Lesbische Zustände 2018

Es ist etwa Halbzeit 2018: Einige Lesbenevents liegen hinter, einige noch vor uns. Ich blicke mit gemischten Gefühlen auf die lesbische Landschaft in Deutschland. Einerseits ist ein Wiederaufflammen, ein Bewusstsein für die Bedeutung lesbischer Sichtbarkeit und Räume, eine Repolitisierung auszumachen. Auf dem LFT (Lesbenfrühlingstreffen) in Göttingen sprachen etliche ältere Lesben davon, sie hätten endlich wieder Hoffnung, dass sich jüngere Generationen aufmachen, ihr Erbe weiterzutragen. Viele junge Frauen standen an den Mikros, äußerten ihre Meinung, setzten sich aktiv ein für die Gestaltung ihrer Lesbenräume. Lesbische Sichtbarkeit ist in aller Munde, es werden zahlreiche neue Dyke Marches initiiert, es tut sich etwas, ist in Bewegung.

Und doch gibt es ein Aber. Obwohl neue (scheinbare) Lesbenorte geschaffen und alte wiederbelebt werden, sind sie eben in weiten Teilen nicht das, was aus radikalfeministischer Sicht Lesbenorte sind. Denn sie alle sind schon längst keine Frauenräume mehr. Transidentifizierte Männer sind selbstverständlich nicht nur „mitgemeint“ (denn mitgemeint werden ja nur Frauen), sondern explizit willkommen geheißen. Diese Haltung ist gerade in Lesbenräumen fatal: Etliche Lesben haben sexuelle Gewalt überlebt und in Lesbenräumen sichere Orte für sich gefunden. Wenn diese Orte für Männer geöffnet werden, sind sie nicht mehr sicher für Frauen. Wir können uns nicht mehr frei bewegen und nicht mehr frei sprechen. Lesbenorte, an denen ständig Männer und ihre Befindlichkeiten Thema sind, darüber diskutiert wird, ob Lesben Frauen sind und Heteras sich als Lesben identifizieren: Es ist absurd, wozu Queer-Politik führt.

Ebenfalls mit gemischten Gefühlen blicke ich auf die Debatte über lesbische Sichtbarkeit. Lesbische Sichtbarkeit ist wichtig, aber sie kann nicht das Hauptziel sein. Es geht doch vor allem darum, aus welchen Gründen und Motivationen heraus Frauen lesbisch leben. Auf welche Weise sie lesbisch leben. Sind sie politische Lesben oder leben sie nur scheinbar zufällig mit Frauen zusammen, ansonsten aber ganz patriarchatskonform? Und: Wie geht es weiter nach der Sichtbarkeit? Sind wir zufrieden, wenn wir sichtbar sind? Endet damit die Gewalt gegen Frauen, Mädchen und Lesben? Können wir so frei sein? Erlangen wir so unsere Räume zurück? Letzteres vielleicht. Wobei sich hier die Frage stellt, wer die Definitionshoheit über die Bedeutung der Wörter „Frau“ und „Lesbe“ hat. Wenn wir uns die Dyke Marches anschauen, die fast ausschließlich Sternchen im Namen tragen (und selbst wenn sie es nicht tun, was fast noch schlimmer ist, Männer selbstverständlich mit einschließen) und die Beschreibung tragen „for pan, bi and queer girls*“ (Lesben kommen also entweder gar nicht oder als einige von vielen vor), lässt sich die Frage schnell beantworten: Natürlich entscheiden im Patriarchat Männer darüber, was Begriffe bedeuten und wie Frauen sich organisieren dürfen.

Aber es gibt auch die andere Seite: ein Erstarken radikalfeministischer Analyse auch und vor allem unter jüngeren Frauen. Es handelt sich nämlich weniger (wie oft behauptet) um einen Generationen- als vielmehr um einen Ideologiekonflikt. Ich war dieses Jahr zwei Mal bei radikalfeministisch-lesbischen Treffen an einem reinen Frauenort und habe mich zum ersten Mal richtig zu Hause gefühlt. Es gibt sie doch- die Orte, an denen radikalfeministische Frauen (und zwar jeden Alters) unter sich sein können, mit allem, was das beinhaltet: von politischen Workshops zu Zwangsheteronormativität und patriarchaler Psychotherapie über körpernormierungsfreie Bewegungsmöglichkeiten bis hin zu abendlichen Sonia Johnson-Lesekreisen und feministischen Liedern am Lagerfeuer. Das alles, ohne sich über männliche Befindlichkeiten Gedanken machen zu müssen. Ohne sich in ständiger Angst vor Objektifizierung und Gewalt bewegen zu müssen. Es gibt sie, die Orte der Heilung, des Ankommens, des Zu-sich-Findens. Das traurigste daran ist wohl die Erkenntnis, dass es viel mehr dieser Orte geben könnte, wenn sich die feministische Landschaft anders gestalten würde. Das schönste ist das Wissen darüber, dass wir zurückkehren können an diese Orte, wenn wir sie brauchen. Zum ersten Mal seit langem habe ich das Gefühl, dass sich etwas bewegt in meinem Leben, über die Analyse hinaus: Ich habe Schwestern kennengelernt, von denen eine Kraft ausgeht, die mir Kraft gibt. Ich habe eine Idee davon bekommen, was entstehen kann, wenn Frauen sich zusammentun.

Auch das LFT diskutiert gerade darüber, ob es nächstes Jahr ein LFT mit Sternchen geben soll. Ein Grund, pessimistisch zu sein? Vielleicht. Doch ich weiß inzwischen, es gibt viele alte Lesben, die mit ihrer Meinung nicht hinter den Berg halten, die laut kämpfen für ihre Räume, die sich nicht so schnell von Männern und patriarchalen Kleinhaltungsstrategien einschüchtern lassen. Und das Beste ist: Es sind nicht mehr nur alte Lesben, die das tun, sondern auch immer mehr junge. Wir werden uns vernetzen, wir werden laut sein. Ihr habt die Rechnung ohne uns gemacht.

8 Kommentare

  1. Angelika

    „Wir können uns nicht mehr frei bewegen und nicht mehr frei sprechen. Lesbenorte, an denen ständig Männer und ihre Befindlichkeiten Thema sind, darüber diskutiert wird, ob Lesben Frauen sind und Heteras sich als Lesben identifizieren: Es ist absurd, wozu Queer-Politik führt.“

    whut ? und das wäre dann ja mE nix anderes als sowieso das herrschende, systemische und strukturelle (androzentrische, heteronormative) status-quo-neulib-patriachat.

    mEn ist queer immer engl. lesbian erasure, also nicht nur unsichtbarmachen, auch noch z.t. lebensgefährlich für lesbische frauen.
    und lft mit * ?! geht nicht. garnienicht.
    für mich ist das wie eine rote warnleuchte / engl. red flag.

    ich beobachte genau die diskurse auch dazu in „der anglosphere“ und meiner analyse und beobachtung nach schwappt das etwas zeitverzögert aber genauso toxisch für lesbische frauen auch hier nach dld.

    wir ™ müssen mE solidarisch sein und nicht gegeneinander ausspielen und gegeneinander engl. framen lassen – z.b. junge/jüngere geht nicht ohne alte/ältere u.u.
    solidarische grüsse

  2. Liebe Lola, vielen Dank für deinen Artikel! Ich war ebenfalls auf dem LFT in Göttingen, leider erst ab Sonntagnachmittag – im Nachhinein habe ich herausgefunden, warum erst so spät: Ich hatte Angst davor, auf Transmänner und ihre UnterstützerInnen zu treffen. So, wie die „Landschaft“ sich in Göttingen gestaltet, nämlich mit wenigen Frauenräumen, die, wenn sie da sind, Frauen*räume sind, dachte ich, sei auch das LFT. War es in Teilen. Aber der Teil, der es für mich wahrnehmbar nicht war, nämlich die Statements von Safia an den Wänden sowie das ganze Café, die jungen und älteren Frauen an den Mikros, die sich radikalfeministisch geäußert und nicht „plattmachen“ haben lassen, die Gespräche, die Lieder, den gab es auch und der hat mich aus einer Einsamkeit geholt, deren Grund mir vorher nicht bewusst gewesen ist. In der Woche nach dem Treffen kam eine unendliche Erleichterung in mir auf – ich hatte gedacht, allein zu sein, dabei stimmt das gar nicht. Anschließend folgte sehr, sehr viel Wut. Und die Erkenntnis, mich viel zu lange gefragt zu haben, was mit mir nicht stimme, ob ich wirklich „transphob“, ob meine Traumatisierungen (durch Männer) einfach noch zu stark, ich „zu kaputt“ sei, um endlich dazu zu gehören. Zur queeren Szene der Stadt, denn immerhin sei das alles ja auch wissenschaftlich „belegt“ usw. (Hier werden die ersten Weiterbildungen im Rahmen des Psychologiestudiums angeboten, zum Thema „wie unterstütze ich trans*Menschen.)
    Ja – wir sind einige! Der letzte Absatz deines Artikels macht mir ein wenig Gänsehaut – und Vorfreude auf die Zukunft. Wir vernetzen uns. Wir sind laut. Wir sind sichtbar und ansprechbar für die Frauen, die genug haben vom Versuch, im Patriarchat durch Anpassung dazu zu gehören. Es wird wundervoll werden.

  3. Ehrlich gesagt habe ich nie verstanden, dass mann von lesbischen Frauen erwartet, dass sie offen für alles sind, was sich in ihrem Umfeld wohlfühlt, aus welchen Gründen auch immer. Gibt es keinen Respekt? Für Frauen? Ich habe es ehrlich noch nie andersherum beobachtet, dass z.B. Transidente in Gay Clubs möchten. Definieren sich den alle Trans ausschließlich weiblich? Wohl kaum. Was also macht Lesben so attraktiv (für Menschen, die nicht wirklich lesbisch sind), wenn es nicht durch das vom Patriarchat vermittelte Bild ist? Vielleicht, weil es ein verschlossener Raum war, einst? Das darf natürlich nicht sein, erst recht nicht für Menschen, die sich heute mal als weiblich definieren und morgen schon wieder anders, so wie sie halt gerade fühlen, oder die, die gerne mal einen Lederrock tragen und sich dadurch so unbeschreiblich weiblich fühlen.

  4. Ok, wie geht es weiter? WIE vernetzen wir uns? An wen wende ich mich für persönlichen Kontakt, gegenseitige Unterstützung, Verständnis (ohne immer bei 0 anzufangen und auf einen Entwicklungsprozess der anderen Frau zu hoffen)? Ich habe eine Idee dazu und mache einen Vorschlag: und zwar hab ich eine Emailadresse angelegt, um Vernetzungswünsche zu sammeln und zu koordinieren. Welche also möchte, schreibt mir „ich lebe in Stadt x/Region x und möchte eine andere radikalfeministische Lesbe kennenlernen, hier die Kontaktdaten, die weiter gegeben werden sollen (kann ja erstmal eine extra angelegte Emailadresse sein oder so)“ an die Emailadresse, und wenn es eine zweite Frau aus derselben Region gibt, sende ich beiden die jeweils anderen Kontaktdaten zu.
    Vielleicht wird es ja was, vielleicht auch nicht, aber ich habe so unendlich viel Wut lebensbejahend zu kanalisieren, dass es den Versuch definitiv wert ist. Die Emailadresse lautet radikalfeministischlesbisch ät posteo punkt de
    Bin sehr gespannt auf eure Meinungen und Reaktionen!

  5. Ich möchte gern noch ergänzen, dass ich das Rad nicht neu erfinden möchte. SAFIA z.B. find ich super von ihrer Agenda her, allerdings altersmäßig begrenzt ab 40. Und falls es so eine Idee/Initiative wie meine (oder etwas ähnliches mit dem gleichen Ziel) schon gibt, schließ ich mich da sehr gern an, statt ein Parallelangebot zu machen!

  6. Liebe Lola, vielen herzlichen Dank für deinen, mich sehr bewegenden, Artikel.
    Auch ich war auf dem LFT in Göttingen und habe, als Safia-Lesbe, mit großer Berührtheit den „Junglesben“ am Mikro gelauscht, die von ihrem Erleben, erstmalig auf dem LFT, in reinen Lesbenzusammenhängen erzählt haben… wie berührt sie waren… wie einzigartig diese Stimmung miteinander ist… spürbare Dankbarkeit und Notwendigkeit des Erhalts unserer Räume…
    einfach wunderbar das zu hören! Danke dafür an alle die sich so geäußert haben!
    Und genau das ist es, warum ich Frauen/Lesbenräume möchte, dafür gekämpft habe und sie nicht (kampflos) aufgeben werde: damit Lesben/Frauen diese besondere Atmosphäre weiter erleben können.
    Wenn wir unsere Räume für alle beliebigen Identitäten öffnen, werden wir diese Flair verlieren! Und das will ich nicht! Solidarität in anderen Kontexten ja! Öffnung unserer Lesben/Frauenräume nein!
    Denn die Solidarität mit meinen „Schwestern“ ist das, was mir am Herzen liegt, besonders denen, die in unserer patriarchalen Gesellschaft (sexualisierte) Gewalt erleiden (mussten) und wenigstens diesen Schutzraum benötigen.
    Ich will mich mit euch vernetzen! ich bin gerne laut! und ich lasse mir nicht meine Meinung verbieten! Wir lassen uns nicht unterkriegen! radikalfeministische Grüße, Dagmar

  7. Ich finde schade, dass für transidente Personen, die sich also als Frau fühlen, kaum Räume existieren und sie anscheinend auch in der lesbischen Community nicht gern gesehen sind (obwohl sie selbst sich als lesbisch ansehen). So sehr ich das Bedürfnis nach Schutzräumen verstehe – vielmehr Randgruppe und Ausschluss geht ja kaum als die Position, in die Transpersonen gedrängt werden.

  8. Dagmar S.

    ein später Kommentar für Ines: Keine steht transidenten Menschen im Weg eigene Räume zu erkämpfen oder zu gründen… tut es!

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