Man stelle sich vor, im ZDF Zoom würde eine Reportage über Morde in Deutschland laufen. Mörder würden ebenso interviewt wie Hinterbliebene, um dann am Ende festzustellen: „Die Kriminalisierung von Mord ist gescheitert. Morde passieren, trotz Verbot, überall in Deutschland. Die Polizei hat nicht genug Ressourcen, um alle Morde aufzuklären.“ Ein deutschlandweiter Aufschrei wäre wohl die Folge. Umso irritierender ist die letzte Woche erschienene Reportage von Rita Knobel-Ulrich „Deutschland und der gekaufte Sex“ auf ZDF Zoom. Darin interviewt sie prostituierte Frauen, begleitet Polizisten von der Sitte, verfolgt einen Menschenhandelsskandal und fährt schließlich nach Malmö, um dort Prostituierte aufzuspüren. Sie besucht den im Dezember des vergangenen Jahres stattgefundenen Kongress „Stop Sexkauf“ in München. Auf diesem spricht sie mit den Initiatorinnen des gleichnamigen Netzwerkes und weiteren GegnerInnen der Prostitution in Deutschland wie Sabine Constabel aus Stuttgart und Journalistinnen der EMMA; auch mit MitarbeiterInnen aus dem Bundesministerium für Soziales und Familie kömmt sie ins Gespräch. Die Reporterin, die 2012 bereits eine Reportage über Menschenhandel drehte, müsste also eigentlich verstanden haben, was Prostitution in Deutschland bedeutet und was die Kernpunkte des Nordischen Modells sind. Dennoch kommt sie zu dem erstaunlichen Schluss:
Prostitution lässt sich nicht verbieten.
Die Reportage ist bei näherer Betrachtung eine Kampagne gegen das Nordische Modell.
Wenn Frauen auf Loverboys hereinfallen, dann sind sie irgendwie selbst schuld. Diesen Eindruck gewinnt man, wenn man Rita Knobel-Ulrich in ihrer Reportage folgt. Prostitution ist nach ihrer Lesart etwas, das durchaus seine Schattenseiten hat, aber eben nicht wegzudenken ist, zumal es doch für viele Frauen ein freiwilliger Job oder aber die einzige Alternative ist. Schweden habe zwar das Sexkaufverbot, doch nur sechs Polizisten sind im Einsatz, um es zu überprüfen. Sie macht eine für sie sensationelle Entdeckung: Wer in Schweden eine Prostituierte im Internet sucht, wird schnell fündig. Sie schließt daraus, dass die Prostitution sich nur „in den Untergrund“ verlagert habe. Interessanterweise deckt sich diese „neue Erkenntnis“ jedoch genau mit dem was die VerfechterInnen des Nordischen Modells und die schwedische Polizei immer sagen: „Es gibt keinen Untergrund. Wen die Sexkäufer finden, finden SozialarbeiterInnen und PolizistInnen auch“. Wie Simon Häggström von der Stockholmer Prostitutionseinheit, es zusammenfasste „Wir sind doch nicht dumm!“ („We are not stupid“)
Natürlich: Die Ausstattung – insbesondere die finanziellen Ressourcen – von Sozialarbeit und Polizei, ist in Schweden nach wie vor verbesserungswürdig. Aber genau das fordern auch insbesondere die schwedischen Feministinnen immer wieder. Und: In Schweden wird alle paar Jahre evaluiert und nachjustiert – in Deutschland sucht man nach offiziellen Evaluationen nach der Liberalisierung im Jahr 2002 vergeblich.
Tatsächlich ist der Umstand, dass das Sexkaufverbot in Schweden nicht durch ganze Hundertschaften kontrolliert wird, kein Ausdruck für sein Scheitern. Rauchen ist in Gaststätten auch verboten, in Großstädten wie Frankfurt darf man keine Kippen mehr auf die Straße werfen, weil es die Stadt verunreinigt. Das heißt nicht, dass jetzt eine SOKO Kippen gegründet wurde und niemand mehr Zigarettenstummel wegwirft, doch es zeigt sich, dass nicht wenige ihre Kippen jetzt lieber an einem Mülleimer entsorgen. Entscheidend ist die normierende Rolle eines Gesetzes, nicht seine absolute Durchsetzung, die ohnehin in keinem Zusammenhang gelingt. Mord ist verboten – und geschieht trotzdem. Ebenso wie Diebstähle und andere Delikte oder Ordnungswidrigkeiten. Der Umstand, dass etwas verboten ist, sorgt für eine Neuausrichtung in der Gesellschaft – einen Zusammenhang, den der schwedische Polizist Simon Haggström in der Reportage eindrücklich schildert.
Die geneigte Zuschauerin gewinnt also schnell den Eindruck, es hier mit einem Lobbyfilm zu tun zu haben. Dieser Eindruck wird noch verstärkt wenn man im Hintergrund Sexindustrielobbyistin Felicitas Schirow/Weigmann in die Kamera lächeln sieht. Oder wenn man feststellt, dass die Argumente, die gegen das nordische Modell von Knobel-Ulrich angeführt werden, eins zu eins den Schein-Argumenten der deutschen und internationalen Pro-Prostitutions-Lobby entsprechen.
Die Reporterin hatte auf dem Kongress „Stop Sexkauf“ in München ausreichend Gelegenheit, mit Prostitutionsüberlebenden ins Gespräch zu kommen, um diesen Stimmen einen Platz in ihrer Dokumentation zu geben. Dass das ausgeblieben ist, untermauert die Vermutung, dass es bei dem Film darum geht, quasi lobby-gerecht lediglich die BefürworterInnen der Prostitution zu Wort kommen zu lassen. Es ist ein Symptom, die Stimmen derer zu silencen, sie gar nicht zu Wort kommen zu lassen, die uns etwas darüber erzählen können, welche Gewalt sie in die Prostitution brachte und welcher Gewalt sie in in dieser chronisch ausgesetzt waren. Verlassen die Frauen die Prostitution leidet ihre Mehrheit an einer posstraumatischen Belastungsstörung, Ängsten und Depressionen. Dass diese Realität/en nicht zur Sprache kommen, scheint kein Zufall, eher Vorsatz zu sein.
Rita Knobel-Ulrich verfolgte den Prozess gegen zwei Menschenhändler, sie begleitet ein Opfer zurück in seine bulgarische Heimat, trifft Frauen auf den Straßen, die angeblich für ihre „Verlobten“ arbeiten, die in Hotelzimmern auf sie warten und Frauen, die mit ihren Jobs auf dem Straßenstrich Kinder und Enkelkinder durchbringen. Umso erstaunllicher sind die von ihr gezogenen Schlussfolgerungen.
Parallel dazu gab sie Interviews zum neuen Prostitutionsschutzgesetz. Auf die Frage, ob sie glaubt, dass das neue Gesetz den Frauen helfen wird, antwortet sie:
Ich gehöre nicht zu denen, die Prostitution für ein moralisches Problem halten. Wenn mir in einem Edelpuff in Berlin eine Frau ganz cool vorrechnet, dass es für sie lukrativer sei, drei bis vier Mal in der Woche anschaffen zu gehen als in schlechter bezahlten Jobs zu arbeiten, ist das ihre Sache – wenn sie ihre Rechte kennt, wenn die Arbeitsbedingungen stimmen und wenn sie niemandem unfreiwillig das erarbeitete Geld wieder abdrücken muss. Wenn wir in der Lage sind, im Bauarbeitergewerbe oder in der Gebäudereinigung vernünftige Bedingungen herzustellen, muss es auch im Bordellbetrieb möglich sein. Das Bundesfamilienministerium betont deshalb auch: Bei dem Gesetz geht es nur um die Verbesserung der legalen Prostitution – Menschenhandel und Zuhälterei sind schon immer Straftatbestand gewesen. (1)
Damit drängt man die Prostitution nur in den Untergrund. Das Modell mag dem- oder derjenigen gefallen, die oder der endlich mal will, dass auch die Freier belangt werden können. Aber wenn ich sehe, dass nur noch sechs Polizisten im Großraum Stockholm das Rotlichtmilieu im Blick haben, ahnt man, dass dort das Thema einfach verdrängt werden soll: aus den Augen, aus dem Sinn! Dabei braucht man nur mal im Internet entsprechend zu suchen und schon bekommt man in Schweden ganz schnell Kontakt zu Prostituierten – das dann ganz ohne Schutz. Wir haben für den Film die Probe aufs Exempel gemacht. (2)
Der Gipfel der Unverschämtheit ist es, wenn die Doku mit einer Verhaftung eines Menschenhändlers in Deutschland (!) endet. Dabei handelt es sich um eine totale Irreführung der ZuschauerInnen. Während es in Schweden und Norwegen gerade durch das Sexkaufverbot zunehmend gelingt der MenschenhändlerInnen habhaft zu werden, haben die Verurteilungsquoten seit der Liberalisierung in Deutschland massiv abgenommen. Dies hat zum einen damit zu tun, dass Menschenhandel/Zwangsprostitution sich nun noch besser in der legalisierten Prostitution verstecken kann (quasi der „Untergrund“ vor unserer aller Augen), zum anderen damit, dass 2005 der Straftatbestand „Menschenhandel“ neu definiert wurde und nun nicht mehr als Straftat „gegen die sexuelle Selbstbestimmung“, sondern als Straftat „gegen die persönliche Freiheit“ gilt. Eine Dokumentation zum Status Quo in Deutschland hätte dies thematisieren müssen und nicht fälschlicherweise suggerieren dürfen, dass die deutschen Ermittlungsbehörden angesichts der derzeitigen Gesetzgebung so tolle Möglichkeiten haben Menschenhändler erfolgreich vor Gericht zu bringen – genau das ist eben nicht der Fall.
Knobel-Ulrich galt bis zu dieser Doku als „prostitutionskritisch“ – es wäre ein Hohn, wenn sie nach dieser Dokumentation jemals noch einmal eingeladen werden sollte um diese Position einzunehmen. Die Frage, welche Zwecke sie mit einer solchen Veröffentlichung verfolgt, muss erlaubt sein.
Ein unverfälschter Blick auf die grausame Situation in Deutschland ist wohl nur von außen möglich. Der britische Fernsehsender Channel 4 hat es mit der sehr bewegenden Dokumentation „The Mega Brothel“ erst vor drei Wochen vorgemacht. Deutschland jedoch bekommt nur prostitutionsverherrlichende Propaganda. Wer soll hier eigentlich für dumm verkauft werden?
(1) http://www.brikada.de/Lebensart/7591/ZDFzoom-Deutschland-und-der-gekaufte-Sex-Doku-ueber-Prostitution-zwischen-Realitaet-und-Gesetz
(2) http://www.brikada.de/Lebensart/7591/ZDFzoom-Deutschland-und-der-gekaufte-Sex-Doku-ueber-Prostitution-zwischen-Realitaet-und-Gesetz
Ein guter Artikel zu dem Film. Die Argumentation der Filmemacherin gegen das schwedische Modell ist ein schlechter Witz. Leider werden viele bei uns von dieser Argumentation verblendet.
Nicht zu vergessen, dass die Prostitutionslobby den sogenannten „Feminismus der 3. Welle“ auf ihrer Seite weiß.