Gena Corea: Die neuen Reproduktionstechnologien

Wir wollen den feministischen Diskurs beleben und unterschiedliche Ansätze zur Diskussion stellen. Deshalb erscheinen bei uns regelmäßig Gastbeiträge, die nicht zwangsläufig die Haltung der oder aller Störenfriedas wiedergeben, aber wichtige Impulse für die feministische Debatte geben können.

Bei dem nachfolgenden Beitrag handelt es sich um eine Übersetzung von Passagen aus einer Rede mit dem Titel „The New Reproductive Technologies“ von vom 6. April 1987. Der gesamte Beitrag von Gena Corea auf Englisch ist hier zu finden.

Gewalt gegen Frauen war von Beginn an Teil der […] Gynäkologie in den Vereinigen Staaten. Damit ihr eine Ahnung bekommt, lasst mich euch von John M. Sims, dem „Vater der Gynäkologie“ erzählen.

1845 […] hatte Sims die Idee für eine neue Operation [zur Behandlung von Blasen-Scheiden-Fisteln]. […] Er machte einen Deal mit den Besitzern von schwarzen Frauen [Sklavinnen] um an ihnen herum zu experimentieren. Die Besitzer waren für die Bekleidung und die Steuern für die Frauen verantwortlich, Sims für deren Verpflegung und Unterkunft. Er hielt die Frauen in einem Gebäude hinter seinem Haus – einem Gebäude welches er „Krankenhaus“ nannte.

Er kam auf diese Weise in den Besitz mehrerer Frauen, die er in seinem „Krankenhaus“ für vier Jahre hielt, in denen er bis zu dreißig Operationen an jeder von ihnen durchführte, ohne jegliche Anästhesie. Anästhesie wurde zu dieser Zeit erstmalig von Dr. James Simpson in Schottland angewandt, amerikanischen Ärzten war sie noch unbekannt.

Sims schrieb, dass die Operationen, die er an seinen Versuchskaninchen durchführte, so ermüdend, und gleichzeitig so schmerzvoll, waren, dass niemand außer einer Frau sie hätte aushalten können.“ […]

[Sims Biograph Dr. Seale] Harris ist der Meinung, dass die versklavten Frauen willige Versuchskaninchen waren, dass sie um die Operationen bettelten, dass das Leid in ihrer Situation als so groß empfunden wurde, dass sie jede Folter durchstehen wollten, wenn sie nur eine Heilung versprach.

„Sie lieben es. Sie betteln darum. Wenn wir sie zerschneiden und foltern, dann geben wir ihnen was sie wollen.“

Dies klingt für Feministinnen, die gegen Pornographie und Prostitution kämpfen, in ekelerregender Weise bekannt.

Nachdem Sims diese Operationen perfektioniert hatte, war er bereit sie an zahlenden, weißen, Mittelstandsfrauen auszuführen. Aber zu dieser Zeit gab es immer noch keine Anästhesie. Die weißen Frauen, die die bereits perfektionierte Operation nur einmal ertragen mussten – und nicht dreißig Mal – schrien Sims regelmäßig währenddessen an, damit er aufhörte. Obwohl sie Frauen waren konnten sie diese Schmerzen nicht aushalten. Sie litten genauso darunter, wie die versklavten schwarzen Frauen. Warum waren sie nicht in der Lage, wie die versklavten Frauen, diese Folter zu überstehen um durch diesen Zustand Erleichterung zu erfahren?

Die Hypothese: Jemand hat hier gelogen.  Diese schwarzen Frauen […] haben niemals gebettelt, gefoltert zu werden. […]

Im Jahr 1978 wurde ein Lehrstuhl zu Ehren von Dr. Sims an der Medizinischen Universität von South Carolina eingerichtet, dem Dr. Sims, der chirurgische Gewalt gegen Frauen praktiziert hast. […]

Seit Vater Sims […] gibt es unnötige Hystersektomien, ein fortgesetzter Skandal. Wir haben prophylaktische Masektomien, bei denen gesunde Brüste abgenommen werden, auf Basis der Annahme, sie könnten erkranken. (Es gibt jedoch keine prophylaktische Entfernung von Hoden) Wir haben unnötige Kaiserschnitte – auch das ein Skandal. […]

Diese Art von Gewalt gegen Frauen eskaliert mit den neuen reproduktiven Technologien. Darunter zähle ich auch In Vitro Fertilisation […] Dabei handelt es sich um eine komplizierte Prozedur, die selten funktioniert.

Das Ausschwemmen von Embryonen ist eine andere dieser neuen reproduktiven Technologien. Eine Frau wird künstlich befruchtet, der Embryo wird ausgespült und einer anderen Frau eingesetzt. Das wird mit Kühen gemacht. Ein paar der Brüder, die das sieben Jahre an Kühen praktiziert haben, waren der Meinung das könnte man jetzt auch mit Frauen machen. Also haben sie eine Firma gegründet um das zu tun. Ihre Prozedur ist hoch experimentell. Nur zwei Geburten sind daraus resultiert.

Geschlechtsbestimmung – meint, das Geschlecht eines Kindes vorherzubestimmen, ist auch eine der neuen reproduktiven Technologien.

Leihmutterschaft funktioniert sowohl mit der Embryonen-Ausschwemmmethode, mit In Vitro Fertilisation, als auch mit Geschlechtsbestimmung. Viele Kombinationen der neuen Technologien sind möglich.[…]

Diese Technologien wurden weder aus Mitgefühl mit unfruchtbaren Frauen erfunden, noch werden sie nur an unfruchtbaren Frauen angewandt. Sie werden letzten Endes alle Frauen tangieren.

Es hat sich nämlich ein Muster ergeben mit der Verbreitung neuer reproduktiven Technologien. Wenn sie eingeführt werden, dann werden sie präsentiert als etwas für eine kleine Anzahl von Frauen aus bestimmten Gruppen. Aber dann weiten die Mediziner, ziemlich schnell, die Indikationen für diese Technologie aus, so dass sie für eine große Masse an Frauen – oder sogar die Mehrheit – angewandt werden. Zum Beispiel wurde der Wehenschreiber für Frauen eingeführt, bei denen man ein hohes Risiko für Geburts-Komplikationen erwartete. Heutzutage wird er in den meisten industrialisierten Staaten an fast allen schwangeren Frauen angewandt. Das gleiche gilt für Ultraschall, Fruchtwasseruntersuchung, Kaiserschnitt, Gentests und –beratung.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass dieses Muster sich fortsetzt mit neueren Technologien wie In Vitro Fertilisation, Eizellspende und Geschlechtsbestimmung. In Vitro Fertilisation wurde ursprünglich beispielsweise für eine kleine Gruppe von Frauen vorgeschlagen – nämlich jene Frauen, deren Unfruchtbarkeit durch blockierte oder fehlende Eileiter verursacht wurde. Aber die Mediziner haben die Indikationen schnell ausgeweitet, so dass heute sogar fruchtbare Frauen unter den Kandidatinnen dafür sind. Zum Beispiel Frauen, die mit Männern verheiratet sind, die eine geringe Spermienanzahl aufweisen. Statt, dass die Mediziner sagen „Es gibt da ein großartiges Hormon, dass wir Männern injizieren könnten um zu sehen ob es die Spermienzahl erhöht“, arbeiten sie sich an Frauenkörpern ab.

Bereits sehr früh sagten die Techno-Ärzte, dass [….] schon sehr bald Frauen mit schlechten Eizellen Kandidatinnen für diese Prozedur werden würden. Ich habe einen von ihnen gefragt „Wie kommen Frauen denn an „schlechte Eizellen“? Er sagte, dass Frauen an Arbeitsplätzen mit giftigen Chemikalien risikieren, dass ihre Eizellen durch diese Chemikalien beschädigt werden, und dass diese Frauen dann einfach die Eizellen einer anderen Person verwenden können, und dass das für sie egal wäre, denn der Geburtsprozess sei ja viel wichtiger für eine Frau als der genetische Hintergrund des Kindes (Vermutlich sagen sie das zu [Frauen, aber nicht zu Männern, denen IHR genetischer Hintergrund extrem wichtig ist]). […]

In der Literatur der reproduktiven Technologien taucht der Vorschlag immer wieder auf, dass weibliche Sterilisation mit den verschiedenen Technologien kombiniert werden könnte. Diese Praxis würde zum Wohl der Frauen ausgeführt werden. Frauen würden sterilisiert werden und müssten sich dann nicht mehr um gefährliche hormonelle Verhütungsmittel sorgen (Das ist eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen anerkannt wird, dass diese Verhütungsmittel gefährlich sind). Die Eizellen der Frau werden eingefroren. Und dann, wenn sie ein Kind wollen, dann nehmen sie einfach eine eingefrorene Eizelle […] und lassen eine In Vitro Fertilisation vornehmen. […]

Die Ausübung dieser Technologien an Frauenkörpern ist ein Experiment, keine Behandlung. [….] Das Verlangen eines Mannes ein genetisch verwandtes Kind zu haben wird zu einer „medizinischen Indikation“ um einen Frauenkörper zu kaufen. Solche Terminologien befreien den Verkauf von Frauen von ihren negativen Assoziationen und entfernen die LeserInnen emotional davon, was hier tatsächlich abläuft.

In Vitro Fertilisation und andere neue Prozeduren werden „Behandlungen“ oder „Therapien“ genannt. Tatsächlich sind die Erfolgsraten dieser Technologien extrem gering. […]

Deutsche Feministinnen wussten von Anfang an was hier auf dem Spiel steht. Sie haben ein besonderes Gespür dafür, wie diese Technologien benutzt werden können, und bereits benutzt werden, um menschliche Wesen nach bestimmten Kriterien zu produzieren, in Prozeduren, die Frauen zu Gebärmaschinen reduzieren […]. Anders als US-Feministinnen haben sie sich als Bewegung organisiert und es gelingt ihnen ihre Kritik über die feministische Bewegung hinaus in die Gesellschaft zu transportieren.

Dass wirklich viel auf dem Spiel steht wurde im Dezember 1987 auf dramatische Art und Weise klar.

Das deutsche Äquivalent zum FBI (das Bundeskriminalamt) führte gleichzeitig 33 Razzien durch, die meisten davon gegen Feministinnen. 430 bis unter die Zähne bewaffnete Polizisten stürmten die Arbeitsplätze von Aktivistinnen. In Gruppenstärken von 15-30 Personen stürmt die Polizei Wohnungen in Köln, Dortmund und Düsseldorf. In Essen, Duisburg, Bochum und Hamburg richteten sich die Razzien überwiegend gegen feministische Kritikerinnen der genetischen und reproduktiven Technologien […].

Die Zielgruppe hatte über Themen wie In Vitro Fertilisation, Fruchtwasseruntersuchungen, Geschlechtsbestimmung und Genwissenschaften gesprochen und geschrieben. Sie haben offen gegen Leihmutterschaft agiert. Viele haben sich in einem breiten Bündnis engagiert, gegen eine amerikanische Leihmutterschafts-Firma, United Family International, in Frankfurt.  Ihre Kampagne gegen den Verkauf von amerikanischen Frauen an europäische Männer für Gebärzwecke endete am 6. Januar 1988 mit einem Erfolg, als ein westdeutsches Gericht die Schließung verfügte, nur drei Monate nach der Eröffnung.

Was war die Begründung für die Razzien? In den meisten Fällen wurde den Frauen keine gegeben. Am nächsten Tag berichteten die Zeitungen jedoch, dass es Anliegen der Polizei war herauszufinden ob einige von ihnen Mitglied einer terroristischen Vereinigung seien. Sie suchten spezifisch nach einer Gruppe, die sich Revolutionäre Zellen nannte, und ihrem feministischen Flügel, der Roten Zora. […]

Die Frauen wurden gezwungen sich auszuziehen. Alle „unveränderlichen Markierungen“ an ihren Körpern – Narben, Leberflecke, etc. – wurden aufnotiert und zu den Polizeiakten genommen. Man nahm ihnen Fingerabdrücke ab.

Zwei bekannte und sehr respektierte Frauen wurden inhaftiert: Ulla Penselin, aktiv in zwei Hamburger Gruppen gegen genetische Technologien und Bevölkerungskontrolle, und Ingrid Strobl, eine Journalistin, die acht Jahre für das feministische Magazin EMMA arbeitete. […]

Die Razzien scheinen ein Versuch zu sein, die weit verbreitete Bewegung […] in Deutschland zu stoppen, indem sie legale Organisationen mit militanteren in Verbindung bringen. Maria Mies, Autorin von „Patriarchy and Accumulation on a World Scale“ und Soziologieprofessorin an der Fachhochschule in Köln erzählte mir am Telefon: „Es gibt keinerlei konkreten Vorwurf oder Verbrechen, dass hier untersucht wird. Die Frauen machen Aufklärungsarbeit, sie forschen zu [diesen Themen], organisieren Seminare, und das gibt der Staatsanwaltschaft bereits genug Anlass um eine solche Polizeiaktion zu starten. […] Wir glauben es handelt sich hierbei um einen Versuch die gesamte Protestbewegung zu kriminalisieren und einzuschüchtern […] und andere davon abzuhalten sich in dieser wachsenden Bewegung zu engagieren.“

4 Kommentare

  1. Ich habe ja gedacht, ich kenne bereits alle Gräuel, die an Frauen „verbrochen“ werden. (Meistens auch noch im Namen von Gott, Heilung oder Liebe….) Wie pervers ist das denn! Ich habe ja gedacht, ich könne mich irgendwann, irgendwann einmal an diesen grassierenden, alles durchdringenden Frauenhass gewöhnen. Nun, dem ist nicht so! Ich leide an einer chronischen „Anpassungsstörung“. Latente „Paranoia“ könnte man vielleicht auch noch diagnostizieren. Wie dem auch sei, bin ich froh, keinem Psychiater oder Arzt unter seine besserwisserischen, schizophrenen, frauenhassenden, inquisitorischen „Heiler-Hände“ zu gelangen.

  2. Yvonne: Geht mir ganz genau so. Generell lebe ich im Gefühl, von einem riesigen Lügenpfuhl umgeben zu sein, der außerdem noch angefüllt ist mit Gehässigkeit und Feigheit. Aber es war noch nie einfach, gegen den Strom anzuschwimmen. Das verschafft einem eine stolze Außenseiterrolle. Kein schlechtes Selbstbild, finde ich. Zur Zunft der Weißkittel: Leider will es manchmal das Schicksal, dass man denen in die Hände fällt… Wobei ich die Erfahrung gemacht habe, dass auch Gynäkologinnen total von der historisch männlich geprägten Gynäkologie ihrer Ausbildung manipuliert sind.

  3. Jutta Kühnel

    Ja, Yvonne, geht mir ganz genau so. Ich lebe generell in dem Gefühl, von einem riesigen Lügenpfuhl umgeben zu sein, der außerdem noch angefüllt ist mit Gehässigkeit und Feigheit. Aber es war ja noch nie einfach, gegen den Strom anzuschwimmen. Das verschafft einem eine stolze Außenseiterrolle. Finde ich ganz okay so. Zur Zunft der Weißkittel: Leider erspart einem das Schicksal manchmal nicht, dass man denen in die Hände fällt, wobei ich die Erfahrung gemacht habe, dass auch so manche Gynäkologin vollständig auf die historisch männlich geprägte Gynäkologie ihrer Ausbildung programmiert ist.

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