bekommen trotzdem nur 10 einen Job. Das kleine Einmaleins sollte doch nun wirklich jedeR beherrschen. Sollte man meinen. Aber nein: Teile und herrsche, ein bekanntes Spiel. Solange die Gesellschaft das Lied von der Armut als individuell und selbst verschuldetem Schicksal laut mitträllert, wird weiter munter die große Kohle mit den Ärmsten der Armen gescheffelt.

Diese monströse Hartz-IV-Maschinerie braucht das Stigma auf den Betroffenen. Genauso übrigens, wie die Sexindustrie und vor allem die Sexkäufer das Stigma auf den prostituierten Personen brauchen, um weiter zu machen wie bisher, bzw. das Ganze immer doller zu (be)treiben.

Natürlich ist es legitim, hier wie dort, zu fordern „Das Stigma muss weg“. Wer aber nur an dieser Oberfläche zu kratzen bereit ist und nicht bereit ist die strukturellen Rahmenbedingungen radikal zu verändern, wird nicht und niemals in der Lage sein die Ausbeutung zu stoppen. Die Ausbeutungsstrukturen leben von Hierarchien und sie nähren sich vom Stigma. Sie fressen sich dick und fett und immer fetter und verteilen den in unserer Gesellschaft zweifellos vorhanden Reichtum immer weiter von unten nach oben. Nur handelt es sich beim Kapitalismus nicht um ein essendes Lebewesen und die Hoffnung, irgendwann, wenn er das Fressen übertrieben hat, platzt er schon von alleine, wird leider niemals erfüllt werden. Hier ist es schon an uns “alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.”

Manuela Schon ist Stadtverordnete der Fraktion LINKE&PIRATEN in Wiesbaden und Gründungsmitglied der Linken Hilfe Wiesbaden e.V.

“Affektive Arbeit” – der neue Pelzmantel für Prostitution

Prostitution is Human Trafficking

Markus Walker via Flickr [CC BY-NC-SA 2.0]

Ab und an habe ich das Bedürfnis, mir anzuschauen, was der deutsche Wissenschaftsbetrieb mehr oder weniger aktuell zum Thema “Prostitution” zu sagen hat.

Mein Meinungsbild hat sich auf Erfahrungen von Überlebenden sowie Erkenntnissen essentieller Studien wie die von Melissa Farley et al. aufgebaut. Insofern gehe ich in diesem Bestreben, im aktuellen Wissenschaftsapparat zu lesen, nicht davon aus, dass mich irgendwelche “neuen” Erkenntnisse von meiner Ansicht, dass Prostitution nichts anderes als kommerzielle sexuelle Ausbeutung und damit sexuelle Gewalt ist, abbringen können. Aber es interessiert mich, wie und in welcher Weise zum Themenkomplex “Prostitution” Wissenschaft in die Geschichte hineingeschrieben wird. Zugegeben, es schwingt auch immer ein wenig Hoffnung mit, Hoffnung, die aus der Tatsache der vielfach gesilencten Stimmen, die die Hölle von innen gesehen haben, entspringt. Das innige Bedürfnis, auf Wissenschaftlerinnen oder Menschen allgemein zu stoßen, die sich allumfassend und ganzheitlich dem Thema gewidmet haben. Dazu gehört eben auch, die Gewalt anzuerkennen und zu benennen, die dem System Prostitution inhärent ist.

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Flüchtlinge: Beliebte Opfer von Menschen- und Organhändlern

Wien: Demo für alle

By Haeferl (Own work) [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

Es gibt einen weltweit florierenden Welthandel mit Organen. Zunehmend wird auch die Notsituation von Flüchtlingen ausgenutzt um an “Nachschub” zu kommen.

So ist zum Beispiel Ägypten zum regionalen Knotenpunkt für Organhandel geworden. Im Jahr 2010 wurden beispielsweise, wie die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) berichtet, ca. 14.000 Flüchtlinge aus Eritrea, dem Sudan und Äthiopien von Schleusern über die Grenze nach Israel gebracht und auf dem Weg dorthin von organisierten Kriminalitätsbanden abgefangen um Lösegeld zu erpressen. Zentral sind hier u.a. die Flüchtlingslager Mai Aini in Äthiopien und Shagarab im Sudan. Flüchtlinge, die nicht von ihren Familienmitgliedern freigekauft werden konnten wurden an Banden im Nord-Sinai verkauft, getötet und ihrer Organe beraubt. Ausgelöste Flüchtlingsfrauen berichten u.a. davon mit Elektroschockern traktiert und mit Stöcken vergewaltigt worden zu sein – teilweise mussten die Angehörigen dies zu Hause über das Telefon mit anhören. Ein CNN-Bericht aus dem Jahr 2012 berichtet davon, dass ein Menschenhändler seine eigene, aus einer Vergewaltigung entstandene drei Monate alte Tochter brutalst gefoltert und auf den Kopf geschlagen habe.

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