Es ist Sommer und die Klimaveränderung und Hitze führen anscheinend dazu, dass wieder vermehrt in den Medien Fragen zur Angemessenheit oder Unangemessenheit der Bekleidung von Mädchen und Kindern allgemein gestellt werden.
Vor kurzem erschien im ZEITmagazin ein Artikel mit der Überschrift „Das Paradies wird abgeschafft“. Im Artikel wird die Frage gestellt, ob man als Elternteil oder als ErzieherIn Kinder noch nackt spielen lassen darf. „Was ist passiert?“, fragt die Autorin.
Als ältere Frau kann ich dies vergleichsweise kurz und knapp beantworten: Ein Paradies hat es nie gegeben, aber sexuelle Gewalt an Kindern schon immer. Und ich möchte ich gerne wissen, in welcher Welt die Autorin des Artikels, Annabel Wahba, lebt, ich vermute, in einer dieser Paralleluniversen.
Die Autorin fragt:
„Warum sehen wir in unseren Kindern nicht mehr einfach nur das, was sie sind: Kinder – sondern potenzielle Sexualobjekte Pädophiler? Warum lassen wir uns so verunsichern und sind auf dem besten Weg, eine Gesellschaft von Bedenkenträgern und Spaßverderbern zu werden?“
Der Artikel folgt der Linie, dass wir die Realität ausblenden sollten und es kein Problem darstellt, Kinder als Masturbationsvorlage zu präsentieren, da sie es ja sowieso nicht merken und wir vielleicht auch nicht. Das ist eine fast philosophisch anmutende Anmerkung, die aber bedauerlicherweise verkennt, dass wir es angesichts der Masse an kinderpornografischem Material im Internet und zehntausendfachen Suchanfragen nach kinderpornografischen Inhalten alleine in Deutschland eigentlich sehr genau wissen, dass es doch einige pädokriminelle Interessenten an Kindern geben muss. Wir wissen ebenso, dass das Genre „Teenporn“ eines der beliebtesten ist und wir wissen von Kinderpuppen aus Silikon mit nutzbaren Körperöffnungen für Pädokriminelle, um nur die Spitze des Eisberges unseres Wissens zu benennen. Wir wissen tatsächlich, dass da draußen (und angesichts dieser Zahlen vielleicht sogar in den eigenen vier Wänden oder innerhalb des Familien- und Bekanntenkreises) einige widerliche, mehrheitlich männliche Personen herumkriechen. Irgendjemand muss ja dieses ganze Zeug konsumieren und diese Irgendjemands müssen angesichts der Klicks und Verkaufszahlen viele sein. Das ist die Realität. Wenn ich etwas weiß, dann weiß ich es, und eine Ausblendung der Realität und die Strategie “so tun als ob alle ganz nett sind“ ist zumindest meiner Ansicht nach eine wenig hilfreiche Lösung. Die „es ist alles ganz übertrieben“-Strategie kann nur hilfreich für Täter sein und für sonst niemanden.
Um die Argumentationslinie zu unterstützen, das alles nur überzogene Hysterie ist und Kinder nackt und frei sein müssen, denn es gibt ja kaum Pädokriminelle, wird vom Frank Furedi zur Hilfe genommen.
Furedi ist emeritierter Professor der University of Kent, der 2001 das Buch Paranoid Parenting (Die Elternparanoia) schrieb. Er sieht Kinder als zunehmend überwacht von ihren eigenen Eltern an, da Eltern ihre Kinder vor allen Gefahren beschützen möchten. Soweit so gut als Konzept.
Er stellt allerdings auch die These auf, dass es nicht mehr Pädokriminelle gibt, sondern wir nur mehr Angst vor Ihnen haben. Ich muss sagen, dass er hiermit Recht haben könnte, aber anders als er es meint, denn tatsächlich war Pädokriminalität schon immer ein großes gesellschaftliches Problem und dank des Internets wurde uns bewusst und bekannt, wie viele Männer gerne Kinder zur eigenen Bedürfnisbefriedigung nutzen und nutzen möchten. Durch das Internet wurde vielen von uns erst das Ausmaß der Gewalt deutlich und konnte nicht mehr verdrängt werden. Ich nenne es wach werden. Furedi nennt dies „Übersensibel sein“ und spricht teilweise von einer zwanghaften Beschäftigung mit Pädophilie. Ich persönlich nenne so etwas Umkehrung der gesellschaftlichen Verantwortung für sexuelle Gewalt an Kindern. Es können wohl kaum diejenigen für Pädokriminalität verantwortlich gemacht werden, die diese sehen und benennen.
Wir erlebten einen neuen Puritanismus, sagt er, ausgelöst von der Übersexualisierung. Auch diese Argumentation ist etwas verwirrend, finde ich, denn die Schlussfolgerung ist wenig logisch. Übersexualisierung hat allerdings vielleicht etwas mit dem vermehrten Setzen von Grenzen zu tun, welches eine Reaktion sein kann um dieser Übersexualisierung entgegenzutreten. Es könnte sein, das „Grenzen setzen“ mit Puritanismus verwechselt wird und diese Vermischung der Begrifflichkeiten ist nichts Neues. Gerne wirft die Porno- und Prostitutionslobby GegnerInnen Puritanismus vor. Alleine der Vorwurf des Puritanismus lässt bei mir mittlerweile alle Alarmglocken klingeln. An der Erkenntnis, dass mein Körper meine eigene Angelegenheit ist und anderen nicht zur Verfügung steht ohne meine Erlaubnis ist nichts puritanisches, sondern dies ist Selbstbestimmung. Selbstbestimmung in der wahren Bedeutung des Wortes stimmt nicht mit der Definition der Lobbys überein.
Allerdings ist diese Grenzsetzung in pädokriminellen Kreisen wenig erwünscht, denn Freizügigkeit bedeutet auch, dass Grenzen in Bezug auf den eigenen Körper und die eigenen Sexualität weiter gesteckt sind und diese Freizügigkeit erlaubt so einen leichteren Zugriff für eben diese Pädokriminellen. Auch ich finde das zutiefst traurig, aber kann daran auch nichts ändern.
Im Artikel wird angeklagt, dass männliche Erzieher und Praktikanten heute unter dem Generalverdacht, pädokriminell zu sein, stünden. Die Verantwortung hierfür liegt nicht bei den Eltern, die diesen Verdacht aussprechen, sondern ist der Realität geschuldet. Die Gefängnisse sind voll mit männlichen Straftätern. Ebenso ist es eine lange bekannte Tatsache, dass sich Pädokriminelle gerne Berufe aussuchen, in denen sie ständigen Zugang zu Kindern haben. Auch in diesem Kontext ist es so, dass ich das persönlich traurig und entsetzlich finde, aber das ändert leider nichts an der Strategie von Pädokriminellen. Sie interessieren sich für Kinder, also sind sie dort, wo ihnen ein leichterer Zugriff möglich ist. Auch in Schwimmbädern, egal wo. Freunde, die mit Pädokriminellen arbeiten, berichteten mir von einer teilweise erstaunlichen Motivation, überall dorthin zu gehen, wo sich Kinder überhaupt nur aufhalten, inklusive Kinderfaschingsveranstaltungen und anderen, weniger offensichtlichen, Kinderaktivitäten. Der Generalverdacht ist also wenig den Eltern anzulasten. Fachwissen scheint nur einfach auch inzwischen bis zu ihnen gedrungen zu sein.
Frank Furedi gilt teilweise als jemand der Pädokriminelle entschuldigt („Apologist“), aber ob er das wirklich ist, kann ich nicht sagen. In jedem Fall spricht er sich auch gegen Zensur im Zusammenhang von Pornografie aus und findet es ausreichend, wenn Kinder über die Gefahren von Pornografie aufgeklärt werden. Er ist ebenso ein Gegner des Anzeigeerstattens bei Kenntnis von sexueller/körperlicher Gewalt durch Fachpersonal. Zusammengefasst also ist die Linie „Es ist alles nicht so schlimm und sagen muss man es auch nicht“. Es ist, wie immer, gut zu wissen, wer welchen „Fachmann“ zitiert.
Wie war es früher also wirklich? Gab es ein Paradies in dem Kinder frei, nackt und glücklich sein konnten oder war es eher ein Paradis für Pädokriminelle?
Um den gesellschaftliche Kontext vor Jahrzehnten zu betrachten, sollten wir uns daran erinnern, dass „Lolita“ 1955 veröffentlicht wurde und ein Bestseller wurde. Es müsste also einige Interessenten an jungen Mädchen gegeben haben. Lolita war zwar etwas älter und badete nicht nackt im Freien, aber der Erfolg dieses Romans sagt etwas über die Akzeptanz von sexueller Gewalt gegenüber Kindern und sehr jungen Mädchen aus. Ein großer Hit war in den 70 er Jahren im „Hustler“ die Comicserie „Chester the Molester“, die von einem Mann handelte, der Mädchen sexuell missbrauchen wollte. Der Kartoonist wurde selbst wegen sexueller Gewalt an seiner 13-jährigen Tochter verurteilt. Oder erinnern wir uns an den „Kunstfotografen“ David Hamilton, der Fotos von leicht bekleideten präpubertären Mädchen in den 70ern an die Massen veröffentlichte („Age of Innocence“).
Das alles und noch vieles mehr war die gesellschaftliche Atmosphäre des angeblichen „Paradieses“, von dem die Autorin des Artikels, Annabel Wahba, redet.
Auch nackte Kinder und FKK waren nicht frei von pädokrimineller Gewalt, auch nicht vor dem Internetzeitalter. Tatsächlich wusste jeder und jede das FKK Zeitschriften Pädokriminelle bedienten.
Es gab die Veröffentlichung „Jung und Frei“ (hört sich nach einem Traum des Zeitmagazinartikels an) – ein FKK-Magazin mit Fotos nackter Kinder, das endlich 1996 durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPjS, heute Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, BPjM) indiziert wurde. Auch sehr nett war die FKK-Veröffentlichung „Sonnenfreunde“ und Titeln wie „sieben Jahre und immer noch nackt“ oder „Kinder mögen’s nackt“ (quasi eine Leitidee des ZEITmagazin-Artikels, denn nur nackt können Kinder frei sein, alles andere ist eine Beraubung der Lebensfreude).
Dr. Anna Salter schreibt in ihrem Buch „Predators“ über eine Studie in den späten 80er Jahren, in der Dr. Gene Abel und KollegInnen durch Befragung von 232 Kindersexualstraftätern herausfanden, das diese allein 55,000 Fälle von sexuellen Übergriffen versucht hatten und in 38,000 Fällen erfolgreich gewesen waren. Eine weitere Studie in Bezug auf vielfältigere Sexualstraftaten wie Exhibitionismus, Voyeurismus und auch die Vergewaltigung von Erwachsenen ergab, dass 561 Sexualstraftäter 291,000 Sexualstraftaten zugaben.
Ja, die Zahlen sind unglaublich. Frühere Studien, die 1929 in den USA durchgeführt wurden ergaben, dass ca. 24-37 Prozent aller weiblichen Kinder (je nach Studie) Opfer sexueller Gewalt waren.
Die Frage, woher wir wirklich wissen sollen und können, dass diese Zahlen stimmen, ist natürlich berechtigt. Allerdings gibt es auch hierzu ältere Studien zum Beispiel von Diane Russell und später von Dr. Gail Wyatt, die ergaben das 28 Prozent aller Frauen schon mit einem Alter von unter 14 Jahren sexuell missbraucht worden sind.
Das sind alles ältere Studien, aus der Zeit des „Paradieses“.
Wir können sicherlich alle Studien in Frage stellen, aber auch bei einer konservativeren Einschätzung und Abstrichen, bleibt das Bild einer netten und sicheren früheren Kindheit nicht bestehen, außer in den Prinzessinnenträumen der Autorin des Artikels. Vielleicht hat sie zu viel Lillyfeefilme in der heutigen Zeit konsumiert und sich ihre Welt rosarot gemalt.
Ich lebe jetzt in einer Welt, in der jungen Männern unaufgefordert, wie mir mehrfach persönlich berichtet wurde, beim Urlaub auf den Philippinen Fotoalben von Kleinkindern zum „Ficken“ gezeigt werden. Ich lebe in einer Welt, in der die Mehrheit aller Frauen, die ich kenne, schon als Kind sexuell belästigt worden ist und sei es „nur“ durch Masturbation im Bus oder Exhibitionismus. Diese Kindheiten fanden im angeblichen früheren „Paradies“ statt.
Ich weiß nicht, woher sich Annabel Wahba die Information einer früheren Welt holte, in der Kinder noch nackt schwimmen gehen konnten. Ich vermute selbst, dass sich an der Anzahl der Täter nichts geändert hat, sondern vielen Menschen war es durch viele Tabus bezüglich der Sexualität nicht bewusst, aus welchem Grund Männer alleine so gerne in das Freibad gingen. Aber auch vor fünfzig Jahren wurden alle vor sexueller Gewalt gewarnt, vor dem fremden Mann, der kleine Kinder mit Schokolade lockt, um böse Dinge mit ihnen zu tun. Ich selbst wurde zumindest mehrere Male im Schwimmbad sexuell belästigt, gut getarnt durch das Anfassen unter Wasser. Ich war keine drei oder vier, aber zumindest in der Grundschule und noch nicht Mal nackt. Das war alles wenig lustig und ist es auch heute wohl kaum, und ich würde es kaum als früheres Paradies bezeichnen.
Früher konnte das Ausmaß der sexuellen Gewalt verdrängt werden, aber durch das Internet geht dies kaum noch. Und ehrlich gesagt, weiß ich nicht, ob der Weltuntergang durch eine Badehose droht, die ein Kleinkind trägt. Ich würde auch gerne in einer anderen Welt leben, in der Kinder frei sein können und nicht vergewaltigt werden, aber ich lebe und lebte nie in dieser Welt. Leider.
Ich erinnere mich daran, dass ich und meine Freundinnen in den sechziger Jahren immer einen älteren Mann in einem Schrebergarten besuchten. Er hatte eine Regentonne im Boden und wir entschieden, dass wir in der Hitze dort baden wollten. Wir zogen unsere Kleidung aus und sprangen in die Tonne, nackt, obwohl der Mann offensichtlich sehr verängstigt war und es uns verboten hatte. Erst Jahre später hatte ich überhaupt verstanden, dass er Angst hatte, dass ihm sexuelle Gewalt unterstellt werden könnte. Wir hatten damals seine Hysterie nicht verstanden und fanden es sogar lustig, wie ängstlich er wurde und wie erleichtert er war, als wir uns wieder anzogen. Unschuldig war also die Welt auch damals nicht. Und es ist damals wie heute schade, dass kleine Mädchen und Jungen nicht auch nackt frei sein können. Und es ist damals wie heute schade, dass nicht-pädokriminelle Männer Angst haben müssen, wenn Kinder selbst nackt und frei sein wollen, weil andere sie verdächtigen könnten. Dass das schade ist, ändert nichts daran, dass es trotzdem eine Welt ist, in der Sexualstraftäter gezielt nach dem Zugang zu nackten Körpern von Kindern suchen.
Das Paradies gab es nie und die Gesichter der Pädokriminellen waren früher andere, aber die Leugnung eines massiven gesellschaftlichen Problems der Pädokriminalität hilft nur den Tätern. Zu jeder ZEIT.
http://www.zeit.de/zeit-magazin/2015/30/nacktheit-kinder-spielen-kindesmissbrauch
http://www.zeit.de/1981/36/schmuddeltourenfuehrer
Anna Salter – Predators: Pedophiles, Rapists, And Other Sex Offenders, Basic Books, 2004
Danke für diesen Artikel. Ich glaube auch, dass es diese Idylle nie gegeben hat.
Aber ich glaube auch, dass es noch eine weitere Form des sexuellen Übergriffs gibt. Es ist das zur Schau stellen der eigenen Genitalien. Ist man an Badessen unterwegs kann man bzw. Frau auch beobachten wie es Männer gibt denen es gefällt, wenn Frauen oder auch KInder nicht anders können, als auf deren Geschlechtsteil zu sehen. Ist das die umkehrung von Voyerismus? Wie nennt sich diese Form? Das ist auf jeden Fall etwas was ich mein ganzes Leben schon beobachten könnte. Als Kind war ich schon sehr sensibel für Männer die mit speziellem Interesse unterwegs waren und dieses spezielle Interesse kann man spüren und in deren Augen sehen.
Wichig ist doch die Frage wie kann man seine Kinder auf sowas vorbereiten, damit sie es erkennen (auch wenn die Eltern nicht dabei sind) und sich dagegen wehren. Und wenn es „nur“ darum geht den Liegeplatz am See zu ändern.
Liebe @Eva .
Das was du meinst, nennt man Exhibitionissmus und gehört zu den Paraphilien. Das zeigen seiner Geschlechtsorgane gehört unter sexuelle Belästigung und ist strafbar. Im Fall von Kindern, ist es auch Missbrauch und eigentlich ebenfalls strafbar. Ich gebe dir den Tipp, wenn ein Mann sowas macht angegekelt iiiiih pfuii perverser oder sowas zu schreien, dass schreckt die Person meist ab. Bei Möglichkeit Polizei benachrichtigen. Und wenn das jemand bei Kindern macht würde ich Anzeige erstatten!! Den Kindern beibringen, laut zu sein, Nein zu sagen, und sich von der Person schnellst möglich entfernen. Bezugspersonen Eltern, Betreuer/Inen, Lerhrer/Inen usw… benachrichtigen. Das würde ich tuen.