In linken Kreisen ist der positive Bezug auf die „kurdische Frauenemanzipation“ heutzutage fast schon eine Pflicht geworden. Wer sich kritisch dazu äußert, wird (mindestens) schräg angesehen.
Interessant scheint mir vor allem die unterschiedliche Bewertung der Fraueneinheiten an den syrischen Fronten: Während die Frauenguerillas, die mit der Freien Syrischen Armee (FSA) gegen Assad kämpfen, kaum im globalen Norden wahrgenommen werden, das Thema „Frauen für den IS“ (Daesh) ausschließlich als Thema in Bezug auf die „Radikalisierung“ und „Islamisierung“ der muslimischen Jugend in Deutschland auf Fachtagungen und in den Medien besprochen wird, wird hingegen die Rekrutierung von (auch minderjährigen Mädchen) und Frauen für die „Revolution in Rojova“ als progressiv und emanzipatorisch abgefeiert – und das ist überraschenderweise nicht nur auf linke Kreise beschränkt. Es gibt Videofeatures, Dokumentationen und von überall lächeln uns strahlend die „YPG“-Kämpferinnen, mit schwerem Kriegsgerät dekoriert, entgegen.
Das Thema „Frauen an der Front“, und auch die Erotisierung der YPG, wären nochmal einen eigenen Artikel wert, hier möchte ich mich jedoch auf das Frauenbild der PKK beschränken, welches sich bei genauerer Betrachtung gar nicht als so progressiv und emanzipatorisch darstellt.
Die nachfolgenden Charakterisierungen beziehen sich in erster Linie auf Analysen zum Frauenbild der PKK in der Türkei und beruhen auf Auswertungen von Dokumenten, Stellungnahmen und Frauenzeitschriften der PKK und PKK-naher Organisationen selbst. Natürlich müsste man seriöserweise dieser Analyse eine Analyse der Stellungnahmen der syrischen Ableger der PKK gegenüberstellen und einen Abgleich vornehmen – allerdings kann man auf der Grundlage dessen, was bereits an Interviews, Berichten etc. existiert mit sensibilisiertem Auge sehen, dass das Frauenbild zwischen PKK Türkei und PKK Syrien sich nicht wirklich unterscheidet. Man findet die gleichen Argumente und Argumentationen in diesen wieder. Was auch ob der Allgegenwart von Abdullah Öcalan bei allem was mit „Rojava“ zu tun hat, nicht verwundert. Es handelt sich offensichtlich in Syrien nicht um eine irgendwie „andere“ Bewegung.
Mesopotamien und das goldene Zeitalter
In der kurdischen Historiographie gilt Mesopotamien als Geburtsort der „ersten Zivilisation“ und als Projektionsrahmen für eine „heile Welt“. Es wird davon ausgegangen, dass dort das Matriarchat geherrscht habe. In diesem „Naturzustand“ werden die Kurden als freie und nicht-patriarchale Gesellschaft definiert. Daraus leitet die PKK ab, dass die Unterdrückung der Kurden „unnatürlich“ sei und das gegenwärtig herrschende Patriarchat „nicht-kurdisch“.
Die Situation der kurdischen Nation und die Situation der Frau werden miteinander verknüpft: Die Befreiung der Frau wird über die Befreiung der Nation definiert. Das führt schnell dazu, dass frauenspezifische Belange nur insofern artikuliert werden können, als sie sich mit den „Interessen der Nation“ überschneiden.Die Revolution in Kurdistan ist eine Frauenrevolution. Die Essenz der Befreiung des Volkes von Kurdistan ist die Befreiung der Frauen.
Man kann sich die Frage stellen, warum Abdullah Öcalan der Vorsitzende einer „Frauenpartei“ sein kann. Ganz einfach: Er gilt für seine AnhängerInnen nicht mehr als Mann, sondern als Mensch schlechthin – was auch seiner Selbstauffassung entspricht. Außerdem sei er, so die allgemeine Auffassung, schließlich auch derjenige, der sie auf den „Weg der Frauenbefreiung“ geführt habe.
Göttin werden durch Selbstverbrennungen und Selbstmordattentate
Selbstmordattentate und Selbstverbrennungen werden mit jenem Zeitalter des Matriarchats in Verbindung gebracht. Als Vorbild gilt die Kommandantin „Zilan“ (Zeynep Kınacı), die sich am 30. Juni 1997 in Dersim vor einer Militärkaserne in die Luft sprengte. Wer den Märtyrerinnentod stirbt, hinterlässt für die Bewegung „in der Epoche ihre Spuren“, steigt „anschließend in den Himmel“ auf und gilt als unsterblich.
Für Europäer und Nichtkurden scheint es grausam und qualvoll, wenn sich eine 25jährige Frau, mit mehreren Kilo TNT in die Luft sprengt. Diejenigen aber, die den Preis der Freiheit und Unabhängigkeit aus eigener Erfahrung kennen, werden Zilan verstehen und rufen sie daher als Freiheitsgöttin aus. Zilan steht für die bedingungslose Aufopferung für die Freiheit. Der Name Zilan, ein traditioneller Name kurdischer Frauen, hatte bis zum 30. Juni 1996 nur eine gewöhnliche Bedeutung. Heute aber tragen Tausende von neugeborenen Mädchen und Guerilleras diesen Namen. Zilan ist der Aufruf zur Phase der endgültigen Befreiung. Zilan und ihre Aktion sind Resultate der tragischen Verfolgungsgeschichte des kurdischen Volkes. So tief die Unterdrückung und Erniedrigung eines Volkes durch eine Fremdmacht ist, um so gewaltiger und atemberaubender müssen seine Widerstandsformen sein. Dies ist das Gesetz der Natur.
Bei jedem Youtube-Video, was ich mir bisher zu den YPG angeschaut habe, waren Bilder von Zilan zu entdecken. Es wurden auch Einheiten nach Märtyrerinnen, die Selbstmordattentate verübt haben, benannt.
Die Frau gilt in dieser Gesellschaft als das „schwächste Glied der gesellschaftlichen Realität und als leicht zugänglich für „jegliche männliche dominierende Herangehensweise“. Ihr wird jegliches Selbstwertgefühl abgesprochen, weshalb sie ein gefährliches Potenzial darstellt, „weil sie sich nicht davon befreit habe, die Basis für Verrat und Auflösung/Liquidation zu sein“. Selbst nach ihrer „revolutionären Umwandlung“ wird ihr eine „Sklavenmentalität“ unterstellt. Durch „mutige“ und „entscheidende Taten“ nach Zilans Vorbild kann Frau hingegen „ihre Stärke“ demonstrieren.
Patriotische Mütter
Müttern kommt eine besondere Rolle für die Bewegung zu: Frauen gelten als die „Gebärenden der Gemeinschaft“ und sie haben den Fortbestand derselben zu gewährleisten.
Sie sollen die Kultur durch den Gebrauch der Muttersprache, durch das Zubereiten typischer Speisen und die Fortführung dessen, was als ethnische Gewohnheiten gilt, weitertragen und an die jüngere Generation weitervermitteln. Dazu zählt insbesondere ein nationales Bewusstsein. Den Kindern soll beigebracht werden, dass sie sich für die nationale Sache „aufopfern“ sollen. Mütter, die diesem Bild nicht entsprechen, gelten als Verräterinnen. Migration (zum Beispiel in türkische Metropolen) wird als Gefahr und Ursache für Probleme angesehen, zum Beispiel für Eheprobleme. Die Lösung liegt dann nicht beispielsweise darin, einen gewalttätigen Ehemann für häusliche Gewalt zur Verantwortung zu ziehen, sondern in das „Herkunftsland“ und die „nationale Gemeinschaft“ zurückzukehren. Dort lösen sich alle Probleme ganz von alleine.
Frauen sind verantwortlich für die Ehre
Frauen gelten, persönlich und im Kollektiv, als die symbolischen Trägerinnen der Ehre (namus). Deshalb ist die Kontrolle weiblicher Sexualität und die Sicherung „tugendhaften“ Verhaltens von zentraler Bedeutung für die nationalistischen und ethnischen Projekte. Von der sexuellen Integrität der Frau hängt die Ehre der männlichen Familienmitglieder bzw. ihres Ehemannes ab.
In den Berichten zu „Rojava“ liest man sehr häufig, dass die Eltern deshalb der Rekrutierung ihrer Töchter zustimmen, weil man in der Guerilla sehr viel Wert auf den Erhalt der Jungfräulichkeit lege.
Durch sexuelle Gewalt traumatisierte Frauen werden aufgefordert, weiter für die „Würde der Menschheit“ zu kämpfen und Widerstand zu leisten. Sie sollen sich durch sexuelle Folter entstandene psychische Schäden nicht anmerken lassen bzw. sie schnell überwinden (sic!) – als könnten sie das was ihnen widerfahren ist, am besten durch ihre aktive Teilnahme am Widerstandskampf „wieder gut machen“.
Sexuelle Gewalt dient als Verstärker für die Linie zwischen dem „Wir“ und „den Anderen“.
Essentialismus und Geschlechterrollen
Frauen werden Eigenschaften wie „Schwäche“, „Emotionalität“ und „Ängstlichkeit“ zugeschrieben, Männern hingegen „Sieg“, „Erfolg“, „Macht“, „Krieg“ und „Regeln“. Die Frau wird als passives Opfer und Schutzbedürftige konstruiert, die auf den Mann angewiesen ist.
Guerillakämpferinnen werden, auch von Frauen selbst, für die Anfangszeit als kaum zu logischem Denken und selbstständigen Entscheidungen fähig beschrieben – zumindest brauchen sie sehr lange, um dies zu lernen.
Die Sichtweise der Frau als Symbol für die Einheit und Reinheit einer Nation ist nicht auf die PKK beschränkt, sondern auch in anderen linksgerichteten Befreiungsbewegungen zu beobachten.
Fazit
Es ist nachvollziehbar, dass Menschen angesichts der Schrecken und Zerstörung des syrischen BürgerInnenkrieges (der mitnichten ein Kampf IS/Daesh gegen den Rest ist, sondern sehr viel komplexer) nach Lösungen und Hoffnung streben. Und es ist bis zu einem gewissen Grad auch nachvollziehbar, dass viele sich im Bild von starken, kämpfenden Frauen gerne wieder finden möchten.
Unser Blick sollte jedoch nicht getrübt werden von Schönfärbereien und Utopien, auch nicht, wenn sie sich als linke Utopien darstellen. Wir sollten und müssen kritische Fragen stellen und uns nicht in selektiver Solidarität für einen Teil der Syrerinnen und Syrer verlieren, weil sie uns politisch (vermeintlich?) näher stehen als andere.
Weiterlesen
Kurdologie Band 6. Gender in Kurdistan und der Diaspora, Januar 2014, Unrast Verlag (Zitate aus diesem Buch)
„…die Frau als Symbol für die Einheit und Reinheit einer Nation“: Dies ist nicht nur eine üble Tour linker Bewegungen,wie es im Artikel heißt,sondern generell eine üble patriarchale Masche. Man denke an das Frauenbild der Nazis – und wer als weibliches Wesen das Pech hatte,in die Adenauer-Ära hineingeboren zu werden,kann ein Lied davon singen,wie die „sexualreine Frau/das Mädchen“ dafür herhalten musste,die Ungeheuerlichkeit des „3.Reiches“ zu übertünchen,genauso,wie das große C in der CDU – (Wir sind jetzt auf einmal alle „christlich“ und geläutert – und vorher nicht „christlich??? – ) – Ethik und Moral des deutschen Volkes vorgaukeln sollte. – Minderweile habe ich ausnahmslos JEDEN,der von „Reinheit“ faselt,und damit nicht ganz wortgemäß das Reinigen mit Wasser meint,im Verdacht,von äußerst dreckiger Gesinnung und Handlungsweise zu sein…