Als Folge von Köln wurde gefordert, Männer aus Nordafrika und „arabischen“ Ländern, auch genannt Migranten, wieder in „ihre“ Länder abzuschieben. Sicherheitsvorkehrungen sollen verschärft werden, und was das auch bald für uns heißen kann, zeigt uns der Ausnahmezustand in Frankreich. Die Ausweitung von Polizeirechten kann uns anders treffen irgendwann als wir es je befürchten könnten und schneller als es braucht um zu husten.
Völlig davon abgesehen, finde ich es erstaunlich, wie genau „Deutsche“ sich eine ethnische Zuordnung zutrauen angesichts der unzähligen arabischen Dialekte und des großen Spektrums des Aussehens. Lächerlicherweise sprechen viele aus „Nordafrika“ kein Arabisch. Einige weigern sich sogar Arabisch zu erlernen und hassen „Araber“. Ihre Haltung ist so rassistisch gegenüber „Arabern“, dass diese sich kaum von der Haltung rassistischer „Deutscher“ differenzieren lässt.
Die Eigenbezeichnung der „Nordafrikaner“ ist übrigens der Maghreb, da die Kultur, trotz des gegenseitigen Hasses der jeweiligen Länder durchaus Gemeinsamkeiten aufweist. Unterhalb der Sahara heißt es dann „l`africe noir“. Eigenbezeichnungen nicht zu nutzen, könnte auf Kolonialismus hinweisen oder auf die Angst, „Deutsche“ intellektuell zu überfordern. Afrika ist einfach Afrika und der Norden ist so wie der Süden.
Auch das Aussehen von Menschen aus „arabischen und nordafrikanischen Ländern“ lässt sich kaum differenzieren. In den Ländern des Maghreb alleine reicht das Spektrum von rothaarig mit Sommersprossen bis zu schwarzer Hautfarbe. Die Tuareg im Süden Algeriens haben mit einem hellhäutigen, blondem Städter aus Algier so wenig gemeinsam wie ein Stück Brot mit einem Apfel, oder was auch sonst nicht zusammen passt.
Der Slogan „Maghreb United“ wurde erst mit der zweiten oder dritten Einwandergeneration möglich, denn ihnen wurde bewusst, dass trotz der gegenseitigen Verachtung Europäer sie sowieso alle in einen Topf werfen.
Vielen sind diese gegenseitigen Unterschiede und Abneigungen kaum bekannt. Viele Muslime verabscheuen aus verschiedenen Gründen zum Beispiel auch Saudi Arabien, der so wichtige Partner des Westens, dafür das der Reichtum nicht geteilt wird, die Scheinheiligkeit die bei religiösen Werten und der Einhaltung besteht, der Zerstörung des Jemens und der Verachtung von Menschenleben bei der letzten Hadj in Mekka, wo durch fehlende Sicherheitsvorkehrungen tausende PilgerInnen starben.
In jedem Fall ist es völlig unglaubwürdig, dass sich Männer aus völlig unterschiedlichen kulturellen Kulturkreisen in großen einheitlichen Gruppen verabreden. Im Moment tritt eventuell eher eine Spaltung untereinander auf, denn es wird nochmals kälter in Kaltland. SyrerInnen finden es nicht in Ordnung, dass sich verzweifelte Geflüchtete aus Tunesien, Algerien und Marokko, die seit Jahren schon mit Booten (Haggara) vesuchen nach Spanien oder Italien zu kommen, jetzt unter die Kriegsgeflüchteten gemischt haben. Anekdotisch kann ich von einem älteren marokkanischem Arbeitskollegen berichten, der jetzt behauptet, alle angeblich marokkanischen Drogendealer seien Algerier, die behaupten Marokkaner zu sein. Es wird wirr.
Eine Möglichkeit von Minderheiten als Handlungsoption ist der gemeinsame Zusammenschluss gegen einen GegnerIn, oder eben die zunehmende Verfeindung und Spaltung. Einige nutzen im Augenblick auch auf sehr auffallende Art und Weise ihre kulturelle Herkunft um als „VorzeigearaberIn“ den Islam im Großen und Ganzen zu diffamieren, und können auf allen erdenklichen Platformen zur Schau gestellt werden nach dem Motto…“ das ist ja auch eine/einer und die sagen es selbst…“.
Die andere Handlungsoption wird eine zunehmende Radikalisierung sein, denn der radikale Islam macht tatsächlich nur noch einen Unterschied in der Strenge des Glaubens und Muslime werden ja sowieso als Gruppe betrachtet.
Aber gut, das sind alles wirklich nur Nebenschauplätze, denn Männer die Sexualstraftaten ausüben, sind eigentlich nur eins: Täter.
Es wird in der Diskussion der letzten Tage auch propagiert, dass sexuelle Übergriffe in „Nordafrika“ toleriert werden und keine gesellschaftliche Diskussion stattfindet. Aber noch nicht einmal das trifft zu.
Am 7. November 2015 wurde Razika Cherif im Alter von 40 Jahren in Magra, Algerien, von einem Autofahrer überfahren und getötet, da sie nicht auf seine verbalen sexuellen Übergriffe eingehen wollte. Dies löste eine gesellschaftliche Debatte aus, da es eine Zuspitzung der Gewalt gegenüber Frauen darstellte.
Die Diskussion über sexuelle Übergriffe wird im Maghreb, welch Überraschung, auch vehement geführt.
Eine Gegendemonstration fand in der Hauptstadt Alger statt, mit Schildern wie: „ die Straße ist frei, mein Körper nicht “.
Die rechtliche Stellung der Frau ist in Algerien eingeschränkt, in Tunesien allerdings nicht mehr. Und auch in Algerien gibt es schon lange Forderungen, die rechtliche Stellung der Frau anzugleichen und dem Beispiel Tunesiens zu folgen. Die Debatte der Rolle von Frauen und Männern wird geführt, ebenso wie die Debatte über sexuelle und körperliche Gewalt gegenüber Frauen, und auch Kindern. Dieses Thema wird weder akzeptiert als gesellschaftlicher Konsens, noch verschwiegen.
Teilweise wird auch mit dem „männlichem Trieb“ argumentiert, denn die Mehrheit der Bevölkerung ist unter 30 Jahre alt und die Möglichkeit ohne Ehe sexuelle Beziehungen zu führen ein gesellschaftliches Tabu, so dass die „armen“ jungen Männer ihre sexuelle Frustrationen an Frauen notgedrungen auslassen müssen, die die Straße entlang gehen. Allerdings unterscheidet sich das Konzept des „männlichen Triebes“ auch nicht von der Idee westlichen patriarchalen Idee, dass Männer Prostitution brauchen um Frauen nicht vergewaltigen zu müssen wegen ihres „Triebstaus“.
Es ist ebenso Thema, dass Frauen belästigt werden, egal ob sie verschleiert sind oder nicht und der Hijab keinerlei Schutz und Sicherheit bedeutet. Auch das wird angeprangert in der gesellschaftlichen Debatte und die alleinige Verantwortung ungebildeten und frustrierten jungen Männern gegeben. Teilweise wird noch die grenzenlose Erziehung zu „kleinen Prinzen“ verantwortlich gemacht, und ein autoritäres Schulsystem mit Gewalt als Erziehungsmethode. Religiöse Scheinheiligkeit ist auch ein Teil der Debatte in Kommentaren, denn einige zelebrieren Ramadan, aber sehen youporn auf ihrem Smartphone. Der Diskurs zu sexueller und körperlicher Gewalt gegenüber Frauen wird also genauso differenziert geführt (oder auch nicht-je nach dem) wie im „Westen“.
In jedem Fall ist es ein weiteres Vorurteil, dass in „arabischen und nordafrikanischen Ländern“ Frauen sexuelle Überriffe schweigend hinzunehmen haben oder diese hinnehmen. Andere Länder, selbes Thema. Immer. Überall.
Und Frauen brauchen Täter nirgendwo, auch keine aus Deutschland abgeschobenen, aber überall eine Rechtsprechung, die sexuelle Gewalt verurteilt, klar und deutlich.
http://www.huffpostmaghreb.com/2015/11/13/razika-cherif-harcelement_n_8564356.html
Tut mir leid, aber diesen Beitrag kann ich ausnahmsweise mal nicht in allen Punkten unterschreiben. Man spürt, dass die Autorin noch nicht in einer solchen Situation war wie die Frauen in Köln. Na klar kann man sich die Frage stellen, wie man sich die ethnische Zuordnung zutrauen kann. Aber diese Frage steht hier nicht. Frau wird von Männern bedrängt, hat Angst, ist verzweifelt, panisch. Und keiner der Männer zeigt vorher seinen Ausweis oder fragt, in welcher Sprache die Dame angemacht werden will. Im Zweifelsfall kann sie sowieso nicht unterscheiden, ob es arabisch, zulu oder suaheli ist.
Die einzig relevante Frage lautet doch: Welche Merkmale waren für sie in einer solchen Ausnahmesituation überhaupt bemerkbar, auffällig, markant? Und da sei es schon erlaubt und entschuldbar, wenn ihr nicht auffiel, dass er nach deutschem Deo roch, sondern dass er anders aussah und fremdländisch sprach. Und trotz aller Freiheit bezweifle ich (mehr noch: ich weiß es sogar), dass Frauen in Tunesien nicht missbraucht werden.
Wior sollten uns endlich von dem Gedanken lösen, dass es irgendeine Entschuldigung dafür gibt, wenn Männer Frauen keinen Respekt entgegenbringen. Auch keine Erklärung, die diese Schuld abschwächt.