Kategorie: Psychiatriekritik

(Internalisierter) Neoliberalismus: Jetzt reiß dich halt zusammen!

Gleise Bahnhof Köln-Deutz

Gleise Bahnhof Köln-Deutz

Anmerkung: Dieser Text ist stellenweise zynisch. Das ist nicht unbedingt ein “literarisches Mittel”, sondern in erster Linie eine Überlebensstrategie.

Mein Rentenversicherungsträger hat mir kürzlich mitgeteilt, dass ich weder arbeits- noch rehabilitationsfähig bin. In der Konsequenz heißt das, dass er mich in Rente (auf Zeit) schickt. Das gibt Mitmenschen Anlass mir mitzuteilen, dass ich entweder faul bin oder mich nicht so anstellen soll oder zu sagen: „Ich schaffe es schließlich auch.“

In meinem Leben gibt es im Moment ein Tabu, einen Teil Alltag, den ich am liebsten immer und überall verschweigen möchte: Ich lohn-arbeite nicht, denn ich bin nur begrenzt gesellschaftlich verwertbar arbeitsfähig. Als ich vor ca. einem Jahr an einer schweren Depression erkrankte und sich zeitgleich die Symptomatik meiner Posttraumatischen Belastungsstörung (in der Ausprägung einer Dissoziativen Identitätsstruktur1) drastisch verschlechterte, musste ich ins Krankenhaus, in ein psychiatrisches versteht sich. Nach wenigen Monaten kündigte mir mein Arbeitgeber und meine Kund_innen aus selbstständiger Tätigkeit suchten sich eine andere Dienstleisterin (verständlich, zumindest Letzteres). Ca. 5 Monate war ich von der Bildfläche verschwunden, mein mir ohnehin nur spärlich möglicher (wegen meiner Erkrankung/en) politischer Aktivismus fror ein, soziale Kontakte brachen ab und Freund_innen (nicht alle! Es verfestigten sich zeitgleich andere <3.) suchten (mal wieder) das Weite. Als ich Mitte August nach Hause kam, war ich in noch desolaterem Zustand als vorher, denn ich hatte eine abgebrochene, versuchte Traumatherapie hinter mir (hierzu wird in nächster Zeit ein weiterer Artikel erscheinen, in dem dezidiert über das Erlebnis mit – missglückter – Traumatherapie berichtet wird). Diese wurde mir im Krankenhaus empfohlen, weil monatelanges Rumdoktern an meiner Psyche erfolglos blieb; hätte ich eine Traumatherapie erst einmal hinter mir, würde auch alles andere nach und nach besser.

Fehlsch(l)uss.

Dieser Tiefschlag im letzten Jahr war nicht der erste in den letzten Jahren. Er war vielmehr der dritte innerhalb der letzten 4 Jahre. Davor ging es mir lange Zeit einigermaßen gut (so gut es einer eben gehen kann mit Traumafolgestörungen und rezidivierender depressiver Erkrankung) und ich führte ein stabiles und gesellschaftlich (einigermaßen) unauffälliges Leben. Vor vier Jahren erreichte mich dann nach langer Zeit wieder ein massiver gesundheitlicher Einbruch. Von der Traumafolgestörung abgesehen: Eine schwere Depression ist unendlich schmerzhaft und mit ihr geht einher, dass eine sich genauso unendlich schämt. Dafür, einfach nichts mehr zu schaffen. Auch nicht, eine Packung Pommes in den Ofen zu schieben. Depressionen erzeugen Schmerzen in Körper und Seele, die unerträglich sind. Wenn ich jetzt an diese Zeit zurück denke, breche ich in Tränen aus, Tränen, die ich während der Depression nicht weinen konnte (ich hätte so gerne gewollt!). Und nachdem es mir wieder besser ging, dauerte es kein Jahr, bis der nächste Schub kam. Und dann, dann wurden die Abstände immer kürzer, die Abstände zwischen gut und schlecht gehen und durch einen Auslöser in meinem familiären Umfeld fiel ich Anfang des letzten Jahres so tief, dass ich, im Rahmen einer dissoziativen Amnesie, einen Haufen Medikamente aus meinem Tablettenfundus – von dem ich bis dato nicht mal wusste, dass er existiert – in mich reinstopfte.

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Warum Traumata nicht “aufzulösen” sind

Kunsttherapie

Kunsttherapie, Abdrücke von Händen. Lizenz: Public Domain, Quelle: stux bei pixabay

Ich habe in den letzten Tagen irgendwo den Tweet einer Psychotherapeutin gelesen, in dem sie schrieb, ihr würde es nicht schwer fallen, “Traumata aufzulösen” (wohingegen sie Häkeln nicht so gut beherrsche). Es ist nicht das erste Mal, dass ich etwas Derartiges lese und es schnürt mir, als schwer traumatisierter Person, jedesmal den Hals zu.

Traumata, in meinem Fall sexuelle und anderweitige körperliche Misshandlungen und psychischer Terror, lassen sich nicht “auflösen”. Es kommt einem Hohn und einer absoluten Verharmlosung gleich und es zeugt von Selbstüberschätzung und Fehleinschätzung von Trauma-Auswirkungen, so etwas zu behaupten (ja, ich weiß, sie, die TherapeutInnen, die das behaupten, meinen es sicher gut, ja, ich weiß).

Diese Aussage impliziert, dass Traumata einfach verschwinden können, dass die Auswirkungen gänzlich korrigierbar, heilbar sind, aber das ist nicht der Fall.

Ich habe sehr lange dafür gebraucht zu verstehen und vor allem zu glauben, dass es Familien gibt, in denen die Kinder nicht geschlagen, nicht vergewaltigt, nicht psychisch terrorisiert werden. Meine Realität, mein Erleben in einer Familie, in der Gewalt an der Tagesordnung war, war mein “Default”, meine Standardeinstellung im Betriebssystem des Lebens. Ich war Jahrzehnte nicht wütend darüber, ich habe mir schließlich für all das die Schuld gegeben. Was soll ich sagen? Dieses Gefühl, dieses Erleben, diese Wahrnehmung bleibt. Und wenn sie mal über einen bestimmten Zeitraum aus dem Bewusstsein verschwunden zu sein scheint, dann braucht es einen minimalen Auslöser, eine Sekunde, um in dieses System hinein katalputiert zu werden, in dem ich so defizitär sozialisiert wurde.

Ja, vielleicht meinen diese TherapeutInnen damit etwas ganz Anderes, wenn sie von “auflösen” sprechen. Mit Sicherheit wird mir das gleich erklärt. Dann sollten sie einen anderen Begriff wählen: Kein Wort ist nur ein Wort.

Eine Therapie kann helfen. Sicher. Ich habe auch eine gemacht. Ich war irgendwas zwischen 20 und 25, hatte ein Studium angefangen, eine niedliche Miniwohnung angemietet und lebte in einer wunderbaren Großstadt. Und trotzdem war ich mit Lebensoptionen beschäftigt, die so gar nicht typisch für eine solche 20-Jährige waren: Ich überlegte jeden Tag, ob ich mich von einer dieser Rheinbrücken stürze oder mich dauerhaft mit Drogen abschieße. Ich wachte jeden Morgen auf und überlegte, mich lieber jetzt schon, statt erst abends zu betrinken. Weil dieser Lebensschmerz einfach so maßlos war und mich jeden Tag überwältigt hat. Die Therapie damals, sie half. Und ich weiß tatsächlich manchmal nicht, ob ich ohne sie heute auch in diesem Arbeitszimmer sitzen und Artikel ins Internet schreiben würde.

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