Schlagwort: Empathie

Sympathie ist kein Ersatz für Empathie

von Usien (Eigenes Werk) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) oder CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Heute erschien ein Text im Zeit Magazin, der wie folgt eingeleitet wird:

„Der Moderator Nilz Bokelberg dachte lange, die Geschlechtergerechtigkeit sei erreicht. Die nächsten Generationen werden es besser haben. Dann wurde seine Tochter 16“

Bokelbergs Text endet folgendermaßen:

„Deshalb sind wir dran: wir Väter, Freunde, Brüder, Opas, Onkel, wir Männer. Denn wenn wir nicht bald anfangen, dafür einzustehen, dass unsere Töchter und Schwestern, Freundinnen und Ehefrauen genauso viele Chancen und genauso viele Gehaltserhöhungen bekommen wie wir, wird in diesem Land nie Gerechtigkeit herrschen. Was ist eure Angst? Dass der Kuchen kleiner wird? Mir ist an diesem 16. Geburtstag meiner Tochter klar geworden: Der Kuchen ist groß genug. Es ist genug für alle da. Aber es müssen auch alle die Chance haben, sich ihr Stück abzuholen. Meine Freundin fand es immer schade, dass ich mich nicht so nennen wollte: Feminist. Mit bestimmten Menschen wollte ich damals nicht in einen Topf geworfen werden. Heute weiß ich: Sichtbarkeit ist wichtiger als Eitelkeit. Heute kann ich endlich sagen: Ich bin Mann. Ich bin Vater. Ich bin Feministin.“

Auf den ersten Blick hört sich das doch total feini an: Ein geläuterter Papa, der dank seiner nun fast erwachsenen Tochter nun endlich einsieht, dass die Welt den Feminismus braucht – und Männer, die ihre Eitelkeit beiseitelegen und sich dazu bekennen: Für ihre Liebsten, weil denen soll es ja gut gehen, nicht wahr?

Uh huh. Ganz ehrlich, dieser Text ist so substanzlos, dass er sich den auch genauso gut in die Haare schmieren kann. Weshalb? Deshalb:

Zum einen enthält der Text keinerlei Systemkritik. Generös wird gesagt: Der Kuchen ist groß genug, dass genug für uns alle da ist, sogar für diese komischen anderen Lebewesen da, die Frauen. Keine Reflektion darüber, dass wir in einer patriarchalen Gesellschaft leben, deren zahlreiche Institutionen (Klassismus / Kapitalismus, Rassismus / Krieg, Sexismus, … – schlicht alle Systeme die auf männlicher Herrschaft / Gewalt gründen) ganz bewusst dafür sorgen, dass EBEN NICHT alle ein Stück vom Kuchen abbekommen. Dass die Gesellschaft nur dann eine bessere für alle werden kann, wenn wir einen komplett neuen Kuchen backen, ohne diese ganze „Toxic Masculinity“ und die damit verbundenen Mechanismen des Divide et Impera.

Zum anderen stellt sich die Frage, warum der gute Mann 40 Jahre alt werden musste, um zu merken, dass Frauen in dieser Gesellschaft aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert werden. Warum erst die Sorge um die eigene Tochter ihm ein Licht aufleuchten lässt, dass da irgendwas schief läuft. Alltagsbeobachtungen in Bezug auf Mutter oder Partnerin hätten ja eigentlich auch bereits den Groschen fallen lassen können. Erst jetzt wo das „eigene Fleisch und Blut“ (der Inbegriff der Männlichkeitskonstruktion übrigens) betroffen ist, da wird der gute Mann (vermeintlich) wach.

Werter Nilz Bokelberg: Ein ach so „mutiges“ Bekenntnis zum Feminismus ändert rein gar nichts an den Machtstrukturen in dieser Gesellschaft. Ein paar Quotenfeministinnen in Politik, Aufsichtsräten und Geschäftsleitungen und Equal Pay auch nicht. Feminismus bedeutet nicht an Männer zu appellieren für ihre Liebsten einzustehen. Nicht etwa für Mädchen. Nicht etwa für Frauen. Sondern nur die, die ihnen nahestehen. Und  da sind wir auch schon beim Kern des Problems.

Männliche Gewalt an Frauen (MVAW) findet in Bokelbergs Text nur in Form von sexueller Belästigung im öffentlichen Raum statt. Von Vergewaltigung, von häuslicher Gewalt, von emotionaler Gewalt – den Formen von MVAW, die am weitesten verbreitet sind, und die am ehesten von nahestehenden Personen begangen werden – spricht er vorsichtshalber erst gar nicht.

Er spricht auch nicht von der Aufteilung von Frauen in die „Heiligen und die Huren“ – die „guten“ Frauen, die die anderen Männer in Ruhe zu lassen haben, und die „schlechten“ Frauen, an denen sich alle austoben dürfen. Jene Aufspaltung, die es möglich macht, dass Freier zum einen Frauen in der Prostitution benutzen und sexuell ausbeuten können und gleichzeitig nicht möchten, dass die eigene Tochter zum Sexobjekt anderer Männer wird.

Und genau liegt der Unterschied zwischen Sympathie und Empathie: Empathie ist auch für andere Menschen da. Jene, die einem nichts bedeuten. Empathie bedeutet nicht, andere Mädchen und Frauen in Ruhe zu lassen, weil sie auch jemandes Mutter, Tochter, Schwester, Freundin oder Partnerin sind. Sondern sie in Ruhe zu lassen, weil sie Menschen sind, die in sich selbst vollständige menschliche Wesen sind und nicht nur in Relation zu einem Mann existieren. Weil sie Menschen sind, die ihren eigenen Wert aus sich selbst beziehen.

Der Name Nils Bokelberg sagt mir nichts, ich kenne ihn nicht. Vielleicht ist er ja einer, der seinen Kumpels Einhalt gebietet, wenn sie sexistische Witze machen. Vielleicht hat er noch nie einen Porno angeschaut und vielleicht schimpft er seine Kumpels, wenn sie ihm von einem Ausflug ins Bordell erzählen. Vielleicht setzt er sich auf seinem Arbeitsplatz dafür ein, dass die weiblichen Kolleginnen, nicht schlechter bezahlt werden und schreitet entschieden ein, wenn sie mit sexistischen Sprüchen im Kollegenkreis abgewertet werden. Wenn auch nur einiges davon zutrifft, dann war er – vermutlich ohne es zu wissen – an diesem Punkt ein guter „feminist ally“ (feministischer Verbündeter, bzw. Verbündeter von Feministinnen).

Ein selbst angetackertes Label „Feminist“? That don`t impress me much!

Wie ist es für dich? Die seltene Frage nach der Perspektive

Distance by Christian Weidinger

Distance by Christian Weidinger via Flickr, [CC BY-NC-ND 2.0]

Ein Beitrag von Doktor Mihi

Wir vergessen oft, dass andere Menschen die Welt nicht so wahrnehmen, wie wir. Das Ergebnis: Missverständnisse, Abneigungen, negative Urteile. Unsere Sinnesorgane sind nicht „empathisch“ genug.

Bei einer Wortsammlung wie Irrsinn, Blödsinn, Wahnsinn, Stumpfsinn oder Schwachsinn liegt der Zweifel nahe, ob es die Evolution gut mit uns und der Ausstattung unserer Sinnesorgane gemeint hat. 

Viele andere Lebewesen würden uns wahrscheinlich bemitleiden, denn im Vergleich zu ihnen sind wir fast blind, taub und die Leistung von Nase und Tastsinn sind auch unterdurchschnittlich. Unsere Welt würde vielen Tieren grau, eintönig, eindimensional und informationsarm erscheinen. Our senses suck!

Dringen dann Reize durch unsere verschiedenen Öffnungen nach innen, verarbeiten und interpretieren wir diese sehr individuell. Düfte, Töne, Texte, Bilder – jede*r einzelne von uns konzentriert sich auf andere Aspekte, zieht andere Schlussfolgerungen, hat andere Assoziationen. Was wir mit Eindrücken und Reizen im Kopf veranstalten ist unvorhersehbar. Jedes Individuum konstruiert seine Wirklichkeit vollkommen subjektiv: Objektivität gibt es nicht. Jeder Mensch hat seine eigene Sichtweise auf und Vorstellung von den Dingen. Alles nur Konstruktionen, mit einem großen Spektrum von Bedeutungen. Ein Sachverhalt ist nicht ein Sachverhalt, sondern ein jeweiliges subjektives Bild von diesem Sachverhalt. Die eine Beschreibung der Welt gibt es nicht.

Wie wir unsere Umgebung, unsere Mitmenschen, Situationen, Äußerungen wahrnehmen setzt sich aus unzähligen verschiedenen sensorische Reizen, Bedeutungsebenen und unsere Persönlichkeit zusammen.

Beispielsweise schätzen wir die Steile eines Hügels, die Distanz zu einem Punkt umso größer ein, je niedriger wir unsere individuelle körperliche Leistungsfähigkeit einschätzen. Unsportliche Menschen reagieren schneller ängstlich, als solche, die in der Lage sind, schnell wegrennen zu können. Mit jeder Aussage über die Welt machen wir also auch Aussagen über uns selbst. Wir leben in der Annahme, dass wir mit andere Augenblicke gemeinsam erleben – und zwar in dem Bewusstsein, sie gemeinsam zu erleben. Und dann so etwas:

„Auch wenn ich gute Gründe dafür angeben kann,
dass meine Erfahrung der deinen nicht ganz unähnlich ist,
habe ich keinerlei Möglichkeit zu prüfen, ob sie identisch sind.“ [1]

Wir konstruieren nicht nur unanschauliche oder abstrakte Sachverhalte (Geschlecht, Nationen, Geld, Zeit), sondern sogar vermeintlich objektive materielle Räume. Diese werden ebenfalls aus der Perspektive ihrer gesellschaftlichen, sozialen, technischen Konstruiertheit durch Medien, Institutionen, gesellschaftlichen Gruppen (z.B. im Internet, in Prospekten, in Reportagen etc.) und Individuen gesehen. Es ist schwer vorzustellen, dass die Welt, die wir wahrnehmen, nicht die Welt darstellt, wie sie tatsächlich ist.

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