Ein Gastbeitrag von Maria Baum
Wann immer es Frauen wagen, gegen patriarchale Auswüchse aufzubegehren – insbesondere, wenn es um Sexualität geht –, bellen die getroffenen Hunde zurück mit „Ihr seid ja nur zu prüde/frigide“, „Ihr braucht mal ’nen Schwanz zwischen die Beine“, „Ihr müsst mal richtig durchgefickt werden“ oder eben in der neuen, etwas keckeren Variante „Ihr seid untervögelt“. So wie neulich auf der facebook-Seite des Fußballvereins SV Oberwürzbach. Der Verein wollte sich von einem Pornofilm-Produzenten sponsoren und hierzu den Namen der Hauptdarstellerin auf seine Trikots drucken lassen und handelte sich damit heftige Kritik ein. Dass es in dieser Reihe einen Film gibt mit dem Titel „Inzest – Papa dein Schwanz ist zu groß“, setzte dem ganzen die Krone auf.
Von Unrechtsbewusstsein keine Spur, stattdessen die Infragestellung oder vielmehr das Absprechen eines intakten Sexuallebens der Kritikerinnen.
Ihr getroffenen Hunde wollt den Status „untervögelt“ also einreihen in ‚unterernährt‘, ‚unterwässert‘, ‚unterkühlt‘, ‚übermüdet‘ oder ‚unterversorgt‘ mit Luft und Liebe – alles potentiell lebensbedrohliche Zustände. An Sexmangel ist aber, soweit mir bekannt, noch niemand gestorben. Doch es ist schon klar, was Ihr uns mit „untervögelt“ sagen wollt: dass wir Menschen sind, die wegen Sexmangels schlecht gelaunt sind, sich über Kleinigkeiten aufregen, chronisch unzufrieden und nörgelig, vielleicht sogar hysterisch sind – Frustrierte eben. Mal davon abgesehen, dass mir tagtäglich sehr viele solcher Leute begegnen und die Menschheit demzufolge schon so gut wie ausgestorben sein müsste, kann ich dazu nur sagen: Besonders beglückend ist das Leben für Frauen im Patriarchat auch nicht. Die Frage lautet insofern: Bin ich wenigstens selbstbestimmt „untervögelt“ oder fremdbestimmt „be-vögelt“? Habe ich lieber keinen Sex oder schlechten?
Wie soll guter Sex im Patriarchat eigentlich möglich sein, frage ich Euch. Im Patriarchat bilden Frauen zwar die Hälfte der Bevölkerung, sind aber den Männern hierarchisch untergeordnet. Kann Sex erfüllend sein, wenn ich dafür mein Wissen ausblenden muss? Z.B. mein Wissen, dass mein Partner Pornos konsumiert, ins Bordell geht oder mit seinen Kumpels sexistische Witze reißt. Oder nicht halb soviel Arbeit im Haushalt leistet wie ich. Mein Wissen, dass ich in der Schule besser war, aber er derjenige ist, der mehr Geld verdient, Karriere macht und ich seiner beruflichen Laufbahn zuliebe womöglich noch umziehen muss. Kann Sex erfüllend sein, wenn ich finanziell abhängig bin von meinem Partner? Kann Sex erfüllend sein, wenn ich mich einem erhöhten Thrombose-Risiko ausliefere (Anti-Baby-Pille)? Kann Sex erfüllend sein, wenn ich ihn nur habe, damit ich als „normal“ gelte? Z.B. weil ich mit 20 Jahren „immer noch“ Jungfrau bin oder mit Mitte 30 „immer noch“ keine Kinder habe. Oder weil ich meine Freundinnen nur noch im Doppelpack mit ihren Partnern treffe und mir dabei doof vorkomme. Oder, sofern meine Freundin auch Single ist, sie ihre Freizeit mit Partnersuche verbringt. Dann muss ich ja auch… Wenn ich von alten Bekannten nicht nach meinem Wohlbefinden gefragt werde, sondern ob ich denn „jetzt endlich mal“ einen Freund hätte. Pärchen sind normal, Alleinstehende nicht. Kann Sex erfüllend sein in einer Gesellschaft, die Partnerschaft fördert wie die Ehe und alleinerziehende Mütter links liegen lässt mit einem Armutsrisiko, ich mich also wegen äußerlicher Anreize und Vorteile verpartnere bzw. verpartnert bleibe? Kann Sex erfüllend sein, wenn ich meinen Nachnamen aufgebe? Kann Sex erfüllend sein, wenn mich mein Partner als schmückendes Beiwerk ernst nimmt, nicht aber als Gesprächspartnerin? Kann Sex mit Machos, Müttersöhnchen oder mit geistig Unreifen erfüllend sein? Oder mit Männern, die sich körperlich gehen lassen? Oder mit Männern, die nicht willens oder schlicht unfähig sind, auf die sexuellen Wünsche ihrer Partnerin einzugehen und sie zu befriedigen? Kann Sex erfüllend sein mit einem Mann, der zwar den Anforderungen eines modernen, emanzipierten Mannes entspricht, bei dem der Funke aber einfach nicht überspringt? – Die Antwort liegt auf der Hand.
Wir „Untervögelten“ legen mehr Wert auf Qualität als auf Quantität. Wenn sich nichts Passendes findet, lassen wir es lieber sein, anstatt uns gesellschaftlichen Normen unterzuordnen, uns zu verleugnen, uns als lebende Masturbationsvorrichtungen zur Verfügung zu stellen.
Dass Ihr getroffenen Hunde uns schimpft als „untervögelt“, ist doch nur Zeugnis, dass Euch unser Verhalten ärgert. Ihr gehört offensichtlich zu der Sorte Mann, die fälschlicherweise davon ausgeht, ein Recht auf Sex zu haben – und wir die Pflicht. Pustekuchen! Wir entziehen uns diesem Sex-Markt. Und damit ja nicht der Verdacht aufkommt, wir hätten diese Entscheidung des „untervögelt“-Seins selber getroffen, schimpft Ihr uns dann anschließend als hässlich oder zickig. „Euch will ja sowieso keiner.“ Damit die Entscheidungshoheit natürlich bei Euch bleibt. Nicht wir haben entschieden, keinen Sex zu haben, sondern Ihr habt entschieden, uns als „unfuckable“ auszumustern.
Und muss es nicht in einer mehrheitlich heterosexuellen Welt neben „untervögelten“ Frauen logischerweise auch „untervögelte“ Männer geben? Ihr könnt natürlich ins Bordell gehen. Aber ist es erfüllend oder nicht eher armselig, für Sex zahlen zu müssen? Ihr könnt Euch auch Pornos reinziehen und als Voyeure Hand an Euch anlegen. Die Reizschwelle steigt – das ist wissenschaftlich bewiesen – mit jedem Porno an, bis Befriedigung irgendwann unerreichbar wird – wie bei einem Alki oder Junkie. Dann seid Ihr sozusagen „überwichst“. Ist das erfüllend oder nicht eher frustrierend?
Erfüllender Sex ist nur möglich auf Augenhöhe und ohne Ungerechtigkeiten drumherum. Das sollte jedem einleuchten. Ihr getroffenen Hunde haltet hingegen ein System aufrecht, dass kein Glück verspricht für niemanden. Vielleicht sind nicht wir die „Untervögelten“, sondern Ihr die Unterbelichteten?
Klasse!
So deutliche, klare und intelligente Worte.
Das muss der“herschenden Rasse“ doch weh tun, denn als solche sehen die sich scheinbar!
Meine Erfahrung ist, dass, je bösartiger desto dümmer sind sie, und wirklich in dem Glauben etwas besonderes zu sein.
Wer hat ihnen das nur beigebracht ?
Wenn immer möglich kann man ihnen nur aus dem Weg gehen und sie ignorieren. Aber es wird auch immer wieder Frauen geben die sie in ihrem Weltbild bestätigen. Auch aus Dummheit, aber nicht minder gefährlich.
Da sollten wir uns ein Vorbild nehmen an den isländischen Frauen, die durch einen einheitlichen!!!! kollektiven Streik ihre Rechte mehrmals durchgesetzt haben.
Wunderbarer Artikel,ganz nah am Leben,danke! Nein,es ist unmöglich, im Patriarchat auf lange Sicht befriedigend der Lust zu frönen. Wenn es toll war für mich,dann immer nur in der ersten Phase überwältigenden Verliebt-Seins und weil meine Phantasie ,wie mir heute bewusst ist , Regie geführt hat. Entgegen dem Klischee: Ich war immer diejenige, die mehr,mehr,mehr wollte und nein,ich war nicht hässlich. Maulhelden…
Vorausgesetzt, Frau möchte sich mal auf das gleiche Niveau begeben. Als Retourkutsche zu fragen, ob der Frauenhasser etwa „unterwichst“ ist, machte mich gerade schmunzeln.
Laut einer amerikanischen Studie haben 80% der Frauen bei vaginalem Sex keinen Orgasmus. Also ja, wir sind untervögelt aber nicht weil wir keinen Sex haben, sondern weil der überwiegende Teil der Männer sowas von keine Ahnung haben, wie man eine Frau befriedigt. Ihr habt es einfach nicht drauf meine Herren.
Gut geschrieben, auf den Punkt. Jedoch etwas einseitig (vlt. aus dem Grund der Überspitzung?!). Auch als Frau mit einem Partner muss man sich das anhören. Nur, dass dann der Partner auch noch sein Fett abbekommt.
Sehr gut geschrieben, danke!
Allein schon die Tatsache, dass es für viele Männer normal zu sein scheint, einen (solchen) Pornoproduzenten als Spnsor zu akzeptieren, sagt schon einiges über die Denkstruktur derjenigen aus. Papas bestes Stück ist doch der beste Freund des rechten Mannes! Wer diesen Freund und dessen Ansprüche beleidigt, bekommt es mit der geballten Männerwut zu tun. Direkte Herabwürdigung der kritisierenden Frauen durch Beschimpfungen werden ergänzt durch subtile Methoden von Werbung und Medien. Und leider zeigen diese Wirkung, nicht nur bei vielen Männern, auch Frauen verinnerlichen so manchen gegen ihr Geschlecht gerichteten Angriff (siehe Vergewaltigungsdebatten und Schlampen-Zuordnung und Männer-brauchen-sowas-Einstellung) und weben damit kräftig mit am Frauendiskriminierenden Teppich. Bei einer meiner Lesungen war ich mehr als erstaunt, als Frauen zwischen 25 und 40 sich offensiv für Bordelle und Prostiutionsbesuche von Männern stark gemacht haben, da ja diese sowas zum Druckabbau bräuchten und damit Vergewaltigungen verhindert würden. Nun, Studien aus Irland z.B. belegen eindeutig das Gegenteil: In einer für prostitutionsverherrlichenden und frauendiskrimierenden Gesellschaft ist die Vergewaltigungsrate deutlich höher durch ein entsprechendes „entwertetes“ Bewusstsein der Männer Frauen gegenüber. Eines dürfte sicher sein: Diese damals anwesenden Frauen gelten sicher nicht als „untevögelt“.
@Jutta.
Dein Geschriebenes spiegelt auch meine Erfahrung wieder. Viele Männer können nicht mit offensiven Frauen umgehen, sie sind nicht stark genug dafür. Nach einem aufregenden Quartal trennt sich die Spreu vom Weizen und übrigbleibt meist nur der Staub auf dem Kistenboden. Aus meiner Sicht ist das Gros der Männer nicht in der Lage, Frauen auf Augenhöhe zu begegnen, sei es im Beruf oder im Bett. Und wenn sie das Gefühl haben, in Frage gestellt zu sein, werden sie bösartig und versuchen, von ihrem „verankerten Recht“ Gebrauch zu machen, in welcher Form auch immer.
Ich bin im Übrigen auch fest davon überzeugt, dass die Evolution, die auf unzählige raffinierte Art und Weise das Überleben der Art und bei komplexeren Arten auch das Überleben des einzelnen Individuums schützt , was alles rein vegetativ geschieht, keine Geschöpfe hervorbringt (Frauen), die nur sehr „widerwillig“ das tun,was der Fortpflanzung dient. Dafür hat sie ja die Lust vorgeschaltet, ein hoch-komplexes System von Hormonen, Reaktionen usw. Das „Sich-Zieren“ der Frauen hat man uns seit Jahrtausenden andressiert, Angst vor Schwangerschaft, Ächtung der lustvollen Frau usw. Ich glaube, die Kerle GÖNNEN uns die Lust nicht. Auch die beanspruchen sie für sich alleine. Das ist im wahrsten Wortsinne widernatürlich.
Wenns nicht so öde und traurig wäre könnte man lachen. Wie immer und befall meint „Mann“ sich aufzuwerten, wenn er „Frau“ resp. ihre Sexualität
abwertet. Wahl zwischen Schlampe, Hure, oder frigide……findet ER!
Wie immer überschätzt er seinen Dödel total. Seine Kenntnisse hat er natürlich aus Pornofilmen und weiss ja jetzt wie Frauen so ticken, (oder ticken sollten) Ja, lieber keinen Sex, als schlechten Sex, und dann noch so dumm-dreiste Bemerkungen. Männer: Viel erlebt und immer noch Nichts begriffen……. Und nein, ich will nicht „geil-versaut“ sein, dass er IHM steht.
Und: masochistisch veranlagt bin ich auch nicht.
PS: nicht befall, (auto-korrektur), sondern überall
Dieser leidenschaftliche Artikel ging mir einige Tage im Kopf rum.
Letztlich hat er mich motiviert, meine persönlichen Antworten aufzuschreiben auf die Frage
„Wie soll guter Sex im Patriarchat eigentlich möglich sein?“
http://www.claudia-klinger.de/digidiary/2017/12/08/wie-soll-guter-sex-im-patriarchat-eigentlich-moeglich-sein/
Wie armselig Menschen sein können.
Ab einem gewissen Alter (so > 28 Jahre) ist man in der Regel als Single eben „untervögelt“ und es dreht sich kein Prinz mehr nach einem um.
Ansonsten wäre man Mutti in Prenzlberg und da ginge ja auch nicht gut. Dann lieber so und alleine.
„Ich glaube, die Kerle GÖNNEN uns die Lust nicht. “
Ich glaube auch dass das das Problem ist.
Die weibliche Sexualität wird doch sowieso immer als etwas Schlechtes dargestellt!
Super Text, er trifft genau auf den Punkt! Weiter so!
Ausgezeichneter Text! Die Störenfriedas sind super!
Das tut schon ganz schön weh…
Aber nichts motiviert so wie Schmerzen! ;D
Mir gefällt der Gesamtzusammenhang in dem Artikel zu allen Dingen. Können wir sicher sein, dass es morgen keine Kriege und Hungersnöte mehr gäbe, hätten plötzlich „die Frauen“ alle Macht?
Nein. Das können wir nicht.
Aber andersherum haben wir es nun über 5000 Jahre lang „versucht“.
Das reicht fürs erste.
Warum sind bei Diskussionen über sämtliche „diverse“ Menschen (Homosexualität, Geschlechtsumwandlung, etc.) immer „die Männer“ am wütendsten und abweisendsten?
In der Natur ist alles kontinuierlich, Diskretes gibt es nicht.
Würde man zugeben, dass der Übergang zwischen „männlich“ und „weiblich“ fließend ist, es also nicht die diskrete Aufteilung „Mann oder Frau“ gibt, sondern eine kontinuierliche: „Mann bis Frau“, stieße das uralte Machtstrukturen vom Thron. Wenn es keine diskrete Unterteilung mehr gibt, wie unterteilt man, dann Herrscher und Beherrschte?
Jeder Mensch weiß in seinem Innersten, was richtig und falsch ist und wann er zu weit geht.
Fanatismus ist im Feminismus nicht weniger gefährlich als in der Religion. Das ist ebenso wenig ein Argument gegen den Feminismus, wie es eines gegen die Religion ist! Es ist feige und aussichtslos diese Problematik durch Verunglimpfung von „politischer Korektness“ kleinzureden. Gerade deshalb sollten „wir Männer“ diese Diskussion, die mit allen Lebensbereichen zusammenhängt, mittragen und mitführen.
Wir haben keine Alternative, als Macht abzugeben.
Wir haben die Wahl zwischen „Königsmord“ und „demokratischen Reformen“.
Aus „männlicher“ Sicht ganz egoistisch gefragt:
Was von beidem ist uns lieber?
Sehr kluge treffende Worte!
Dein Beitrag gefällt mir. Genauso isset!
Wenn eine Frau keinen Sex will, hat sie einen guten Grund dafür. Das Angebot ist es nicht wert.
Der einzige, der dann „untervögelt“ ist, ist der sich beschwerende Mann, der seinen Frust nicht aushält, nicht gut genug zu sein. Jeder Mann, der eine Frau als untervögelt beschimpft, meint eigentlich sich selbst.