Norma Jeane Baker wurde am 1. Juni 1926 in Los Angeles geboren. Es gibt wohl kaum jemanden, der/die den Weltstar Marilyn Monroe nicht kennt. Als Sexsymbol ging sie in die Geschichte ein, und als solches gilt sie bis heute.
Sehr selten spielt jedoch ihre traurige Lebensgeschichte eine Rolle. Dabei waren ihre Drogen-, Alkohol- und psychischen Probleme durchaus bekannt. Norma litt unter Depressionen, Schlaflosigkeit, Unsicherheit und der Unfähigkeit anderen zu vertrauen. Viele, die sie kannten, hatten das Gefühl sich in ihrer Gegenwart auf dünnem Eis zu bewegen – sehr schnell konnte ihre Laune umschlagen.
Normas Mutter, Gladys, litt unter Schizophrenie und verbrachte viele Jahre ihres Lebens in psychiatrischen Krankenhäusern. Dies führte dazu, dass Norma bei diversen Pflegefamilien und in insgesamt elf Kinderheimen aufwuchs.
Im Heim wurde sie weiderholt, beginnend von ihrem achten Lebensjahr, hauptsächlich von einem Mann (vermutlich George Atkinson) über einen längeren Zeitraum hinweg sexueller Gewalt ausgesetzt. Als sie davon berichtete (man sagt u.a. ihrer Mutter), glaubte man ihr nicht – der Klassiker – und es wurde ihr erwidert, der Täter sei ein „guter Christ“ und seine Mietzahlungen an das Heim seien sehr wichtig. Ihre Mutter habe sie auch als „Schlampe“ bezeichnet.
Norma musste mehrfach das Heim wechseln, weil sie unterschiedlichen sexuellen Belästigungen ausgesetzt war. Sie musste gehen – nicht die Täter. Wie muss dies als Botschaft auf ein Kind wirken?
Im Jahr 1942 heiratete sie, im Alter von 16 Jahren, den fünf Jahre älteren James Dougherty. Die Ehe scheiterte und wurde nur vier Jahre später wieder geschieden. Später folgten weitere Ehen.
1949 erschienen zum ersten Mal Nacktaufnahmen von Norma. In einem Interview sagte sie zwei Jahre später, sie hätte diesen Job nur angenommen, „weil ich Hunger hatte“. Nichtsdestotrotz sprach und spricht die Welt lieber vom erotischen Pin-Up, als von den traurigen Hintergründen. Dies unterscheidet sie übrigens nicht von einem anderen legendären Pin-Up, Bettie Page. deren Leben im Übrigen nicht unwesentlich dem von Norma ähnelt.
Roy Turner schreibt, dass Normals Psychologin bestätigte, dass Norma in ihrem Privatleben kaum Interesse an Sex zeigte und dieser für sie auch nicht positiv besetzt war. Norma bemerkte einmal, dass Männer, die versuchten sie mit Geld zu kaufen, sie krank machen würden. Sie sagte, dass ihr Peiniger ihr Geld dafür zahlen wollte (oder auch zahlte), damit sie nicht über das ihr Angetane spricht.
„Als Frau bin ich eine Versagerin. Meine Männer erwarten so viel von mir, wegen dem Bild als Sexsymbol, was sie sich von mir gemacht haben – und das ich von mir gemacht habe. Sie erwarten, das Glocken läuten und Flöten klingen, aber meine Anatomie ist genauso wie die von anderen Frauen, ich kann diesen Erwartungen nicht gerecht werden“
Offiziell verkörperte Norma Promiskuität und ihr Verhalten wurde im Kontext von „freier Liebe“ betrachtet. In einem Interview sagte sie:
„Manchmal fühlte ich mich süchtig nach Sex. Ich musste mit fast jedem Mann, den ich traf Sex haben“.
Bei Sexsucht geht es meist, und wie wir aus der psychologischen Forschung wissen betrifft dies mindestens 60% der Fälle, nicht um Sex – es geht um die Reinszenierung von Traumata, meist aus der Kindheit. Gefühle wie Einsamkeit, Schmerz und der Wunsch geliebt und akzeptiert zu werden, spielen dabei eine entscheidende Rolle. Natürlich finden diese nachvollziehbaren Bedürfnisse jedoch keine Erfüllung.
In einem Interview sprach sie davon, dass sie sich fühle „wie zwei Menschen“, dem Kind „aus dem Waisenhaus, welches niemandem gehört“ und einer neue, namenlose Person, die „dem Ozean gehört, dem Himmel und der ganzen Welt“.
Normas Erscheinen, ihre Stimme und ihr Auftreten entsprachen meist dem eines sexualisierten kleinen Mädchen – sie verkörperte dabei Kindlichkeit und Unschuld. Dies gilt für viele Opfer sexueller Gewalt in der Kindheit.
„Ein Sexsymbol ist ein Ding, und ich hasse es, ein Ding zu sein.“
Norma sprach als eine der Ersten zu einer Zeit öffentlich über ihre sexuelle Gewalterfahrung, als dies noch kaum jemand tat – noch viel weniger als heute war dies Gegenstand öffentlicher Debatten. Sie wurde dabei nicht ernst genommen und nicht selten wurde sie auch dafür verspottet. Dies hielt sie jedoch nicht davon ab ihre traumatische Kindheitserfahrung bis zu ihrem Tod immer wieder zum Thema zu machen. Selbst einiger ihrer Biographen machten selten einen Hehl daraus, dass sie ihr die Geschichte über die sexuelle Gewalterfahrung nicht abnahmen.
Viel wird darüber gesprochen ob Norma Jean Selbstmord begangen hat, ob sie an einer Drogenüberdosis gestorben ist oder ob sie ermordet wurde. Dies ist sicherlich nicht uninteressant. Es steht jedoch außer Zweifel, dass Mord schon sehr früh eine große Rolle in ihrem Leben gespielt hat – denn sexuelle Gewalt ist auch eine Form davon. Es ist eine Art von Töten – zumindest der Gefühlswelt und der persönlichen Integrität.
Meine Literatur-Empfehlung zur Biografie der Marilyn Monroe:
Joyce Carols Oates, Blond. Der Roman erschien in Deutschland bereits 2000.
Unbedingt lesen!
Ich finde Marylins Blick verrät alles, was man wissen muss und ist stummer Beweis für ihre Anklagen.
Auch der Umkehrschluss ist schockierend: dass eine traumatisierte junge Frau, die mit den Folgen sexueller Gewalt kämpft, mit allen oben beschriebenen Verhaltensweisen, also eine Frau, die so etwas wie das psychische Äquivalent einer Genitalverstümmelung erlitten hat, von vielen Männern als die begehrenswerteste Frau der Welt gesehen wurde und wird.
Ein schöner und zugleich sehr trauriger Artikel.