Unsere Gentlemen der Woche: Peter Strutynski und der Bundesausschuss Friedensratschlag für ihre Erklärung anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises an Malala Yousafzai und Kailash Satyarthi

Malala Yousafzai

By Russell Watkins/Department for International Development (https://www.flickr.com/photos/dfid/14714344864/) [OGL or CC BY 2.0], via Wikimedia Commons

Wir wollen den feministischen Diskurs beleben und unterschiedliche Ansätze zur Diskussion stellen. Deshalb erscheinen bei uns regelmäßig Gastbeiträge, die nicht zwangsläufig die Haltung der oder aller Störenfriedas wiedergeben, aber wichtige Impulse für die feministische Debatte geben können.

Am 10. Oktober 2014 gab das norwegische Nobel-Komitee in Oslo die diesjährigen PreisträgerInnen in der Kategorie „Friedensnobelpreis“ bekannt. Ausgezeichnet wurden die 17 jährige Schülerin Malala Yousafzai aus Pakistan und der 60jährige Ingenieur und Menschenrechtler Kailash Satyathi aus Indien. Ausgezeichnet „für ihren Kampf gegen die Unterdrückung von Kindern und jungen Menschen und für das Recht aller Kinder auf Bildung“. Die Welt – auch wir Störenfriedas – gratulierte(n) freudig überrascht. Die Welt, bis auf Peter Strutynski, seines Zeichens Sprecher des Bundesausschuss Friedensratschlag. Der erklärte im Namen der Organisation, „die Entscheidung in Oslo ist mut- und ideenlos“. Das finden wir wiederum mehr als ideenlos. Noch ideenloser finden wir indes die Alternativen, die die Kasseler Altherren-Riege, vertreten durch Peter Strutynski, statt dessen anzubieten hätte: einen Ex-CIA-Agenten für eine an sich banale Erkenntnis, und einen per Internationalem Haftbefehl gesuchten Frauenhasser für … Tja, für was eigentlich?

Der Friedensnobelpreis

Der Nobelpreis ist eine seit 1901 jährlich vergebene Auszeichnung, die der schwedische Erfinder und Industrielle Alfred Nobel (1833–1896) gestiftet hat. In seinem Testament legte er fest, dass mit seinem Vermögen eine Stiftung gegründet werden sollte, deren Zinsen „als Preis denen zugeteilt werden, die im verflossenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen geleistet haben“. Das Geld sollte zu fünf gleichen Teilen auf die Gebiete Physik, Chemie, Physiologie oder Medizin, Literatur und für Friedensbemühungen verteilt werden. Die Nobelstiftung wurde am 29. Juni 1900, vier Jahre nach dem Tod Alfred Nobels, gegründet, die ersten Preise 1901 verliehen. Der Nobelpreis gilt heute als die höchste Auszeichnung in den berücksichtigten Disziplinen und wird jedes Jahr an Nobels Todestag, dem 10. Dezember, verliehen. Der Friedensnobelpreis wird in Oslo übergeben, alle anderen Preise in Stockholm (http://de.wikipedia.org/wiki/Nobelpreis).

Nach Maßgabe des Stifters soll der Friedensnobelpreis an denjenigen vergeben werden, „der am meisten oder am besten auf die Verbrüderung der Völker und die Abschaffung oder Verminderung stehender Heere sowie das Abhalten oder die Förderung von Friedenskongressen hingewirkt“ und damit „im vergangenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen erbracht“ hat (http://de.wikipedia.org/wiki/Friedensnobelpreis).

1905 wurde als erste Frau die österreichische Schriftstellerin Bertha von Suttner ausgezeichnet, die mit ihren Werken, u.a. dem Roman „die Waffen nieder“, Nobel zur Vergabe des Preises inspiriert haben soll. Bis heute wurden insgesamt 16 Frauen mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Darunter zwei Gründerinnen der Women´s International League for Peace and Freedom (Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit), Mutter Theresa, Jody Williams von der Internationalen Kampagne für das Verbot von Landminen und Rigoberta Menchu für ihren Kampf für die Rechte von Indigenas. Die Women´s International League for Peace and Freedom formuliert in etwa das, was Malala ganz praktisch Angesicht zu Angesicht mit den Taliban getan hat, bzw. tut.
Ausgezeichnet wurde 97 Männer, darunter 1935 der Pazifist und Journalist Carl von Ossietzky, 1964 der US-amerikanische Bürgerrechtler Martin Luther King und 1971 der damalige Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) sowie diverse Organisationen und Institutionen.

Friedensnobelpreis – in den vergangenen Jahren ein Griff ins Klo

In einer Zeit, in der nicht militärische Konflikte beendet werden, sondern ständig neue Kriege ausbrechen, ist es schwierig, Kandidatinnen und Kandidaten zu finden, auf die die von Nobel formulierten Anforderungen, „Verbrüderung der Völker, Abschaffung von Armeen oder Abhalten von Friedenskongressen“ zutreffen. Ich nehme mal an, Nobel schwebten dabei Kongresse mit größerer Relevanz und internationaler Tragweite als der jährlich am ersten Dezember-Wochenende stattfindende Kasseler Friedensratschlag vor.
In den vergangenen Jahren hat das Nobelkomitee sich damit beholfen, Menschen und Institutionen auszuzeichnen, die zwar dem formulierten eigenen Anspruch zufolge Großes für den Weltfrieden leisten – in der Praxis aber genau das Gegenteil tun. So wurde z.B. 2009 der amtierende US-Präsident Barack Obama „für seine außergewöhnlichen Bemühungen, die internationale Diplomatie und die Zusammenarbeit zwischen den Völkern zu stärken und die Europäische Union“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Friedensnobelpreisträger) ausgezeichnet. Über Obama kursiert im sozialen Netzwerk facebook ein Foto einer verzweifelten Frau mit dem Spruch „I voted for Obama to end wars – but now he is bombing in 7 countries“ (Ich habe Obama gewählt, damit er die Kriege beendet – aber nun bombardiert er 7 Länder).

2012 wurde die Europäische Union „für über sechs Jahrzehnte, die zur Entwicklung von Frieden und Versöhnung, Demokratie und Menschenrechten in Europa beitrugen“ ausgezeichnet. Abgesehen davon, dass ich den Jugoslawien-Krieg nicht eben als Beitrag „zur Entwicklung von Frieden und Versöhnung“ wahrgenommen habe, ebenso wenig wie die Waffenlieferungen der bundesdeutschen Rüstungskonzerne und die Entsendung von SoldatInnen in alle Welt, macht sich die EU um „Demokratie und Menschenrechte“ verdient, indem sie Flüchtlinge zu Tausenden im Mittelmeer absaufen lässt, und gerade aktuell, indem sie eine internationale Hetzjagd auf Flüchtlinge in den EU-Ländern veranstaltet (http://diestoerenfriedas.de/morgen-beginnt-die-polizeioperation-mos-maiorum-gegen-fluechtlinge-in-europa-schuetzt-die-refugees/).

Kinderrechte und Weltfrieden – ohne jeden Zusammenhang?

Zugegebenermaßen haben weder Malala Yousafzai und Kailash Satyarthi Armeen dezimiert – sie haben nämlich gar keine – noch Friedenskonferenzen durchgeführt.

Malala Yousafzai hat als damals Elfjährige angefangen, als Bloggerin auf einer Webseite des BBC über Gewalttaten der pakistanischen Taliban in ihrer Heimatregion, dem Swat-Tal, zu berichten. „Diese Terrororganisation hatte seit 2004 im Swat-Tal Einfluss gewonnen und 2007 damit begonnen, Schulen für Mädchen zu zerstören und gegnerische Pakistaner zu ermorden. Sie verboten Mädchen den Schulbesuch, das Hören von Musik, das Tanzen und das unverschleierte Betreten öffentlicher Räume … Nachdem sie ein ultimatives Verbot der Taliban zum Schulbesuch zusammen mit anderen Mädchen missachtet hatte, hielten einige Taliban am 9. Oktober 2012 ihren Schulbus auf der Heimfahrt an und fragten nach Malala. Ein Taliban schoss aus nächster Nähe auf sie. Dabei wurde sie durch Schüsse in Kopf und Hals schwer verletzt und musste in einem Militärkrankenhaus in Peschawar operiert werden. Anlass für den Anschlag war einem Bekennerschreiben der Taliban zufolge der Einsatz des Mädchens für die schulische Bildung der weiblichen Bevölkerung“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Malala_Yousafzai). Somit ist sie wahrscheinlich nicht nur die jüngste Friedensnobelpreisträgerin aller Zeiten, sondern auch die jüngste Whistleblowerin.

Zur Erinnerung: die Taliban sind die geistigen Brüder der ISIS-Mörderbanden, die im Norden des Irak und in Syrien einen regelrechten Krieg gegen Frauen führen. Die Taliban machten es ihnen in Afghanistan vor. Deshalb u.a. wurde Afghanistan von der NATO bombardiert, um die Rechte der Frauen zu schützen. Nein, über die Ernsthaftigkeit dieses Argumentes möchte ich jetzt nicht diskutieren.

Wenige Stunden nach Bekanntgabe der Verleihung des Friedensnobelpreises an die junge Pakistani wurde sie von einer Taliban-Splittergruppe mittels Twitter bedroht: „Charaktere wie Malala sollten wissen, dass wir nicht von der Propaganda (Ungläubiger) abgeschreckt werden. Wir haben scharfe und gewetzte Messer für die Feinde des Islam vorbereitet“ (http://www.ruhrnachrichten.de/nachrichten/politik/ausland/Entscheidung-in-Oslo-Friedensnobelpreis-geht-an-Satyarthi-und-Yousafzai;art29858,2506805#plx138918914).

Auf Einladung des US-Präsidenten besuchte Malala Yousafzai die Obamas im Weißen Haus. Dabei legte sie ihm ihre Sicht zum Thema Drohnenkrieg dar.

Kailash Satyarthi beendete 1980 seine Ingenieurslaufbahn und wurde Generalsekretär der Bonded Labour Liberation Front und gründete die Organisation Bachpan Bacho Andolan (BBA) – Save Childhood Movement – Rettet die Kindheit. Die Organisation widmet sich dem Thema Armut und Kinderarbeit, macht sich stark für Fair-Trade ohne Kinderarbeit und hat Schätzungen zufolge bislang 80.000 Kinder aus Sklavenarbeit befreit und deren Re-Integration in die Gesellschaft ermöglicht (http://de.wikipedia.org/wiki/Kailash_Satyarthi).
Krieg hat viele Gesichter, und die brutale Ausbeutung von Kindern ist eines davon. Und auch die „Verbrüderung der Gesellschaft“ hat sehr unterschiedliche Aspekte. Die Re-Integration von versklavten Kindern in ein Leben mit einer Zukunftsperspektive würde ich u.a. darunter fassen. Malala Yousafzai geht es ganz explizit auch nicht um „Verbrüderung“, sondern insbesondere um die Rechte von Mädchen und Frauen, deren gleichberechtigte Teilhabe an der (muslimischen) Gesellschaft. Dafür hat sie sich als Elfjährige (!) gegen die Taliban gestellt.

„Erstaunlich, dass das Nobelpreiskomitee mit schlafwandlerischer Sicherheit aus der großen Auswahl wieder einmal eine zwar sympathische, aber falsche Entscheidung traf – indem es zwei Personen auswählte, die jede für sich große Verdienste vorweisen können: für die Beendigung der Kinder- und Sklavenarbeit oder für das Recht von Mädchen auf Bildung und für Geschlechtergerechtigkeit“, so Peter Strutynski. Gemessen an den Vorgaben Nobels für die Vergabe des Preises in der Kategorie Frieden sei „die diesjährige Vergabe des Friedensnobelpreises eine Fehlentscheidung. Davon gab es in den letzten Jahren schon genug (etwa Barack Obama oder die Europäische Union)“ (http://www.scharf-links.de/44.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=47504&cHash=35e2ea8f9e). Diese Gleichsetzung von Malala Yousafzai und Kailash Satyarthi mit Obama und der EU finde ich gelinde gesprochen eine Unverschämtheit.

Altherrenriege mit dem richtigen Durchblick

Das Komitee habe mit „schlafwandlerischer Sicherheit“ eine „falsche Entscheidung“ getroffen. „Wieder mal“, so Peter Strutynski. Ok, die in Oslo haben keinen Durchblick, dafür aber die Altherrenriege in Kassel. Und zwar den richtigen. Die wissen nämlich nicht nur, dass diese Entscheidung falsch ist, sondern auch, welche denn besser gewesen wäre. Nämlich die Nominierung u.a. von Edward Snowdon, dem gefeierten Helden der bundesdeutschen Linken, für seine Enthüllungen, die sich salopp mit den Worten „die Geheimdienste dieser Welt haben technische Möglichkeiten und nutzen sie auch“ zusammenfassen ließen. Als CIA-Agent war Snowdon selbst mit an der Entwicklung des engmaschigen und nahezu lückenlosen Überwachungssystems, dass er jetzt anprangert, beteiligt. Irgendwann ging ihm auf, was er da eigentlich tut, und bereitete seinen Abgang vor. Seit seinen Enthüllungen lebt er quasi auf der Flucht und rangiert als Staatsfeind ganz oben der entsprechenden Liste der USA.

Das Problem, das Snowdon beschreibt, haben diejenigen, für die Malala Yousafzai und Kailash Satyarthi stehen, nicht. Im Gegenteil: sie schuften als Kindersklaven hart, damit wir uns hier diesen Luxus – auch dieses Problems – leisten können.
Trotzdem hat Snowdon Respekt verdient für seine konsequente Haltung, die sein ganzes bisheriges Leben nicht nur in Frage stellt, sondern ihn zwingt selbiges aufzugeben. Inklusive Lebensgefährtin, Familie, Bekannte, Lebensstil, etc. Er hat sich in Lebensgefahr gebracht, um die Weltöffentlichkeit zu informieren. Wäre Snowdon für den Nobelpreis nominiert worden, wäre das zu begrüßen gewesen. Als dritte Person neben Malala Yousafzai und Kailash Satyarthi!

Wo Snowon ist, ist in aller Regel Julian Assange nicht weit. So auch beim Bundesausschuss Friedensratschlag. Julian Assange, der australische Wikileaks-Gründer, der nicht mehr sehr viele Freunde hat auf der Welt – außer der bundesdeutschen Linken. Selbst indymedia Australia hält sich inzwischen ziemlich zurück, was Assange angeht. Der strahlende Held der Linken und der Friedensbewegung hat in Schweden laut deren Aussage zwei Frauen ungeschützten Geschlechtsverkehr aufgenötigt, weshalb sie ihn aufforderten, sich einem AIDS-Test zu unterziehen. Seine Weigerung, diesen Test zu machen, hat all die Konsequenzen zur Folge, mit denen nicht nur er jetzt leben muss, sondern auch die Frauen müssen das. Mit weitaus härteren Konsequenzen, übrigens. Laut Aussage des damaligen Sprechers von Wikileaks Schweden wären die beiden Frauen nicht einmal zur Polizei gegangen, hätte er sich dem AIDS-Test unterzogen.

Ok, nun soll der Gute ja nicht für mieses Verhalten Frauen gegenüber ausgezeichnet werden, sondern für die Wikileaks-Enthüllungen. Da muss ich den Bundesausschuss Friedensratschlag allerdings enttäuschen: zu den Enthüllungen hat Assange nicht besonders viel beigetragen. Entschlüsselt wurden die an Wikileaks gesandten Daten von einem Team von Journalisten der New York Times, des Guardian und des SPIEGEL

Weder Snowdon noch Assange haben Armeen abgeschafft, Kriege beendet noch Friedenskonferenzen abgehalten. Was also zeichnet sie aus, dass sie STATT Malala Yousafzai und Kailash Satyarthi den Preis hätten erhalten sollen? Mit Begründungen dafür hält Peter Strutynski sich nicht lange auf. Scheinbar sind Snowdon und Assange Schlagwörter, die, in die Runde geworfen, sich selbst erklären.
Gar nichts erklärt sich. Klar geworden ist nur, dass der Bundesausschuss Friedensratschlag sich von einer mutigen jungen Frau offensichtlich provoziert fühlt. So sehr provoziert, dass sie es für notwendig erachten, quasi den Friedensnobelpreis der Herzen zu vergeben. Damit ihre Burschen- und sonstigen Seilschaften ja nicht angetastet werden, und ihre schöne bunte Männerwelt in Ordnung bleibt.

Wir jedenfalls freuen uns, dass es mutige junge Frauen wie Malala Yousafzai gibt, und denken, dass sie gar nicht oft genug ausgezeichnet werden kann.

Birgit Gärtner

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