Wie im Artikel „Wir könnten Verbündete sein…“ angekündigt, wollen wir zukünftig regelmäßig muslimische Feministinnen bei uns zu Wort kommen lassen. Den Anfang machen wir mit einem Interview mit Yasemin.
Die Störenfriedas: Liebe Yasemin, erzähle uns was über dich und deinen feministischen Aktivismus: In welcher Form engagierst du dich für die Befreiung der Frau?
Yasemin: Für die Befreiung der Frau engagiere ich mich seit jeher in allen Formen. Ich war noch ein Teenager und mir war höchstwahrscheinlich das Wort Feminismus noch unbekannt, als mein Engagement begann, und zwar indem ich Literatur las, in der es um die Unterdrückung der Frau ging (z. B. Prostitution, Gewalt im Namen der Ehre, sexuelle Gewalt). Dazu gehörten z. B. Simone de Beauvoir, Seyran Ates und Alice Schwarzer.
In meinem türkischen Elternhaus war mir bereits früh klar, dass die Dominanz meines Vaters über meine Mutter etwas Unnatürliches, Ungerechtes, Vergiftendes hatte. Fast nicht zu ertragen war für mich jedoch die Situation meiner türkischen Freundinnen, die mir oft wortwörtlich aus dem Spielplatz, in dem wir gerade noch im Sand gespielt hatten, weggenommen und verheiratet wurden. Eine sehr enge Freundin, mit der ich fast jeden Tag auf dem Spielplatz war, sagte mir nach den Sommerferien – sie war gerade 13 geworden – dass sie nun verlobt sei und im kommenden Jahr verheiratet sein würde. So kam es dann auch. Mit 15 bekam sie ihren Sohn. Diese Dinge waren es, die mich als Teenager zu meinem Kampf für die Befreiung der Frau führten.
So begann ich Türkinnen in meinem Freundeskreis vor der Zwangsverheiratung zu „retten“, und zwar indem ich ihnen bei der Flucht in ein Frauenhaus oder auch einige Male zu ihrem heimlichen Freund half. Ich kann mich an Situationen erinnern, in denen türkische Eltern wutentbrannt vor der Tür meines Elternhauses standen und mich mit bedrohlichen Gesten – vergeblich – dazu bringen wollten, das Versteck ihrer Tochter zu verraten.
Der Zeitpunkt, als ich feststellte, dass es nicht nur in der türkischen Tradition Ungerechtigkeiten gegenüber Frauen gab, sondern auch vieles in Deutschland beim Thema Geschlechtergerechtigkeit im Argen lag, war der Zeitpunkt, als ich meine Tochter bekam. Ich bemerkte, dass eine angestellte Frau, die kein Vermögen auf dem Bankkonto vorweisen kann, aus Mangel an Kinderbetreuungsmöglichkeiten schlichtweg entweder auf den Vater des Kindes, also auf sein Wohlwollen bei der Zuweisung von Haushaltsgeld angewiesen ist oder – falls der Vater sich entschließt, die Familie zu verlassen – auf staatliche Stütze und Unterhalt, wobei letzterer nur sehr selten gezahlt wird, wie Statistiken zeigen.
Dass eine Frau nach der Geburt eines Kindes wieder ganztags arbeiten gehen kann, war und ist in Deutschland offensichtlich zumindest für sehr viele Jahre nach der Geburt nicht vorgesehen. Die Frau, die dies trotzdem tut – ich schaffte es durch die Hilfe meiner Familie nach 11 Monaten nach der Geburt wieder ganztags zu arbeiten – wird in der Gesellschaft mit Liebesentzug bestraft: Ich habe mir fast jeden Tag Kommentare über meinen relativ frühen Wiedereinstieg in das Berufsleben angehört, die von tiefer Verwunderung bis zu offen gezeigter Abscheu reichten.
Im Laufe meines Lebens kamen so rasch zahlreiche Erfahrungen sowie Erlebnisse zusammen, die mir zeigten, dass das Patriarchat anscheinend seinen Platz in der Welt behauptet: Ungestrafte Anmachen am Arbeitsplatz, meine Machtlosigkeit bei sexueller Gewalt an Kindern durch einen Pfarrer, eine Freundin, die – durch ihren Mann fast totgeprügelt – bei mir Zuflucht fand. Der schlagende Ehemann übrigens, der irgendwann auch mich bedrohte, wurde dafür nie belangt.
Die Liste könnte ich noch sehr lange fortsetzen. Da dies den Rahmen dieses Interviews aber sprengen würde, lade ich alle Menschen dazu ein, mich persönlich zu fragen, indem sie mir eine e-mail schreiben.
Mein heutiger Kampf für die Befreiung der Frau sieht bisher folgendermaßen aus: Teilnahme an Demonstrationen, wie etwa am Kachelmann-Prozess, Online- und Offline-Vernetzung mit anderen Feministinnen, Zusammenarbeit bei verschiedenen Aktionen und mit verschiedenen Organisationen und Vereinen, die sich der Befreiung der Frau sowie der Geschlechtergerechtigkeit verschrieben haben, Prozessbegleitung, Prozessbeobachtung sowie Auswertung, wenn es um Verhandlungen geht, die das Thema sexuelle Gewalt betreffen, Halten von Referaten z. B. zum Thema Prostitution oder Erkennen von Symptomen sexueller Gewalt bei Schulkindern, Unterstützung von Teenagern und jungen Frauen, die versuchen, einer Zwangsheirat zu entkommen.
An Zielen und Ideen wie sie erreichen könnte, mangelt es mir nicht. Nur die Zeit und Tatkraft für die Umsetzung sind es, die ich noch brauche. Ich bin sehr optimistisch. Ich erlaube mir, dieses Interview als Gelegenheit zu nehmen, all die Frauen, die sich für Gleichberechtigung und damit einhergehend die Befreiung der Frau engagieren wollen, sich mit mir und mit all den anderen Frauen, die das Gleiche wollen, zu vernetzen, damit wir unübersehbar viele werden, Synergien schaffen und Energien aufteilen können und damit gemeinsam effektiv in Richtung Geschlechtergerechtigkeit gehen können. Lasst uns bitte viele sein.
Die Störenfriedas: Du hast den Verein Ladies Team ins Leben gerufen. Was war der Anlass und was macht ihr?
Yasemin: Der Anlass war ausgerechnet Jörg Kachelmann bzw. der Vergewaltigungsprozess, aus dem Herr Kachelmann als freier Mann heraus spazierte wie so viele Herren, die beschuldigt werden, sexuelle Gewalt ausgeübt zu haben. Ich folgte dem Aufruf zur Teilnahme an einer Demonstration gegen Vergewaltigungsmythen (z. B. der Spruch „sie will an ihm nur Rache üben“) am Kachelmann-Gerichtstag in Frankfurt im Herbst 2012.
Die Damen der Initiative für Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt, die diesen Aufruf zu dieser Demonstration in der Zeitschrift Emma gestartet hatte, durfte ich an diesem Prozesstag kennenlernen. Seitdem engagiere ich mich in der Initiative so intensiv, wie ich es zeitlich schaffe und ich sehe es als große Bereicherung an, mit diesen tollen, engagierten und motivierten Menschen zusammenzuarbeiten.
Die Frauen der Initiative für Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt waren es auch, die mich dazu inspiriert haben, endlich den Verein zu gründen, der mir schon seit mindestens einem Jahrzehnt vorgeschwebt hat: Ladies´ Team. Denn mir ging es neben der Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt schon immer um zahlreiche weitere Bereiche, die in punkto Geschlechtergerechtigkeit brachliegen. Entsprechend wollte ich einen Verein gründen, der sich der Beseitigung jeglicher Art von Rechts- und Würdeverletzungen von Frauen, die Herstellung sowie Sicherung eines unabhängigen, selbstbestimmten Lebens von Frauen auf der ganzen Welt und damit verbunden die Erreichung einer absoluten Gleichberechtigung der Geschlechter in jeglicher Hinsicht verschrieben hat. Ich bin sehr glücklich und dankbar dafür, dass auch die Feministin und Autorin Seyran Ates ein Gründungsmitglied unseres Vereins ist, da ich, wie eingangs beschrieben, seit meiner Jugend ein großer Fan von ihr bin.
Die Themen bzw. jeweiligen Ziele von Ladies´ Team e. V. sind u. a.:
-eine verbindliche Frauenquote in allen Bereichen des höheren Managements von mindestens 40%,
– ein garantierter Anspruch einer Ganztagesbetreuung für Kinder ab 12 Monaten,
– Maximale Bestrafung von Verbrechen im Namen der Ehre weltweit (z. B. der Ehrenmord, aber auch deutsche sogenannte Familientragödien, die letztendlich signifikant oft das gleiche Motiv aufweisen wie Ehrenmord)
– Eine Garantie auf einen Frauenhausplatz für jede Frau, die diesen Platz benötigt, also ein massiver Ausbau dieser Zufluchtsmöglichkeiten für Opfer von Gewalt
– Trainings für angehende und praktizierende LehrerInnen zum Themengebiet Erkennung von Symptomen sexueller Gewalt an Schulkindern
– Massiver Ausbau von Trainings für Schulkinder zum Thema sexuelle Gewalt
– Eine andere Haltung zu Betroffenen sexueller Gewalt, und zwar weg vom Victim Blaming hin zu einer angemessenen Unterstützung, damit nicht ein Kind im Durchschnitt zu sieben Personen geht, bis ihm endlich geglaubt wird (statistisch erwiesen)
– Abschaffung der Verjährungsfristen bei sexueller Gewalt
– eine massive Erhöhung der Verurteilungsquoten bei Sexualdelikten durch ein auf traumabedingtes Verhalten der Betroffenen geschultes Gerichtspersonal sowie angemessene TraumatherapeutInnen. Im Moment liegt die Verurteilungsquote bei weit unter 10 % wobei selbst bei dieser geringen Anzahl an Verurteilungen, die Strafe oft auf Bewährung ausgesetzt wird.
– die weltweite Abschaffung der Prostitution mit der auch die weltweite Vernichtung von Zwangsprostitution einhergeht. Wir befürworten als Initialschritt zur Abschaffung dieses menschenverachtenden „Gewerbes“ das nordische Modell: Freierbestrafung sowie Zuhälterbestrafung, niemals Bestrafung der Prostituierten, sondern vielmehr staatlich finanzierte Ausstiegsprogramme, die den Ausstieg nicht nur attraktiv (denn das ist er für fast alle Prostituierten schon, wenn die Möglichkeit bestünde) sondern auch einfacher machen, als es bisher der Fall ist
– Für ein Verbot von Ess-Störungen begünstigende Darstellungen von Frauen in der Öffentlichkeit und in den Medien, z. B. ein vorgeschriebener Mindest-BMI für Models und das strikte Verbot, die Figur von Frauen mit Bildbearbeitungsprogrammen schmaler zu machen.
Die genannten Ziele decken, so zahlreich sie auch sind, noch nicht das gesamte Spektrum ab, für das wir uns als Ladies´ Team engagieren möchten. Uns ist etwa auch die Pornoindustrie mit ihren frauenverachtenden Inhalten, die sich mittlerweile sechs Jahre alte Kinder ohne einen nennenswerten Aufwand anschauen können, ein Dorn im Auge.
Da wir als eingetragener Verein noch sehr jung sind, brauchen wir dringend Frauen, die motiviert und engagiert sind, uns bei unserem Kampf zu unterstützen. Ich bitte alle Ladies, die Lust haben, sich im Ladies´ Team zu engagieren (wir brauchen etwa Hilfe bei der Gestaltung der Website, bei Demonstrationen, beim Fundraising, bei der Teilnahme an Veranstaltungen etc.) sich bei uns zu melden (www.ladies-team.com).
Die Störenfriedas: Die Initiative für Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt haben wir ja hier auf dem Blog schon vorgestellt. Kannst du uns dennoch kurz etwas zu deinem Engagement dort erzählen?
Yasemin: Wie bereits oben erwähnt, lernte ich die couragierten und engagierten Frauen der Initiative für Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt auf der Demonstration gegen Kachelmanns Vergewaltigungsmythen („Opfer-Abo“) im Oktober 2012 kennen. Seitdem arbeiten wir zusammen. Es gibt Zeiten, in denen ich mich relativ stark engagieren und einbringen kann, wie beispielsweise in einem Fall, in dem eine junge Frau ihren damaligen Stiefvater verklagte, der ihr vom Kleinkindalter bis zum 11. Lebensjahr sexuelle Gewalt antat (übrigens ist auch dieser Mann heute frei und hat auch eine neue Lebenspartnerin mit einem kleinen Sohn, der – wie er sagt – „manchmal massiert werden will“).
Diese junge Frau habe ich besonders intensiv betreut, weil sie relativ nah zu meiner Heimatstadt wohnt und es sich daher anbot, dass ich zu bestimmten Terminen fahre und daran teilnehme. Solch einen Prozess zu begleiten gehört für mich zu den interessantesten Erfahrungen, die ich in meinem Leben bisher machen konnte.
Auch wir als Initiative für Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt benötigen dringend Mithilfe: Wenn Frauen Zeit und Motivation haben, Verfahren, in denen es um sexuelle Gewalt geht, zu beobachten (meistens sind die Gerichtsverhandlungen öffentlich, so dass man sich in den Gerichtssaal setzen kann) und eine kurze Zusammenfassung zu geben und / oder vielleicht sogar eine persönliche Bewertung abzugeben, bitten wir sie, sich mit der Initiative für Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt in Kontakt zu setzen (www.ifgbsg.org). Wir sind für jede Unterstützung dankbar.
Die Störenfriedas: Du bist Muslimin und Feministin. Ist das für dich ein Widerspruch?
Yasemin: Ein ganz klares Nein. Ich durfte den Islam durch meine Mutter als eine friedliche, großzügige und auf Freiwilligkeit basierende Religion kennenlernen, in der Frauen sowie Müttern ein Höchstmaß an Respekt und Liebe entgegengebracht wird.
Mein Vater machte nie den Versuch, die Verbote, die türkischen Mädchen gemacht wurden, mit dem Islam zu rechtfertigen. Jedes Mitglied in unserer Familie wusste, dass die sogenannte Familienehre, die man zu erhalten versuchte, indem man die Jungfräulichkeit der Tochter wie besessen beschützte, nichts mit dem Inhalt des Korans, sondern nur mit den Traditionen des Patriarchats und seinen Gesetzen zu tun hatte. Es geht hier nur darum, dass man als ehrenhafte Familie sein Gesicht in der Community bewahrt. Diese Angst vor Ehrverlust der Tochter bzw. der Ehefrau war übrigens noch bis vor kurzem Bestandteil des Familienlebens der Deutschen und ist auch bis heute latent spürbar. Es ist damit also keineswegs ein Element des Islam, sondern des Patriarchats.
Die Störenfriedas: Wie sind denn die Reaktionen von anderen Feministinnen, wenn sie hören, dass du Muslima bist?
Yasemin: Ich bin ein großer Fan von Mustafa Kemal Atatürk, der vor fast hundert Jahren bereits die Trennung von Staat und Religion in der Türkei einführte, so dass der Glaube die persönliche Angelegenheit des Individuums wurde. So hielt ich es auch immer für mich und daher war mein Glaube auch sehr selten Thema in meinem öffentlichen Leben.
Falls es Thema wurde, waren die Reaktionen meistens positiv. Dafür bin ich sehr dankbar. Es gab aber gerade in letzter Zeit, in der der Terrorismus im Namen des Islam Angst und Schrecken verbreitet, auch Situationen, in denen mir beispielsweise von Frauen gesagt wurde, dass ich keine Muslimin und (richtige) Feministin zugleich sein könne. Auch kam es vor, dass man mich zum Atheismus oder zumindest zu einer „Ex-Muslimin“ „bekehren“ wollte.
Die Störenfriedas: Wie fühlst du dich wenn du mit einem solchen Verhalten konfrontiert bist?
Yasemin: Ich sehe solch ein Verhalten als Angriff auf meine Persönlichkeit, und zwar als Feministin und als Muslimin. Durch diese Angriffe in der letzten Zeit sah ich mich, die ich meinen Glauben immer als persönliche Angelegenheit betrachtet hatte und noch betrachte, genötigt, mich zu wehren.
Es ist mir ganz neu, dass ich so viel über meine persönliche Angelegenheit, meinen Glauben, spreche und ich wünsche mir, dass mein Glaube sowie der Glaube aller Musliminnen, die sich für Gleichberechtigung und Befreiung der Frauen einsetzen, nicht mehr Thema in unserem Kampf gegen das Patriarchat ist.
Die Störenfriedas: Empfindest du die pauschale Verdammung des Islam als ohne wenn und aber frauenfeindlich hilfreich für deine alltägliche, aktivistische Arbeit? Oder hindert sie dich eher dabei?
Yasemin: Sie ist sehr hinderlich und lenkt uns alle von unserem Kampf gegen patriarchale Strukturen und Gewalt ab. Ich halte es für wichtig, dass wir Frauen uns zusammentun ohne dass wir einigen von uns das Engagement einer „richtigen“ Feministin absprechen, weil sie etwa einer monotheistischen Religion (wie dem Islam, dem Judentum oder dem Christentum) angehört. Wenn wir diese vergiftende Haltung, die ich von (glücklicherweise nur) einigen Frauen erlebe, weiterspinnen und als Konsequenz diejenigen ausschließen, die dem Islam, dem Christentum oder Judentum angehören, dann liegt die Frauenbewegung brach, und zwar umgehend. Das können wir nicht wollen – keine von uns.
Die Störenfriedas: Was sind deine Wünsche an die feministische Bewegung?
Yasemin: Ich wünsche mir, dass wir unseren Glauben in Ruhe lassen. Ich wünsche mir, dass der Glaube als persönliche Angelegenheit betrachtet wird, wie es im Laizismus der Fall ist. Ich wünsche mir, dass wir Frauen zahlreich, solidarisch und energisch für die Erreichung der Gleichberechtigung sowie die Befreiung der Frau vom Patriarchat eintreten. Ich für meinen Teil werde diesen Kampf bis an mein Lebensende führen.
Wir danken Yasemin für dieses interessante Interview.