Catharine MacKinnon: Liberalismus und der Tod des Feminismus

No machine-readable author provided. Crunk~commonswiki assumed (based on copyright claims). [Public domain], via Wikimedia Commons"

Wir wollen den feministischen Diskurs beleben und unterschiedliche Ansätze zur Diskussion stellen. Deshalb erscheinen bei uns regelmäßig Gastbeiträge, die nicht zwangsläufig die Haltung der oder aller Störenfriedas wiedergeben, aber wichtige Impulse für die feministische Debatte geben können.

Auszüge aus einer Rede, gehalten am 8. April 1987 an der New York University Law School, veröffentlicht im Sammelband “The Sexual Liberals and The Attack on Feminism“, herausgegeben von Dorchen Leidholdt und Janice G. Raymond im Jahr 1990. Vollständiger Text „Liberalism and the Death of Feminism, Catharine A. MacKinnon“ (auf englisch) auf radfem.org.

Es gab eine Frauenbewegung, die sozialbasierte Taten, wie Vergewaltigung als männliche Gewalt gegen Frauen kritisierte, und als eine Form von sexuellem Terrorismus.  Sie kritisierte Krieg als männliche Ejakulation. … Wenn diese Bewegung Vergewaltigung kritisierte, dann meinte sie Vergewaltiger und die Ansicht, die Vergewaltigung als Sex betrachtete. Wenn sie Prostitution kritisierte, dann meinte sie die Zuhälter und Freier und die Ansicht, dass Frauen geboren seien um Sex zu verkaufen. Wenn sie Inzest kritisierte, dann meinte sie die, die uns das antaten, und die Ansicht, die unsere  Verletzlichkeit und unser erzwungenes Schweigen sexy fand. Wenn sie Körperverletzung kritisierte, dann meinte sie die Schläger, und die Ansicht, dass Gewalt die Intensität der Liebe ausdrücke. Niemand dachte, dass diese Praktiken zu kritisieren, in irgendeiner Weise jemals ihre Opfer meinte.

Die Bewegung kritisierte auch heilige Konzepte vom Standpunkt der materiellen Existenz der Frauen aus, also unserer Realität, Konzepte wie das der „Choice“ zum Beispiel. Es war eine Bewegung, die wusste, dass wenn die materiellen Bedingungen 99% unserer Optionen vorherbestimmten, es nicht sinnvoll ist für das übrige Prozent von „Wahl“ zu sprechen. Diese Bewegung übernahm Konzepte wie „Choice“ nicht. Denn sie wusste, dass wenn Zwang ein normalisierter Teil von Sex ist, wenn ein Nein als ein Ja betrachtet wird, wenn Angst und Verzweiflung Duldung produzieren und Duldung dann Konsens meint, dass Konsens kein bedeutungsvolles Konzept ist. …

Sie kritisierte auch das Konzept der Freiheit, insbesondere der sexuellen Freiheit, und entpackte und demaskierte dieses als ein Cover für die Freiheit zu misshandeln. Wenn Menschen mit Macht ihre Unterdrückung  von Frauen als Freiheit verteidigten, dann wusste die Bewegung um den Thrill der Macht, den sie damit verteidigen. Diese Bewegung war kritisch gegenüber der Freiheit zu unterdrücken, und keine Bewegung, die Frauen erzählte wir seien frei, wenn wir mehr von dieser Unterdrückung bekämen. …

Die Bewegung produzierte eine systematische, schonungslose, tief materiell basierte und empirisch präzise Kritik der männlich-dominierten Realität der Leben von Frauen und den hochglanzpolierten Abstraktionen, die sie als nicht männlich-dominiert erscheinen ließen. In diesem Prozess enthüllte sie die tiefen Verbindungen von Rasse (race), Klasse und sexueller Unterdrückung, und behandelte diese nicht als Nebensächlichkeit, nicht als Fußnote, nicht als eine Liste, sondern eben weil sie essentiell waren. …

Diese Bewegung demonstrierte auch gegen die Miss America Wahlen und Snuff und verstand die Verknüpfung zwischen diesen beiden. Sie verstand, dass die sexuelle Objektifizierung zur Benutzung und die sexuelle Objektifizierung zur Misshandlung zwei Facetten des gleichen Problems sind, dass die Logik der beiden darin liegt eine Person in ein sexuelles Ding zu verwandeln. Miss America ist das Vorspiel, und verwandelt eine Frau in ein Spielzeug. Snuff ist der Konsum, und verwandelt eine Frau in einen Leichnam. …

Warum haben wir all das getan? Ich denke, weil wir eine Bewegung waren, die Frauen wertgeschätzt hat. Frauen waren von Bedeutung. Wir waren nicht defensiv. Wenn Frauen verletzt wurden, hat diese Bewegung sie verteidigt. Individuell und in Gruppen, sie organisierte Frauenhäuser und Gruppen von und für alle Frauen, verprügelte Frauen, Überlebende sexueller Gewalt im Elternhaus, Prostituierte. Wir haben das nicht gemacht, weil wir der Meinung waren, dass diese Frauen „schlecht“ sind in den Augen der Gesellschaft oder weil sie geächtet oder gemieden wurden. Wir taten das, weil alles was ihnen angetan wurde, ein systematischer Akt der Gewalt gegen jede von uns war, auch wenn sie diejenigen waren, die die Hauptlast trugen. Das war keine sentimentale Identifikation. Wir wussten, dass was auch immer man ihnen antat, könnte, würde und wurde uns angetan. Wir waren sie. … Jede Frau war alle Frauen auf eine gewisse Weise. …

Alles was ich weiß, habe ich in dieser Bewegung gelernt. …

Dann passierte etwas. … Unter der Vorstellung von Geschlechtergleichheit, bekamen wir die Wahl gleich zu sein wie Männer – die linke Wahl – oder anders zu sein als Männer – die rechte Wahl. Uns wurde gesagt, die linke Wahl sei die eindeutig bessere und der einzige Weg zu echter Gleichheit. Also wurde so genannte Geschlechterneutralität – die ignoriert was Frauen angetan wird und von wem – zur feministischen Position. …

Es gab die Debatte über Sadomasochismus. Wenn man es vorher noch nicht verstanden hatte, dann war es schwer an dieser Stelle den Zusammenbruch der Frauenbewegung zu übersehen. Ich möchte an dieser Stelle die Möglichkeit betonen in Diskussionen über Sexualität, inklusive sexueller Gewalt, „wir“ zu sagen, und diesem Wort eine Bedeutung zu verleihen. … Frauen haben die Politik des Sadomasochismus mehrheitlich abgelehnt. Aber das Überbleibsel ihrer Verteidigung war dennoch extrem zerstörerisch. In Diskussionen über Sexualität sagen Frauen nicht mehr „Frauen“, sondern eher „um für mich zu sprechen, ich…“ Die Debatte über Sadomasochismus tabuisierte „Frauen, wir“ im Bereich der Sexualität. Es begann in einem moralischen Sumpf und hinterließ uns, politisch gesehen, mit einer individualistischen Analyse von Sexualität, die unsere Kollektivität unterminierte, die niemals auf Konformität basiert hatte, sondern auf Widerstand.

Alles, was manchen von uns aufgefallen war, explodierte in der Diskussion um Pornographie. Wie viele von euch wissen, haben Andrea Dworkin und ich ein Gesetz entworfen … ein Gesetz, das besagt, dass die sexuelle Unterordnung von Frauen in Bildern und Worten, dieser sexuelle Handel mit Frauen, die zivilen Rechte der Frauen verletzt. … Wir wollten die Normen verändern. Und um die Normen zu verändern, haben wir uns einen verletzlichen Punkt im System ausgeguckt. … Es hat niemanden überrascht, vor allem uns nicht, dass das Gesetz von vielen Menschen abgelehnt wurde. Es wurde abgelehnt von den Konservativen, die feststellten, dass sie Geschlechtergleichheit noch viel weniger mochten als sie Pornographie nicht mochten. Es wurde von den Liberalen abgelehnt, die entdeckten, dass sie Meinungsäußerung – zum Beispiel Sex, zum Beispiel die Benutzung von Frauen – weitaus mehr mochten als Geschlechtergleichheit. Und dann gab es die Opposition aus einer Ecke, die sich feministisch nannte: von FACT, der Feminist Anti-Censorship Task Force. An diesem Punkt kam die Frauenbewegung, die ich kannte, zu einem Ende.

In einem Akt außerordentlich horizontaler Feindseligkeit, reichte FACT ein Papier an das Gericht ein, als Teil einer medienbasierten legalen Attacke gegen den Gesetzentwurf. Sie taten was immer sie konnten um es zu verhindern, um dieses Gesetz – welches in Frauenblut geschrieben wurde, in Frauentränen, in den Erfahrungen von Frauen, aus dem Schweigen von Frauen heraus – den Frauen zu entreißen. Ein Gesetz welches Taten gegen Frauen justitiabel machen würde – Taten wie Zwang, Gewalt, Nötigung, Menschenhandel in unser Fleisch. Pornographie, so sagten sie, SEI Geschlechtergleichheit. Frauen sollten nur besseren Zugang dazu bekommen. …

Hier ist ein Auszug von Ellen Willis aus dem Papier: „Pornographie kann psychische Körperverletzung sein,“ – versteht ihr, Vergewaltigung, die nur in eurem Kopf passiert – „aber für Frauen, wie auch für Männer, kann diese auch eine Quelle von erotischer Lust sein.  … Eine Frau, die Pornographie genießt, ist auch dann, wenn sie eine Vergewaltigungsfantasie genießt, auf eine Art eine Rebellin.“ Gegen was rebelliert sie? Deren Antwort: „Indem sie auf einen Aspekt ihrer Sexualität besteht, der als männliche Domäne definiert ist.“ …

Gleichheit im Sinne von FACT bedeutet also gleichen Zugang von Frauen zu Pornographie. … In anderen Worten: Alle Frauen müssen weiterhin in dem bisherigen Sinne gesetzlich behandelt werden … damit dieser andere Teil der Frauenpopulation auf unser aller Kosten ihre Erotik, Befreiung oder Bildung erfahren kann. [Die Botschaft lautete ….], dass wenn wir all dies nicht als choice akzeptieren, dann sind wir es die prostituierte Frauen erniedrigen oder Frauen unterdrücken.  … Nun sollen wir also, im Namen des Feminismus, glauben, dass die Wahl fürs ökonomische Überleben von Hunderten von Männern gefickt zu werden als eine echte Wahl betrachtet werden soll. …

Und es hat funktioniert. … FACT gebührt nicht der gesamte Verdienst, denn ihre Macht kommt aus ihrer Vertretung von männlicher Vormachtstellung. Auch trifft sie nicht die alleinige Schuld. Die gebührt den Pornographen, ihren legitimen Medienkohorten und der ACLU. Aber als antifeministisches Vehikel, welches im Namen des Feminismus voranschritt, ermöglichte es FACT dem rechten Richter zu schreiben als er den Gesetzesentwurf abschmetterte: „Feministinnen sind in diesen Fall als Feindinnen auf beiden Seiten eingetreten“. Ja: Linda Marchiano, die Frau, die in den pornographischen Film Deep Throat gezwungen wurde, und Dorothy Stratten, die im Playboy war und von ihrem Zuhälter ermordet wurde, Frauenhäuser, Gemeinschaftsgruppen der ArbeiterInnenklasse sowie Gemeinschaften von Minderheiten – sie haben auf der einen Seite unterzeichnet. FACT, und eine elitäre Gruppe aus vor allem Akademikerinnen und Anwältinnen haben sich auf der anderen Seite eingeschaltet. …

Was ist der Unterschied zwischen der Frauenbewegung, die wir hatten und der, die wir heute haben, wenn sie überhaupt Bewegung genannt werden kann? Ich denke der Unterschied ist Liberalismus. Während Feminismus also die verschiedenen Wege kritisiert, in denen Frauen sozial vorbestimmt werden, als ein Versuch diese Vorbestimmung zu durchbrechen, ist der Liberalismus voluntaristisch, was bedeutet, dass er so tut als hätten wir Wahlmöglichkeiten, die wir nicht haben. Während Feminismus auf unserer materiellen Realität basiert, basiert der Liberalismus auf irgendeinem idealen Gebiet in unserem Kopf. Und während Feminismus unerbittlich politisch ist, und sich um Macht und Machtlosigkeit dreht, können wir dieser neuen Bewegung bestenfalls eine verwässerte Version eines Moralismus entnehmen: Dies ist gut, jenes ist schlecht, keinerlei Analyse von Macht oder Machtlosigkeiten. In anderen Worten werden Mitglieder von Gruppen, wie Frauen, die keinerlei Wahlmöglichkeit haben außer ihr Leben als Mitglied dieser Gruppe zu leben, als einzigartige Individuen betrachtet. Ihre sozialen Charakteristika werden zu ihren natürlichen Charakteristiken reduziert. Der Ausschluss von Wahlmöglichkeiten wird zu einem Ausdruck eines freien Willens. Die materielle Realität wird zu einer Idee von der Realität. Und konkrete Positionen der Macht und Machtlosigkeit werden transformiert in bloße Werturteile, aus denen vernünftige Menschen verschiedene, aber gleich gute Präferenzen formen können. Die Gewalterfahrung einer Frau wird zu einer „Betrachtungsweise“. …

Liberalismus ist verantwortlich für die Resultate, teilweise weil ihm der Blick auf sexuelle Misogynie versperrt ist. Deshalb weil Misogynie sexuell IST. Und um deutlich zu sein, sie ist sexuell auf der Linken und sie ist sexuell auf der Rechten.  … Als Resultat ist die Sexualität, so wie sozial organisiert ist, zutiefst misogynistisch. Liberalismus ist die aktuell vorherrschende Ideologie der männlichen Dominanz … Gleichheit kann es in Bezug auf die Sexualität nicht geben, denn Sexualität geschieht im Privaten und nichts soll ins Private eingreifen, egal wie ungleich es ist. Und Gleichheit kann nicht wichtiger sein als Meinungsäußerung, da sexueller Ausdruck Sex ist und ungleicher Sex etwas ist, das Männer äußern wollen.

3 Kommentare

  1. Männlich links

    Sehr guter Beitrag, der viele Probleme auf den Punkt bringt, insbesondere jenes von Differenz/Individualismus und Universalismus/Gleichheit, das vom akademischen, nichtökonomischen (Neo-)Liberalismus ziemlich einfältig in Begriffe wie Chancengleichheit, Wahlfreiheit, Selbstentfaltung oder Akzeptanz aufgelöst wird.
    Etwas irritierend fand ich allerdings, dass die Rede schon vor 30 Jahren gehalten wurde. Bei Teilen der jüngeren Generation hat es offenbar einen cool, popkulturell, netzaffin und libertär camouflierten backlash gegeben. Dass man sich in unterschiedlichen linken Kontexten jahrzehntelang im Kreise dreht und vor allem über Nebenwidersprüche heftig diskutiert, empfinde ich mittlerweile als arg frustrierend.

  2. So aktuell, als wäre die Rede heute und nicht vor 30 Jahren gehalten worden. Den Feminismus, der hier totgeglaubt wurde, gibt es noch, wie frau auch am Beispiel dieser Seite hier sehen kann, doch der Ansturm der Libertinage ist heftiger als je zuvor. Wichtig ist, dass wir diesen erkennen und frühzeitig begegnen, wie es u.a. TdF jüngst tat. Fatal ist jedoch, dass er den Medien wesentlich besser gefällt und sie ihn als Feminismus promoten. Hier müssen wir lauthals gegen halten.

  3. Ach ja, damals als die Welt noch in Ordnung war …….und nicht alles umgedreht und bis zur Unkenntlichkeit verschwurbelt wurde und aus Opfern plötzlich TäterInnen wurden und „Opfer“ als Schimpfwort benutzt; und aus Feministinnen Feminazis; und Prostitution als Sex-Arbeit deklariert und mit empowerment gleichgesetzt; Vergewaltigung als Sex; und Pornos als Sexbefreiung gefeiert wird.
    Mit andern Worten, als die Welt und die Sprache noch irgendwie Sinn ergaben. Wie lange ist das jetzt her? 20 Jahre? 30? 40?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert