Burkini – es ist kompliziert

Women in Islam

By Petar Milošević (Own work) [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

Wir wollen den feministischen Diskurs beleben und unterschiedliche Ansätze zur Diskussion stellen. Deshalb erscheinen bei uns regelmäßig Gastbeiträge, die nicht zwangsläufig die Haltung der oder aller Störenfriedas wiedergeben, aber wichtige Impulse für die feministische Debatte geben können.

Eigentlich wollte ich nichts zur Diskussion über den Burkini beitragen. Es wurde schon sehr viel geschrieben und viele scheinen Antworten zu haben. Ich habe keine Antwort, nicht wirklich.

Ich sehe im Patriarchat nicht wirklich die Freiheit zu tragen, was wir möchten und auch nicht das zu tun, was wir wirklich möchten, nicht wirklich und nirgendwo.

Es gibt auch nicht „die Burkini-Trägerin“: damit fängt das Problem an und wird kompliziert.

Die Entscheidungen einen Burkini zu tragen sind so vielfältig wie Frauen unterschiedlich sind. Eine europäische Burkini-Trägerin hat andere Beweggründe als eine Frau in einem islamischen Land, und auch islamische Länder sind völlig unterschiedlich kulturell geprägt.

Ich kann nur über Algerien wirklich sprechen, aber einige Aspekte sind übertragbar.

Und da die Burkini-Diskussion besonders Frankreich betrifft und hier angefangen hat, ist es unabdingbar über Algerien zu sprechen. Es geht gar nicht anders.

Wir müssen deshalb auch in die Vergangenheit blicken, in die Kolonialzeit, die ein Ende mit dem algerischen Unabhängigkeitskrieg hatte, 1962. Es ist nicht wirklich lange her. Die Gräueltaten der Franzosen sind präsent in Algerien, immer, viele der Mudjahedin, Revolutionskämpfer, leben noch.

Die algerische Nationalhymne spricht Frankreich direkt an: “Oh Frankreich, die Zeit der Unterdrückung ist vorüber, wir schlossen sie wie ein Buch, oh Frankreich, die Zeit der Abrechnung ist gekommen, so bereite Dich auf unsere Antwort vor.”

Algerien spricht von 1 ½ Millionen toten Algerier und Algeriererinnen in der Zeit des Krieges von 1954 bis 1962, Frankreich hat natürlich andere Zahlen. Aber schon 1945 kam es zum Massaker von Setif und Guelma, wo 45.000 Algerierinnen abgeschlachtet wurden von französischen Soldaten.

Das Denkmal der Revolution, le Monument, und das Museum befinden sich in Alger mit nachgestellten Szenen der Folterungen durch das französische Militär. Die FLN, die RevolutionskämpferInnen, hat 154.000 Menschen von insgesamt 336.000 verloren, also die Hälfte der Menschen, die ihr Leben für ein freies Algerien opfern wollten.

Es gab ungefähr 2.000 Moudjahida, Kämpferinnen, nicht sehr viele. Aber sie waren nicht verschleiert und werden auch heute noch gefeiert und geehrt, ihre Bilder befinden sich auch im Museum.

Und hier zeigt sich ein Aspekt der Burkini-Diskussion. Algerische Frauen wurden von französischen Soldaten gefoltert, ihre Brüste verbrannt, ihre Geschlechtsteile mit elektrischen Schocks versetzt, vergewaltigt und häufig entkleidet, da sie ja hätten Waffen tragen können unter ihrer islamischen Kleidung. Tatsächlich wurde der weiße Schleier, Haik, genutzt, um Waffen vor französischen Soldaten zu verstecken und tatsächlich tarnten sich auch Männer hiermit. Bis heute wird deshalb die Verschleierung, und auch der Haik, obwohl er vom Straßenbild verschwunden ist, als Kleidung der Befreiung betrachtet.

Es werden in Algerien Parallelen zur Kolonialzeit gezogen – wie früher werden Frauen entkleidet, nur jetzt am Strand von Nizza und nicht in der Casbah. Dieser Punkt mag für viele Deutsche irrelevant und völlig unbekannt sein, aber für Algerier und Algerierinnen ist es das nicht. Ihre Großmütter wurden vergewaltigt und entkleidet. Es ist bekannt, dass Mädchen sich in den Dörfern vor Soldaten verstecken mussten, teilweise wird bis heute behauptet, dass sich viele deshalb im Gesicht tätowiert haben, um nicht attraktiv für die französischen Soldaten zu sein (die Tätowierungen haben andere Hintergründe).

Frankreich als Kolonialmacht hat auch immer die Kleidung algerischer Frauen kontrolliert.

Es gab natürlich auch Zwangsprostitution für die französischen Soldaten, das Ausmaß ist unbekannt, da beidseitig gerne unter dem dunklen Schleier der Geschichte verborgen, aus unterschiedlichen Gründen.

In der Zeit des französischen Algeriens gab es massive Versuche, algerische Frauen zu entschleiern, mit Medienkampagnen wie: „N’êtes-vous donc pas jolies ? Dévoilez-vous” „Sind Sie nicht schön? Entschleiern Sie sich”.

Ich denke jede und jeder erkennt hier die Parallelen. Und deshalb ist die jetzige Vorgehensweise und Strategie der „Entschleierung und Abwertung des Schleiers (und Burkinis)“ bestenfalls ungünstig. Es kann durch die Kolonialgeschichte nicht funktionieren, nicht so, niemals. Es wird kaum zugelassen und kann nicht zugelassen werden, dass die Nachfahren der früheren Vergewaltiger muslimischen Frauen das gleiche sagen, wie ihre Vorfahren im französischen Algerien Algerierinnen sagten.

Aber wenn wir die heutige Zeit betrachten wird es dann noch komplizierter.

Tatsächlich gab es auch in Algerien eine zunehmende Islamisierung in den letzten Jahrzehnten, unterstützt von der Regierung. Viele Moscheen wurden neu gebaut, fundamentalistische Imame übernahmen diese Moscheen, und Gelder wurden in soziale Projekte durch die Moscheen gesteckt. Algerische Frauen waren immer sehr eingeschränkt in ihrer Rolle, und durch die weitere Islamisierung wurde es nicht unbedingt besser, oder nur teilweise. Frauen können durch ihre Verschleierung an anderen Wohnorten studieren und sie können durch den Burkini schwimmen gehen. Sie konnten dies vorher in ihrer Kleidung, aber mit einem Burkini schwimmt es sich doch leichter und wird selbstverständlicher. Auf der anderen Seite sind die Strände zunehmend zugebaut mit geschlossenen Zelten zur Bewahrung der Privatsphäre. Eine Frau schrieb auf FB, und ich kann das unterstreichen: “algerische Strände sind Gefängnisse geworden. Wir können weder schwimmen, noch laufen, noch uns sonnen.“. In einigen Medien wird mittlerweile sogar von einem Badekrieg gesprochen. Es gibt Bikinistrände, an denen Frauen mit Burkini beleidigt werden und es gibt Burkinistrände, an denen Frauen im Bikini beleidigt werden. Nur die Männer springen überall in Massen lachend im Wasser herum, natürlich in Badeshorts.

Zusätzlich gibt es durch die Kolonialgeschichte die Idee, dass westliche Männer keine richtigen Männer sind und sexuell inkompetent. Allerdings wird auch hier Macht über Frauen ausgedrückt, denn Nacktheit und Entblößung der Frau wird als schwach betrachtet. Eine oft gehörte Äußerung in Algerien bezieht sich auf Europa und die Rolle der Frau. In verschiedenen Variationen habe ich auch Dinge gehört wie: “Glaubst Du, Du bist in Europa“ … “bei uns haben die Männer das Sagen“ … “Wenn Du nervst, kannst Du auch zu Hause bleiben und Couscous kochen mit den Frauen hier…“

Besonders gefeiert werden Männer, die es in Europa geschafft haben, eine europäische Frau vom Hijab zu überzeugen (oder kamen diese Frauen alleine darauf ?….). Taucht eine europäische Frau mit Hijab (oder sogar Burka) im Dunstkreis auf, wird diese Frau besonders mit Ehrfurcht betrachtet. Aber alle religiösen Frauen, die sichtbar durch ihre Kleidung religiös sind, werden bewundert, auch wenn das kaum am männlichen Verhalten etwas ändert. Der Glaube an das Schicksal, die Vorbestimmung, führt von vielen Frauen zu der Interpretation, dass ein schwieriger Mann eine göttliche Herausforderung ist, der eine Frau sich stellen muss, durch Geduld und Hingabe.

Wie in Europa, so bedeutet im Patriarchat, dass Frauen sich so kleiden, dass sie als heiratsfähig betrachtet werden oder in Europa als „fuckable“. Der Wert der Frau bestimmt sich hier wie dort durch den männlichen Blick, „the male gaze“. Und hier wie dort werden Frauen oft abgewertet, die sich nicht am Kampf um die Männer beteiligen wollen. Frauen, die sich nicht verschleiern, werden feindselig behandelt, auch von Frauen, und Frauen in Europa, die nicht schlank und schön sind, werden ebenso abgewertet, auch und insbesondere, wenn Sie sich dem sexuellen Zugriff von Männern entziehen. Und diese Abwertung findet auch durch Frauen statt, durch „Handmaidens of Patriarchy“, Steigbügelhalterinnen des Patriarchats. Indem Frauen die Bedürfnisse und Forderungen von Männern erfüllen,  kommen sie auf den ersten Blick weiter. Mit gesenktem Blick und verschleiert, steigt ihr Marktwert, genau wie der Marktwert hier steigt durch einen demonstrativ offen gezeigten weiblichen Körper, der begehrt wird, von je mehr Männern desto besser. Welche Frau kann sich hier entziehen, wenn Männer das Spiel bestimmen? Männer haben den Zugang zu den Ressourcen, zum Überleben. Wie viele Frauen sind wirklich frei zu bestimmen und zu entscheiden?

Der „Zorro des Niquab“, der Algerier Rachid Nekkaz, zahlte, laut eigenen Angaben 220.000 Euro an Strafgebühren, die für das Tragen des Niquab von Frauen und jetzt des Burkini, fällig waren. Frauen können sich an ihn wenden, und er zahlt. Symbolischer geht es kaum, ein Mann zahlt für den Kleiderkodex von Frauen, laut seiner Aussage aber zahlt er natürlich für den Erhalt der Demokratie, sozusagen. Er war Präsidentschaftskandidat in Algerien, und könnte natürlich mit dieser Aktion weitere Unterstützung gewinnen, um seine Macht und seinen Wirkungskreis in Algerien auszudehnen. Die Rate häuslicher Gewalt ist sehr hoch in Algerien, aber für Frauenhäuser zahlt ein Mann natürlich nicht. Hier wären 220 000 Euro vielleicht hilfreicher gewesen für Frauen.

Frauen hier in Europa aber haben oft andere Gründe für das Tragen islamischer Bekleidung, sei es Burkini zum Schwimmen, Hijab oder Burka, mit all ihren jeweiligen Abstufungen. Aber auch hier gibt es eine Rangfolge der Religiösität und gegenseitige Kritik. Prinzipiell geht es um das Demonstrieren von „Pudeur“, Schamgefühl, und je mehr desto besser. Solange diese Bewertung und Wertigkeit sich nicht verändert, wird es schwierig. Pudeur ist das Ziel und alle anderen Menschen, die kein Schamgefühl zeigen, sind dreckige Schweine, sozusagen. Sie verletzen natürliche Grenzen und respektieren diese nicht. Und wer will in diesem Wertekontext ein schmutziges Schwein werden, indem Sie sich entblößt? Wer will, sozusagen, ein Schwein sein auf dieser Welt. Sicherlich niemand. Aber möchte ich als europäische Frau (oder algerische Frau in westlicher Kleidung) im Umkehrschluss abgewertet werden, da ich in den Augen der anderen kein Schamgefühl zeige?

Und auch zu berücksichtigen ist, dass islamische Kleidung  vielen Frauen Freiheit erlaubt, sich zu treffen, zu studieren, zu arbeiten und schwimmen zu gehen. Diese Kleidung engt ein, aber sie befreit auch, je nach Kontext.

Und was mich bei der Burkini-Diskussion auch befremdet, ist die jahrelange Forderung, dass muslimische Mädchen am Schwimmunterricht teilnehmen sollen. Tun Sie das endlich, mit Burkini, dann ist auch das nicht gut genug. Wie hätte es der Westen denn jetzt gerne?

Und was soll ich als Feministin jetzt denken und vom Burkini jetzt halten? Drei Burkinis am Strand stören mich nicht, aber wenn ich die Einzige im Bikini wäre, dann wäre es ungemütlich, denn der Druck würde steigen, sich selbst auch zu verhüllen oder nicht mehr an den Strand zu gehen. Auch diese Idee bereitet vielen Frauen Unbehagen, und auch mir. Und auch jetzt schon wird der Raum aller Frauen immer kleiner, durch ständig steigende männliche sexuelle Belästigung, überall. Weitere Einschränkungen sind nicht hinnehmbar, aber sind hier wirklich Burkinis das Problem für Frauen?

Und was bedeutet Bewegungsfreiheit insgesamt? Die Geschichte der Frau ist auch eine Geschichte der Bewegungseinschränkung durch Kleidung, um ihre Hilflosigkeit durch Kleidung herbeizuführen, ihre Macht einzuschränken. Hierzu zählen Highheels, kleine Füße durch zu kleine Schuhe, enge Röcke, lange Röcke, und natürlich das Korsett. Aber auch die Verschleierung führt zur Bewegungseinschränkung (und Vitamin D Mangel-kein Witz). Wenn ich also High Heels ablehne, deshalb, muss ich auch den Burkini und Hijab ablehnen, eigentlich. Aber eine Ablehnung ist kein Wunsch einer Strafverfolgung durch die Justiz.

Und durch eine Bestrafung des Tragens von Burkini, Hijab, und Burka wird die Kolonialgeschichte wieder stärker in den Vordergrund gerückt. Das heißt Frauen, die sich westlich anziehen, würden noch mehr als Verräterinnen bezeichnet, denn sie folgen dann sozusagen den Kleidungsgeboten der Kolonialherren. Schwierig.

Eigentlich wäre meine Lösung, Männer zum Tragen von Burkas, meinetwegen auch nur Hijab, und Burkinis zu zwingen, mindestens ein Jahr lang. Sie müssten in jedem Fall stundenlang im nassen, sandigen Burkini im schattigen Zelt liegen, mindestens einen Tag pro Woche. Und ja, ich weiß, dass zum Beispiel die Tuareg auch ihr Gesicht verhüllen, aber das ist auch besser bei Sandstürmen, und auch Bart und Djellaba erlauben mehr Freiheit in der Bewegung als Burka, Haik, Burkini oder Hijab. Aber eine Antwort habe ich nicht wirklich. In jedem Fall aber sollten wir uns auf Männer konzentrieren und was sie tun. Alles andere erscheint mir der falsche Weg.

Wieso glauben alle Männer, überall, eine Frau definieren zu können, und zu sagen, auch indirekt, was und wie sie zu sein hat?

Wieso achten nicht ganz so viele muslimische Männer wie muslimische Frauen auf die eigene Einhaltung von „Pudeur“? Wieso wollen weiße europäische Männer unbedingt Frauen entblößen und sehen Verschleierung als Verbrechen?

Ehrlich gesagt, muss mich als Frau Verschleierung und Burkini nicht unbedingt interessieren, da Frauen unter sich sich nicht verschleiern, und auch gleich zusammen ohne Männer nackt baden gehen könnten, so ungefähr. Das Problem entsteht erst durch männliche Anwesenheit. Will ich Frauenbadetage? In jedem Fall gäbe es dann keine Burkinis, keine Übergriffe und sexuelle Belästigung im Schwimmbad.

Viele Fragen, keine Lösungen. Ich weiß es wirklich nicht.

Miriam Schwarz-Boudia

 

http://www.liberte-algerie.com/actualite/la-torture-une-specificite-de-la-france-coloniale-110364/pprint/1

http://observers.france24.com/fr/20150312-algerie-femmes-haik-hijab-tradition-patrimoine-culturel

http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-08/rachid-nekkaz-burkini-verbot-nizza-bussgeld

 

 

2 Kommentare

  1. Auch wenn Miriam Schwarz-Boudia keine Lösungen anbietet, so finde ich ihren Artikel doch bemerkenswert, zeigt sie doch viele Aspekte der Kleiderordnung als Maßregelungsinstrument oder sogar Unterdrückungsinstrument gegen Frauen auf.

  2. In Wien gibt es tatsächlich ein Bad mit Frauenbadetagen, wo Frauen aller Kulturen vom Burkini bis zur Splitternacktheit alles tragen was sie wollen und es ist jeder egal. Einziges Problem an den Frauenbadetagen: Die Überfüllung. Es wird also Zeit dass Frauenbadetage in allen Bädern eingeführt werden.

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