Betroffenen von sexueller Gewalt zuzuhören bedeutet, die eigene Enttäuschung, das eigene Ego für einen Moment hinten anzustellen
“There must be those among whom we can sit down and weep and still be counted as warriors.”Adrienne Rich
In den letzten Jahren beobachte ich zunehmend ein Phänomen, das sich grob gesagt als „Entsolidarisierung unter Frauen“ bezeichnen lässt (und es ist sicher kein neues). Wir haben darüber an mehreren Stellen geschrieben und ich möchte heute ebenfalls noch einmal etwas dazu beisteuern:
Vor einiger Zeit, es war die Zeit, in der Thomas Fischer, seines Zeichens Bundesrichter am BGH seine ersten misogynen Ergüsse in der eigens für ihn eingerichteten Kolumne auf ZEIT Online zum Besten gab, entbrannten hier und da Diskussionen zum Sexualstrafrecht. Diese Diskussionen verfolgten unterschiedliche Muster, von denen ich eins hier näher beleuchten möchte.
In diesen Debatten meldeten sich häufig Betroffene zu Wort und häufig Menschen, die fachlich/beruflich mit der Thematik zu tun haben. Das können PsychotherapeutInnen, ÄrztInnen, KriminalbeamtInnen, JuristInnen, etc. sein. Beide „Seiten“, wenn man von solchen sprechen kann, diskutier(t)en stets engagiert, mit Herzblut, jede aus ihrem Blickwinkel. Mit einem von mir häufig beobachteten Unterschied:
Während die „fachliche Seite“ sukzessive die Diskussionen dominiert, wird es um die Betroffenenseite genauso suḱzessive still. Die fachliche Seite wird als die sachlich-richtige, weil emotions-freie, politisch-korrekte, die mit „Ahnung“ gehandelt, die Betroffenenseite in vielen dieser Diskussionen zum Individualschauplatz erklärt, zu über-emotional, nicht sachlich genug. Der Betroffenenheitsperspektive wird – ob gewollt oder nicht, ob bewusst oder unbewusst – jegliche fachliche Expertise abgesprochen und entzogen. Vergessen wird dabei, dass Betroffene von sexueller Gewalt in ihrer Sache die Expertinnen Nr. 1 sind, die psychischen Folgen, das Äußern von Fragilität, von Ohnmacht, von posttraumatischen Störungen entzieht ihnen jedoch – ob gewollt oder nicht, ob bewusst oder unbewusst – ihr Recht auf eine „sachliche“, „rationale“ Meinung.
Wir sollten uns bei solchen Dynamiken vergegenwärtigen, dass das eine urpatriarchale Strategie ist, die sich in Frauen-Geschichte immer wieder findet. Nehmen wir als ein Beispiel die „Hysterie“, ein Zwangsdiagnostikum, dass das Ziel hatte, die (Gewalt-)Erfahrungen von Frauen für nichtig und phantasiert zu erklären. Kurzum: ihnen nicht zu glauben, ihrem Leid keine Relevanz zuzusprechen – belangloses Leid eben.
Diese Dynamiken erinneren mich aber generell an Herrschaftsdiskurse: Es erinnert mich daran, wer wo sprechen darf und gehört wird, wem zugehört, wem geglaubt, wessen Aussagen Bedeutung und Bedeutsamkeit beigemessen wird und welchen nicht. Es ist ein Teil feministischer Wissenschaftskritik, die wir als Feministinnen ernst nehmen sollten. Und ich meine das in diesem Kontext dem wissenschaftlichen Apparat enthoben. Ich meine das bezogen darauf, was uns Betroffene zum Thema Vergewaltigung, Sexualstrafrecht, Strafverfahren, Anzeigeverfahren, Retraumatisierungen zu sagen haben. Und ich denke, es ist an der Zeit, dass alle in diesen (beruflichen) Kontexten engagierte parteiliche „Fachleute“ mal für eine Weile ihren eigenen Egoismus zurückstellen. Eine Betroffenenheitsperspektive, die vom eigenen „fachlichen“ Erfahrungswert“ abweicht, ist eine, die wir ernst nehmen sollten, und nicht als Geringschätzung des eigenen Engagements interpretieren sollten, denn sie repräsentiert in aller Regal den grässlichen Ist-Zustand im Patriarchat (und damit in Institutionen).
Vereinzelt engagierte TherapeutInnen, KriminalbeamtInnen, RichterInnen, etc. fegen weder eine gesamtgesellschaftliche Analyse, noch ihren Status Quo vom Tisch. Das funktioniert nicht. Und so funktioniert auch radikal-feministische Analyse nicht.
Apropros zuhören: Ja, ich meine das wörtlich, wir sollten endlich mal wieder damit beginnen, Betroffenen zuzuhören. Betroffene, die sich in öffentlichen Diskussionen „outen“, bringen unfassbaren Mut auf und stellen ihre Verletzlichkeit bloß. Zuhören bedeutet auch zu signalisieren, ich habe dich gehört und ich nehme dich ernst. Wir müssen nicht in allen Punkten übereinstimmen, aber ich nehme dich und deine Erfahrungen ernst. Zuhören bedeutet nicht, sich in Interpretationen zu verlieren oder diese Betroffenen überzustülpen – wie gesagt, diese Frauen kennen sich und ihre Geschichte sehr genau.
Unser hiesiges (Justiz-)System ist weder „neutral“, noch ein für Frauen verlässlicher Partner in Zeiten, in denen ihre körperliche und psychische Integrität maßlos verletzt wurde. Das sollten wir 1. ernst nehmen und 2. anerkennen. Es ist vollkommen unerheblich, dass es vereinzelt „gut läuft“, das vereinzelt „nette Beamten“ bei der Vernehmung sind; es ist löblich, dass es so ist, natürlich, aber es ändert nichts am gesamtgesellschaftlichen Zustand und in diesem ist Rape Culture real existent, verbreitet und die Gesellschaft und damit auch Institutionen durchzogen.
Und mal gemessen an einem aktuellen Beispiel: Warum suchen sich Feministinnen eine feministische Plattform, um einen Vergewaltigungsfall auf seine Ungereimtheiten auszuschlachten? Warum? Es mag vielleicht illusorisch oder naiv klingen, aber ich glaube an Werte, die dem Feminismus inhärent sind oder sein sollten: Parteilichkeit, Solidarität, an der Seite stehen, der Schwester sagen: „Ich bin bei dir, ich glaube dir.“ Ehrlich gesagt, nehmen wir den Fall Frau Lohfink: Mich interessieren irgendwelche (vermeintlichen) Ungereimtheiten nicht. Es interessiert mich schon deshalb nicht, weil dem Gros der Vergewaltgungsopfer in dieser Gesellschaft ohnehin nicht geglaubt wird. Es interessiert mich noch einmal mehr nicht, weil im Fall Lohfink sowohl die Staatsanwältin als auch Richterin in ihrer Argumentationsweise Rape Culture deluxe präsentiert, unterfüttert, bekräftigt, bestätigt haben. Die eine schießt noch über das Ziel hinaus: „Ein Hohn für echte Vergewaltigungsopfer.“ Hat sich mal jemand diesen Satz auf der Zunge zergehen lassen?
Vor langer Zeit schrieb eine Gastautorin bei uns einen Artikel, in dem sie darüber sprach, dass sie es für vermessen hält, wenn TherapeutInnen behaupten, dass sich Traumata „auflösen“ ließen. Es war spannend und erschreckend zugleich, was sich binnen Sekunden im korrespondierenden Facebook-Thread abspielte: Therapeutinnen meldeten sich zu Wort, attestierten der Gastautorin „zu sehr in der Opferhaltung gefangen zu sein“, „sich gehen zu lassen“, sie attestierten ihr, nicht genug an sich zu arbeiten. Was diese TherapeutInnen nicht taten und getan hatten: ihr zuhören. Ihre Stimme, ihre Betroffenheitsperspektive rückte binnen kurzer Zeit zugunsten derer, die sich in ihrer fachlichen Expertise nicht ausreichend gewürdigt sahen, in den Hintergrund. Sie spielte keine Rolle mehr. Ihre Stimme nicht, ihre Geschichte nicht, sie selbst. Bis wir als Redaktion entsprechend intervenierten.
Vielleicht sollten wir alle mal wieder damit anfangen, in Diskussionen mehr Awareness auf dem Schirm zu haben. Unsere eigene Haltung, unsere eigenen Muster reflektieren. Beobachtend dabei sein, damit wir bemerken, wenn z. B. Opfer sexueller Gewalt in Diskussionen unsichtbar werden, zum Schweigen gebracht werden oder gänzlich verschwinden, sich entziehen: der Gewalt entziehen. Wir als Feministinnen sollten solidarisch an der Seite der betroffenen Frauen sein. Und manchmal genügt auch ein Stückchen Selbstreflexion oder ein Satz:
„Es geht hier gerade nicht (primär) um mich, ich stelle meine eigene (durchaus nachvollziehbare) narzisstische Enttäuschung zurück. Ich höre dir zu, ich höre, was du zu sagen hast, ich stehe an deiner Seite.“
Genau! Es wird ständig geschwafelt und besser gewusst, von Richterinnen, TherapeutInnen und selbsternannten Expertinnen.
KeineR nimmt sich die Zeit oder die Geduld einfach mal anwesend zu sein, sich zurückzunehmen und zuzuhören.
Sofort (Wie der Teufel aus der Schachtel) kommen Antworten und eigene Meinungen, ohne einmal zuzuhören.
Z-U-H-O-E-R-E-N ! Empathisch! Raum geben! Zeit geben! Das ist alles vergessen gegangen in unserer hektischen Zeit. Ach, es könnten ja schmerzliche Gefühle aufbrechen, ….schnell, schnell mit der Schnellschussmeinung Deckel drauf. Denn: Was nicht sein darf ist einfach nicht. die richterliche (und männliche) Gefühllosigkeit macht Schule und wird zur Norm, in dieser
„Ego-Experten- und Selfie-Zeit! “ Und wieder verstummen die Betroffenen. Zu dem Leid also auch noch die Schande! Vor allem bei sexueller Gewalt ist dies ja leider uralt! Ich glaube es hat schon bei Adam und Eva angefangen. Dort, wo Adam meinte, also ich wars nicht, SIE, die Eva wars, sie hat mich verführt, wollte es, hat provoziert, hat solange gemacht, bis ich nachgegeben habe, etc. etc.
Vorurteile und Frauenfeindlichkeit haben heute halt wieder einmal Konjunktur.
Es gibt aber auch Betroffene, die gleichzeitig Therapeutin sind (mich zum Beispiel). Ich gebe der Autorin völlig recht, bin oft selbst genervt von den Haltungen meiner Therapeuten-KollegInnen. Allerdings nervt mich auch, wie sehr Betroffene die Psycho-Sprache übernehmen, wie sehr sie über Trauma, dem verletzten inneren Kind und PTBS reden anstatt von Gerechtigkeit, Patriarchat und Feminismus. Andererseits ist das natürlich verständlich, da es die am meisten öffentlich akzeptierte Art zu sein scheint, über diese Dinge zu sprechen. Zu dem Thema gibt es übrigens tolle wissenschaftliche Artikel aus dem Bereich kritische & feministische Psychologie, z. B. Celia Kitzinger, Nicola Gavey..
Ich habe zuvor einen Kommentar geschrieben, der irgendwie verschwunden ist. Vielleicht galt er als Themaverfehlung, da ich über eigene Erfahrungen gesprochen habe, wo ich selbst Fehler im Umgang mit Betroffenen gemacht habe und dabei vermutlich eher ratlos und voller Bedauern, als „narzisstisch“ rüberkam.
Ein Wort zur Verwendung des Wortes „Narzissmus“ in dem Text: Narzissmus bedeutet nicht einfach nur „selbstbezogen“. Es bedeutet, dass ein Mensch eine große Lücke in seinem eigenen Selbstwertgefühl mit äußerem Glanz auffüllen muss und aggressiv und wütend auf alles reagiert, was ihm dieses verwert. Wer den Begriff gut kennt, dürfte bei einer solchen Interpretation wie leicht zumachen. Der Endsatz ohne dieses Wort hingegen (ich denke es mir einfach weg), ist sehr richtig und dürfte seine Wirkung nicht verfehlen.
Ich habe diesen Text mehrfach gelesen und es gibt etwas daran, bei dem ich zunächst nicht sagen konnte, was es ist, was für mich persönlch nicht wirklich stimmig ist. Je mehr ich ihn las, desto mehr fiel es mir auf.
Im Zentrum dieses Gedankens steht die Frage: Wie würde eine Betroffene, die sehr stark von ihrem Trauma betroffen ist, als Richterin in Vergewaltigungsfällen agieren? Wie würde eine Betroffene, die ihre zutiefst berechtigte Wut über das Betroffene noch nicht auf ein Maß reduzieren konnte, mit dem sie persönlich stärker wieder in Frieden mit sich und der Welt (so schwer das ist), leben kann, als Therapeutin agieren? Möglicherweise täusche ich mich, aber ich habe das Gefühl, dass es gerade Rechts-Expert*innen (und ich rede hier nicht von Fischer-A*****, den ich sowas von gefressen habe) ebenfalls ungeheuer schwer fällt, zugleich eine tiefe Einfühlung zu zeigen und dann noch einigermaßen fair zu prüfen, was in dem Fall wirklich geschehen ist. Dass dabei unfassbar viel schief läuft und unser Rechtssystem zutiefst patriarchal ist, streite ich kein bisschen ab. Es ist ein Fakt. Es muss hin, zu mehr Schutz von Frauen finden. Ein kleiner Schritt dahin ist inzwischen zum Glück getan. Nun muss nur noch das Personal in diese Aufgabe hineinwachsen, was dauern kann.
Was ich überhaupt nicht nachvollziehen kann, sind die oben geschilderten Sprüche von einer Therapeutin. Ich selbst mache diesen Job und das, was da oben steht, hat nichts damit zu tun, was frau lernt, wenn sie wirklich traumatherapeutisch weitergebildet ist. Es ist so ziemlich genau das Gegenteil davon. Niemand hat Betroffene, die schwer traumatisiert sind, je ernst genommen. Fast jeder in ihrer Umgebung, Ärzte, Rechtspersonal, etc. hat sich abgeschottet und die Frauen alleine gelassen. Dieses Isolationsgefühl ist für viele das Schlimmste, was ihnen nach einem Gewaltakt passieren kann. Der Gewaltakt an sich, trennt sie von dieser Welt. Sie verlieren Urvertrauen, wenn sie überhaupt zuvor das Glück hatten, nicht bereits eine Traumahistorie zu haben, und dieses Urvertrauen bereits sehr früh verloren zu haben. Dann ist es besonders schlimm. Aufgabe der Therapeutin ist in erster Linie, diese Isolation, dieses Sich-Abgeschnitten und Alleingelassen-Fühlen so gut es geht durch das eigene Verhalten zu trösten und wenn es gelingt, ein neues Verbundenheitsgefühl und neues Vertrauen zu wecken. Dazu wird hundertprozentige Parteilichkeit und Sicherheit benötigt. Auch, wenn dieses 100% nur sehr schwer herstellbar ist, so muss es doch immer der Stern sein, dem in der Therapie gefolgt wird. Denn viele entspannen sich bereits ein wenig, wenn sie wenigstens ein gewisses Vertrauen aufbauen können. Es ist also kaum in Worte zu fassen, wie gegenteilig das oben geschilderte Verhalten ist und wie kontraproduktiv.
Ich weiß, wovon ich rede, da ich selbst noch heute mit Folgen von schweren Kindheitstraumata kämpfe (Vernachlässigung, schwere Gewalt in der Familie, psychische Misshandlung, etc.). Ich weiß, was es bedeutet, wenn sich niemand darum kümmert, wenn jeder wegschaut, weil alle sich überfordert fühlen und nicht wissen, was sie tun sollen (Schule, Kindergarten, Nachbarschaft, etc.).
Ich weiß auch, dass es Phasen gab, in denen ich die ganze Welt angeklagt habe. Ich war ungereccht und verletzend und rechtfertigte alles mit meinem Trauma. Ich (miss-)interpretierte – da ich so daran gewöhnt war – alle Reaktionen, die nicht unmittelbar tiefe Einfühlung zeigten, als Desinteresse, Abwehr, Ignoranz.
Es gibt wie immer zwei oder mehr Seiten. Ja, wir alle sollten zuhören lernen, insbesondere von Trauma Betroffenen. Still versuchen zu _erfühlen_, was sich in ihrem Leben abgespielt hat. Die Szenen, die sie schildern, an sich heranlassen. Die Angst und Hilflosigkeit, Wut und Ohnmacht, die wir dann fühlen, sind jene, die wir nachfühlen, bzw. selbst in der Situation fühlen würden. Wir müssen also _bereit_ sein, das zu fühlen. Ich selbst helfe mir in diesen Momenten damit, dass es auch bei mir weiterging und, dass es leichter werden kann. Es geht nie ganz weg, aber es kann leichter werden. Ich erinnere mich daran, dass ich die Wahl habe das zu fühlen und diese Frauen nicht. Dass meine Anwesenheit und mein Mitfühlen Verantwortungsübernahme für das Hier und Jetzt widerspiegelt.
Die andere Seite ist: Manchmal ist es hart. Manchmal schlagen Betroffene wie wild um sich, weil ein Trigger ihnen suggeriert, man sei ihr Feind. Irgendetwas, ein Blick, eine Geste, ein Wort verursachte wieder das Gefühl, dass andere sich einen feuchten Kehricht um sie scheren und, dass sie nie jemandem vertrauen können, dass niemand sie ernst nimmt.
Wir alle müssen Verantwortung übernehmen. Nicht für die Vergangenheit, wo wir Opfer wurden und Opfer werden, ist nichts, wofür man sich schämen müsste. Es ist eine urmenschliche Erfahrung von Beginn an. Wir müssen Verantwortung für das Jetzt übernehmen. Für das, wie wir uns heute gegenüber anderen verhalten, auch wenn wir traumatisiert sind. Mir persönlich, gelingt das mal besser, mal nicht so gut. Auch das, ist okay. Wichtig ist nur, sich zu erinnern: Nicht immer deckt das, was man sieht – zum Beispiel Gleichgültigkeit oder „Narzissmus“ – tatsächlich die „Realität“ ab. Die des Gegenübers.
Ich kann nur sagen, dass ich mich als unfähig sehen würde, jemals einen fairen Prozess gegenüber einem Angeklagten zu leiten, der eine Frau misshandelt oder vergewaltigt hat. Oder überhaupt jemandem Gewalt zugefügt hat (Notwehr natürlich ausgenommen). Ich ärgere mich über all die Verfahren, die sicherstellen sollen, dass kein Unschuldiger verurteilt wird. All die Fragen, all das Prozedere, bei dem ich zugebe, nicht beurteilen zu können, was davon notwendig wäre und was reine patriarchale Schikane ist. Ich habe große Achtung vor Richtern und Richterinnen, die es schaffen, hier eine Balance herzustellen, zwischen ihrer Pflicht die Tatsachen herauszufinden und ihrem Mitgefühl für die Opfer. Ich glaube, dass das eine gereifte Persönlichkeit erfordert, die mit sich selbst im Reinen ist. Diese Persönlichkeiten sind nicht gerade überall anzutreffen, um es mal vorsichtig auszudrücken. Der Rest hadert entweder mit seiner Rolle oder mit seiner eigenen Abwehr gegen die unfassbare Wut, Verzweiflung und Ohnmacht, die man fühlt, wenn man mitfühlt. Reife würde bedeuten, sich darauf einlassen zu können ohne seine Aufgabe aus den Augen zu verlieren, um diese dann mit viel Fingerspitzengefühl und Sorgfalt zu erfüllen.
Das sind die verschiedenen Seiten, die ich bei all dem sehe und, wie gesagt, ein Fischer ist in diese „nachsichtige“ Analyse bezüglich der „Expertinnen“ sicherlich nicht einbezogen. Ebenso wenig eine Richterin, die Gina Lisas Fall als „Hohn für echte Vergewaltigungsopfer“ tituliert. Diese Leute haben eindeutig ein Problem. Mit sich selbst. Unter dem die Opfer in retraumatisierender Weise zu leiden haben.
Lösungen für diese Probleme, wurden oft vorgeschlagen: Traumasensible Fortbildungen für Jurist*innen, Polizist*innen, medizinische Fachkräfte und andere „Expert*innen“ als Pflicht, bereits während der Grundausbildung. Auf der anderen Seite therapeutische Begleitung von speziell dafür fortgebildeten Psychotherapeut*innen in jedem Prozess, inklusive deren Anwesenheit an allen Verhandlungstagen. Ich wünsche mir sogar, dass vor jeder Verhandlung Beratungen mit traumasensiblen Fachkräften stattfinden müssen, die die Prozessplanung mitgestalten. Eventuell ließe sich so ein wenig der Gefahr für Retraumatisierungen, die von solchen Prozessen ausgeht, mildern.
Ich denke, die meisten haben noch immer nicht verstanden, was Trauma bedeutet. Es ist eine urmenschliche Erfahrung. Eine Archetypische. So, wie das Sterben. Ein Teil dessen, was zuvor diesen Mensch ausmachte, ist während der Traumatisierung gestorben. Ein neuer Teil muss dafür wachsen. Es wird nicht Derselbe sein. Gemeinsam haben sie nur, dass das Leben wieder Freude macht und, dass die Taubheit nachlässt und, dass wenn man Angst und Trauer fühlt, einen das nicht mehr überfluten muss. Jede Störung und jede Missachtung auf diesem Weg, verlängert ihn. Letztlich kommt es auf das „Nicht-Aufgeben“ an, ob langfristig dennoch alles wieder besser wird. Dieses „Nicht-Aufgeben“ ist vielen Traumabetroffenen gemein. Sie sind verletzliche Kämpfer*innen, die früher oder später wieder Vertrauen in ihre eigene Kraft gewinnen, die sie bereits die ganze Zeit in sich spüren, denn sie haben überlebt. Auch das, ist eine ganz besonders urmenschliche Erfahrung: Dass mitten im Unglück bereits der Keim der Erlösung davon verborgen liegt.
Und nun hoffe ich, dass dieser Text nicht wieder „verschwindet“.
Liebe Susa,
narzisstische Enttäuschung/Kränkung und pathologischer Narzissmus sind nicht Dasselbe.
Insofern kann ich deinen Abwehrreflex da nicht so ganz verstehen.
Lieben Gruß
Anna
Liebe Anna,
ja, ich hab mir später auch gedacht, dass das vielleicht nicht ganz verständlich ist und als Abwehr, bzw. eigene Betroffenheit, interpretiert wird. Eigene Betroffenheit ist dabei allerdings im Grunde banal, da alles worauf man reagiert auf eine eigene emotionale Reaktion zurückzuführen ist. Dennoch schien es mir nach einem erneuten Durchlesen, dass die Form möglicherweise nicht ganz verstanden werden kann, da etwas fehlt: Es ist die Erfahrung, dass Menschen, die schwere Traumatisierungen erfahren mussten, dies häufig von narzisstisch gestörten Persönlichkeiten erfahren haben. Menschen, die vollkommen unkontrolliert reagieren können, wenn sie eine Kränkung erfahren (selbst wenn diese nur in ihrem Kopf exisitert). Narzissmus für jegliche Art von Verletzung wird bei vielen eine Art „Standarderklärung“ gegenüber anderen Menschen. Dies führt dazu, dass diese Menschen auf irgendeiner Ebene quasi mit dem Täter „verschmelzen“. Irgendwie ist dann jeder narzisstisch und Narzissmus an sich, ist durchaus etwas sehr Gefährliches. Etwas, das Mitgefühl für andere massiv einschränkt, teilweise gar verunmöglichst.
Die „narzisstische Kränkung“, falls du das meinst, was ich darunter kenne, ist eine relativ radikale Theorie, die auf Freud zurückgeht, wonach jegliches Bedürfnis nach Liebe und Anerkennung von außen, eine Art „Unreife“ ausdrückt. Das kindliche Bedürfnis, von außen etwas zu „bekommen“ regiert dann den Erwachsenen. Auch, wenn der Grundgedankte manches Extrem an äußerer Abhängigkeit gut abdeckt, so leugnete Freud hier doch in gewisser Weise die soziale Bezogenheit, die „normalen“ Bedürfnisse von Menschen, auch wenn sie „erwachsen“ sind.
Grundsätzlich wird aber „narzisstisch“ und „Narzissmus“ in unserem Sprachgebraucht abwertend verwendet. Es wertet andere, bzw. deren Bedürfnisse, die man damit tituliert, ab. Dem muss man sich stellen, wenn man diesen Begriff verwendet. Man werfe nur einen Blick in die Medien und suche nach diesem Begriff.
Ganz gleich, wie es also gedreht und gewendet wird: Die Verwendung ist gut dazu geeignet, eine Botschaft, die eigentlich etwas verbessern und Menschen erreichen soll, dazu zu bringen, sich dieser Botschaft zu verschließen. Ich habs, wie gesagt, einfach ausgeblendet und den Satz ohne dieses Wort gelesen, um ihn aufzunehmen. Ich verstehe völlig, wenn die Wut über das Verhalten dieser Menschen so groß ist, dass diese Art von indirektem „einen Reinwürgen“ nur natürlich ist.
Es war also zweierlei: Die Erfahrung, dass „Narzissmus“ für eine nicht geringe Zahl von traumatisierten Frauen eine Art „Standarderklärung“ oder auch „Lieblingserklärung“ für alle Menschen ist, die sich nicht einfühlen wollen, oder gerade eigene Hürden im Hintergrund haben, um sich einfühlen zu können und zweitens, das Gefühl, dass der Satz niemanden erreicht, der damit gemeint sein könnte, denn eines dürfte klar sein: Narzissten werden so oder so nicht auf einen solchen Satz reagieren und die anderen machen dicht, weil sie sich in eine Schublade gesteckt fühlen, wenn sie nicht immer alles richtig gemacht haben (und das vielleicht sogar ahnen oder wissen).
Es sind Menschen. Auf beiden Seiten: Sowohl die Betroffenen, als auch „Begleiterinnen“, Staatsbedienstete, medizinisches Personal, etc. Alle diese Menschen tragen ihr Päckchen. Viele Betroffene haben durch ihre massive Demütigung, die sie erfahren mussten, insgeheim die Erwartung, dass alle alles zurückzustellen haben, weil ihr eigenes Leid objektiv das Schlimmere ist. Das mag sogar (oft) stimmen. Nichtsdestotrotz muss nicht jeder gleich abgewertet werden, der das nicht ausreichend realisiert und sich dann falsch gegenüber den Betroffenen verhält.
Lieben Gruß vergessen :),
Susanna
Liebe Susa
Dein Kommentar ist sehr fundiert und meines Erachtens nach richtig. Es gibt auch noch das Phänomen der Täterintrojektion, dh. das Opfer identifiziert sich mit dem Täter. Dies dürfte bei einigen der „Fachleuten“ im Justizapparat der Fall sein. In dieser patriarchalen Umgebung mussten „man“, resp. „frau“ jedwelche Empathie bereits sehr früh abgeben, sonst wäre man aus dem Männerzirkel gemobbt worden, mit den altbekannten Phrasen der angeblichen „Gefühlsduselei“ und der „Subjektivität“…. und was da sonst noch so an Vorurteilen gegen Frauen herumschwirrt. Leider kippen dann diese „vermännlichten“ Frauen ins andere Extrem, (oft ohne es selbst zu merken) was die sog. „Objektivität“ noch mehr verzerrt. Ich hatte mit solchen Frauen beruflich zu tun; und für mich sind sie das „reine Gift. “ Völlig emotionslose „Zombies“, die nicht wissen was sie tun! Patriarchale Frauen, die nur der Institution Justiz dienen wollen; und extrem retraumatisierend sind. Viele betroffene Frauen haben nach einem Gerichtsprozess berichtet, dass diese Arroganz der Ignoranz noch schlimmer war, als die Vergewaltigung selbst.
Auf diese arrogante Ignoranz dieser Frauen stützt sich das Patriarchat auch ab. Schrecklich! Aber auch Therapeutinnen sind oft unbedarft und hören einfach NIE zu, ohne bereits Etiketten zu kleben, wie „Bipolar“, psychisch labil, narzisstisch, will im Mittelpunkt stehen, Borderline, etc. etc.
Richtig und einfühlsam auf die Nöte eines Opfers zu reagieren bedeutet halt viel viel Zeit, Zuwendung, Raum, und oft eben gerade KEINE Antwort, sondern einfach nur DASEIN, Mitmenschlichkeit und Verständnis.
Schwierig, in dieser Schnellschuss- und lösungsorientierten Gesellschaft.
Mir tun all diese allein gelassenen Opfer unendlich leid. Es chronifiziert das Trauma und wird am Ende dann doch Papa Staat Geld kosten, sei es über Invalidenrente, oder Hartz 4. Gute Traumatherapeuten wissen das; und weisen seit Jahren daraufhin.
Danke, liebe Yvonne, es sind eben jene Mitfühlenden und auch mitfühlenden Kommentare, die ich in diesen Debatten zu oft und schmerzlich vermisse. <3
Danke für’s Danke, liebe Anna Hoheide ! Als „Empathin“ fühle ich mich auch oft alleingelassen in dieser Gesellschaft, wo neuerdings Gewalt gegen Frauen wieder so „IN“ ist und das Patriarchat Urstände feiert. Wo Täter/Opfer Umkehr gang und gäbe ist, und Frauen auch prollen und trollen und das noch „geil“ finden. Zynische Herzlosigkeit gegen Tiere, Kinder, Frauen und das Leben.
Liebe Susa,
ich bin keine Freundin langer postings, daher an dieser Stelle nur ein kurzes Statement von mir, da du dich ja auch auf meinen Kommentar beziehst.
Ich bin approbierte PT und kenne mich gut aus mit Traumatherapie.
Der Hauptvorwurf, den ich der klassischen Psychotherapie mache, ist dass sie „Betroffene“ (können wir hier mal ein anderes Wort für finden?) in der Regel als gebrochen auffasst und diesen Patientinnnen viel zu wenig zutraut. Das siehst du z. B. an der nur in Deutschland so exzessiv betriebenen „Stabilsierung“ vor einer Traumakonfrontation. Ich habe in Kliniken erlebt, dass als Diagnose „Zustand nach Missbrauch“ vergeben wurde. Ein Missbrauch sagt aber nichts darüber aus, wie eine Frau mit ihm umgeht, ihn verarbeitet, mit ihm lernt zu leben. Die Frauen werden reihenweise so ihrer Stärke und Souveränität beraubt. Es hat etwas Erniedrigendes und Schwächendes, von Therapeutenschaften auf erlebte sexuelle Gewalt reduziert zu werden. Ich habe das in Kliniken bei (auch meinen) Patientinnen beobachtet wie auch selbst als Patientin erfahren.
Zudem kann sich der psychische Zustand durch Therapien und Hospitalisation (Psychiatrie u. ä.) noch verschlimmern, was ich bei einer Freundin sehr nah beobachten konnte. Die Frauen sollten statt als Gebrochene („Opfer“) als Kämpfende gesehen und behandelt werden. Selbst in Beratungsstellen stieß ich auf diese frauenentmachtenden Haltungen. Sorry, wenn ich das jetzt so krass sagen muss. Aber es hängt eben auch mit der weitgehenden Entpolitisierung der meisten (Frauen)Beratungsstellen zusammen.
Liebe Alisa,
vielen Dank für den sehr wichtigen Aspekt mit der Entpolitisierung, den ich auch als sehr symptomatisch erachte und den ich vermutlich in einem Fortsetzungsartikel zu diesem hier detaillierter aufgreifen werde.
Ich habe nicht grundlos meinen Artikel mit dem Zitat von Adrienne Rich eingeleitet.
Ich kann auch deine Eindrücke bestätigen, dass Frauen mit Gewalterfahrungen in bestimmte Verhaltensmuster „gepresst“ werden, verhalten sie sich nicht konform, wie man es von ihnen erwartet, steht die TherapeutInnenschaft Kopf (ich spreche da aus persönlicher, eigener Erfahrung).
Mit meiner Forderung nach „Zuhören“ meinte ich eben genau auch das: Die Frau annehmen, in dem, wie sie ist, wie sie reagiert. Ganzheitlich zuhören wäre vielleicht ein treffenderer Begriff.
Es ist aber schon die ganze Lehre rund um Trauma/PTBS derart entpolitisiert (und männer-dominiert), dass es mich schlicht zum Verzweifeln bringt und ich dann froh bin, wenn ich in meinem Regal Judith Herman („Narben der Gewalt“) finde, die sich (noch) dezidiert feministisch positioniert hat in ihrem Werk. Wo findet sich das noch?
Ich kann auch verstehen, dass es dich nervt, wenn Betroffene in den „Therapeuten-Jargon“ („inneres Kind“ etc.) verfallen, aber ist das eben nicht die logische Konsequenz aus dieser Entpolitisierung? Und der konstruierten Schemata, nach denen sich Menschen nach Gewalterfahrungen zu verhalten haben? Und andererseits gibt es Menschen, denen diese Wege/Mittel weiterhelfen. Dilemma.
Vielen Dank übrigens für deinen Hinweis auf die beiden Autorinnen zur kritischen fem. Psychologie.
Ich las vor einiger Zeit den Sammelband „Störungen“ von Brenssell/Weber, sehr aufschlussreich, falls es dich interessiert/du noch nicht kennst.
Und was mir noch einfällt: Eine Therapeutin, die nicht feministisch-herrschaftskritisch positioniert ist, käme für mich niemals (mehr) in Frage. Aber finde die mal ….
BINGO !!!!
Liebe Anna,
du weißt gar nicht, wie sehr ich da auf der einen Seite bei dir bin, dass diese „Gebrochenheit“ und „Makelhaftigkeit“, die den Frauen zugeschrieben wird, ein riesen Problem ist und verkennt, dass alles in ihnen steckt, was sie brauchen und das die meisten Betroffenen letztlich auch wissen oder zumindest ahnen. Wie oben erwähnt, dient in meinen Augen vieles als Abgrenzung gegen die eigenen starken Gefühle, mit denen sie dann konfrontiert sind, wenn sie wirklich reingehen. Trauma zu fühlen ist eben nicht nur für die Betroffenen, quasi unerträglich. Kein guter Grund, sie dann deshalb damit allein zu lassen, aber… eine Art intuitive Reaktion von vielen, die das nicht reflektiert haben.
Menschen weichen schlimmen Gefühlen wenns geht irgendwie aus. Es ist furchtbar, das inmitten eigener existentieller Krisen zu erleben. Dann, wenn alles in einem danach schreit, nicht alleine zu sein.
Bei Therapeut*innen und medizinischem Fachpersonal geht man davon aus, dass sie genau dafür da sind und dafür bezahlt werden, diesem Reflex eben nicht zu folgen. Meine Beobachtung ist aber, dass sich dieser Reflex vielfach dennoch durchsetzt und, dass die wenigsten dieser Menschen je über diesen Reflex reflektiert haben und sich viele rationalisierte Wege geschaffen haben, all das nicht fühlen zu müssen. Nicht wirklich _fühlen_ zu müssen. Mit_fühlen_ statt nur „Reindenken“. Wer will schon Todesangst spüren? Freiwillig. Das eigene Stresssystem springt an. Man fühlt Angst, Wut, Kampf- oder Fluchtreflex. Ob man will oder nicht, wird der Körper mit Stresshormonen überschüttet. Wem erzähl ich das. Du weißt das ja alles, da du all das und mehr als Approbierte auch noch nach dem Studium nochmal vertieft per Curriculum wiederholt hast. (Ich bin übrigens noch nicht abbrobiert… du bist mir da also voraus. Habe nur eine zweijährige traumatherapeutische Fortbildung, die die Abbrobation nicht voraussetzte und arbeite noch meist lediglich im Team mit einem erfahrenen Trauma-PT mit Patient*innen. Manchmal inzwischen auch – noch als „Beratung“ tituliert – allein.)
Ich möchte noch ein Wort zur Entpolitisierungsdebatte sagen: Ja, so ist es. Ich muss sogar zugeben, dass genau das der Grund ist, warum ich bisher noch keine passende Therapeutin für mich selbst gefunden habe. Ich finde einfach keine, die all das auch in Herrschfts- und Gesellschaftskritik einbettet. Eine, die es SELBST mit mir zusammen aushält, dass wir hier von einer _kollektiven_ Traumaerfahrung sprechen, in der die Persönliche eingebettet ist und es so schwer ist mit den üblichen Mitteln der Traumatherapie einen neuen „Realitätsbezug“ (= „Die Gefahr ist Vergangenheit..“ blabla…) herzustellen. Es ist nicht einfach nicht wahr! Sie ist überall und sie ist REAL. Überall sind prügelnde Ehemänner und vergewaltigte Frauen. Überall bekämpfen Männer alle ihre inneren Konflikte in der Außenwelt und brauchen – aus einem tiefen Minderwertigkeitsgefühl und tiefer Angst heraus – KONTROLLE über das Angstobjekt: Die Frau. Wenns sein muss, auch gern mit Gewalt. Hauptsache, sie müssen ihre eigene Angst nicht spüren. Ihre eigenen Minderwertigkeitskomplexe. Ja, es ist das narzisstische Prinzip, das darin regiert. All das ist heute und jetzt REAL. Und dann, wollen sie einem erzählen: Die Gefahr ist vorbei. Unsinn!
Das zu glauben, würde bedeuten zu erblinden.
Die Konzentration auf das Innere wirkt also zurecht, wie eine Entpolitisierung und ist es auch. Es wirkt, wie ein Teil des Systems, das davon ablenken soll, was _eigentlich_ das Problem ist. Die Frauen sollen lernen mit Trauma klarzukommen, damit das System so bleiben kann und die Herrschaft der Herrschenden nicht in Frage gestellt werden muss.
Zugleich ist mir selbst nach langer Zeit der rasenden Wut auf dieses _System_ etwas bei mir persönlich etwas aufgefallen: Auch ich, will nicht in mich hineinfühlen. Das tun, was ich anhand dieses Hineinfühlens für mich verbessern kann. Jedesmal, wenn ich das tat, überflutete mich die Verzweiflung darüber, wie ich es schaffen soll, in einem gefährlichen System innere Sicherheit zu finden. Ich weigerte mich hinzuschauen, wo ICH etwas für mich tun kann. Und auch, wo ICH die Dinge für mich verschlimmere. Immer, wenn ich Traumatrigger und -Inhalte spürte, wandte ich mich der kollektiven und politischen Seite zu. Vor mir selbst rechtfertigte ich das mit einem Konstrukt der Verantwortungsübernahme für alle, die auch davon betroffen sind. Sie eben nicht – wie die anderen Frauen – damit allein lassen, sondern hinschauen, auch wenns wehtut und mich an unerträgliche Gefühle erinnert: Sich AUSSETZEN, um andere nicht allein zu lassen. Ich drehte mich über Jahre hinweg um die in meinen Augen härtesten Themen, die es hier gibt. Das wo das Monster am Perfidesten zum Vorschein kommt: Prostitution, Pornografie, sexuellem Missbrauch als „Vorbereitung“ für diesen Job und das irre System, das darauf aufbaut, die Frauen zu „brechen“, das Sexualstrafrecht, etc. Ich sah überall das, was auch mein Leben gefühlt „zerstört“ hatte: Die männlich-hegemoniale Gewaltherrschaft, die heute wie damals unter einem dünnen Firnis der Zivilisation mit vielen Lügen und Täuschungsmanövern, Rationalisierungen und moralischen Rechtfertigungen getarnt werden soll, damit sie auch ja niemand so auseinandernimmt, wie es ihr gebühren würde. Und alle schauen weg und dulden es. Beziehungsweise sind so daran gewöhnt, dass sie es gar nicht mehr sehen können, dass da was stimmt. Die Normalisierung der Gewalt ist das beste Versteck, das mann schaffen kann.
Und, dann sollen sich mal alle Frauen um ihr „Inneres Kind“ kümmern. Das heißt: „Ist es zu stark für dich, bist DU nur zu schwach!“ Nicht müde werden zu erinnern: Ja, aber es bekommen ja nicht alle eine PTBS, die vergewaltigt wurden. Das hat eben auch was mit „Vulnerabilität“ zu tun, also um das Kind beim Namen zu nennen: Schwäche!
Patriarchat wohin das Auge reicht. All das, half mir wundervoll mich nicht mit dem auseinandersetzen zu müssen, was mir am allermeisten Angst machte: Das, was war. Das, was in _meinem_ Leben war. Dass meine Eltern Traumata transgenerational weitertrugen. Auch der Täter: Eine massive Persönlichkeitsveränderung seit einem Vorfall in seiner Jugend. Meine Mutter: Misshandelt und geschlagen seit sie denken konnte. Von ebenso traumatisierten Eltern. Trauma ist m. E. der Kern dessen, was Gewalt in diese Welt bringt. Da es Menschen von jeglicher Sicherheit und damit von einem ruhigeren Stresssystem trennt. Permanente Kampf- oder Fluchtreflexe. Wer Angst vor etwas hat, wird nicht damit mitfühlen können (evolutionär sinnvoll).
Ich will nicht behaupten, dass es das „Böse“ nicht gäbe. Ich verankere das Böse in der Unfähigkeit mitzufühlen. So, wie bei Psychopathen. Die Unfähigkeit mitzufühlen kennzeichnet für mich alles, was ich Böse nennen würde. Die Fähigkeit zu Mitgefühl dagegen kennzeichnet für mich alles, was ich „menschlich“ nennen würde. Ebenso entsteht das Böse, wenn Menschen vor sich selbst und ihren eigenen tiefen existentiellen Ängsten und Nöten wegrennen und alles versuchen „im Außen“ zu lösen oder das Außen so zu manipulieren, dass diese Menschen glauben, dann vermeintlich vor diesen existentiellen Fragen geschützt zu sein.
Z.B. Riesige Wolkenkratzer bauen, weil Mann etwas tun möchte, das seine Sterblichkeit überdauert und damit die Sterblichkeit überwinden. Das, dass er gefühlt im NICHTS verschwinden wird, als hätte es ihn nie gegeben. Das, dass er dadurch gefühlt _überhaupt_ nicht von Bedeutung ist und auch gleich tot sein könnte. Warum lebt er überhaupt?
Ob wir es zugeben wollen oder nicht: Wir haben das Problem weniger, weil wir wie ein Abbild der Natur zumindest die Fähigkeit, Leben wachsen zu lassen, in uns tragen. Wir sind sozusagen dadurch „gesegnet“, dass uns das mit der „Bedeutung“ dann weniger stark beschäftigt. Zudem: Die Frau kann alles allein. Sie braucht den Mann für gar nix. Nur mal kurz seinen Samen, das wars. Und dann? Das Leben wächst von allein, in ihr. Er ist Zaungast. Sie hält irgendwie natürlicherweise die 99%. Dabei ist es ganz klar: Die Frau an sich ist zuweilen ziemlich „beschäftigt“ damit, all das zu tragen und zu erleben. Sie kann sich nicht zugleich darum kümmern, alle Gefahren für das neue Leben abzuwehren. Leben zu SCHÜTZEN ist nach dem KEIM geben, die Aufgabe des Mannes. Er ist wie dafür gebaut. Er müsste seine Größe im _Dienen_ finden. Dem Leben an sich zu dienen. Einfach ALLES, was lebt zu schützen. Nicht nur den eigenen Nachwuchs. Statdessen ist er zum Lebenszerstörer geworden.
In meinen Augen die Ursache für diese Entwicklung zum „Bösen“ ist: Das Wegrennen vor sich selbst. Dem äußeren Kampf folgen, sattt dem inneren. Ich glaube, dass diese Welt ein besserer Ort würde, wenn alle sich mehr dem inneren Kampf zuwenden würden. Ihre Verhaltensweisen würden sich auf magische Weise verändern und jeden Tag mehr Frieden und Sicherheit in diese Welt bringen, ohne dass sie explizit dafür in den _Kampf_ ziehen. Für Frieden und Sicherheit ;).
Für mich ist dadurch das Private auf einer tiefen seelischen Ebene auch das Politische geworden. Ich sehe es nicht mehr als „Weglaufen“, wenn ich mich nicht jeden Tag um Vergewaltigung, Prostitution, Pornografie und so weiter kümmere, sondern das Schöne und Lebenswerte meine Welt auch bevölkern darf: Der Genuss, die Liebe, das Vertrauen Schritt für Schritt wieder zurückholen, mit dem, was es dafür braucht, nur in meiner kleinen Welt mit ihren tiefen seelischen _eigenen_ Abgründen. Ansonsten würde ich gerne jedem Mann, der geboren wird, am Anfang bereits das Gilgamesch-Epos in die Wiege legen. Die älteste bekannte schriftliche Überlieferung der Welt trägt alles in sich, was diese Welt auch jetzt noch zerstört. Und sie trägt auch die wenig heldenhaften Lösungswege in sich. Die antiheldenhaften, sozusagen :). Wodurch, ironischerweise, genau das „Held“ im Mann geboren wird: Derjenige, der dem Leben dient. Der alle seine Fähigkeiten dieser Aufgabe unterstellt.
Ich hab ein schlechtes Gewissen, weil du lange Posts nicht magst („keine Freundin von..“) bist und ich dich wieder mit so einem langen Post anspreche. Leider ein Makel von mir, mit der Länge. Übrigens, obwohl ich grad megasehr war anderes tun müsste (typisch 😉 ). Es lag mir am Herzen. Keine Ahnung, ob es sinnvoll war, all das aufzuschreibne oder hier einfach nur zu weit geht und in deinen Augen am Thema vorbei…
Liebe Grüße
Susanna
(PS: Ich nehme das Wort „Betroffene“ übrigens genau deshalb (trotz seiner Sperrigkeit), weil es eine Zustandsbeschreibung einnimmt und kein „So-Sein“, wie beispielsweise „Opfer“, „Traumatisierte“, etc. Nutze auch ungern „Depressive“, „Borderliner“, „Narzissten“, etc. Der (systemische) Blickwinkel, der die Dinge als „Verhalten“ oder „Jetzt-Zustand“ unter gegebenen Bedingungen interpretiert, nicht als Branding oder Etikett. Aber, gerne ein anderes Wort, wenn du eins weißt.)
Susa, ich glaub, du meintest Alisa in der Ansprache, oder? 😉
Liebe Anna, ohja, du hast Recht, irgendwie habe ich das zusammengeworfen ;). Danke für den Hinweis! 🙂 Der Post dreht sich so quasi um die Diskussion, die sich hier entsponnen hat (die ich übrigens superinteressant finde) und, falls dir was dazu einfällt, freu ich mich über deine Gedanken dazu :).
Sorry, liebe Alisa… hab das grad alles vermischt und ja, ich hab auf deinen Post geantworet :).