Ein Beitrag von Doktor Mihi
Wir vergessen oft, dass andere Menschen die Welt nicht so wahrnehmen, wie wir. Das Ergebnis: Missverständnisse, Abneigungen, negative Urteile. Unsere Sinnesorgane sind nicht „empathisch“ genug.
Bei einer Wortsammlung wie Irrsinn, Blödsinn, Wahnsinn, Stumpfsinn oder Schwachsinn liegt der Zweifel nahe, ob es die Evolution gut mit uns und der Ausstattung unserer Sinnesorgane gemeint hat.
Viele andere Lebewesen würden uns wahrscheinlich bemitleiden, denn im Vergleich zu ihnen sind wir fast blind, taub und die Leistung von Nase und Tastsinn sind auch unterdurchschnittlich. Unsere Welt würde vielen Tieren grau, eintönig, eindimensional und informationsarm erscheinen. Our senses suck!
Dringen dann Reize durch unsere verschiedenen Öffnungen nach innen, verarbeiten und interpretieren wir diese sehr individuell. Düfte, Töne, Texte, Bilder – jede*r einzelne von uns konzentriert sich auf andere Aspekte, zieht andere Schlussfolgerungen, hat andere Assoziationen. Was wir mit Eindrücken und Reizen im Kopf veranstalten ist unvorhersehbar. Jedes Individuum konstruiert seine Wirklichkeit vollkommen subjektiv: Objektivität gibt es nicht. Jeder Mensch hat seine eigene Sichtweise auf und Vorstellung von den Dingen. Alles nur Konstruktionen, mit einem großen Spektrum von Bedeutungen. Ein Sachverhalt ist nicht ein Sachverhalt, sondern ein jeweiliges subjektives Bild von diesem Sachverhalt. Die eine Beschreibung der Welt gibt es nicht.
Wie wir unsere Umgebung, unsere Mitmenschen, Situationen, Äußerungen wahrnehmen setzt sich aus unzähligen verschiedenen sensorische Reizen, Bedeutungsebenen und unsere Persönlichkeit zusammen.
Beispielsweise schätzen wir die Steile eines Hügels, die Distanz zu einem Punkt umso größer ein, je niedriger wir unsere individuelle körperliche Leistungsfähigkeit einschätzen. Unsportliche Menschen reagieren schneller ängstlich, als solche, die in der Lage sind, schnell wegrennen zu können. Mit jeder Aussage über die Welt machen wir also auch Aussagen über uns selbst. Wir leben in der Annahme, dass wir mit andere Augenblicke gemeinsam erleben – und zwar in dem Bewusstsein, sie gemeinsam zu erleben. Und dann so etwas:
„Auch wenn ich gute Gründe dafür angeben kann,
dass meine Erfahrung der deinen nicht ganz unähnlich ist,
habe ich keinerlei Möglichkeit zu prüfen, ob sie identisch sind.“ [1]
Wir konstruieren nicht nur unanschauliche oder abstrakte Sachverhalte (Geschlecht, Nationen, Geld, Zeit), sondern sogar vermeintlich objektive materielle Räume. Diese werden ebenfalls aus der Perspektive ihrer gesellschaftlichen, sozialen, technischen Konstruiertheit durch Medien, Institutionen, gesellschaftlichen Gruppen (z.B. im Internet, in Prospekten, in Reportagen etc.) und Individuen gesehen. Es ist schwer vorzustellen, dass die Welt, die wir wahrnehmen, nicht die Welt darstellt, wie sie tatsächlich ist.