In meiner ehrenamtlichen Tätigkeit beim Verein Linke Hilfe Wiesbaden habe ich seit einigen Jahren mit Menschen aus ganz Europa, insbesondere aus Rumänien und Bulgarien, zu tun. Das hat zum einen mit der zunehmenden Armut in den Krisenstaaten und dem unbarmherzigen Diktat der Troika zu tun (unter deren Fuchtel stehen auch, was viele nicht wissen, Rumänien und Bulgarien). Ein Grund ist aber auch, dass ganz aktiv und intensiv um gut qualifizierte Billigstarbeitskräfte geworben wird. Die Bundesregierung hat dafür eigens eine Internetpräsenz eingerichtet unter dem Titel „Make it in Germany“. Zu finden sind dort tausende von Stellenangeboten von vor allem Leiharbeitsfirmen in ganz Deutschland.
Ganz herzlich willkommen werden diejenigen geheißen, die beispielweise dringend fehlende Pflegekräfte in Krankenhäusern, Altenheimen und auch der häuslichen Pflege ersetzen sollen. Betreiber von entsprechenden Einrichtungen rühmen sich öffentlich endlich in Osteuropa fündig geworden zu sein. In Privathaushalten hat sich sozusagen eine Art Privatsklaverei etabliert: Menschen aus Osteuropa umsorgen 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, pflegebedürftige Personen für ein Monatsgehalt von unter 800 Euro netto – und „dürfen“ nebenher auch gleich noch Haushalt und Garten mit in Schuss halten.
Menschen werden mit dem Versprechen auf einen guten Verdienst auf deutsche Baustellen oder in deutsche Weinberge gelockt. Sie unterschreiben Verträge, die sie nicht verstehen und bleiben so lange im Irrglauben darüber, dass sie eine Festanstellung erhalten haben bis sie vielleicht einmal krank werden. Dann stellen sie fest, dass sie gar keine Krankenversicherung haben, weil man sie ohne ihr Wissen als Selbstständige angemeldet hat – Sozialversicherung Fehlanzeige. Von dem versprochenen Lohn werden Miete, Werkzeugersatzkosten etc. abgezogen, so dass oft ein Stundenlohn unter 2 Euro dabei herumkommt.
Die Baustelle an der Europäischen Zentralbank in Frankfurt wird geleitet vom Tochterunternehmen Polbau der Firma Züblin – der gleichen Firma, die bereits unter den Nationalsozialisten unter Ausbeutung von jüdischen Zwangsarbeitern aus Osteuropa den Frankfurter Flughafen ausgebaut hat. Der Zutritt und Zugang zu den Beschäftigten bei der EZB erweist sich als schwer, denn das Gebiet wurde eigens zu exterritorialem Boden erklärt.
Findige Vermieter vermieten Schrottimmobilien zu Wuchermieten – und beschäftigen ihre Mieter auch gleich zu Dumpinglöhnen in ihren Ausbeutungsfirmen. Besonders perfide Geschäftsleute bezeichnen ihr Geschäftsmodell als „Rumänenentsorgung“.
Junge Frauen werden nach Deutschland gelockt mit dem Versprechen auf einen Job als Kellnerin, Tänzerin oder bei McDonalds – und landen tatsächlich in den deutschen Bordellen und Modellwohnungen, die seit der Legalisierung Liberalisierung der Prostitution im Jahr 2002 wie Pilze aus dem Boden schießen. Sie schlafen wo sie arbeiten, sind dort ebenfalls 24/7 verfügbar und müssen sich für 30 Euro ohne Gummi in sämtliche Körperöffnungen penetrieren lassen. Wie der Marketingchef eines Stuttgarter Großbordells sagt: Der hiesige Bedarf an Prostitution ist ohne das ständige Frischfleisch aus Osteuropa gar nicht zu decken. (Es gibt auch sehr viele, die wissen, dass sie in Deutschland als Prostituierte arbeiten werden. Aufgrund existentieller Armut kann man jedoch auch in diesen Fällen selten von „Freiwilligkeit“ sprechen)
Wie zynisch muss sich der Satz „Vielleicht fühlt es sich aus der Perspektive einer Romafrau, die im Elend lebt und rassistisch verfolgt wird tatsächlich selbstbestimmt an, in Deutschland als Sexarbeiterin zu arbeiten?“ für eine Betroffene anhören? Oder aus gleicher Feder: „ „…es wäre vielleicht besser, jenen, die weniger privilegiert sind, als wir selbst zu überlassen, wo die Grenzen ihrer Menschenwürde verlaufen.“ Ich halte es für skandalös wenn Menschenrechte und Menschenwürde plötzlich nichts universelles mehr sein sollen, sondern abhängen sollen vom Priveligiertheitsgrad einer Person.
Auch die deutsche Stricherszene, egal ob München oder Berlin, wird heute übrigens von heterosexuellen Osteuropäern, überwiegend Roma, dominiert – die Nachfrage von deutschen Männern nach jungen, gut gebauten und vor allem billigen Männern ist ungebrochen groß.
Dies sind ein paar Beispiele, wie gerne in Deutschland jene Menschen gesehen sind, deren Arbeitskraft oder Körper unerbittlich und folgenlos ausgebeutet werden können.
Der häufig bemühte Satz „Wer betrügt, fliegt“ ist deshalb in zweierlei Hinsicht zynisch:
Wo bleibt die Empörung über diese skrupellosen Ausbeuter? Welche Maßnahmen ergreift die Politik eigentlich um all diesen Dingen endlich einen Riegel vorzuschieben?
Stattdessen werden Menschen, die Kindergeld oder Sozialleistungen in Anspruch nehmen, als kriminell dargestellt und unter Androhung von Abschiebung des Landes verwiesen. Sozial- und Ausländerbehörden bilden hier eine unheilige Allianz. Freizügigkeit wird ausschließlich jenen zugebilligt, die einen vermeintlichen Nutzen für die Gesellschaft haben – ein krasser Fall von Nützlichkeitsrassismus in einer Gesellschaft in der grundsätzlich nur diejenigen etwas wert sind, die sich in Lohnarbeitsverhältnissen ausbeuten lassen. Alle SGB-Leistungsberechtigten können davon ein Liedchen singen wie wenig ihr ehrenamtliches Engagement oder selbst das Arbeiten in einer sogenannten Arbeitsgelegenheit oder anderen Maßnahme wert geschätzt wird. Oder wie wenig wert geschätzt Menschen ohne Lohnarbeit in unserer Gesellschaft generell werden.
Eine „falsche Staatsangehörigkeit“ im Pass zu haben ist keine Straftat. Jedoch Menschen aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit zu diskriminieren und anders, bzw. schlechter zu behandeln als Deutsche, das ist menschenverachtend und hat einen Namen: Rassismus.
Das gestrige Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Rechtmäßigkeit des Leistungsausschluss nach SGB II („Hartz IV“) für EU-Bürger_innen ist hart. Und es wird gravierende Folgen für diejenigen haben, die dank Sozialleistungen ihr Leben wieder einigermaßen ordnen konnten: Die dank Krankenversicherung lange verschleppte, teilweise lebensgefährliche, Krankheiten endlich behandeln lassen konnten. Die endlich aus ihren (Keller-)Löchern in echte Wohnungen ziehen konnten oder vor Räumungsklagen geschützt wurden. Die der Prostitution oder der Knechtschaft in den oben geschilderten Ausbeutungsverhältnissen entfliehen konnten. Ich habe keinen Unwillen zur Arbeitsaufnahme bei diesen Menschen erlebt – jedoch großen Unwillen der Gesellschaft ihnen menschenwürdige Arbeitsverhältnisse anzubieten.
Es wäre doch eigentlich ganz einfach: Wer ja zu Europa sagt muss auch ja zu seinen Menschen sagen. Ich wünsche mir ein Europa der offenen Grenzen, eine Welt in der jedem Menschen eine Existenzberechtigung zugesprochen wird, ohne wenn und aber. Und vor allem eine Gesellschaft, in der Menschen nicht nach ihrem Nutzen in wert und unwert eingeteilt werden – denn diese Zeiten sind hoffentlich ein und für alle Mal vorbei. Und gerade der Minderheit der Roma gegenüber hat Deutschland noch einiges wiedergutzumachen. Ich sehne mich nach einem Europa der Solidarität und einer Welt ohne Rassismus.
Manuela Schon
Hallo Manuela, wie erschreckend deine Zeilen auch sein mögen, gut und richtig sind sie dennoch.
Leider ist das ja seit Jahren so, dass nur wer was taugt, der verwertet werden kann…..deshalb sind wir ja in der Partei die LINKE, in der Hoffnung ein ganz klein wenig was zu erreichen, für die, die sonst keine Lobby haben.
Gruß von der Küste, Silvia aus Wilhelmshaven, KV Friesland Vorstandmitglied