Sexualassistenz oder das Recht von Menschen mit Behinderungen auf den Kauf von Frauen

Wir wollen den feministischen Diskurs beleben und unterschiedliche Ansätze zur Diskussion stellen. Deshalb erscheinen bei uns regelmäßig Gastbeiträge, die nicht zwangsläufig die Haltung der oder aller Störenfriedas wiedergeben, aber wichtige Impulse für die feministische Debatte geben können.

Immer wieder kommt das Thema „Sexualassistenz“ für Menschen mit Behinderungen auf.  Sexualassistenz ist sozusagen die angeblich menschliche Seite der Prostitution, denn Menschen mit Behinderungen haben ja auch das Recht auf Sexualität. Inwiefern hier gemeint war, dass andere Menschen für Geld diese Bedürfnisse zu erfüllen haben, bezweifele ich sehr.

Gerne und oft wird die UN Behindertenrechtskonvention zitiert, die das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderungen festlegt. Komischerweise wird kaum Artikel 6 zitiert, der die mehrfache Diskriminierung von Frauen mit Behinderungen hervorhebt, die zu beseitigen sind, oder Artikel 16, der Freiheit von Ausbeutung, Gewalt, und Missbrauch thematisiert oder Artikel 17, Schutz der Unversehrtheit der Person. Irgendwie erscheint mir hier von einigen eine sehr selektive Auswahl der Behindertenrechtskonvention getroffen worden zu sein. Wie immer im Patriarchat, wird ein Satz aus einem Zusammenhang genommen, der gut passen kann, um männliche Bedürfnissbefriedigung zu begründen und um männliche Ansprüche zu bestätigen.

Sexualassistenz ist die Speerspitze der Lobby, die in das Herz von Menschen treffen soll, die irgendwie Mitleid mit den „armen behinderten Menschen“ haben und somit ihnen wenigstens sexuelle Dienste zukommen lassen wollen. Eigentlich steht hier ein sehr abwertendes Bild von Menschen mit Behinderungen dahinter, denn Menschen mit Behinderungen haben genauso wenig oder viel Recht auf den Kauf von prostituierten Frauen (in der Regel) oder auf den Kauf von prostituierten Männern, wie Menschen ohne Beeinträchtigungen..

Sexualassistenz wird gerne beschrieben als „tiefe Begegnung zweier Menschen“ oder Ähnliches. Es soll eine weiche und nette Form der Prostitution sein, mit ganz viel Verständnis und Empathie. Sie dient sozusagen als Rechtfertigung der Prostitution, denn wer will vom Schicksal schwer getroffenen Menschen auch noch den „Sexualtrieb“ beschneiden?

Es gibt seit August sogar ein Portal, Nessita, das Sexualassistenz für immobile Menschen vermittelt. Auch hier wird von Vertrauen, Respekt und Einfühlungsvermögen gesprochen.

Menschen mit Beeinträchtigungen werden genauso beeinflusst von Medien und Gesellschaft wie Menschen ohne Beeinträchtigungen. Einige meiner Freunde arbeiten mit Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung. Sie bestätigen, dass hier Männer genauso oft sexistische Witze machen wie auch sonst leider üblich.

Vor kurzem wurde zum Beispiel gefragt, welcher Film denn bei einer kleinen Weihnachtsfeier gesehen werden sollte. Die Antwort von einigen männlichen Klienten war “einen Porno“. Oder es werden Witze darüber gemacht, welche junge Frau, bevorzugterweise natürlich gesund, für Sex mit ihnen in Frage kommt. Genauso wie Männer ohne Beeinträchtigungen, glauben auch viele Männer mit geistigen Beeinträchtigungen, dass sie als Mann Anspruch auf jede attraktive junge Frau haben. Wieso auch nicht – ein Penis zu haben genügt in unserer Gesellschaft hierfür. Der Film „Ziemlich beste Freunde“ machte es ihnen und uns nochmals sehr deutlich. Dieser preisgekrönte Film handelt von einem sehr reichen Mann, der querschnittsgelähmt ist und von seiner Freundschaft zu seinem Pfleger. Er geht mit seinem körperlich gesunden Freund-Pfleger zu prostituierten Frauen und beide feiern sich hierfür. Irgendwie kann er mit Berührungen an seinen Ohren noch sexuell etwas empfinden. Das Publikum feierte den Prostitutionsbesuch mit, obwohl die Botschaft lautete: jeder Mann kann und sollte sich Frauen kaufen. Dafür sind sie da. Es ist egal, ob der Mann nur noch aus einem Kopf besteht, denn mit Geld können prostituierte Frauen zur Verfügung stehen. Das ist lustig. Ich gebe zu, den Film nur zwanzig Minuten gesehen zu haben, denn er bestand eigentlich nur aus sexistischer Kackscheiße. Und sexistische Kackscheiße finde ich nie lustig, auch nicht wenn sie von behinderten und schwarzen Männern durchgeführt wird. Und natürlich verhalten und denken nicht alle Männer mit Behinderungen so, aber sie sind genauso wenig besser oder schlechter wie „gesunde“ Männer. Oder anders gesagt ein Mann im Rollstuhl kann immer noch ein Arschloch im Rollstuhl sein. Oder auch nicht. Eine Behinderung ist eine besondere Herausforderung den Alltag zu bewältigen. Nicht mehr und nicht weniger. Und für manche Behinderungen ist hierfür eine pflegerische Assistenz notwendig. Allerdings sind auch dies übrigens Menschen, auch in der Pflege. Sexualassistenz ist aber nicht gleichzustellen mit Pflege, denn Sexualität unterliegt der Selbstbestimmung eines jeden Menschen und sollte nicht käuflich sein.

Vor kurzem wurde leider Benjamin Piel ausgezeichnet mit dem Reportagepreis für junge Journalisten 2014 für einen spannenden Artikel zur Sexualassistenz „Bettys erstes Mal“.

Betty ist fast blind, 73, und geistig behindert. Noch nie hat ein Mann ihren nackten Körper gestreichelt. Jean ist angehender Sexualbegleiter. Er bietet behinderten Frauen erotische Dienstleistungen an. Jetzt haben Betty und Jean ein Date […]

Genauer gesagt handelt dieser Artikel von den sogenannten „Erotikworkshops“,  die am Institut zur Selbst-Bestimmung Behinderter (ISBB) in Trebel von Lothar Sandfort, selbst im Rollstuhl, angeboten werden. Hier können Behinderte, die Sex wünschen auf sogenannte Sexualbegleiter in Ausbildung treffen, die ihnen Sex gegen Bezahlung anbieten.

Der im Artikel erwähnte Sexualbegleiter Jean heißt eigentlich nicht Jean. Aber wenn der Mann aus Zürich als Sexualbegleiter unterwegs ist, nennt er sich so. Jean ist um die 60 und Mathematiklehrer. Seit einiger Zeit bietet er behinderten Frauen erotische Dienstleistungen an, massiert sie von oben bis unten, streichelt sie, erfüllt sexuelle Fantasien.

Sex ist nicht immer drin, denn dafür muss ich selbst erregt sein

sagt er.

Der Artikel stellt spannenderweise nicht in Frage, aus welcher Motivation heraus eine 73-jährige Jungfrau unbedingt Sex haben muss und möchte. Provokant gesagt, könnte es sich hier auch um sexuelle Gewalt handeln. Dies ist insbesondere interessant, da es den Fetisch von Sex mit Behinderungen gibt.

Frauen/Männer mit dieser Neigung bezeichnen sich als Devotine.

Schon meine erste sexuelle Fantasie hatte ich von einem behinderten Mann, aber dass ich eine besondere Verbindung zu Männern mit Behinderung habe, wusste ich schon viel früher. Ich kann mich noch sehr klar an einige Erlebnisse aus meiner Kindheit erinnern, in denen behinderte Menschen eine Rolle spielten, auch wenn es davon nicht viele gab. Besonders im Gedächtnis geblieben sind mir dabei auch die Reaktionen der Umgebung. Ich bin in einer kleinen Stadt aufgewachsen, in der vor allem jüngere behinderte Menschen nicht präsent sind. Unter anderem deshalb hat es wohl auch etwas gedauert, bis ich die Verbindung zwischen diesem besonderen Interesse und meiner sexuellen Neigung gezogen habe. Dass ich nicht allein bin, habe ich, wie die meisten, im Internet entdeckt und gleichzeitig damit auch die Abneigung der meisten Foren und Partnerbörsen für behinderte Menschen gegenüber Amelos bzw. Devotees. Das war erstmal erschreckend und hat die eigene Scham über diese sexuelle Orientierung noch verstärkt. Erst als ich eine Gemeinschaft gefunden habe, in der es viele Frauen mit ähnlichen Gedanken und Gefühlen gibt, habe ich angefangen, diesen Teil von mir zu akzeptieren und ihn nicht nur hinter verschlossenen Türen zu halten. Frage einer Devotine/Teil 4

Eine genauere Definition findet sich hier:

Die Begriffsformen für die sexuelle Vorliebe zu Menschen mit Handicap haben sich mit den Jahren geändert. Heute zählt der Begriff des Amelotatismus zu den gebräuchlichsten für die besondere Zuneigung zu Menschen mit körperlichen Einschränkungen. Amelotatismus leitet sich aus dem Griechischen ab und bedeutet soviel wie die Zuneigung (tatis) für Menschen ohne (a) Glied (melos) – sprich: die Zuneigung für Menschen mit fehlenden Gliedmaßen.

Losgelöst von dieser wörtlichen Übersetzung versteht man heute unter Amelotatismus mehrheitlich die Zuneigung zu den unterschiedlichsten Formen von Behinderung. Der Begriff beinhaltet sowohl Fixierungen auf fehlende Körperteile, Spastiken, Lähmungen, orthopädische Hilfsmittel wie Rollstuhl oder Krücken und sehr selten auch Neigungen zu Menschen mit Sinnesbeeinträchtigungen […]

Wir wissen also nicht, ob Jean selbst ein besonderes sexuelles Interesse an Menschen mit Behinderungen hat, dass er so sehr gut auch noch finanziell ausleben kann. Der Autor des Artikels in „der Welt“ scheint jedenfalls hiervon noch nie etwas gehört zu haben und glaubt, dass ein Mathematiklehrer aus der Güte seines Herzens die Erfüllung beim Sex mit eine 73 jährigen behinderten Frau findet.

Aber was ist mit den Betreuern oder Betreuerinnen der Menschen mit Behinderungen, die nach Trebel fahren? Im Artikel der Süddeutschen heißt es:

Bettys Betreuer Mirko hatte vorgeschlagen, nach Trebel zu fahren. In der Einrichtung, in der er arbeitet, gehen viele Mitarbeiter offen mit dem Thema Sex um. Mirko hat einen Arbeitskreis zum Thema gegründet, lädt Behinderte zu Männerrunden ein, veranstaltet Single-Diskos, bestellt Sexualbegleiterinnen in die Einrichtung. Seitdem reden Betreuer und Behinderte offener über das Thema. „Zum Glück ist die Leitung aufgeschlossen“, sagt er. Aus Trebel würden die Behinderten verändert zurückkehren: „Viele achten mehr auf ihr Äußeres, sind selbstbewusster, ruhiger, weniger aggressiv, tiefenentspannt.

Es lässt sich hieraus verschiedenes schlussfolgern: Der Umgang mit Prostitution wird umdefiniert in den „offenen Umgang mit Sex“, die Standard-Vorgehensweise bei Thema Prostitution. Prostitution ist nicht sexuelle Gewalt durch den Kauf von, meistens Frauen, sondern sexuelle Befreiung, Offenheit, Selbstbestimmung. Diese Umdefinierung sexueller Gewalt kennen wir ja schon von der Prostitutionsdebatte.

Bemerkenswert ist es auch, dass  ein männlicher Mitarbeiter Sexualassistenz entdeckt und hier ist nicht klar, ob eventuell ein Eigeninteresse an dem Thema Sex und Menschen mit Behinderung vorliegt. Vielleicht ist es auch ein Amelo. Für Amelos sind bestimmt Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen ein toller Arbeitsplatz. In  jedem Fall gibt es anscheinend Männerrunden und merkwürdigerweise keine Frauenrunden. Es werden prostituierte Frauen in die Einrichtung bestellt, und auch hier wird die Unterscheidung zu sexueller Gewalt und sexuellen Übergriffen nicht deutlich. Inwiefern der Kauf von Frauen in Ordnung ist, wird sowieso nicht in Frage gestellt. Wie es für Frauen in den Einrichtungen ist, zu erleben, dass Männer dort Frauen kaufen können, die ihre Bedürfnisse erfüllen, wird auch nicht thematisiert oder in Frage gestellt.  Gerade Frauen mit einer Behinderung sind besonders häufig Opfer von sexueller Gewalt, auch von Mitarbeitern in Einrichtungen. Aber wer interessiert sich schon für dieses Thema. Es sind ja Frauen.

Die Nutzung von prostituierten Frauen in den Einrichtungen erlaubt natürlich auch nochmals mehr Sicherheit vor Entdeckung bei Übergriffen, denn Frauen mit Behinderungen können hier nochmals eher etwas falsch verstanden haben.  Dies mag insbesondere wichtig sein, da zunehmend Einrichtungen klare Verhaltenskodexe entwickeln mussten als Folge von sexueller Gewalt um Nähe und Distanz zwischen KlientInnen und MitarbeiterInnen zu regeln.

Weiterhin wird die Theorie von Sex als Beruhigungsmittel dargelegt und behauptet, dass Männer durch den Kauf von prostituierten Frauen auf ihr Äußeres achten. Diese Idee finde ich besonders gewagt, denn bei der Anzahl an prostituierten Frauen, die es mittlerweile gibt, müssten ja alle Männer top gepflegt sein. Ist mir persönlich leider noch nicht aufgefallen. Ich würde eher behaupten, dass der billige Kauf von jungen attraktiven Frauen auch für alte und hässliche Männer dazu führt, dass Männer es immer weniger als nötig erachten, auf ihr Äußeres zu achten. Wenn Bewusstsein für die eigene Erscheinung vorhanden wäre, würden sie sonst ja auch nicht auf die Idee kommen, dass sie, egal wie alt oder unscheinbar, das Recht auf den Kauf von attraktiven und jungen Frauen haben.

Seit 1997 arbeitet Lothar Sandfort, vom ISBB in Trebel, auch mit Nina de Vries zusammen. Aus dieser Zusammenarbeit ergab sich das erste Konzept  für Sexualbegleitung und die Bezeichnung selbst.

Seit 1997 bietet das ISBB die im Artikel beschriebenen erotischen Workshops an. Diese Workshops haben Persönlichkeitsentwicklung als Ziel und sind ein therapeutisches Angebot, laut eigener Beschreibung:

Da bei lern- und geistigbehinderten Menschen nur ein systemischer Ansatz wirksam ist, haben wir Betreuerinnen und Betreuer aus den jeweiligen Einrichtungen gern zum Wochenende beobachtend mit dabei. Während aller – für die behinderten TeilnehmerInnen – erotischen Zeiten haben wir ein Alternativprogramm für die Betreuerinnen und Betreuer parat, wenn sie das wollen … Mitreisende pädagogische Betreuerinnen oder Betreuer bitten wir, sich darauf einzustellen, dass sie zwar nur in beobachtender Funktion teilnehmen, dabei aber tatsächlich auch Sexualität wahrnehmen können […]

Auch hier stellt sich die Frage von sexueller Gewalt und Übergriffen/Grenzen, auch von Seiten der BetreuerInnen.

Vom 08-11. Oktober 2014 fand in Wiesbaden das Filmfest „no limits“, das Filmfest zur Inklusion statt. Der Name „ohne Grenzen“ ist hier vielleicht auch sehr bezeichnend, gerade wenn man weiß, dass es Ziel der Porno- und Prostitutionsbranche ist, Grenzen immer weiter zu erweitern, um neue Märkte zu erobern und um mit dem Verkauf von Menschen Geld zu verdienen. Immer neue Prostituenten müssen gefunden werden und immer neue sexuelle „Vorlieben“ entwickelt und bedient werden. Nina de Vries führte in dieser Woche zwei Workshops zu Sexualität und Behinderung durch und war Gast beim Filmgespräch „Die Heide Ruft“, der ein Erotikworkshop des Instituts in Trebel darstellt. Nina de Vries bezeichnet sich selbst auch als Sexualassistentin.

Es gab übrigens keinen Workshop, der eine andere Sichtweise von „Sexualassistenz“ darlegte, sondern es gelang Nina de Vries durch ihre massive Workshoppräsenz sozusagen einen Konsens darzustellen, den es vielleicht so in der Realität beim Thema Inklusion nicht gibt.

Es gab viele Mitveranstalter dieses Filmfestes, und unter anderem auch EVIM, der Evangelische Verein der Inneren Mission, die Lebenshilfe, der Kulturfonds der Stadt Frankfurt und natürlich das Kulturamt der Landeshauptstadt Wiesbaden als eigentlicher Veranstalter.

Eines der Workshops, Workshop 1, Sexualität und Behinderung, richtete sich explizit an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Einrichtungen. Auch beim Vortrag „Die schönste Sache der Welt“ ging es um die Verantwortung der MitarbeiterInnen. Und es ist in der Diskussion von Sexualassistenz auffällig, dass MitarbeiterInnen von Einrichtungen kaum thematisiert werden und ihre Mitwirkung anscheinend einfach vorausgesetzt wird.

KlientInnen von Sexualassistenz sind, laut Nina de Vries,  Menschen mit schweren physischen und psychischen Beeinträchtigungen, Schwerst- und Mehrfachbehinderte, in aller Regel sind es Männer. Nina de Vries liest hier Signale und oder diese werden von MitarbeiterInnen und BetreuerInnen so interpretiert.

Die Frage ist hier aber, wie steht dies im Zusammenhang  zu §179 des Strafgesetzbuches  der besagt:

(1) Wer eine andere Person, die wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung einschließlich einer Suchtkrankheit oder wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung, oder körperlich zum Widerstand unfähig ist, dadurch missbraucht, dass er unter Ausnutzung der Widerstandsunfähigkeit sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine widerstandsunfähige Person (Absatz 1) dadurch missbraucht, dass er sie unter Ausnutzung der Widerstandsunfähigkeit dazu bestimmt, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen.

Der rechtliche Rahmen für die Arbeit der Sexualassistenz ist also begrenzt und bewegt sich zwischen dem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und der Ausbeutung eines Abhängigkeitsverhältnisses. Wie geht Nina de Vries damit um?

Nina de Vries selbst sagt dazu in einem Interview (http://www.paritaet-berlin.de/pressemedien/pressemeldungen/pressemeldungen-detailansicht/article/nina-de-vries-im-interview.html):

Das hat mich nie sonderlich interessiert. Eltern oder Betreuer haben sich an mich gewandt und ich habe die Arbeit gemacht. Da bin ich sehr pragmatisch. Ich sichere mich dadurch ab, dass ich alles, was ich tue, offen lege und transparent mache. Bevor es zu einem Kontakt mit Klienten kommt, werde ich meistens von der Betreuungseinrichtung engagiert, um meine Arbeit vorzustellen. Ich muss das Gefühl haben, dass es einen Konsens unter den Mitarbeitern gibt.. Die Leute, die für meine Dienste in Frage kommen, werden ausführlich „besprochen“. Selbst können sie in der Regel nicht reden und leben in einer ganz eigenen Wahrnehmungswelt. Dann gibt es eine Nachbesprechung. Ich versichere mich, dass eine offizielle Erlaubnis von den Eltern bzw. gesetzlichen Betreuern vorliegt.. Da gibt es keine Verträge oder Formulare, das geht alles im gegenseitigen Einvernehmen. Bisher hatte ich mit diesem Vorgehen keine Probleme […]

Aus Aussagen dieser Art stellt sich normalerweise die Frage, wie Träger von sozialen Einrichtungen und Pflegeeinrichtungen hierzu stehen.

Auch nie thematisiert wird, wie die Sicherheit vor sexueller Belästigung von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen sichergestellt wird, wenn die Beschreibung der Tätigkeit von Nina de Vries sehr diffus ist und eine Abgrenzung von anderen Tätigkeiten der Betreuung für Menschen in Einrichtungen eventuell nicht möglich ist. Auch in der psychosozialen Betreuung geht es schließlich oft um Kontakt und Zusammensein, um den Aufbau einer vertrauensvollen Betreuungsbeziehung.

Nina de Vries selbst sagt dazu:

Es ist ja alles gar nicht so spektakulär. Es geht dann öfter um eine Anleitung zur Selbstbefriedigung. Natürlich auch wieder nach ganz klar gegebenen Signalen des Betroffenen und intensiven Vorgesprächen mit Angehörigen oder professionellen Mitarbeitern. Eigentlich geht es um Kontakt, Berührung, Zusammensein, und dabei werden die Geschlechtsteile nicht ausgeschlossen.

Und hier:

Es gibt eigentlich zwei Gruppen von Klienten: Bei der einen geht es um Menschen, die keine Vorstellung haben von Sexualität. Die auch im Fernsehen nie etwas gesehen haben, was sie auf sich selber übertragen könnten, weil sie auf Grund der Beeinträchtigung diese Rückkopplung nicht machen können. Die sich aber vielleicht dadurch, dass sie von Sexualität keine Vorstellung haben, zu Tode erschrecken, wenn sie auf einmal eine Erektion haben.

Wie kann hier tatsächlich von sexueller Gewalt unterschieden werden?

Oder wie soll sichergestellt werden, dass durch Sexualassistenz sexuelle Übergriffe gegenüber MitarbeiterInnen nicht zunehmen, da Menschen mit Behinderungen ja Signale senden, laut de Vries, damit die eigenen sexuellen Bedürfnisse befriedigt werden.

Im Artikel der Welt heißt es weiter:

Herr Kramer (Name geändert) wohnt in der geschlossenen Abteilung. 68 Jahre ist er alt. Die Schwestern, die sich in dem Berliner Seniorenzentrum um ihn kümmern, haben es nicht immer leicht mit ihm. Er fasst sie einfach an den Busen. Und wenn sie sagen, dass er das lassen soll, dann lacht er nur. Herr Kramer ist halbseitig gelähmt. Er ist dement. Er hat Sehnsucht. Irgendwann ruft die Pflegedienstleiterin Nina de Vries an. Sie ist Sexualassistentin. Seit 16 Jahren arbeitet die Niederländerin mit Menschen mit Behinderungen. Zwischen 90 und 130 Euro kostet, je nach Anfahrt, eine Stunde. Geschlechtsverkehr bietet die 51-Jährige nicht an, auch keinen Oralsex. Es gibt viele Möglichkeiten, sinnliche Erfahrungen zu machen.

Mit anderen Worten: Sexuelle Übergriffe gegenüber MitarbeiterInnen werden belohnt, da sofort eine Sexualassistenz gerufen wird. Auch ist davon auszugehen, dass viele Täter sexueller Gewalt in Pflegeeinrichtungen landen. Auch diese werden alt und bei der Anzahl von sexuellen Übergriffen gegenüber Frauen durch Männer werden nicht nur nette alte Opis gepflegt. Diese übergriffigen Männer setzen wahrscheinlich ihr  gewohntes Verhalten fort, vielleicht offener wie früher, was dann auch prompt belohnt wird durch die Zuführung einer prostituierten Frau. Super.

30% aller Frauen waren Opfer von Gewalt durch Männer. Besonders Frauen mit Beeinträchtigungen sind Opfer sexueller Gewalt, laut einer Statistik sogar zwei von vier Frauen.. Frauen insgesamt, mit und ohne Behinderungen, und viele traumatisierte Frauen, Überlebende sexueller Gewalt, finden sich in Pflegeeinrichtungen wieder.  Wie soll der Schutz von ihnen, Frauen,  erfolgen, wenn sie die einfache sexuelle Bedürfnisbefriedigung von Männern in den Einrichtungen erleben?  Die Sensibilität in diesem Bereich ist sehr hoch. Aber irgendwie interessiert sich niemand für Frauen in Einrichtungen, weder als Klientinnen, Patientinnen, oder Mitarbeiterinnen. Wir leben im Patriarchat, und Hauptsache das Ficken für Männer ist sichergestellt, egal ob dement oder anders beeinträchtigt.

Die Klienten der Sexualassistenz sind tatsächlich in der Regel männlich. Was wird aber für die Sexualität von Frauen in den Einrichtungen getan? Natürlich wird immer wieder betont, dass es Sexualassistenz auch für Frauen gibt, aber dies ist angesichts der wenig häufigen Nutzung nur eine Argumentation um Männern die Nutzung von prostituierten Frauen zu ermöglichen. Nach dem üblichen Motto…“aber Frauen ja auch…“ Sexualassistenz für Frauen ist auch der Kauf von einem Menschen,  aber es fällt in der Diskussion auf, dass die Sexualität von Frauen in den Einrichtungen niemanden interessiert. Das ist nicht ungewöhnlich.

Um Sexualasssistenz aber gut zu verstehen, ist es hilfreich die Geschlechter sexueller Handlungen umzukehren und hierdurch wird oft deutlich, dass es sich um sexuelle Gewalt handelt, wenn die Handlungen an Frauen ausgeführt werden. Stellen wir uns vor, dass eine an demenzwerkrankte Frau unruhig ist und sie zur Ruhigstellung von einem Mann masturbiert wird…Hmmm.

Nina de Vries führt keinen Geschlechtsverkehr durch und auch keinen Oralverkehr. Der Kauf sexueller „Dienstleistungen“ ist allerdings Prostitution. Welches Leistungsspektrum dies umfasst ist unerheblich; Handlungen anderer zur eigenen Bedürfnisbefriedigung werden bezahlt und finden nicht freiwillig, sonst wäre es kostenlos, statt.  Bis jetzt dürfen zum Beispiel Arbeitsstellen im Bereich Prostitution nicht vermittelt werden von der Arbeitsagentur. Inwiefern können aber MitarbeiterInnen von Einrichtungen eine Mitwirkung bei der Vermittlung von sexuellen Dienstleistungen ablehnen, wenn dies ihrer eigenen Meinung nach der Menschenwürde widerspricht? Wie werden und wollen Einrichtungen hiermit umgehen?

Kann MitarbeiterInnen gekündigt werden, wenn sie keine ZuhälterInnen sein möchten?

Auch besteht die Frage ob  KlientInnen und Angehörige in allen Einrichtungen offen über die Vermittlung von Sexualassistenz informiert werden. Ich muss mich als Angehörige entscheiden können, ob ich eine Einrichtung mit Sexualassistenz nutzen möchte oder eher boykottieren möchte, da ich hier von einem bestimmten Menschenbild ausgehe. Einem Menschenbild, in dem Menschen als Ware betrachtet werden. Ansonsten gilt nämlich für mich Kant.:…“ ein Mensch darf nie Mittel zum Zweck sein, sondern immer nur Zweck an sich“.

Im Moment habe ich den Eindruck, dass das Angebot von Sexualassistenz in Einrichtungen unter den Teppich gekehrt wird.

Es besteht ein Grundrecht auf Sexualität. Allerdings auch ein Grundrecht auf Sicherheit vor sexuellen Übergriffen oder sexuelle Selbstbestimmung. Sexualassistenz dient der sofortigen sexuellen Bedürfnisbefriedigung von Männern für Geld. Wie wird das Recht von Frauen in den Einrichtungen auf Sicherheit vor Grenzverletzungen und Erleben der Dominanz männlicher Sexualität gesichert? Offensichtlich interessiert dies aber niemand. Sexuelle Selbstbestimmung gilt aber auch für Frauen.

Prostitution ist in Deutschland legal, und somit auch Sexualassistenz, und mindestens 400 000 tausend prostituierte Frauen bieten Sex als Dienstleistung an, zusätzlich zur Existenz von  Pornografie im Internet. Wenn es also legal ist, und es hier um männliche Sexualität geht die immer befriedigt werden muss, so wie sie in Deutschland von vielen gesehen wird, dann sollte es im Rahmen der Inklusion  auch ein entsprechendes Angebot geben. Männer nutzen in der Regel sehr junge Prostituierte, die häufig aus Bulgarien und Rumänien kommen. Wieso bietet Nina de Vries nicht das ganze Spektrum der im Moment üblichen Dienstleistungen an? ATM, Gang Bang usw. Wenn Männer das Recht auf Sex ohne Grenzen haben, und das haben sie im Moment, dann haben auch Männer mit Behinderungen das Recht auf das Ganze übliche Spektrum. Sie haben auch das Recht auf junge prostituierte Frauen, und sollten nicht nur, bei dem vergleichsweise hohem Preis, auf ältere prostituierte Frauen zurückgreifen müssen, die kaum was bieten. Entweder oder….

Auch Nessita, das Vermittlungsportal für erotische Dienstleistungen für immobile Menschen, bietet keinen Geschlechts- oder Oralverkehr an, obwohl der Name Nessita von „Brauchen“ kommen soll. Anscheinend dürfen oder sollen Menschen mit Behinderungen dann doch nicht alles brauchen können, auch nicht wenn der Name „Brauchen“ bedeuten soll und angebliche Grundbedürfnisse befriedigt werden soll.

Da Sexualassistenz natürlich Prostitution ist, fühlte sich der ISBB Trebel dazu berufen eine Stellungnahme zur Prostitutionsdebate von sich zu geben:

Mit Sexualbegleitungen bietet das ISBB konkrete Handlungsfelder, die viele Menschen brauchen oder brauchen können, um Sexualität zu verstehen und zu entwickeln. Behinderte Menschen in Ländern, in denen die Prostitution verboten ist, haben diese Chancen nicht. Viele werden in die Illegalität gezwungen. Die Alice-Schwarzer-Initiative strotzt vor Vereinfachungen. Wir empfingen sie als gefährlichen Populismus. Selbstverständlich sind auch wir gegen Zwang, Gewalt und Menschenhandel. In unseren Erfahrungen mit Sexualbegleitung schließen sich Prostitution und Gewalt gegenseitig aus. Bei uns verhindert Prostitution Gewalt. Die begonnene Debatte sehen wir als Chance, Maßnahmen zu kreieren, die Prostitution und Gewalt trennen, und wirksamer als bisher Gewalt verhindern.

Die nächste Stufe der Zuführung von prostituierten Frauen  sogar für Sexualstraftäter wurde übrigens auch schon eingeleitet. Sexualstraftäter sind schließlich auch Männer und in der Regel wird in diesem Zusammenhang ja das Katharsismodell der Sexualität, das widerlegt ist, aber egal, propagiert. Männer haben sozusagen einen Triebstau und der muss durch bezahlten Sex abgelassen werden:

Oktober 2013 – Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie Wunstorf – Fachgespräch mit Leitung und Team zum Thema „Möglichkeit von Sexualassistenz bei geistig behinderten Patienten mit Sexualstraftaten“-  Kontakt: Dipl.-Psych. Susanne Batram susanne.batram@krh.eu.

http://www.isbbtrebel.de/neuigkeiten/08

Dann wissen wir ja wo die Reise hingehen soll …

Dieser Beitrag bezog sich vor allem auf Nina de Vries und den ISBB, aber es gibt natürlich viele weitere Spielerinnen auf dem Feld der Sexualassistenz. Nessita, und viele mehr. Die Argumentationslinien der Anbieter sind austauschbar. Und der Markt scheint zu wachsen. Eigentlich auch nicht verwunderlich, denn die ganzen jetzigen Freier/Prostituenten landen vielleicht jetzt zunehmend in Altersheimen und müssen weiter bedient werden. Dann werden auch die jetzigen typischen Frauenberufe in der Pflege und im sozialen Bereichen zu einer neuen  Art der Hölle für Frauen in Frauenberufen. Für Einige von uns zumindest bestimmt schon; nämlich für die unter uns, die ein anderes Menschenbild haben und für die Prostitution Prostitution ist, nämlich sexuelle Gewalt.

Barbara Stein-Kuhlberg

 

 

4 Kommentare

  1. Quintessenz des Artikels: Wenn ein behinderter Mann eine Frau für Sex bezahlt, beutet er sie aus. Wenn aber eine behinderte Frau einen Mann für Sex bezahlt, ist es der Mann, der diese Frau missbraucht, um seinen Fetisch (Amelotatismus) auszuleben.

    Wir haben also gelernt: Behinderte Frauen können gar keinen Sexualtrieb haben und nur perverse Männer sind an Sex mit ihnen interessiert. Und behinderte Männer sind natürlich – wie alle Männer – Schweine. Was uns hier als “feministischer” Artikel serviert wird, könnte kaum sexistischer und ignoranter sein.

  2. Hello,
    hab schon oft zu dem Thema etwas geschrieben, da ich lange in dem Bereich gearbeitet habe.
    Und ich kann nur sagen, dass es in der Praxis natürlich nur um „Männer mit Behinderung“ geht. Da wird ein furchtbarer Leidensdruck angenommen, wenn die ihren Sexualtrieb nicht ausleben können. Bei Frauen kommt niemand auf die Idee, dass man jetzt dringend mal einen Callboy rufen sollte. Auch nicht bei denen, die ganz offensichtlich ein großes sexuelles Bedürfnis haben. (Was es ja auch gibt. ;-))
    Und ich kann nur sagen, dass die Botschaft „Frauen sind jederzeit zu erwerben u sollten auch jederzeit verfügbar sein“ auch bei Männern mit geistiger Behinderung oder psychischer Störung ankommt. Die Folge ist dann, dass sie beginnen, wildfremde Frauen oder Mädchen auf der Strasse anzugehen, weil sie denken, jede müsste sich zur Verfügung zu stellen, wenn es ihnen gerade in den Sinn kommt. Oder eben auch, dass sie beginnen den weiblichen Teil des Mitarbeiter-Teams zu belästigen. O-Ton eines Klienten mir gegenüber: „Na komm schon! Das ist doch schließlich deine Aufgabe!“
    Es ist einfach verheerend. Und gerade bei Menschen mit geistiger Behinderung oder psychischer Krankheiten besteht ja oft das Problem, dass sie nicht in der Lage sind andere wahrzunehmen, ihnen zuzuhören, auf Bedürfnisse und Grenzen einzugehen. Und es geht ein großes Stück darum, genau dies zu fördern. Wenn man dann aber einfach Frauen für das sexuelle Bedürfnis kauft, geht der Schuss total nach hinten los. Die Gegenseitigkeit und die Augenhöhe lernen sie so ganz sicher nicht.
    Im Übrigen ist für mich ganz klar: Es ist sicher für die meisten schlimm (auch nicht für alle), wenn Sexualität nicht mit einem anderen ausgelebt werden kann, aber es ist kein Menschenrecht. Es gibt kein Recht auf Sexualität. Sorry, es ist nun mal eine gemeinsame Sache und da hängt es halt leider davon ab, ob der andere das auch will u schön findet.
    Punkt.

  3. Käsestulle

    Niemand hat ein „Recht auf Sexualität“. So ein Recht würde eine Pflicht beinhalten, dieses Recht umzusetzen: die Pflicht zu Prostitution.

    Wenn man bedenkt, wie viele Menschen, vornehmlich Frauen, keinen Sex kaufen können, weil Männer keine Ware sind, ist die Vorstellung von einem Recht auf Sexualität nachgerade zynisch.

  4. Hanna Dahlberg

    Da muss ich Sie leider enttäuschen Herr Siems. Es ist nicht auszuschließen, dass auch „SexualassistentINNEN“ einen Fetisch mit Behinderung haben. Hier wurde nur ein Fall zitiert, wo ein Mann das zugab. Also keine falschen Schlüsse ziehen. Uns sind mehrere Fälle bekannt, wo Männer mit Behinderung gegen ihren Willen in die Inanspruchnahme von Prostitution von ihren pädagogischen BetreuerInnen und TherapeutInnen gedrängt wurden.

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