What the actual fuck!? Ein Rant über Täter, die um eine “zweite Chance” betteln

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Wir wollen den feministischen Diskurs beleben und unterschiedliche Ansätze zur Diskussion stellen. Deshalb erscheinen bei uns regelmäßig Gastbeiträge, die nicht zwangsläufig die Haltung der oder aller Störenfriedas wiedergeben, aber wichtige Impulse für die feministische Debatte geben können.

Als wir 2013 begannen die Morde in der Prostitution in unserem Projekt “Sexindustry Kills” zu dokumentieren, waren wir uns dessen bewusst, dass die Dokumentation der Schicksale jener Frauen, die in der Prostitution einen gewaltvollen Tod fanden ein zweischneidiges Schwert ist: Auf der einen Seite war es uns wichtig, dass diese Frauen nicht vergessen werden. Deutlich zu machen, dass sie unsere Schwestern sind, die fehlen. Zu vermitteln, dass sie Frauen mit Schicksalen, Träumen und Wünschen waren und nicht irgendwelche anonymen Frauen, die oft von der breiten Öffentlichkeit auf ihre Prostitutionstätigkeit reduziert werden. Dass sie Familien hatten und FreundInnen, die sie vermissen. Wir haben zahlreiche rührende Zuschriften erhalten, von jenen, die auch noch nach vielen Jahren an die Frauen denken, die so brutal aus unserer Mitte gerissen wurden.

Auf der anderen Seite war uns auch bewusst, dass die Dokumentation auch dazu beiträgt, die Prostitutionstätigkeit besagter Frauen weiter öffentlich zu machen. Einige dieser Frauen wollten, dass die Tatsache, wie sie Geld verdienten / zum Teil auch verdienen mussten, niemals publik wird. Nicht den Menschen, die ihnen nahe standen gegenüber und schon gar nicht einer großen Öffentlichkeit. Wir versuchen, dieses leider oft nicht aufzulösende Spannungsfeld damit zu mindern, indem wir den Auftritt so neutral wie möglich gestalten

Keinerlei Skrupel hatten wir jedoch jemals gegenüber der Benennung der Täter. Jener Männer – zumeist Freier – die die verdammte Verantwortung dafür tragen, dass diese Frauen nicht mehr leben. Was wir nicht für möglich gehalten hätten: Dass diese Typen tatsächlich die Chuzpe haben uns anzuschreiben und um Löschung ihrer Namen zu bitten winseln. Bisher haben wir diese Zuschriften immer bewusst mit Ignoranz gestraft: Unsere Aufmerksamkeit haben DIE nicht verdient. Irgendwann platzt einer jedoch die Hutschnur und deshalb lassen wir euch hier und heute an zwei solcher erbärmlichen Exemplare teilhaben.

Ein “Löschantrag” eines gewissen Tim Schüler erreichte uns bereits im Jahr 2015. Besagter Tim ermordete in den 1990er Jahren gemeinsam mit seinem Kumpel Till-Hauke Heldt zunächst einen nepalesischen Flüchtling sowie einen Bremer Kaufmann. Heldt stand auf Sadomaso, träumte von einer SM-Welt, in der er nach Lust und Laune fesseln, bestrafen und erniedrigen konnte. Er eröffnete ein Bordell in einem ehemaligen Flüchtlingsheim, in dem seit 1998 auch Yvonne Polzin prostituiert – und von Heldt schamlos ausgenutzt – wurde. „Sie hat fantastisch gearbeitet, weil sie in mich verliebt war“, sagte Heldt. Er war fasziniert von der „totalen Unterordnung bis zur Selbstaufgabe“ und behandelte sie „wie Dreck“. In seinen Augen beging Yvonne einen “Tabubruch”, als sie vor seinem Privathaus auftauchte – und seine bürgerliche Fassade mit Frau und Kindern bedrohte. Er lud sie ein zu einem “romantischen Wochenende” – in Wahrheit hatte er ihre “Beseitigung” geplant. Bereits im Vorfeld hatte er einen Handwerker einen Ofen bauen lassen, der zu Yvonnes Krematorium werden sollte. Nach dem Mord stellte sich heraus, dass besagter Ofen nicht so funktionierte, wie er sollte und hier trat unser Spezi Tim Schüler auf den Plan: Gemeinsam tüftelten die beiden, wie sie den Ofen doch noch wie gewünscht zum Laufen bringen konnten. Als dies scheiterte, beschafften die beiden Winkelschleifer, Trennscheiben, Beil und Fleischwolf. Dem Klempner, der anschließend bei der Entsorgung des Ofens helfen sollte und aufgrund des Leichengeruchs Verdacht schöpfte, erzählten sie was von “Rehfleisch”. Dieser musste sich zwei Mal an die Polizei wenden, bis diese die abenteuerliche Geschichte glaubte und Ermittlungen eingeleitet wurden. Heldt wurde zu dreimal lebenslänglich, Schüler zu 9 Jahren Haft verurteilt. Die Gesamtfreiheitsstrafe betrug 15 Jahre.

Nachfolgend dokumentieren wir Tim Schülers Löschgesuch:

Sehr geehrte Damen und Herren,
ich beantrage den folgenden Artikel zu löschen: http://sexindustry-kills.de/doku.php?id=prostitutionmurders:de:yvonnepolzin
Meine Wiedereingliederung in die Gesellschaft, insbesondere in das Arbeitsleben wird erheblich beschwert.
Ein besonderes öffentliches Interesse an meiner Person, das meinen Löschungsanspruch ausnahmsweise entfallen ließe, ist nicht ersichtlich.

Mit freundlichem Gruß

Tim Schüler

Nicht nur, dass Schüler offensichtlich meint, dass wir in irgendeiner Weise uns verantwortlich fühlen müssen, damit ihm, der an drei Morden beteiligt war, seine “Wiedereingliederung in die Gesellschaft” gelingen kann, er faselt darüber hinaus noch etwas von einem Löschungsanspruch. Man will seinen Augen nicht trauen. Auch ist er so vermessen zu fordern, dass der Artikel ersatzlos gestrichen wird – und damit Yvonne aus dem öffentlichen Gedächtnis verschwindet. Die Erinnerung an eine Frau, die – anders als Herr Schüler – kein Teil dieser Gesellschaft mehr ist – weil sein Kumpel Heldt entschieden hat, ihr Leben zu beenden.

Es gibt also “kein öffentliches Interesse an der Person Tim Schüler”? Nun, das sehen wir leider anders.

Hartnäckig erweist sich unser Fallbeispiel Numero 2:

Bereits vor mehr als einem halben Jahr bat ein gewisser Dirk Goldmann um die Abkürzung seines Nachnamens. Goldmann zeichnet sich gemeinsam mit seinen Kumpels verantwortlich für den brutalen Mord an Beate Fischer in Berlin im Jahr 1994. Beate, Mutter zweier Kinder, wurde von einer vierköpfigen Naziclique, darunter Goldmann, mehr als zehn Stunden brutal gefoltert, mehrfach vergewaltigt, man rasierte ihr die Haare ab und versuchte, sie zu ertränken und zu vergiften. Schließlich wurde sie durch Strangulation ermordet und nackt in einen Teppich gewickelt vor Mülltonnen entsorgt. Das Gericht verhängte lebenslange Haft für den Haupttäter Matthias F. (Nachname leider unbekannt) sowie neun und zehn Jahre Jugendstrafe für die Mittäter. Der Richter sagt in der Urteilsbegründung, die Neonazis „haben nach ihrer Wolfsmoral Sex als die Bühne ihrer Macht benutzt“. 2019 fand in Berlin anlässlich der 25 Jahre zurück liegenden Tat eine Gedenkaktion für Beate Fischer statt. Im Mai 2019 schickte uns Goldmann diesen rührseligen Text:

Weil die Tat nun also 25 Jahre zurück liegt und der werte Herr Goldmann dafür ein paar Jahre seines Lebens in Haft verbringen musste, habe er also seiner Meinung nach ein Recht auf ein “halbwegs normales Leben”, denn er führe ja jetzt ein “komplett neues Leben”. Ach so.

Nachdem diese “Bitte im Löschung / Änderung” (sic!) bei uns auf taube Ohren stieß, versuchte er es jetzt in zwei aktuellen Mails (Dezember 2019 und Januar 2020) unter einem anderen Namen. Wir dokumentieren diese hier:

Eine “2. Chance” hätte er gerne der Herr, denn er habe seine “Vergangenheit abgelegt”. Deshalb, liebe Feministinnen, “reitet” doch bitte bitte nicht so auf der Vergangenheit “rum”. Zwei Wochen später setzt er noch eins drauf:

Da ist aber jemand einem Irrtum aufgesessen: Nicht “zufälligerweise” nennen wir einen Täter mit vollem Namen, sondern ganz bewusst und intendiert. Nachdem wir ein paar Minuten über die Frage sinnierten, ob man auch “ehemaliges Opfer” werden kann, wo es doch offenbar “ehemalige Täter” gibt, waren wir für eine Sekunde ganz angetan, weil Herr Goldmann sich jetzt “mittlerweile” doch für “schwächere engagiert” und der rechten Szene den Rücken gekehrt hat. Nicht. Bitte wie? Das soll uns überzeugen? Sorry, not sorry: Nein!

Eins ist nämlich auffällig, und das macht uns am meisten wütend: Nicht mit einer einzigen Silbe erwähnt Goldmann Beate. Das hat er mit Tim Schüler gemein. Alles dreht sich ausschließlich um die Konsequenzen, die diese Taten für die Leben der Täter haben. Die Opfer finden keine Erwähnung – nicht einmal mit einer klitzekleinen Silbe. Narzissmus much!?

Das Tragische an der ganzen Sache:

Anders als Yvonne und Beate, hatten diese Typen eine Wahl bei der ganzen Angelegenheit. Niemand hat ihnen einen Mord aufgezwungen, und ihre Leben wurden nicht ausgelöscht.

Beate und Yvonne hatten mit 32 und 31 Jahren ihre Leben noch vor sich.

Ihnen gehört unser Mitgefühl.

Ihnen ganz alleine.

Kein Vergeben, kein Vergessen.

8 Kommentare

  1. Male tears.. ich kotze. Diese Kretins tun so, als ob sie längst verjährte Kavaliersdelikte begangen hätten. So nach dem Motto: jung, dumm, falscher Umgang. Heimtückisch, empathielos.. die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Nichts wird gelöscht, never. Es reicht doch dass 2 Frauen ausgelöscht wurden!!!!!!!!!!!!

  2. DANKE für euren Mut!!!

    Ihr habt Recht, die beiden Herren wollen durch ein paar Jahre Haft ungeschehen machen. Wegwischen. Wie schön einfach. Selbst wenn die beiden ermordeten Frauen damals überlebt hätten, gehört selbst dann den beiden Herren noch weiter die Folgen der Gesellschaft zu spüren. Selbst wenn die beiden Frauen überlebt hätten, würden auch die beiden Frauen bis heute und noch darüber hinaus leiden.
    Ich finde es überaus besorgniseregend, dass es keine Homepage gibt, wo man Straftäter “nachschlagen” kann. Dann könnte man für seine Sicherheit wenigstens einen kleinen Teil selber sorgen.
    Wäre ihm sein damaliges Handeln wirklich bewusst, würde er sich viel zu sehr schämen für solch ein Löschungsersuchen. Und er sollte sich lieber damit beschäftigen, dass in diesem Fall das Wort >schwächerenSoziales< (Engagement) wird an dieser Stelle klein geschrieben. Daran kann man gut erkennen, dass der kleine armseelige mann (ups, verschrieben) sich für etwas Großes hält und die Schwächeren ganz klein sind.
    Die Konsequenzen sollte er sich sein restliches Leben lang vor Augen halten, anstatt es wegzuwischen. Aber ich suche bei Männern längst nicht mehr nach Aufrichtigkeit. Ich lasse mich überraschen, wenn ich tatsächlich mal etwas davon bei Männern registriere.
    Heute weiß ich, dass in sozialen Einrichtungen, wo missbrauchte und vergewaltigte Frauen hilfesuchend wohnen und an sich arbeiten, können jederzeit auch Männer wohnen, die aus der Forensik kommen. Hatte ich selbst erleben dürfen und bis heute verabscheue ich diese Form von Integration. Diese Info steht natürlich vorab nirgends auf einem der vielen Flyer, so das man sich bewusst dafür oder dagegen entscheiden kann.

  3. Die Strafen in Deutschland bei Mord – oder auch bei Vergewaltigung – sind eh der reinste Hohn.
    Lebenslänglich sollte – wie in den USA – auch tatsächlich lebenslänglich oder besser noch mehrfach lebenslänglich sein. Je nach Schwere des Verbrechens.

    Eine Strafe unter 30 Jahren bei Mord ist jedenfalls eine zusätzliche, durch die Justiz ausgeübte Verhöhnung der Opfer. Beide Frauen hätten noch gut 50 Jahre leben können.
    Diese ausgelöschten weiteren 50 Jahre sind NICHT durch eine halbherzige “Strafe” von 15 Jahren, oder noch weniger, wieder “gut gemacht”. Beide Täter haben KEINERLEI Anspruch auf ein “normales Leben” – was immer das sein soll.
    DENN DIE OPFER HABEN AUCH KEIN “NORMALES LEBEN” MEHR!

  4. Merci! Danke danke danke!

    Es gibt eben auch keine wiedereingegliederten Mordopfer, die ihrem Opfersein entsagt haben und ein von ihrer Ermordung unbeeinträchtigtes Leben führen können.

    Anstatt dass die Volldeppen dreimal danke sagen, dass es weder eine Todesstrafe gibt, noch Kant sich mit seinen strafrechtlichen Vorstellungen durchgesetzt hat, wonach dem-der Täter-in GENAU das anzutun sei, was er-sie angetan hat…

    Sie waren barbarisch und unzivilisiert. Und die Gesellschaft ist es nicht.

    Zu Tode sollen sie sich schämen dafür, dass sie in einer Zivilität geborgen sein können, die sie nicht verdienen und die sie anderen genommen haben. Aber stattdessen… ich ich ich.

  5. Andrea Owsianny

    Es ist wichtig, daß die Frauen, die ihr Leben lassen mussten nicht vergessen werden. Aber es ist ebenso wichtig, daß nicht vergessen wird, WER FÜR IHREN TOD VERANTWORTLICH IST. Ich möchte nur mal fragen, ob die Bitten der Opfer erhört würden…
    “Ehemalige Täter” gibt es nicht. Verantwortung für Taten fängt imKopf an. Und wenn der endlich mal für gute Dinge benutzt wird, heißt es nicht, daß die Vergangenheit automatisch ausgelöscht wird.
    MACHT WEITER MIT DIESEM PROJEKT!!!

  6. Anonymous

    Till-Hauke Heldt ist mittlerweile auf freiem Fuß und macht eine über die Arbeitsagentur finanzierte Umschulung zum Fachinformatiker in Braunschweig.
    Dies stimmt mich sehr nachdenklich…

  7. Das ist alles so grausam. Wer in der Lage ist, solche Taten zu begehen, die an Brutaltät und krankhaften Narzissmus unaussprechlich sind, hat 1. eine höhere Strafe verdient – am besten für immer wegsperten, ohne Erlaubnis, im Knast studieren zu dürfen, oder Ähnliches – und 2. niemals, aber wirklich niemals das Geschehene und das Leid der Opfer und ihrer Angehörigen vergessen lassen zu können.Welche Chance auf ein normales Leben haben Beates Kinder, oder all die anderen Angehörigen? Die deutsche Justiz ist echt krass! Wie gut, dass es eure Seite gibt!

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