Der erste Gedanke als – finally – der Abspann durchläuft: „Dieser Film ist vollkommen unnötig“
Damit wäre eigentlich bereits alles gesagt, was zu sagen ist. Dabei ließ die Filmkritik in „Der Freitag“ doch viel Hoffnung aufkommen, dass ein sehr wichtiges Thema endlich adäquat aufgearbeitet wird. Tatsächlich greift die Kritik die wenigen guten Momente im Film auf. Viel mehr war dann aber auch nicht.
Was vor allem fehlte, war eine gesellschaftspolitische Einordnung und Bewertung des Ganzen. Die Macherinnen überlassen diese vollkommen dem Auge der Betrachter*innen.
Nehmen wir das Thema „Female Genital Cosmetic Surgery“ (FGCS). Dieser beunruhigende Trend zur chirurgischen „Selbstoptimierung des Intimbereichs“ wurde in unserer feministischen Gruppe das erste Mal vor 2 Jahren diskutiert. 2011 wurden in Deutschland rund 5.500 „Schamlippenkorrekturen“ durchgeführt, die allermeisten (natürlich) nicht medizinisch indiziert. 104.000 Treffer liefert eine Suche in einer bekannten Suchmaschine für den Suchbegriff „Intimchirurgie“ . Der Film zeigt in aller Ausführlichkeit wie eine solche Operation auf einer Schönheitschirurgen-Tagung live vorgeführt wird. Statt jedoch zum Thema zu machen woher der Wunsch von Frauen wohl rühren könnte ihren Intimbereich zu „tunen“, schweigt sich der Film darüber vollkommen aus. Es lässt sich maximal erahnen, dass der gezeigte Grafiker, der für die tollen Werbebotschaften den Nacktmodels die „Fehlerchen“ im Intimbereich mit Photoshop entfernt, einen Grund liefern könnte: Eine Werbung, die alle weiblichen Geschlechtsbereiche gleich macht und durch gezieltes Retouschieren Unterschiede verwischt, weil „Mann es eben so sehen will“ . Der zunehmende Trend zur Verkindlichung und Verjüngung unserer Vaginen mutet doch auch erschreckend an im Hinblick auf den weit verbreiteten Konsum von Benutzung von Kindern für männliche sexuelle Befriedigung. Der Bogen dazu so wie allgemein zu der allgegenwärtigen Pornographie, die ständig mit Nahaufnahmen weiblicher Geschlechtsteile arbeitet, wird nicht, bzw nur in einem beiläufigen Nebensatz, gespannt. Auch diesen Zusammenhang kann man maximal erahnen, wenn die gerade intimoperierte Frau pornoesk „Ach sieht das geil aus“ dahin säuselt und von ihrer Intimchirurgin darin bestärkt wird. In Frage gestellt wird das Ganze jedoch nicht.
Das es auch nicht funktioniert, den Zuschauer/die Zuschauerin selbst denken zu lassen, zeigt sich darin, dass es nicht gelingt zu vermitteln, dass Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation) und Intimchirurgie zwei Seiten ein und derselben Medaille sind: In beiden Fällen handelt es sich um patriarchale Muster: Frauen werden Teile des Intimbereichs abgeschnitten um männliche Wünsche (sei es Machtausübung, Einschränkung weiblicher Sexualität zur Stärkung der männlichen, ästhetische…) zu erfüllen. Im Fall der Intimchirurgie passiert wieder das, was wir aus anderen Bereichen nur zu gut kennen: Es wird zu sexuelle Selbstbestimmung der Frau umgedeutet. Ziel soll es sein, einer konstruierten Norm zu entsprechen. Es bekommt schon einen etwas rassistischen Touch, wenn den armen genitalverstümmelten (rückständigen?) Afrikanerinnen, selbstbewusste, empowerte, weisse Frauen mit Intimtuning als vermeintlicher Kontrast gegenübergestellt werden. Kein Wort wird übrigens im Film darüber verloren, welche Auswirkungen eine „Schamlippenkorrektur“ beispielsweise auf das Lustempfinden der Betroffenen haben kann. So sagt beispielsweise Viola Moser von der deutschen Gesellschaft für plastische Chirurgie:
Es kann zu Narbenbildungen kommen, es können Verziehungen im Bereich der Harnröhre entstehen, es kann auch zu Schmerzen oder zu Gefühlsverlust im Intimbereich kommen.
Im Internet häufen sich die Erfahrungsberichte a la man fühle sich total entstellt durch die Labioplastik, man leide unter Taubheitsgefühlen oder die noch nach über einem Jahr andauernden starken Schmerzen bedeuteten eine große Einschränkung der Lebensqualität. Als Frauen können wir uns auch vorstellen, dass Sex lange Zeit nach dieser Operation kaum möglich sein kann. Die gezeigte Intimchirurgin gibt im Film zu, dass Intimchirurgie einen schweren Eingriff darstellt und die Heilung sehr schmerzhaft ist. Die Frage aber, die ständig aufkommt, wieso Frauen dies überhaupt auf sich nehmen sollten, wird auch hier nicht gestellt. Auf Interviews mit Betroffenen nach einer solchen Operation hofft man ebenso vergeblich. Grundsätzlich: Ist es nicht schnurzpiepegal wie die Vagina aussieht, so lange sie Frau sexuell Freude bereitet? Zumal im Falle, dass sie es nicht tut, zielführender als eine Intimoperation auch das Erlernen bestimmter Techniken sein könnte. Oder das Männer in Pornos eher nicht lernen, was die meisten Frauen sexuell zufrieden stellt. Statt aber die Aneinanderreihung der Bilder verschiedenster Vaginen mit einem „Egal wie sie aussehen, sie sind alle toll“ zu beenden, endet der Film mit einem „Mal dir deine eigene“.
Interessant auch, und wahrscheinlich Absicht, dass eine weibliche Intimchirurgin gezeigt wurde, die ihre Arbeit toll fand. Hier wird die Botschaft übermittelt, in aller Deutlichkeit, dass Frauen selbst diese Eingriffe befürworten und selbst deshalb Hand anlegen. Ein männlicher Chirurg hätte etwas anderes deutlicher gemacht.
Eine wichtige Entwicklung der Intimchirugie wurde außerdem totgeschwiegen, vielleicht aus gutem Grund, nämlich die Scheidenverjüngung. Wäre diese Entwicklung erwähnt worden, wäre die eigentliche Zielsetzung der Intimchirurgie nochmals deutlicher geworden. Der Eingriff der Verengung muss noch massiver sein für Frauen und dient ausschließlich männlichen Interessen. Eine weitere Scheide ist in der Natur tatsächlich so vorgesehen und ein natürlicher Prozess nach Geburten. Tatsächlich ist dies dienlich für Frauen, denn es dauert dann etwas länger, bis der Mann einen Orgasmus hat. Nur Mal so angemerkt. Zeit für vieles mehr wäre im Film gewesen, natürlich auf Kosten der ständig langsam eingeblendeten Vulven.
Auch andere Eingriffe, die bei uns in Deutschland stattfinden, oder stattgefunden haben, um männlichen Interessen zu dienen, wurden nicht erwähnt. Es gab jahrelang immer Vorfälle nach Geburten, in denen berichtet wurde, dass nach Dammschnitten die männlichen Zunäher sagten, ….“ich nähe es etwas enger, dann hat ihr Mann wieder mehr Spaß…“. Leider habe ich, da es vor dem digitalen Zeitalter war, keine Belege, aber ich erinnere mich auch daran, dass bis in die 70er und 80er Jahre Frauen nach Hysterektomien häufig zugenäht wurden, da sie ja sowieso in ihrem Alter keinen Sex mehr haben würden. Die Parallelen zur Genitalverstümmelung und völlige Unterordnung des weiblichen Körpers an männliche Bedürfnisse und Konzepte sind also extrem.
Interessant ist auch, dass von den Filmemacherinnen mit keinem Wort aufgegriffen wurde, dass der Grafiker munter die Schamlippen nach seiner Fasson zurecht retouchiert, aber eine offensichtliche Verletzung auf dem Gesäß des Modells (blutige Striemen) schlicht ignoriert werden. Offensichtlich nicht erwähnenswert?
Wenn Laura Meritt voller Stolz ihre „Mösensammlung“ zeigt, klingt ihr lautes Lachen etwas zu aufgesetzt um es ihr als authentisch abzunehmen. Die Frage ist auch, ob man der Penisfixierung der Gesellschaft mit einer inflationären „Vermösierung“ begegnen sollte, oder ob man sich selbst damit nicht einen Bärendienst erweist.
Die Aneinanderreihung in epischer Länge von Vulven in allen Formen und Materialien ließ die Idee aufkommen, dass die Filmemacherinnen glaubten etwas neues entdeckt zu haben und pubertär inflationär dieses demonstriert werden muss. An verschiedenen Stellen wurde Bezug genommen zu den verklemmten früheren Zeiten, und so sollte wohl auch vermittelt werden, dass der Film ganz selbstbestimmt und befreit ist. Wir sind toll, denn wir sagen Möse und zeigen Vulven. Hier hätte, wie auch an so vielen Stellen, immer auch ein Bezug zu Pornografie hergestellt werden können.
Geschlechtsteile aber, auch Vulven, sind weder besonders toll, noch besonders hässlich. Sie gehören zu uns, sind einfach ein Teil von uns, wie unsere anderen Körperteile auch. Wir feiern auch nicht unsere Nasen und Ohren, und erst wenn weder Vulven noch Penisse fast göttlich zelebriert werden, ist Normalität eingetreten. Dann erst können wir körperliche Veränderungen akzeptieren, auch im Intimbereich.
Es ist extrem besorgniserregend, wenn beispielsweise Sportgruppenleiterinnnen erzählen, dass Jugendliche heutzutage nach dem Turnfest im Bikini duschen gehen. Die Entfremdung und Distanzierung vom eigenen Körper nimmt immer mehr zu. Auch dies wäre ein Thema gewesen welchem ein solcher Dokumentarfilm weitaus mehr auf den Grund gehen hätte können, als der bloßen Feststellung, dass Jugendliche im Unterricht es heutzutage „eklig“ finden sich Fotos von echten Vaginen anzusehen.
Der Film ist deshalb auch eher erschreckend, denn die Nähe zum eigenen Körper war ja vor wenigen Jahrzehnten viel mehr gegeben. In der Nachbesprechung wurde erwähnt, dass früher mit Mädchen das Einlegen von Diaphragmen geübt wurde und somit auch das Kennenlernen des eigenen Körpers. „Our bodies, ourselves“ war eine bekannte Lektüre in den 70er Jahren, die Frauen die Macht zum eigenen Körper wieder gab, in allen Details und mit einem akzeptierenden Ansatz, wie der Titel uns dies schon sagt. Unsere Geschlechtsteile sind einfach ein Teil von uns und wir müssen die Verfügungsgewalt darüber haben. Der Film ist in diesem Zusammenhang also eher traurig und auch lächerlich; wir haben in den letzten Jahrzehnten so viel verloren.
Das Fazit ist, wie gesagt, ernüchternd: Bestenfalls langweilig, ohne Mehrwert für eine gesellschaftspolitische Debatte, stellenweise eher schrecklich albern als ernstzunehmend. Die Botschaft, die der Film aussendet. Folgerichtig werden auch keine Gegenstrategien und Perspektiven benannt. Gesellschaftskritik? Patriarchatskritik? Kapitalismuskritik? Neoliberalismuskritik? Leider maximal sehr subtil. Was ist eigentlich bei uns los, wenn Zeitschriften, wie das Deutsche Ärzteblatt, Zusammenhänge wie oben dargestellt thematisieren, und ein Film mit feministischen Protagonistinnen sich darüber ausschweigt? Es ist Zeit was zu ändern.
Weiterführende Leseempfehlungen:
- Prager Frühling: Tight is right
- Frau TV: Trend „Designer Vagina“
- Spiegel: Riskante Operation unter der Gürtellinie
- Deutsches Ärzteblatt: Intimchirurgie: Ein gefährlicher Trend
- Deutsches Ärzteblatt: Intimchirurgie: Operieren ohne Tabu
- Die Standard: Neue Normen im Intimbereich