Gedanken über sexuelle Belästigung, ihre Gründe und Auswirkungen – Bericht aus Dresden

No quiero tu piropo, quiero tu respeto

by Marta García Terán via Flickr, [CC BY-NC-SA 2.0]

Wir wollen den feministischen Diskurs beleben und unterschiedliche Ansätze zur Diskussion stellen. Deshalb erscheinen bei uns regelmäßig Gastbeiträge, die nicht zwangsläufig die Haltung der oder aller Störenfriedas wiedergeben, aber wichtige Impulse für die feministische Debatte geben können.

Ein warmer Sommertag, den ich mit Feunden im Park verbrachte. Wir hätten den Sonntag bis zum Schluss genießen können, wäre da nicht ein Zwischenfall gewesen. Eine meiner Freundinnen bemerkte, während wir herumalberten, wie auf der anderen Seite der kleinen Grünfläche ein Mann immer wieder um eine junge Frau herumkreiste, die allein auf dem Gras lag und las. Schließlich stellte er sich in etwa fünf Metern Entfernung genau hinter sie auf, um sie von dort aus ausführlich zu beobachten. Als er sich dann zu ihr begab, sahen wir, dass ihr dies unangenehm war. Glücklicherweise hatte ich nur Tage zuvor den simplen, aber ungemein hilfreichen Tipp gehört, in Fällen von Belästigung einfach einmal hinzugehen und bei der Frau oder dem Mädchen vorsichtig anzufragen, ob alles in Ordnung ist. Der jeweilige Typ merkt so, dass sein Verhalten eben nicht ok ist, während sie sich nicht allein und der Situation ausgeliefert fühlt.

Das probierte ich also aus und es hatte tatsächlich den Effekt, dass sie augenblicklich etwas entspannte, erleichtert und unglaublich dankbar war. Was sie mir daraufhin erzählte – die Worte sprudelten nur so aus ihr hervor -, machte mich sprachlos und bestätigte mir, dass es sich hier in keiner Weise um Einzelfälle handelt, sondern um ein Muster: wenn Männer Frauen sehen, oftmals insbesondere junge Frauen, die allein unterwegs sind, betrachten sie dies als Einladung. Ganz egal, ob die jeweilige Frau in ihrem Alter oder überhaupt in ihrer Kategorie ist und auch völlig ungeachtet dessen, dass sie gar keine Signale aussendet, die Interesse anzeigen würden. Und leider auch dann, wenn ihnen deutlich zu verstehen gegeben wird, dass kein Interesse besteht, dass sie im ganzen Viertel schon bekannt sind und sie mit ihrem Verhalten etwas auslösen, das über bloßes Unwohlsein hinausgeht – wobei das Unwohlsein schon schlimm genug ist. Diese Männer versuchen es trotzdem. Immer und immer wieder.

So erzählte mir die Frau im Park, nachdem ich den Typen ein zweites Mal (!) wegbitten musste, dass es ihr und ihrer Mitbewohnerin ständig so gehe. Sie müssten aus Erfahrung stets damit rechnen, dass sie dieser oder andere Typen anmachten. Eine Erfahrung, die mit anderen Frauen im Viertel geteilt wird. Sie vertraute mir weiterhin an, dass sie ihr Haus nicht mehr ohne mulmige Gefühle verlassen kann. Dass sie Angst habe, er könne ihr auflauern und herausfinden, wo sie wohne. Dass es beispielsweise auf der Prager Straße so schlimm sei, dass sie sich inzwischen nur noch mit männlichen Freunden hintraue.

Wie traurig ist das denn? Wir lassen es durch Schönreden und Beschwichtigungen à la „Ach, hat er doch sicher nicht so gemeint“ oder „Kommt eben vor“ zu, dass sich Frauen in unserer Stadt nicht mehr frei bewegen können, dass ihnen der öffentliche Raum nicht mehr zugänglich ist, ohne gegen Gefühle der Angst ankämpfen zu müssen. Dass sie einem permanenten Unsicherheitsgefühl ausgesetzt sind, sei es latent oder offen vorhanden. Dabei reicht der Schaden bis in tiefe Selbstzweifel und Schuldgefühle hinein. Das zeigt das ständige gedankliche Kreisen um den vermeintlichen eigenen Beitrag in Folge solcher Belästigungen, ein irrsinnig zersetzdender, perfider und vom eigentlichen Problem ablenkender Vorgang. Statt Jungs und Männern zu sagen: „Das geht gar nicht“ und Kampagnen aufzuziehen, in denen Mädchen und Frauen lernen, den Mund aufzumachen, Grenzen zu ziehen und solcherlei Eingriffen in ihre Sphäre entschieden und stark entgegenzutreten, wird ihnen beigebracht, sie sollten sich eben nicht so aufreizend anziehen; es läge eben daran, dass sie halt gut aussehen und es als Kompliment nehmen sollen; sie hätten auch nicht allein unterwegs sein sollen, noch dazu zur Nacht und schon gar nicht in angetrunkenem Zustand; sie hätten nicht diesen oder jenen Blick aussenden oder auf diese oder jene Weise ihren Körper bewegen sollen und überhaupt, sie würden eben „sowas“ ausstrahlen. Damit maßregeln wir Mädchen und Frauen, keinen Spaß zu haben, sich auf bestimmte Art und Weise zu verhalten, anzuziehen, zu bewegen… Kurz: wir schränken sie ein!

Unter all dem lauert der Gedanke an noch schlimmere Übergriffe auf Frauen und Mädchen, für die dann die gleichen Entschuldigungen herangezogen werden und die im selben Problem wurzeln: dem sogenannten Male Entitlement Syndrome, dem „Syndrom männlichen Anspruchsdenkens“, über das der Soziologe Michael Kimmel sehr erhellend geschrieben hat. Besagtes Syndrom gipfelt dann darin, dass Typen wie bei den in den letzten Jahren gehäuft auftretenden Amokläufen gezielt Frauen niederschießen, weil diese ihnen nicht die Aufmerksamkeit schenkten, die ihnen, wie sie überzeugt waren, zustand. Siehe dazu das „Manifest“ eines Elliot Rodgers.

Im Übrigen ist es völlig schnurz, wie sich frau verhält oder anzieht oder aussieht, wie alt sie ist, wie oder wo sie sich bewegt. Manche Männer warten den Moment ab, in dem sie sich Zugang zu ihnen verschaffen können und belästigen sie (oder schlimmer), weil sie darauf aus sind. Punkt.

Zum Beweis: nachdem ich vorn erwähnten Typen nach seinem zweiten Versuch zur Rede stellte und bat, sein Verhalten zu unterlassen oder besser gar nicht erst zu beginnen, wenn er weiß und merkt, dass es der anderen Person unangenehm ist (und durch die Wiederholungen hier im Viertel weiß er das), täuschte er Verständnis vor und bat ganz nett um Verzeihung. Dabei fiel der Satz, ich denke immer gleich ans Schlimmste (wir kannten uns nicht), aber so etwas dürfe ich nicht denken. Erst im Nachhinein ging mir die Frage auf: „Was bitte denkt er denn, das ich denke…?“ Ich hatte etwas gesehen und berichtet bekommen, das an sich schlimm ist. Es terrorisiert mindestens drei Frauen und lässt sie um ihre Sicherheit fürchten. Es braucht eben nicht erst zur Vergewaltigung zu kommen, um das Gefühl sexueller Sicherheit und Unversehrtheit zu verletzen. Worte und Blicke genügen auch schon. Darin liegt der Schaden, der hier zugefügt wird. Dies alles nur nebenbei bemerkt.

Jedenfalls saß ich heute allein und Zeitung lesend im selben Park, absichtlich in der Nähe eines Spielplatzes, wo Eltern mit Kindern waren, und wer kam des Weges, zielstrebig auf mich zu und machte mich an? Natürlich, genau derselbe Typ, der routinemäßig das Viertel durchstreift, auf der Suche nach jungen (was eine Annahme ist und nur in seinem Fall gelten mag) Frauen, die allein unterwegs sind. Routinemäßig war auch sein einstudiertes Entschuldigungsmuster, das Höflichkeit und Verständnis vorgaukeln soll. „Nur reden“ habe er wollen. Wirklich? Weshalb spricht er dann nicht auch Männer oder Grüppchen an? Von denen sitzen weiß Gott genug in selbigem Park.

Ein Einzelfall? Man gehe auf die Webseite von Hollaback! Dresden (Link s.u.), um sich einen Überblick zu verschaffen. Dabei sei bemerkt, dass die Seite recht neu ist…

Wie kann man nun mit solchen Situationen umgehen? Erstens: anerkennen, dass es ein flächendeckendes Problem ist. Dann genau hinschauen, diese Dinge zur Sprache bringen und nie, nie, nie mehr denken, geschweige denn anderen gegenüber auch nur andeuten, dass solche Sachen an irgendetwas anderem liegen als daran, dass sich die Person falsch und respektlos und schädigend verhält, von der die Belästigung (oder Schlimmeres) ausgeht. Die Gesellschaft bringt eher Frauen bei, nicht vergewaltigt zu werden, als Männern beizubringen, nicht zu vergewaltigen.

Wer sich an dieser Stelle denkt: aber nicht alle Männer sind so, dem sei eine Analogie nahegebracht. Man stelle sich eine verletzte Person vor, die bewegungslos und blutend am Boden liegt. Eine weitere Person kommt hinzu und fragt entsetzt: „Um Gottes Willen, was ist Ihnen denn passiert?“, worauf die verletzte Person erwidert: „Mich hat ein Autofahrer umgefahren“. Prompt verschränkt Person B die Arme vor der Brust, sagt trotzig: „Aber nicht alle Autofahrer tun sowas. Ich bin auch ein Autofahrer!“ und läuft weg.

Natürlich verüben nicht alle Männer sexualisierte Gewalt oder machen sich Alltagssexismus schuldig. Aber alle Frauen leiden irgendwann in ihrem Leben und in irgendeiner Form unter diesen Problemen, und wenn es „nur“ das Wissen darüber ist, dass es irgendwann auch sie treffen könnte. Wer es als Mann wirklich besser machen will, erkenne diese Dinge als Problem und leiste einen Beitrag gegen sie, indem er mit anderen Männern darüber spreche und sie zum Umdenken bewege.

Zum Weiterlesen:

Hollaback! Dresden: http://dresden.ihollaback.org/

Kleine Inspiration: Video zum Hashtag #YouOKSis?: https://www.youtube.com/watch?v=L5DA2MjNb-E

 

Twitter: #everydaysexism und #Aufschrei

Außerdem, weil es leider oft notwendig ist, dieser Link zur Initiative des Heimwegtelefons: http://www.heimwegtelefon.de/

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