Alle Artikel von Lola Fleming

Frauen, werdet Juristinnen!

Manchmal frage ich mich, ob es mir irgendwie Spaß bereitet, mir das Leben besonders schwer zu machen. Als wäre es nicht schon schwer genug als Feministin und Lesbe im Patriarchat, studiere ich auch noch einen der wohl patriarchalischsten Studiengänge überhaupt: Jura. 

Ich kenne keine einzige andere feministische Juristin oder Jurastudentin, zumindest nicht im realen Leben. Nirgendwo ernte ich so angewiderte Blicke in Bezug auf meine Körperbehaarung wie im Juridicum. Ich freue mich, wenn ich in der Literaturliste meiner Hausarbeit mal eine einzelne Autorin aufzählen kann (die ich mühsam gesucht habe, denn die gängige juristische Literatur ist Männerterrain). Vermutlich fühlt man sich in kaum einem anderen Studiengang so alleingelassen und ins kalte Wasser geworfen. Es ist ein Studium für EinzelgängerInnen- und vielleicht liegt es mir auch deshalb so sehr. Ich habe mich mein Leben lang allein durchgekämpft und mein Ding gemacht- das setze ich in meinem Studium jetzt fort. Es ist nicht immer leicht; um ehrlich zu sein, ist es sogar meist sehr schwierig, aber für mich steht fest, dass ich diesen Weg gehen möchte.

Denn: Ich will Juristin werden. Ich liebe Jura, trotz allem. Ich liebe es, mich in Fälle einzuarbeiten, immer tiefer in die Materie abzutauchen, zu merken, wie meine Argumentationsfähigkeit und meine Allgemeinbildung immer weiter wachsen. Oft werde ich gefragt, wie das denn eigentlich zusammen passt: Jura studieren und Feministin sein. Anfangs war Jura ein bisschen so etwas wie mein dunkles Geheimnis, das nicht so recht zu meinem sonstigen Leben passen wollte. Mittlerweile habe ich festgestellt: Jura und Feminismus, das schließt sich nicht aus, ganz im Gegenteil. Recht organisiert Herrschaft (wie Catherine MacKinnon prägnant auf den Punkt brachte), insofern ist es nur logisch, dort anzusetzen, wenn man Herrschaft verändern möchte. 

Jura ist ein sehr patriarchalischer Studiengang, das ist wohl ein offenes Geheimnis. Wer Jura studiert, braucht ein enorm dickes Fell. Der Druck und der Konkurrenzkampf sind oft kaum auszuhalten, ab dem ersten Semester schwebt ein unsichtbares Schwert namens Staatsexamen über einer und an allen Ecken und Enden wird geraten, man solle vielleicht doch etwas anderes machen, wenn man sich nicht sicher sei, ob man wirklich gut genug ist für Jura. Letztes Jahr erschien eine Studie über die Benachteiligung von Frauen im mündlichen Staatsexamen. Je höher die Punktzahl, desto größer die Geschlechterdifferenz (bei 9 Punkten, d. h. Prädikatsexamen, liegt die Differenz bei 12 %; ab 11,5 Punkten – spätestens da beginnt ist im juristischen Staatsexamen das Sahnetortenbuffett – liegt die Differenz bei 32 %). Deutlich geringer fällt die Differenz übrigens aus, wenn eine Frau in der Prüfungskommission sitzt.

Ein weiteres Problem: Moot Courts. Dabei handelt es sich um Gerichtslabore, in denen Jurastudierende Gerichtsverhandlungen nachstellen und üben. Eine super Sache, bloß offenbar nicht für Frauen. Die kanadische Jura-Studentin Amanda Byrd erzählt exemplarisch davon, wie sie sich wochenlang auf den Moot Court vorbereitete und das Feedback darin bestand, dass sie häufiger lächeln solle, dann wirke sie weniger gelangweilt. Ihr Kommilitone hingegen bekam eine dezidierte inhaltliche Rückmeldung.

Meine wohl wichtigste Erkenntnis im Jurastudium bisher: Recht ist kein ideologiefreier Raum. Das Patriarchat urteilt immer mit. Es gibt auch nicht „die eine richtige Lösung“ im Recht. Manchmal erzähle ich meinen nicht-juristischen Freundinnen (also sprich: meinen Freundinnen) von Klausur- oder Hausarbeitsfällen und werde anschließend gefragt, was denn nun die Antwort sei. Klar, manche Sachverhalte sind recht eindeutig, aber in der Regel lautet die zugegebenermaßen unbefriedigende Antwort: „Es kommt darauf an“. Wenn es anders wäre, bräuchten wir ja gar keine JuristInnen mehr, sondern könnten Sachverhalte in Maschinen eingeben, die diese dann mit den entsprechenden Gesetzen abgleichen würden und automatisch zu einem Ergebnis kämen. 

Gesetze müssen immer ausgelegt werden. Ohne en detail in die juristische Methodenlehre einsteigen zu wollen: Es gibt vier Auslegungsmethoden- die Auslegung nach dem Wortlaut des Gesetzes, die historische Auslegung (in welchem geschichtlichen Kontext entstand das Gesetz?), die systematische Auslegung (welche Stellung hat die Norm innerhalb des Gesetzes; steht sie z. B. ganz zu Beginn wie die Menschenwürde im GG?) und die teleologische Auslegung (welchen Sinn und Zweck verfolgt der Gesetzgeber mit dem Gesetz?). Auslegung ist immer Argumentationssache. Letztlich gilt: Wer Gesetze auslegen kann, hat Jura verstanden. Klingt einfach, braucht aber sehr viel Übung. 

Ich bin noch mitten im Übungsprozess, aber so viel ist mir inzwischen klar geworden: Man darf sich von (scheinbaren) Autoritäten nicht einschüchtern lassen, gerade als Frau in der Rechtswissenschaft. JuristInnen sind oft sehr gut im Argumentieren und Einschüchtern- das ist ja auch meist ihr Job. Das heißt aber nicht, dass sie die „Wahrheit“ gepachtet haben, auch dann nicht, wenn sie BGH-Richter sind oder ein anderes hohes Amt innehaben. Nächste Woche findet am Landgericht Karlsruhe ein Prozess gegen die Journalistin Gaby Mayr statt- der ehemalige BGH-Richter Thomas Fischer hat wegen ihrer kritischen Berichterstattung zu den Prozessen gegen die wegen Verstoßes gegen § 219a StGB angeklagten Ärztinnen Unterlassungsklage gegen sie erhoben- und weil Mayr den Fischer StGB-Kommentar kritisiert. (Weitere Informationen zum Fall mit entsprechenden Verlinkungen finden sich z. B. auf der Solidaritätswebsite für Kristina Hänel). Kommentare sind so etwas wie die „Bibel“ der JuristInnen- dort stehen zu jedem Gesetz Anmerkungen zur Auslegung. Und ja, es ist richtig, dass in allen StGB-Kommentaren sinngemäß dasselbe zur Auslegung des § 219a steht- aber das Berufen auf Autoritäten allein (sei es BGH oder juristischer Kommentar) sollte kein Argument dafür sein, am Status Quo festzuhalten. Problematisch wird es immer dann, wenn die Sprechposition einer Person entscheidender ist als die hervorgebrachten Argumente.

Denn auch wenn sich Recht mit Veränderung relativ schwer tut, ist Veränderung nicht nur möglich, sondern sogar geboten. Recht ist immer ein Spiegel der Werte der Gesellschaft, und diese Werte verändern sich nun einmal mit der Zeit. Es sei nur exemplarisch erinnert an die bis 1996 straffreie Vergewaltigung in der Ehe bzw. den berüchtigten, inzwischen weggefallenen § 175 StGB (die Strafbarkeit von Homosexualität). 

Wenn ich Zweifel daran habe, warum ich mir all das antue – die Einsamkeit, die Versagensangst, das konservative Studium – dann führe ich mir vor Augen, was das Ziel meines Weges ist. Letztes Jahr war ich bei dem Gerichtsprozess gegen Nora Szász und Natascha Nicklaus, beide waren angeklagt wegen Verstoßes gegen § 219a StGB („Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“). Allein, dass es diesen Paragraphen immer noch gibt, macht mich gleichermaßen fassungslos und wütend. Aber: Es hat mir nochmal deutlich gezeigt, wohin meine Reise gehen soll. Ich möchte Frauen unterstützen, ihnen konkrete Lösungsmöglichkeiten aufzeigen, mein Wissen weitergeben. Ich möchte Frauen im Rahmen meiner Möglichkeiten ein Stück Gerechtigkeit zurückgeben in all diesem patriarchalen Unrecht, das uns widerfährt. Einen schöneren Beruf kann ich mir nicht vorstellen.

Ob man bzw. frau Jura spannend findet, ist sicher Geschmackssache. Sicher ist, dass juristische Kenntnisse enorm dazu beitragen, Herrschaftsverhältnisse zu analysieren und zu verstehen- und das bildet die Basis für die Veränderung von Machtstrukturen. Ich möchte jede Frau, insbesondere jede feministische Frau, die Interesse an Jura hat, ermutigen, das Studium aufzunehmen und sich nicht beirren zu lassen. Frauen, werdet Juristinnen! Wir brauchen uns. Dringend.

Studie über Ungleichbehandlung im Jura-Studium:

http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/juristische-pruefung-diskriminierung-von-frauen-und-migranten-15560024-p2.html

Amandas Erfahrungsbericht über ihren Moot Court: https://www.cbc.ca/radio/thesundayedition/the-sunday-edition-june-3-2018-1.4685998/i-spent-hundreds-of-hours-preparing-for-moot-court-when-i-got-there-i-was-told-to-smile-more-1.4687442

Alles Fake-Lesben? Aufräumen mit den Mythen über politisches Lesbentum

Politisches Lesbentum wird in radikalfeministischen und lesbischen Kontexten gerade (wieder) stärker diskutiert. Dabei kommt es immer wieder zu Eskalationen- verständlicherweise, denn es geht ja um nichts Geringeres als die Frage, mit wem frau ihr Leben verbringen möchte. Vor allem ranken sich viele Gerüchte um das Thema, eines der häufigsten wohl: Wir können doch unsere Sexualität nicht verändern. Doch Fakt ist eben: Es gibt Frauen, die sich ganz bewusst dafür entscheiden, genau das zu tun. Als Folge ihrer radikalfeministischen Analyse. Sheila Jeffreys zum Beispiel. Grund genug, darüber ins Gespräch zu kommen.

Leider gibt es kaum deutschsprachige Texte zu dem Thema, wohl aber mehrere englischsprachige. Ein Gastbeitrag des Blogs „radicallesbianfeminists“ (https://radicallesbianfeminists.wordpress.com/2013/11/14/political-lesbian-myth-busting/) widmet sich dem „Myth Busting“, also dem Aufbrechen von Mythen, die sich um politisches Lesbentum ranken.

Die Autorin beginnt mit dem Mythos, dass es bei Lesbentum nur darum gehe, wen frau attraktiv finde oder welche sexuellen Fantasien sie habe. Lesbischsein wird in der Hetero-Gesellschaft (und leider auch nicht selten unter Lesben) ausschließlich als sexuelle Orientierung angesehen. Ich erinnere mich, dass ich es kaum über die Lippen brachte, bei einem Abendessen mit Bekannten meiner Eltern zu erzählen, wo ich gerade herkam: Von einer Lesbendemo. Weil mich die Erfahrung lehrt, dass die meisten Menschen nicht nachvollziehen können, warum ich öffentlich in der Stadt zeigen muss, mit wem ich ins Bett gehe. Weil sie nicht verstehen, dass es gar nicht darum geht, mit wem ich ins Bett gehe. Sondern, worum geht es? Die Autorin des Artikels fasst dies zusammen als:

„Being a lesbian is a social construction of intimacy, community and cultures.“ (Übers.: Lesbischsein ist ein soziales Konstrukt von Vertrautheit, Gemeinschaft und Kultur).

Es geht auch nicht um Männerhass, sondern um die Liebe zu Frauen (und damit übrigens auch um die Liebe zu uns selbst- was erst einmal sehr beängstigend sein kann, weil es verdeutlicht, wie sehr wir zuvor verabscheut wurden)- eine Liebe also, die wir erst erlernen müssen, weil wir nicht in dem Wissen aufwachsen, dass Frauen liebenswert sind. Im Gegenteil.

Es gibt nicht den einen Weg aus der Zwangsheterosexualität. Für einige mag Lesbentum das Ziel sein, andere entscheiden sich (zunächst oder für immer), zölibatär zu leben. Ein lesbisches Leben allein ist per se auch noch nicht patriarchatskritisch, „nor will it, by itself, dismantle patriarchy, though it is a step along the way” (Übers.: noch wird es an sich das Patriarchat auflösen, auch wenn es ein Schritt auf dem Weg dorthin ist). Eine Lesbe, die Männern zwar nicht sexuell, jedoch weiterhin emotional, wirtschaftlich und vor allem ideologisch zur Verfügung steht, stellt keine Gefahr für das Patriarchat dar und wird gesellschaftlich deshalb auch weitgehend als „statistische Abweichung“ toleriert (siehe Mary Dalys Unterscheidung von „Lesben“ und „lesben“).

Wir müssen zu einem Verständnis finden, dass Heterosexualität kein individuelles Begehren ist, sondern eine Institution. Nicht irgendeine Institution, sondern eine sehr zentrale, vielleicht die zentralste überhaupt, um das Patriarchat aufrecht zu erhalten. Wer der Meinung ist, das Patriarchat fände nur im öffentlichen Raum statt und hätte mit der eigenen Hetero-Beziehung nichts zu tun, sollte sich vielleicht noch einmal mit dem Grundsatz „Das Private ist politisch“ aus der zweiten Frauenbewegung vertraut machen. Derzeit gibt es eine politische Akzeptanz (und zwar, wie die Autorin des Artikels schreibt, ausschließlich an dieser Stelle) dafür, dass es kein Entkommen aus dieser Form der Frauenunterdrückung gibt. Es handelt sich also um eine Resignation. Wenn wir etwas ohnehin nicht ändern können, müssen wir auch nicht weiter darüber sprechen. Mal wieder ein geschickter Schachzug des Patriarchats, aber wir durchschauen ihn. Wir sprechen. Viele politische Lesben und radikale Feministinnen sind zu dem Schluss gelangt, dass es keine plausible Erklärung dafür gibt, warum ausgerechnet etwas so männer-zentriertes wie Heterosexualität nicht durch patriarchale Einflüsse sozial erworben worden sein soll, während wir uns bei allen anderen feministischen Themen niemals mit der Begründung „Ist angeboren“ zufrieden geben würden.

Wenn politische Lesben und andere Aussteigerinnen aus der Heterosexualität diese Gedanken äußern, folgen so gut wie immer Empörungsrufe: Sie würden damit „Homo-Heilern“ in die Hände spielen. Und ja, hier zeigt sich, wie wichtig es für die Schwulen-Bewegung damals war, Homosexualität als „ausschließlich angeboren“ zu deklarieren, um sich aus diesen menschenverachtenden Praktiken zu lösen. Aber es ist ein großer Unterschied, ob jemand Menschen mit (physischer oder emotionaler) Gewalt dazu zwingt – und zwar selbstverständlich aus patriarchalen Gründen -, sich „umzuorientieren“ oder ob eine Frau sich entscheidet, diesen Weg zu gehen, weil sie erkannt hat, dass Heterosexualität eine wesentliche Institution des Patriarchats ist und ihr schadet. Maßstab für Feministinnen sollte immer sein, wie sich Frauen befreien können. Und aus der Heterosexualität auszusteigen, ist genau das: eine Befreiung. Die Befreiung aus einer Institution, die es Männern als Klasse ermöglicht, Frauen als Klasse zu unterdrücken:

„In fact, sexuality, as a social construction, is far, far more than merely who we are attracted to at any one point in our lives. It is moulded, institutionalised and structured to benefit men, as a class, and oppress women as a class.“ (Übers.: Sexualität, als soziales Konstrukt, ist viel, viel mehr als bloßes Begehren. Es ist in der Weise geformt, institutionalisiert und strukturiert, dass Männer, als Klasse, davon profitieren und Frauen, als Klasse, unterdrückt werden).

 

Auf einem anderen, sehr empfehlenswerten Blog (http://www.radicalfeminism.co.uk/heterosexuality.html) schreibt eine Autorin dazu sehr treffend:

„The reason feminist women advocate leaving men is because heterosexuality is not a healthy practice; it is conditioned into women from when they are little girls, through making girls think males have more value than themselves and other women. […] To enjoy sleeping with men and feel sexually attracted to them women have to eroticise male dominance and their own submission, this is neither natural nor healthy.“ (Übers.: Der Grund, warum feministische Frauen sich dafür einsetzen, dass Frauen Männer verlassen, ist, dass Heterosexualität keine gesunde Praktik ist; Frauen werden von klein auf darauf konditioniert, indem ihnen eingeredet wird, Männer hätten mehr Wert als sie selbst und andere Frauen. […] Um es genießen zu können, mit Männern zu schlafen und sie sexuell attraktiv zu finden, müssen Frauen männliche Dominanz und ihre eigene Unterdrückung erotisieren- das ist weder natürlich noch gesund.)

 

Ein weiterer Mythos, den die Autorin von „radicallesbianfeminists“ anspricht, ist jener, dass es sich bei politischem Lesbentum um eine Form der Aneignung des Begriffs und der Identität „Lesbe“ handele, bzw. dass politisches Lesbentum selbst eine Identität sei. Politische Lesben würden also nichts anderes tun als transidentifizierte Männer, die sich als Frauen bezeichnen. Hier liegt, so die Autorin, ein Verständnis von „authentischem Lesbentum“ zugrunde. Nur wenn es ein authentisches, „echtes“ Lesbischsein gibt, kann es auch ein unechtes geben. Dieser Mythos bedient also auch die hetero-patriarchale Denkweise, dass Sexualität angeboren und unveränderbar sei.

Es gibt keine „falschen“ Lesben. Wir alle sind vom Hetero-Patriarchat geprägt und bringen diese Prägung mit in unsere lesbischen Beziehungen und Gemeinschaften. Der Weg aus der Zwangsheterosexualität ist oft ein langer, beschwerlicher. Viele Frauen erkennen erst nach Beendigung von Hetero-Beziehungen die Schädigung, die von ihnen ausging. Viele erkennen die Befreiung, die von der Entscheidung für politisches Lesbentum ausgeht. Sie müssen nun nicht mehr in dem ständigen Zwiespalt leben, ein unterdrückerisches System erkannt und analysiert zu haben, sich allerdings nicht (vollständig) daraus befreien zu können:

„Many women have freed themselves from the clash of being intimately tied to an oppressive system while having a radical, critical analysis about it. Many women have discovered that they can, and should, love women as a direct result of their feminism.“ (Übers.: Viele Frauen haben sich von dem Konflikt befreit, einerseits eng an ein unterdrückerisches System gebunden zu sein, während sie gleichzeitig eine radikale, kritische Analyse dazu haben. Viele Frauen haben herausgefunden, dass sie Frauen als eine direkte Folge aus ihrem Feminismus lieben können und sollten).

 

Die Autorin des Blogs „radicalfeminism.co.uk“ hat ein derart schönes Schlusswort zu der Thematik gefunden, dass es hier noch einmal einen Platz finden soll:

„However, we cannot make the decision for you to fight against your own oppression; you have to do that for yourself. Your lesbian sisters will stand by you and support you, if you want to join us in fighting for women’s liberation.“ (Übers.: Wie dem auch sei, wir können nicht für euch die Entscheidung treffen, gegen eure eigene Unterdrückung anzukämpfen, das müsst ihr selbst tun. Eure lesbischen Schwestern werden an eurer Seite stehen und euch unterstützen, wenn ihr euch uns im Kampf für die Befreiung von Frauen anschließen wollt).

 

Wir alle standen irgendwann ganz am Anfang, und das ist völlig in Ordnung. Liebe Late Bloomers, liebe Ex-Heteras, liebe Zweiflerinnen und Suchenden: Ihr seid sehr willkommen.

Lesbische Zustände 2018

Es ist etwa Halbzeit 2018: Einige Lesbenevents liegen hinter, einige noch vor uns. Ich blicke mit gemischten Gefühlen auf die lesbische Landschaft in Deutschland. Einerseits ist ein Wiederaufflammen, ein Bewusstsein für die Bedeutung lesbischer Sichtbarkeit und Räume, eine Repolitisierung auszumachen. Auf dem LFT (Lesbenfrühlingstreffen) in Göttingen sprachen etliche ältere Lesben davon, sie hätten endlich wieder Hoffnung, dass sich jüngere Generationen aufmachen, ihr Erbe weiterzutragen. Viele junge Frauen standen an den Mikros, äußerten ihre Meinung, setzten sich aktiv ein für die Gestaltung ihrer Lesbenräume. Lesbische Sichtbarkeit ist in aller Munde, es werden zahlreiche neue Dyke Marches initiiert, es tut sich etwas, ist in Bewegung.

Und doch gibt es ein Aber. Obwohl neue (scheinbare) Lesbenorte geschaffen und alte wiederbelebt werden, sind sie eben in weiten Teilen nicht das, was aus radikalfeministischer Sicht Lesbenorte sind. Denn sie alle sind schon längst keine Frauenräume mehr. Transidentifizierte Männer sind selbstverständlich nicht nur „mitgemeint“ (denn mitgemeint werden ja nur Frauen), sondern explizit willkommen geheißen. Diese Haltung ist gerade in Lesbenräumen fatal: Etliche Lesben haben sexuelle Gewalt überlebt und in Lesbenräumen sichere Orte für sich gefunden. Wenn diese Orte für Männer geöffnet werden, sind sie nicht mehr sicher für Frauen. Wir können uns nicht mehr frei bewegen und nicht mehr frei sprechen. Lesbenorte, an denen ständig Männer und ihre Befindlichkeiten Thema sind, darüber diskutiert wird, ob Lesben Frauen sind und Heteras sich als Lesben identifizieren: Es ist absurd, wozu Queer-Politik führt.

Ebenfalls mit gemischten Gefühlen blicke ich auf die Debatte über lesbische Sichtbarkeit. Lesbische Sichtbarkeit ist wichtig, aber sie kann nicht das Hauptziel sein. Es geht doch vor allem darum, aus welchen Gründen und Motivationen heraus Frauen lesbisch leben. Auf welche Weise sie lesbisch leben. Sind sie politische Lesben oder leben sie nur scheinbar zufällig mit Frauen zusammen, ansonsten aber ganz patriarchatskonform? Und: Wie geht es weiter nach der Sichtbarkeit? Sind wir zufrieden, wenn wir sichtbar sind? Endet damit die Gewalt gegen Frauen, Mädchen und Lesben? Können wir so frei sein? Erlangen wir so unsere Räume zurück? Letzteres vielleicht. Wobei sich hier die Frage stellt, wer die Definitionshoheit über die Bedeutung der Wörter „Frau“ und „Lesbe“ hat. Wenn wir uns die Dyke Marches anschauen, die fast ausschließlich Sternchen im Namen tragen (und selbst wenn sie es nicht tun, was fast noch schlimmer ist, Männer selbstverständlich mit einschließen) und die Beschreibung tragen „for pan, bi and queer girls*“ (Lesben kommen also entweder gar nicht oder als einige von vielen vor), lässt sich die Frage schnell beantworten: Natürlich entscheiden im Patriarchat Männer darüber, was Begriffe bedeuten und wie Frauen sich organisieren dürfen.

Aber es gibt auch die andere Seite: ein Erstarken radikalfeministischer Analyse auch und vor allem unter jüngeren Frauen. Es handelt sich nämlich weniger (wie oft behauptet) um einen Generationen- als vielmehr um einen Ideologiekonflikt. Ich war dieses Jahr zwei Mal bei radikalfeministisch-lesbischen Treffen an einem reinen Frauenort und habe mich zum ersten Mal richtig zu Hause gefühlt. Es gibt sie doch- die Orte, an denen radikalfeministische Frauen (und zwar jeden Alters) unter sich sein können, mit allem, was das beinhaltet: von politischen Workshops zu Zwangsheteronormativität und patriarchaler Psychotherapie über körpernormierungsfreie Bewegungsmöglichkeiten bis hin zu abendlichen Sonia Johnson-Lesekreisen und feministischen Liedern am Lagerfeuer. Das alles, ohne sich über männliche Befindlichkeiten Gedanken machen zu müssen. Ohne sich in ständiger Angst vor Objektifizierung und Gewalt bewegen zu müssen. Es gibt sie, die Orte der Heilung, des Ankommens, des Zu-sich-Findens. Das traurigste daran ist wohl die Erkenntnis, dass es viel mehr dieser Orte geben könnte, wenn sich die feministische Landschaft anders gestalten würde. Das schönste ist das Wissen darüber, dass wir zurückkehren können an diese Orte, wenn wir sie brauchen. Zum ersten Mal seit langem habe ich das Gefühl, dass sich etwas bewegt in meinem Leben, über die Analyse hinaus: Ich habe Schwestern kennengelernt, von denen eine Kraft ausgeht, die mir Kraft gibt. Ich habe eine Idee davon bekommen, was entstehen kann, wenn Frauen sich zusammentun.

Auch das LFT diskutiert gerade darüber, ob es nächstes Jahr ein LFT mit Sternchen geben soll. Ein Grund, pessimistisch zu sein? Vielleicht. Doch ich weiß inzwischen, es gibt viele alte Lesben, die mit ihrer Meinung nicht hinter den Berg halten, die laut kämpfen für ihre Räume, die sich nicht so schnell von Männern und patriarchalen Kleinhaltungsstrategien einschüchtern lassen. Und das Beste ist: Es sind nicht mehr nur alte Lesben, die das tun, sondern auch immer mehr junge. Wir werden uns vernetzen, wir werden laut sein. Ihr habt die Rechnung ohne uns gemacht.

Die diskriminierenden oder die diskriminierten Lesben? Erfahrungsbericht einer Lesbe im Radikalfeminismus

Radikaler Feminismus. Endlich ankommen und verstanden werden nach zunehmenden Anfeindungen und Überwerfungen im Queerfeminismus. Mein Hafen.

So ging es mir lange Zeit. Doch es gibt einen Streitpunkt, der mir zunehmend an die Substanz geht. Manchmal frage ich mich, ob ich noch richtig bin im radikalen Feminismus.

Schon als ich vor einigen Jahren Radikalfeminismus für mich entdeckte, gab es immer wieder Diskussionen, in denen einige Frauen von einem „lesbischen Feminismus“ berichteten. Mich interessierte das damals nicht besonders, denn ich hätte mich zu der Zeit nicht als Lesbe bezeichnet. Außerdem verstand ich nicht, was das sollte. Wir im Radikalfeminismus kämpfen doch für alle Frauen, wofür da ein eigener lesbischer Feminismus?

Dann lernte ich Lesben kennen, erst online und dann auch ganz in echt. Diese Lesben erzählten davon, wie unsichtbar sie sich oft fühlten, auch in radikalfeministischen Kontexten. Ständig gehe es nur um Hetera-Sex und wie Heteras es vereinbaren können, Feministin zu sein und trotzdem Männer zu lieben. Lesben? Achso, naja klar, die gibt’s halt auch, will ja auch niemand bestreiten. Aber sie müssen sich schon bemerkbar machen, von alleine denkt niemand an sie.

Ich merkte zunehmend, dass ich mich in lesbischen Kreisen sehr wohl fühlte. Ein wenig fehl am Platze, denn ich hielt mich ja zu der Zeit für keine Lesbe, aber irgendwie sehr geborgen. Mir gefiel es so fantastisch, dass sich die Debatten nicht ständig um Männer drehten, sondern einzig und allein Frauen im Zentrum standen. So hatte ich mir Feminismus immer gewünscht.

Irgendwann war ich dann mal wieder auf einer Frauenveranstaltung, die überwiegend von Heteras besucht wurde. Eine Frau sprach von „ihrem Mann“ und ich war einen Moment lang völlig irritiert. Ich war so sehr in lesbische Veranstaltungen involviert gewesen, dass ich ganz vergessen hatte, dass es auch Hetera-Feministinnen gab.

Ungefähr ab diesem Zeitpunkt fing ich an, mich in bestimmten radikalfeministischen Kreisen unwohl zu fühlen. Diskussionen gelangten immer wieder an den Punkt, an dessen Ende die entscheidende Frage stand, ob sich radikaler Feminismus und (Liebes-) Beziehungen mit Männern ausschließen. Die meisten Heteras sagten Nein, viele Lesben Ja, und nicht selten lieferten sich beide Seiten eine Schlammschlacht.

Ich wollte der Sache näher auf den Grund gehen und begann, in klassischer feministischer Literatur nach Anregungen zu suchen. Neben Sheila Jeffreys war es auch Simone de Beauvoir, die bei mir für ein entscheidendes Aha-Erlebnis sorgte. Sie führt in „Das andere Geschlecht“ aus, warum es für Frauen so schwer bis unmöglich ist, sich aus ihrer Unterdrückung zu befreien. Ihre Antwort ist ebenso simpel wie grandios: Weil Frauen die einzige unterdrückte Gruppe sind, die sich mit ihrem Unterdrücker stärker solidarisieren als mit ihren Schwestern. Während sich etwa JüdInnen oder PoC (People of Colour) viel stärker zusammenschließen (sowohl räumlich als auch emotional), leben Frauen mit Männern zusammen – freiwillig. Keine Person of Colour würde freiwillig mit einem Rassisten ihr Leben teilen (und ja, mir ist klar, dass dieser Vergleich hinkt, weil Männer im Gegensatz zu Rassisten nicht alle Arschlöcher sind – not all men und so, aber ich glaube, der Grundgedanke wurde klar). Wer dieses Prinzip durchdrungen hat, versteht auch, warum Heteronormativität so immens wichtig ist, um das Patriarchat aufrecht zu erhalten. Denn nur so kann das System funktionieren: durch die Selbstzerfleischung zwischen Frauen gepaart mit der Liebe von Frauen zu Männern.

Als ich den Artikel „Politisch und sexuell? Lesbisch!“ veröffentlichte, wurde ich von verschiedenen Heteras angegangen, die sich (wahlweise von mir persönlich oder gerne auch allgemein von „den Lesben“) diskriminiert fühlten. Klar, Lesben diskriminieren Heteras. Strukturelle Analyse lässt grüßen. Mir fällt dazu ein: Getroffene Hunde bellen. Auch ich kenne das. Es gibt Männer, die mir wichtig sind (woran ich auch nichts ändern möchte) und deren Verhalten ich oft nicht mit meinen Überzeugungen vereinbaren kann. Wenn mich jemand darauf anspricht, bin ich getroffen. Weil mir diese Männer wichtig sind. Mir ist das bewusst. Manchmal finde ich es blöd, manchmal nicht so schlimm, aber es ist mir bewusst: Mein feministischer Anspruch und meine Lebensrealität sind oft widersprüchlich.

Ich denke dann oft an die Analogie des Beine-Rasierens: Viele radikale Feministinnen kritisieren es, wenn Frauen äußern, sie würden sich ja gar nicht für Männer rasieren, sondern fänden es eben an sich selbst schöner so. Zu Recht, denn diese Darstellung lässt außer Acht, dass wir alle patriarchal sozialisiert wurden, d. h. wir lernen alle von klein auf „Haare an Frauenkörpern sind eklig“. Und mit einer heteronormativen Sozialisation verhält es sich eben ganz genauso. Fast alle denken bei dem Wort „Sex“ an PiV (Penis in Vagina) – selbst viele Lesben. Aber Sexualität ist so viel mehr. Uns wird so oft vermittelt, wir müssten doch irgendwie tief in uns spüren, zu welchem Geschlecht wir uns hingezogen fühlen. Plump formuliert: ob uns nun Penisse oder Vulven antörnen. Das ist ein hochgradig patriarchaler Gedanke. Weil das Patriarchat eben durch Heteronormativität und solche Vorstellungen von Sexualität und körperlicher Anziehung funktioniert.

Berichte von lesbischen Feministinnen aus den 70er-Jahren können gerade jüngeren Frauen dabei zum Beispiel sehr die Augen öffnen. Es ging nicht hauptsächlich darum, als Frau Sex mit Frauen zu haben, sondern vielmehr darum, gemeinsam zu wohnen, Frauen das eigene Leben zu widmen, sie zu lieben (und ich gebe hier jetzt bewusst keine Definition von Liebe). All das ist lesbisches Leben und Wirken.

Ich schaffe es übrigens auch nicht, mich nicht zu rasieren. Mir ist aber völlig klar, dass das ein Widerspruch und nicht mit meiner feministischen Grundhaltung zu vereinbaren ist. Ich deute das nicht um und erzähle Menschen, Beine rasieren wäre ein feministischer Move. Nicht alles, was ich tue, ist feministisch, und das ist wohl bei uns allen so. Wichtig finde ich, das für mich selbst zu wissen, zu reflektieren, mich immer wieder zu fragen, warum ich mich mit welchen Menschen umgebe oder bestimmte Dinge tue (ob ich sie dann ändere, ist dann erst die zweite Frage). Lesben anzugreifen ist jedenfalls so ziemlich der unfeministischste Akt, den es gibt.

Radikale Feministin zu sein und gleichzeitig lesbisch zu leben, ist oft kein Zufall, sondern eine logische Konsequenz –  die praktische Umsetzung einer Theorie, wenn man so möchte. Denn beides gründet sich in der Liebe zu Frauen.

Im radikalen Feminismus fühle ich mich oft nicht zu Hause, weil Lesben nicht selten mindestens ausgeklammert werden, während mir der lesbische Feminismus oft zu wenig radikalfeministisch ist. In reinen Lesbengruppen gibt es häufig keinen Konsens über Prostitution und die Transthematik, wie er sich im Radikalfeminismus findet. Zwar ist kontroverser Meinungsaustausch prinzipiell immer zu begrüßen, aber oft beginnen Diskussionen dann, sich im Kreis zu drehen und ich habe häufig einfach keine Lust, zum tausendsten Mal erklären zu müssen, warum Prostitution Gewalt gegen Frauen ist.

Ich glaube, ich muss mich damit abfinden, dass ich nirgendwo wirklich dazu gehöre. Vielleicht ist das aber auch gar nicht so schlecht. Denn wenn man von allen Seiten Zuspruch erfährt, ist das meist ein klares Indiz dafür, dass man den Status Quo stützt.

Ich bin eine Frau – nicht nur am Frauentag

Ich bin eine Frau. Dieser Satz ist ebenso simpel wie allumfassend. Er bestimmt mein ganzes Leben und auch das meines Umfeldes. Ich werde als Frau wahrgenommen, als Frau behandelt, wurde als Frau geboren, werde als Frau sterben.

Die Hälfte der Weltbevölkerung besteht aus Frauen. Trotzdem ist vielen nicht bewusst, was das eigentlich bedeutet: eine Frau zu sein. Mein Umfeld meldet mir häufig zurück, ich solle mich nicht so sehr darauf versteifen, denn ich wäre ja noch viel mehr als eine Frau. Bin ich das?

Natürlich, es gibt vieles, was mich ausmacht. Ich bin Erziehungswissenschaftlerin, Studentin, Läuferin, Hundebesitzerin. Ich bin lesbisch. Ich bin manchmal wild entschlossen, manchmal sprachlos, mal laut, mal leise. Ich bin hitzköpfig, denke über alles endlos nach, bin zielstrebig und ehrgeizig. Und all das bin ich: als Frau.

Erst seit ein paar Jahren ist mir bewusst, was das in seiner Gänze bedeutet. Als ich ein Mädchen war, wusste ich natürlich, dass ich irgendwann mal eine Frau werden würde. Ich hörte einmal, wie sich meine Mutter mit einer Freundin darüber austauschte, ob ihre Töchter denn schon ihre Tage hätten. Das wäre ja ein wichtiger Schritt, damit würde sich nun vieles ändern. Wenn du deine Tage hast, bist du deinem Schritt zur Frau ein gutes Stück näher gekommen. Du wirst bald mit Männern Sex haben, du kannst nun schwanger werden. Das ist es, was dich als Frau ausmacht.

Etwa im gleichen Alter gab es in der Schule unter uns Mädchen nur ein Thema: unsere Zukunft. Den wenigsten ging es dabei darum, die eigenen Stärken auszubauen und zu verwirklichen. Nein, Zukunft bedeutete, sich auszumalen, wie der künftige Ehemann aussehen sollte, wie viele Kinder man mit ihm zeugen würde und wie das Einfamilienhaus auszusehen hätte.

Kurze Zeit später wurde mir auch physisch bewusst, was es bedeutet, eine Frau zu sein. Meine Brüste waren nun deutlich wahrnehmbar, und auch ich nahm mich anders wahr. Mir wurde mit voller Wucht bewusst, dass dieser Körper nicht mir gehörte. Er war ein Buffet: Männer bedienten sich an verschiedenen Stellen, wie es ihnen gerade genehm war. Und ich sollte mich daran erfreuen. Denn ich war ja eine Außenseiterin, aber plötzlich hatte ich große Brüste und damit doch eine Chance auf Aufstieg.

Die Schule hatte großen Anteil daran, dieses Gerüst aufrechtzuerhalten. Es war so selbstverständlich, dass es immer nur um Männer ging, dass es niemandem von uns auffiel. Dass es immer wieder Frauenbewegungen gab, dass wichtige Philosophinnen, Ärztinnen und Naturwissenschaftlerinnen Geschichte geschrieben haben, das lernte ich erst im Studium.

Dass sich Männer, und zwar ganz besonders Männer in Machtpositionen, alles erlauben dürfen, das lernte ich hingegen schon in der Schule. Ich erinnere mich noch gut an einen Lehrer, der Schülerinnen regelmäßig zu nah kam. Wenn wir Gruppenarbeit machten oder eine Frage stellten, kniete er sich vor unsere Tische, so dass sein Gesicht nur wenige Zentimeter von unserem entfernt war. Als dies auf einem Elternabend thematisiert wurde, grinste besagter Lehrer breit und süffisant und belehrte unsere Mütter, so wäre das eben in dem Alter, wir würden uns das eben alle wünschen und uns deshalb einbilden, es würde passieren. Die Allmachtsfantasien eines Junglehrers: eine ganze Klasse 14-jähriger Mädchen fährt voll auf ihn ab.

Es passierte natürlich nichts weiter und die Botschaft an uns lautete: So ist er eben. Müssen wir mit umgehen. Pech gehabt.

Eine Botschaft, die sich durch mein Leben als Frau zieht. Ich habe Pech gehabt. Ich gehöre zu der Hälfte der Weltbevölkerung, die keine Rechte hat. Dieser Gedanke, wenn man ihn einmal wirklich zulässt, ist ein vernichtender. Mich hat er in eine tiefe Krise gestürzt. Ich verstehe, warum ihn so viele Frauen nicht zulassen und zu Ende denken möchten. Aber nur das kann uns letztendlich befreien. Wir müssen konsequent zu Ende denken. Wir müssen uns mit unserer Geschichte als Frauen beschäftigen. Wir müssen verstehen, und zwar wirklich verstehen, bis in die letzte Zelle unseres Körpers, was es bedeutet, im Patriarchat eine Frau zu sein.

Morgen ist Frauentag und ich habe lange überlegt, auf eine Demo in meiner Stadt zu gehen. Letztlich habe ich mich dagegen entschieden. Im Veranstaltungstext heißt es, man gehe auf die Straße, um sich gegen alle möglichen Diskriminierungsformen zu positionieren. Wir stellen die Hälfte der Weltbevölkerung, aber nicht einmal an einem einzigen Tag im Jahr dürfen wir einfach nur für uns auf die Straße gehen? Niemand käme auf die Idee, bei einer Demo gegen die Macht von Großbanken darauf zu bestehen, gleichzeitig auch für die Rechte von nicht-binären Personen zu demonstrieren. Selbstverständlich ist die Demo außerdem offen für alle, die sich solidarisch zeigen möchten. Macht ja aber ohnehin keinen Unterschied mehr, wenn ohnehin alle eingeschlossen sind, die sich als Frauen identifizieren.

Meine feministische Vision ist eine andere. Ich möchte nicht am Frauentag gemeinsam mit Männern auf die Straße gehen in der Hoffnung, dass wir ja in naher Zukunft ganz gleichberechtigt nebeneinander leben könnten. Es wird nicht passieren, denn Männer haben nicht das geringste Interesse daran. Sie alle profitieren vom Patriarchat. Frauen sind die einzige unterdrückte Gruppe, die mit der Überzeugung aufwächst, dass ihr Unterdrücker zum wichtigsten Menschen ihres Lebens werden muss. Dass sie Kinder mit ihrem Unterdrücker haben, ihn lieben und als ihren Retter ansehen soll.

Solange wir mit Männern zusammen leben, sie uns wichtiger sind und wir uns solidarischer mit ihnen zeigen als mit anderen Frauen, ja, als mit uns selbst, solange wird sich außer ein paar Schönheitsoperationen am Patriarchat nichts ändern. Das haben mich die feministischen Klassiker, unsere Vordenkerinnen, gelehrt. Das System Patriarchat kann nur dann nicht mehr funktionieren, wenn Frauen nicht mehr mitmachen. Wenn Frauen eigene Kulturen bilden, nicht mehr mit ihrem Unterdrücker zusammen leben, sondern sich gegenseitig ihr Leben und Wirken widmen. Das ist eine unpopuläre Position, selbst in feministischen Kreisen, und ich rechne auch dieses Mal wieder mit viel Kritik dafür. Denn diese Position bedeutet, alles neu denken zu müssen, auch bestimmte Dinge aufgeben zu müssen. Aber sich einem System zu verweigern, das unser ganzes Leben bestimmt, erfordert nun einmal drastische Maßnahmen.

Ich werde es mir morgen bei mir zu Hause gemütlich machen. Mit meiner Hündin, auf meinem Sofa, mit Büchern von Mary Daly, Audre Lorde und Sheila Jeffreys. Für meinen persönlichen Frauentag.

Politisch und sexuell? Lesbisch!

Meinen ersten und bisher einzigen Freund hatte ich mit 16. Er war deutlich älter als ich und die Beziehung war eine durch und durch hierarchische. Auch meine Schulfreundinnen waren zu dem Zeitpunkt größtenteils in ihren ersten Beziehungen und tauschten sich fleißig darüber aus. Damals hatte ich zum ersten Mal den Gedanken, dass bei mir etwas anders sein musste, denn diese Gefühle des Verliebtseins, Schmetterlinge im Bauch, all diese Beschreibungen meiner Schulfreundinnen empfand ich nicht.
Nun kann das sehr viele Gründe haben und es ist vermutlich weder möglich noch sinnvoll, hier zu versuchen, einen kausalen Zusammenhang herzustellen. Jedenfalls hatte ich zu dem Zeitpunkt oft den Gedanken, dass ich ja vielleicht lesbisch sein könnte. Es gab Frauen, die mich faszinierten und mir schlaflose Nächte bereiteten. Frauen, die ich bewunderte, anhimmelte, toll fand.
Trotzdem war ich mir immer wieder unsicher. So ein Outing ist ja eine ernste Sache. Vielleicht doch bisexuell? Da könnte ja noch der eine Mann kommen, der mich umhaut. Und es wäre ja ziemlich peinlich, dann allen sagen zu müssen, ich hätte mich getäuscht, ja sorry, doch nicht lesbisch.

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Ein Plädoyer für die feministische Aufmüpfigkeit

Woman Power Symbol, Feminist Fist

Public Domain C00

Oder: Der Tag, an dem ich meine eigene Heldin wurde

November 2017. Ein sozialpädagogisches Masterseminar an einer norddeutschen Hochschule. Es geht um Interventionsmöglichkeiten bei sexualisierter Gewalt. Ich bin Studentin, die an diesem Seminar teilnimmt, und habe dort etwas erlebt, was ich nicht für möglich gehalten hätte, zumindest nicht an diesem Ort.

In der vorletzten Seminarsitzung hielt ein Kommilitone ein Referat, in dem er eine Statistik vorstellte, wonach Lesben, Schwule, Trans- und Inter-Personen besonders häufig von sexueller Gewalt und Diskriminierung betroffen wären. Er merkte daraufhin an, dass es nicht richtig wäre, diese Personengruppen immer nur als Opfer zu stilisieren, denn sie wären meist auch die Täter. In seinem Studiengang hätten „alle Homosexuellen“ Heterosexuelle gestalked, und dieses Verhalten könne er auch erklären: Aids-Medikamente würden nämlich Borderline verursachen, und da ja alle Schwulen Aids-Medikamente nehmen, wären das eben alles Narzissten. Und man dürfe auch nicht vergessen, Schwule würden nicht auf Schwule stehen, sondern auf Männer, und Lesben auf Frauen, nicht auf Lesben.

Ich war im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos und durchlief innerhalb weniger Minuten mehrere Gefühlslagen. Nachdem ich erst dachte, ich hätte mich sicher verhört oder etwas falsch verstanden, wurde ich dann immer ungläubiger und saß irgendwann einfach völlig fassungslos da und habe gewartet, dass endlich jemand interveniert- wenn niemand der Studierenden, dann doch wenigstens die Dozentin. Aber es passierte- nichts. Ein paar wenige Richtigstellungen am Ende des Referates, dann kam der Übergang zum nächsten Vortrag. Ein Übergang, den alle mühelos zu bewerkstelligen schienen. Ich nicht. Homophobe Verschwörungstheorien in einem Master-Seminar und niemand sagt etwas dagegen?

Danach begann es in mir zu arbeiten. Ich sprach die Dozentin nochmal an, ob der Vorfall nun so stehengelassen würde. Daraufhin bot sie mir an, etwas vorzubereiten und in der nächsten Seminarsitzung vorzustellen. Das war immerhin etwas, aber nicht das, was ich mir gewünscht hätte. Ich fühlte mich in meiner Wahrnehmung nicht ernst genommen. Wieder einmal war ich die hysterische Studentin, die alles problematisiert und dramatisiert. Die, die immer das nervige generische Femininum benutzt und für die alle Männer unter Generalverdacht stehen. Die Feministin eben.

Und dann habe ich das getan, was ich immer mache, wenn ich aufgebracht, wütend, durcheinander, alles zusammen bin: Ich habe geschrieben. Einen Text, den ich eigentlich für mich behalten wollte, weil er doch so persönlich geworden ist, dass ich ihn nicht mit dem gesamten Seminar teilen wollte- einem großen Seminar, in dem ich mit kaum einer Kommilitonin bisher ein Wort gewechselt hatte. Aber dann reifte in mir der Entschluss, gerade diesen Text vorzulesen. Weil persönliche Texte eben nochmal ganz anders aufrütteln und berühren als Statistiken.
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Mein Weg zur Terre des Femmes–Mitgliedschaft: Eine Abrechnung mit dem akademischen Queerfeminismus

Ich befürchte, das hier wird ein Rundumschlag. Denn dieses Mal möchte ich mich endlich trauen, mich zu äußern.

Jedes Mal, wenn ich mit dem Gedanken spiele, mich (online) unter Klarnamen zu positionieren, ist eine gehörige Portion Angst mit von der Partie. Angst, die leider nicht irrational ist. Es gibt viel zu wenige Verbündete, die sich ebenfalls positionieren und einer den Rücken stärken – und leider kann ich das gut verstehen. Gerade in einschlägigen queerfeministischen Online-Foren ist der Gegenwind so heftig und verletzend, dass auch ich mich dort nur noch in Ausnahmefällen äußere – etwa als in einer Facebook-Gruppe kürzlich Frauen das Recht auf einen geschützten, geschlechtsspezifischen Toilettenraum abgesprochen wurde – und mir mein Feminismus dann gleich mit.

Nun gibt es einen neuen Konflikt, der die Wogen hochschlagen lässt: Die MV von Terre des Femmes im Mai und der daraus resultierende Brief einiger (Ex-) Mitfrauen, die Beschlüsse und grundlegende Positionierungen des Vereins scharf kritisieren. Ich habe die Diskussion so gut es geht verfolgt, und in mir ist immer mehr der Wunsch gewachsen, mich klar zu positionieren – für Terre des Femmes. Schon seit einiger Zeit überlege ich, Mitfrau zu werden; nun hat die jüngste Entwicklung dazu geführt, dass ich den Schritt gegangen bin.

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